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WMMKinff Beilage zu No. 5. Freitag, den 18. Januar !888. Vaterländisches. Wilsdruff. Wir machen heute noch einmal auf die nächsten Sonntag, den 20. d. M., im hiesigen Löwensaale stattfindenden zwei Nebelbilder - Vorstellungen zum Besten der Kasse des hiesigen Frauenvereins 'aufmerksam. Die Nachmittagsvorstellung ist hauptsächlich für die liebe Kinderwelt berechnet, da für diese Vorstellung einMärchen- cyclus bestimmt ist. Daß dem Herrn Mechanikns Kändler ein aus gezeichneter Ruf vorausgeht, haben wir schon in einer früheren Nr. unseres Blattes erwähnt; möge daher das uneigennützige mit vielen Mühen für Herrn Kändler verbundene Unternehmen durch allseitigen zahlreichen Besuch der Vorstellungen ein recht erfolgreiches und für die Kasse des Frauenvereins ersprießliches sein. — Wir verweisen auch an dieser Stelle auf die in voriger und heutiger Nr. von den Spitzen unserer Stadt ausgehende Einladung zur Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm II. durch ein Festessen im Hotel zum Adler; hoffentlich wird die Betheiligung daran eine recht lebhafte sein. — Gleichzeitig ^machen wir aber auch darauf aufmerksam, daß auch der hiesige Militärverein Sonntag den 27. Januar im Schießhaussaale eine patriotische Geburtstagsfeier beschlossen hat, wozu, wie wir hören, in nächsten Nummern dieses Blattes allgemeine Ein ladung erlassen werden wird. — In verschiedenen Orten beobachtete man in den letzten Tagen starke Ketten wilder Gänse, welche eine südliche Richtung einschlugen. Erfahrungsgemäß gelten derartige Züge von Wildvögeln als Anzeichen von andauernder Kälte oder, wie der Landmann sagt, von einem „langen Nackwinter." Auch andere volksthümliche Beobachtungen, so an den Weiden und Erlen, sollen einen langen Winter anzeigen. — Seit Beginn unserer Zeitrechnung ist noch keine Milliarde Mi nuten vergangen; es fehlen daran noch 7,004,800 Minuten. Auch an der Schwelle des 20. Jahrhunderts, in der Sylvesternacht zwischen 1900 und 1901 wird die Milliarde noch nicht ganz voll sein; es werden viel mehr bis dahin erst 999,405,280 Minuten vergangen sein. Vollendet wird die Milliarde erst sein am 28. April 1902 Vormittags um 10 Uhr und 40 Minuten. (Dr. N.) — Ein recht herbes Geschick hat die Familie des Herm Kohlenschrei bers Jahn in Döhlen betroffen. Herr Jahn, welcher im Dresdner Kontor des Königlichen Steinkohlenwerkes Zaukeroda beschäftigt war, ver letzte sich vor ungefähr 14 Tagen durch eine Stahlfeder an einem Finger. Ohne diese geringe Verletzung zu beachten, zählte er einen Posten Geld. Nach wenigen Tagen stellten sich Schmerzen an der Hand ein, die, da der Verletzte auch diese nicht weiter beachtete, bald den Arm in Mitleiden schaft zogen. Nun erst suchte Herr Jahn ärztliche Hilfe. Leider zu spät. Durch die kleine Wunde war beim Geldzählen Grünspan in's Blut ge drungen und hatte eine Blutvergiftung hcrbeigeführt. Die Amputation des Armes konnte infolge großer Entkräftung des Patienten nicht mehr ausgeführt werden und schon nach wenigen Tagen, nach Tagen unsäglicher Schmerzen, gab der bedauernswerthe, allseitig geachtete Beamte seinen Geist auf. — Am 31. Dezember und 1. Januar sind bei den Postalten in Dresden rund 760 000 gewöhnliche Briefe und Drucksachen, darunter 276 000 in der Residenz eingelieferte Briefe rc., zur Bestellung gelangt. Auf jeden Tag entfallen mithin 380 000 Briefe, d. i. nahezu das 8 fache der zu gewöhnlichen Zeiten täglich eingehenden Sendungen. Da man annehmen darf, daß die Zahl der nach auswärts gesandten Briefe auch in der Ncujahrszeit mindestens nicht geringer gewesen ist, als die Zahl der angekommenen, so wird die Gesammtzahl aller Briefe, welche die Be wohner Dresdens beim Jahreswechsel abgesandt und empfangen haben, auf mindestens 1^ Millionen Stück zu berechnen sein. — Es ist wiederholt vorgekommen, daß Postunter beamte im Postpäckereidienste sich an den Händen dadurch schwer verletzt haben, daß die zum Verschluß von Kisten verwendeten Nägel an letzteren seitlich her vorgeragt haben und bei eiliger Handhabung des Verladedienstes von den betreffenden Unterbeamten nicht wahrgenommen worden waren. Den Absendern wird dringend empfohlen, die Kisten vor ihrer Einliefer ung zur Post einer genauen Prüfung dahin zu unterziehen, ob etwa an irgend einer Seite Nägelspitzen hervorstehen, und unter Umständen ent sprechende Abhülfe zu treffen. — Der Gesammtvorstand des Allgem. SSchs. Lehrerveins veröffent licht in Nr. 2 der „Sächs. Schulztg." folgendes Preisausschreiben: „An dem bevorstehenden, im ganzen Sachsenlande festlich zu begehenden 800jährigem Jubiläum des Hauses Wettin werden voraussichtlich sämmt- liche sächsische Schulen in Stadt und Land mit freudiger Begeisterung sich betheiligen. Um diese Schulfeierlichkeiten möglichst einheitlich zu ge stalten, hat der Vorstand beschlossen, eine patriotische Dichtung, bestehend aus Gesängen mit verbindender Deklamation, in welcher das Haus Wettin ert wird, zu beschaffen, und zu diesem Zweck für die geeigneste Arbeit einen Preis von 100 M. fcstzusetzen. Die Arbeiten sind bis spätestens 15. März an den Schuldirektor Herrn C. Gläsche in Dresden einzusenden. Jede Arbeit ist mit einem Motto zu versehen, welches sich auch auf einem beizulegenden verschlossenen Briefumschläge befindet, in dem der Name des Verfassers enthalten ist. Für die Gelänge sind nur bekannte Volks melodien zu wählen und die Aufführung dürfte die Dauer einer Stunde keinesfalles überschreiten. — Kötzschenbroda. Die von Sonnabend bis mit Montag hier abgehaltene Geflügel-Ausstellung hat einen den Erwartungen entsprechenden Verlauf genommen; dieselbe zeigte gegen die Vorjahre einen sehr bemerkens- werthen Fortschritt, es war mehr Geflügel vorhanden und auch reine und seltene Raffen vertreten, ebenso staunte man auch über die hohen Preise, die für Stämme von Hühnern gefordert wurden, es waren Stämme vor handen, die mit 100, 150 und 800 Mk. im Katalog verzeichnet waren. Als Preisrichter fungirten Kramer-Leipzig, Seeling-Neuschönfeld und Thiele- Großenhain; es kamen von denselben 299 Preise zur Äertheilung uno zwar 23 1. Preise, davon 6 auf Hühner und größeres Geflügel, 2 auf Kaninchen und 15 auf Tauben; 70 2. Preise, davon 20 auf Hühner rc. und 50 auf Tauben; 106 3. Preise (Anerkennungen), davon 28 aus Hühner und 78 auf Tauben. Die 299 Preise vertheilten sich auf 135 Aussteller (17 Deutschland, 92 aus Sachsen und 26 von hier); 40 Preise fielen auf die hiesigen Aussteller. Außerdem erhielten noch Ehrenpreise Biltz-Dresden für Kröpfer, Schröder-Potsdam für Conchinchina, Rost- Dresden für Lockentauben und Zander-Leipzig für Brünner Krövfer. Der Besuch der Ausstellung war an allen drei Tagen ein sehr zahlreicher, so daß der kiesige Geflügelzückterverein einen annährenden Erlaß für seine pekuniären Opfer gehabt hat. — Bürgermeister Martini in Glauchau, derl daselbst 37 Jahre hindurch eine höchst gesegnete Wirksamkeit entwickelt hat) tritt am 31. d. M. krankheitshalber in den Ruhestand. Rath und Stadtverordnete be schlossen einstimmig, ihrem treuen Stadtoberhaupte den seitherigen, vollen Gehalt von 5700 Mk. jährlich als Pension zu gewähren und das Ehren bürgerrecht der Stadt Glauchau zu ertheilen. — In der Lützowstraße inPlauen i. V. haben in einer der letzten Nächte mehrere Bewohner des Hauses Nr. 28 in großer Lebensgefahr ge schwebt. Vor dem Hause ist ein Bruch der Gasleitung vorgekommen, das Gas ist in das Haus eingedrungen. Am meisten gefährdet waren drei ledige Herren im Alter zwischen 20 und 26 Jahren, welche in zwei Zimmern zu ebener Erde nach der Straße zu schliefen. Zwei derselben fand man früh in der 7. Stunde vollständig erstarrt im Bette vor. Erst nach mehrstündigen Wiederbelebungsversuchen gelang es, dieselben in's Leben zurückzurufen. Der dritte Herr, welcher die Zimmerthür durch Verschieben des Nachtriegels verschlossen hatte, und in dessen Zimmer man daher nur von der Straße aus nach Zertrümmerung einer Fensterscheibe gelangen konnte, geberdete sich im Bett wie ein Wahnsinniaer und zerriß Alles, was ihm in die Hände kam. Man beförderte ihn an die Luft und öffnete ihm den Mund, um möglichst viel frische Luft einathmen zu können. Er kam in verhältmäßig kurzer Zeit wieder zu sich. Auf sicherer Fährte. Criminal-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Wenn man mit ihrem Zeugniß vielleicht einen Menschen vom Tode erretten könnte," beharrte Linchen mit blitzenden Augen. „Nein, Mama, ein solches Verschweigen halte ich sogar für ein Verbrechen." Der kleine Notar schob seine Brille hin und her und meinte dann mit einem verlegenen Räuspern: „Dieses Zeugniß wird den Gang der Verhandlung durchaus nicht ändern, meine Liebe! — Du überschätzest den Werth desselben, was ich als Jurist doch wohl besser beurtheilen kann. Ich muß der Mama darin beistimmen, daß wir Aerger und Auflegung schon genug davon gehabt und daß ich Euch allen cs strengstens einschärfe, reinen Mund darüber zu halten. Wenn ich wüßte, daß eine solche Mit- theilung Licht in die Sache bringen könnte, dann würde ich keinen Augen blick damit zurückhalten. Aber so ist es nichts von Belang und würde uns nur noch mehr in's Gerede bringen." „Punktum!" bekräftigte die Frau Mama, „das ist das letzte Wort in der Sache, merkt cs Euch!" Albertine hatte stumm zugehört und nicht von ihrem Teller aufge blickt. Sie sagte auch jetzt kein Wort, rührte fast keinen Bissen an und bat die Mutter nur um Erlaubniß, ihren gewohnten Spaziergang machen zu dürfen, was diese unter Linchens Begleitung gestattete. „Man muß das Mädchen wie seinen Augapfel hüten," bemerkte sie heimlich, „es rappelt ja förmlich bei ihr, wenn ich sie nur ganz fortschicken könnte." Albertine hatte sich sehr eilig zum Ausgehen gerüstet und wollte die Schwester im Garten erwarten. Als Linchen nach einer Viertelstunde hinauskam, war jene nirgends zu erblicken, der sonst festverschlossene Aus gang nach einer Seitenstraße offen, die Pforte nur angeklingt. Sie trat rasch hinaus, um einen Blick durch die enge, menschenleere Gasse zu werfen und schüttelte dann sehr nachdenklich den Kopf. „Kann mir denken, wohin sie gegangen ist," die Pforte hinter sich in's Schloß drückend und langsam die Straße entlang schreitend, „hätt's an ihrer Stelle gewiß auch gethan. — Aber einen schönen Lärm wird's im Hause geben, hu!" Sie schüttelte sich ordentlich bei dieser Vorstellung, fand aber die Geschichte auch wieder ganz romantisch, eine unangenehmgruselige Abwechs lung in dem öden Einerlei ihres Alltagslebens, das des beglückenden Sonnen scheines nur zu sehr entbehrte. So ging Linchen Sauer, die bei all' ihrer Gelehrsamkeit das beste Herz von der Welt besaß, einen ganz bestimmten Weg, um der Schwester zu begegnen und mit ihr wieder heimzukehren, doch wurde ihre Geduld und Ausdauer auf eine harte Probe gestellt, da sie wohl eine halbe Stunde lang unter den Bäumen vor der Kirche auf einer Bank Posto gefaßt und sich mit den Kindern des Apothekers unterhalten hatte, bis das blaue Sommerkleid der Schwester sichtbar wurde und sie mit einem erlösenden Seufzer sich erheben konnte. — Albertine erblaßte bei ihrem Anblick, doch Linchen nahm lächend ihren Arm und plauderte harmlos, bis sie auf einem Seitenwege die Promenade erreichten. „Du warst also beim Staatsanwalt?" begann sie jetzt ohne Umschweife. „Ja," versetzte Albertine mit fester Stimme. „Kannst Du mich deshalb tadeln?" „Nein, mein Kind, die Mama wird freilich wüthen, der Papa wird Dich seine entartete Tochter schelten, Dir aber im Herzen Recht geben und sich freuen, daß Du mit diesem Schritt den gordischen Knoten kühn durchschnitten hast. Nun mußt Du auch die Folgen ruhig tragen." „Ich habe Schwereres in der letzten Zeit getragen," bemerkte Alber tine kurz. „Das weiß ich, — und Du thatest nicht recht daran, Deiner Schwester zu mißtrauen. Ja, ich weiß es, Tinchen," setzte sie mitleidig hinzu, „daß Du der Verzweiflung nahe gewesen bist, — kann es aber nicht begreifen, weshalb Du den armen Rudolf Schwarz eines solchen Verbrechens fähig