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vorher gemeldete Entschluß des Ministeriums Tirard, nach früherem Brauch, beim Zusammentritt des Parlaments ein Entlassungsgesuch einzureichen, um dem Präsidenten der Republik freie Hand zu lassen, soll neuerdings wieder aufgegeben worden sein. Der Bergmannsstreik in Nordsrankreich wächst stündlich. Bisher streiken 10000 Bergleute, welche eine zehnprozentige Lohnerhöhung begehren. Der Präfekt von Aisne erbat militärische Verstärkung. Paris. Die Rhone und die Saone haben die Ufer überschwemmt. Die Hochfluth richtet erheblichen Schaden an. Das Verhältniß zwischen der Königin Natalie und ihrem Sohn, dem Könige Alexander betreffend, wird der Corr, de l'Est" berichtet, daß unter den phantastischen Nachrichten hierüber insbesondere die Meldung unrichtig sei, daß die Regentschaft und das Ministerium in einem gegebe nen Moment ihr vorgeschlagen haben, bei König Alexander als Frau Na talie Kctschko eine Audienz nachzusuchen; desgleichen ist es unwahr, daß König Alexander nächtlicherweile seine Mutter besuche. Die Regenten und Minister haben der Königin außer den ihr vom Kabinetschef, General Gruitsch, übermittelten Propositionen keinerlei Vorschläge gemackt. Der jugendliche König hat den Regenten in entschiedener Weise erkärt, seine Mutter nicht eher sehen zu wollen, als bis dieselbe den ihr gestellten Vor schlägen zugestimmt hat. Und zwar richtete die Königin einen in herz lichem Ton abgefaßten Brief an ihren Sohn, König Alexander, mit der Anfrage, wann sie ihn besuchen könne. König Alexander antwortete eben falls in herzlichen und ehrerbietigen Worten, daß er seine Mutter, so gerne er sie sehen würde, ohne die Erlaubniß seines vielgeliebten Vaters weder selbst besuchen, noch ihren Besuch empfangen könne. Aus der Umgebung der Königin wird mitgetheilt, daß die Königin nach Empfang dieses Briefes sich in ihr Schlafzimmer zurückzog und zwei Stunden lang bitterlich weinte. Vaterländisches. Wilsdruff, 14. Oktober. Gestern Abend beging in dem mit den Büsten Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm und Sr. Majestät des Königs Albert geschmückten Adlersaal der hiesige Militärverein die Feier seines 26. Stiftungsfestes durch Festtafel und Ball. Eine besondere Weihe er hielt dieser Tag durch die Anwesenheit der vier vom Verein in diesem Jahre ernannten Ehrenmitglieder, der Herren Premierlieutenant von Schönberg-Pötting auf Alttanneberg, Amtsrichter und Stadtrath vr. Gangloff, Bürgermeister Ficker und Pastor Ficker von hier. Erstgenannter Herr eröffnete die Reihe der Toaste mit einem Hoch auf Se. Majestät den Kaiser Wilhelm und auf Se. Maj. den König Albert, in das die Festtheilnehmer begeistert einstimmten und die Sachsenhymne stehend sangen; weiter würzten die Tafel sinnige Toaste auf den Militärverein, auf die Ehrenmitglieder und Gäste, sowie auf die Frauen. In wahrhaft ge fühlsvollen Dankesreden feierten hierauf die neuen Kameraden den Militärverein und einzelne Glieder desselben. Nicht minder trugen 3 Ta fellieder, theils ernsten, theils humoristischen Inhalts, zur Erheiterung bei. Der der Tafel folgende Ball, an dem sich Alt und jung betheiligte, hielt die Theilnehmer bis in die frühen Morgenstunden in heiterster Stimmung zusammen. — Heute Abend feiert in denselben Räumen die hiesige Freiwillige Feuerwehr ein Jubelfest, den Tag ihres 25jährigen Bestehens ebenfalls durch Festtafel und Ball, wozu weitgehendste Einladungen er gangen sind und jedenfalls auch viele Freunde dieses gemeinnützigen In stituts theilnehmen werden. — Morgen, Dienstag Abend wird im „Gemeinnützigen Verein" Herr Amtsrichter Vr. Gangloff einen Vortrag halten über „Das deutsche Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Genossenschaften vom 1. Mai d. I. mit Berücksichtigung der Statuten des hiesigen VorschußvereinS". Das Zeitgemäße dieses Vortrages wird gewiß Jedermann einleuchtend sein und dürften deshalb nicht allein die Mitglieder des Gem. Vereins, sondern ganz besonders auch die Mitglieder des Borschußvereins zu diesem Dortrag erscheinen. Gleichzeitig verweisen wir die Letztgenannten auf die in heutiger Nummer befindliche Einladung zu einer außerordentlichen Ge neralversammlung. — Amtliches Wahlresultat der Reichstagsersatzwahl im 11. sächsischen Wahlkreis (Wurzen-Oschatz). Im Ganzen wurden abgegeben 15 664 Stimmen, davon erhielt Oberamtsrichter Dr. Giese in Oschatz (kons.) 8566, Kohlenwerkbesitzer Buchheim in Deditz (freis.) 4741 und Lithograph Günther in Dolkmarsdorf (Soz.) 2354 Stimmen. Ersterer ist somit gewählt. — Deram 8. Oktober 1889 gegründete „Reichsverein zu Oschatz" telegraphirte am 10. Oktober, nachdem das Wahlresultat bekannt war, Sr. Durch!, dem Reichskanzler Fürsten Bismarck Nachstehendes: Den Ord- nungsparteicn ist es gelungen, dem heftigsten Andrange des Freisinns und der Sozialdemokratie gegenüber, an Stelle des unvergeßlichen Günthcr-Saal- hausen bei der soeben vollzogenen Reichstagswahl einen treuen Anhänger des Reiches, Oberamtsrichter Dr. Giese, zu wählen. Angesichts des er zielten Erfolges und des künftig drohenden Ansturms hat sich der unter zeichnete Verein gebildet, dessen erste Handlung es ist, Euer Durchlaucht als Zeichen seiner Verehrung „ein donnerndes Hoch!" zu bringen. „Der Reichsverein zu Oschatz." Hierauf ging noch am 10. Oktober folgende Antwort ein: Reichsverein zu Oschatz. Verbindlichen Dank mit Glück wunsch zur gelungenen Wahl. von Bismarck. — Die Chemnitzer Handelskammer beschloß, bei der königl. Staats regierung dahin vorstellig zu werden, daß an den Fort bildungsschulen der Zeichenunterricht obligatorisch eingeführt und dabei besonderer Werth auf Fachzeichnen gelegt werde. — In Nieder-Preschkau bei Kamenz schoß ein 18jährigerGlas schleifer wegen unerwiderter Liebe eine 16jährige Fabrikarbeiterin nieder und tödtete sich selbst durch einen Schuß in den Kopf. Das Mädchen ist lebensgefährlich verletzt. — Ein gräßliches Unglück ereignete sich am 8. ds. in Rückmars dorf. Der Mühlenbesitzer Sellner war mit einem Pferde auf dem Felde beschäftigt, hat wahrscheinlich dasselbe besteigen wollen, ist aber wieder her unter gerutscht, da es etwas hoch war, dabei mit einem Bein im Geschirr hängen geblieben und von dem dabei scheu gewordenen Thiere sieben bis achthundert Meter auf harter Straße fortgeschleift worden. Sellner hat dabei den Tod gefunden. — AusO bcrwiesenthal wird vom 8. Oktober berichtet: In den letzten Tagen hatten wir in diesem Herbst bereits den zweiten Schneefall. Die ganze Umgegend hatte ein vollständig winterliches Kleid; der Schnee lag am Neuen Hause 10 bis 12 cm. hoch. Bei Gottesgab soll er noch höher gelegen haben. — Geithain. Um zu sehen, wie ein Zug entgleist, legte ein acht jähriger Junge in Niedergräfenhain mehrere große Steine auf die Eisen bahnschienen. Glücklicher Weise passirte vor dem Zuge eine Lowry die Strecke, und die mitfahrenden Bahnbediensteten, durch die starken Stöße und Schwankungen des Wagens aufmerksam gemacht, konnten noch recht zeitig das Hinderniß beseitigen. — In Leipzig, in ihrer Wohnung in der Dufourstraße, vergiftete sich eine erst 33 Jahre alte Kürschnersehefrau durch den Genuß von Strychnin. — Auf eine eigenthümliche Weise ist ein 15 Jahr alter Kellnerbursche in Ronneburg beraubt worden. Der Bursche befand sich in dem Gast haus, wo er dient, am Montag früh allein mit einem Fremden in der Gaststube. Plötzlich ergriff ihn dieser, streifte ihm eine Schlinge über den Kopf und hing ihn nun damit an einen Kleiderhaken auf. Hierauf nahm er demselben ein Portemonnaie mit 1 Mk. 80 Pfg. ab und entfernte sich in dem Augenblicke dnrch eine entgegengesetzte Thüre, als auf der anderen Seite ein Reisender die Gaststube betrat, den zappelnden Kellner an der Wand bemerkte und ihn aus seiner gefährlichen Lage befreite. Ehe aber der Bursche den Vorfall erzählen konnte, war der Räuber über alle Berge und konnte nicht erlangt werden. Beschrieben wird er als 18—20 Jahre alt, angebl. Fleischer, soll sich Schaller genannt haben. Durch fremde Schuld. Original-Roman von E. v. Linden. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Er schrieb also zuerst den Brief an Steinbach, worin er demselben die Geschichte seines Pflegevaters in kurzen Strichen andeutete und sodann von dem räthselhaften Todte desselben, den man als Selbstmord bezeichnet habe, ausführlicher sprach. Da er von einem an dem Todten begangenen Verbrechen hinreichend überzeugt sei, so habe er den festen Entschluß ge faßt, den Mörder zu entdecken und die Ehre seines Vaters in den Augen der Welt wieder herzustellen, zu welchem Ende er sich den Detectiv her- citirt, dem er eine bestimmte Spur bereits zeigen könne. Schließlich bat er den Freund, ihm seine Gefangenschaft in Algerien und die durch ihn und Capttän Waldmann bewerkstelligte Rettung mit einigen Zeilen attestiren zu wollen, behufs seiner Rechtfertigung bei der Militär-Behörde, da er sich sobald als möglich bei seinem Regiment einstcllen müsse, um nicht eines eigenmächtig verlängerten Urlaubes halber bestraft zu werden. Es sei ihm dies erst jetzt in den Sinn gekommen, obwohl er zu der Annahme berechtigt sei, daß man ihm die Geschichte seiner Gefangenheit auch ohne eine derartige Ligitimation glauben werde. Als Frank seinen Brief beendigt und adressirt hatte, brachte er ihn selber nach der Post und begab sich alsdann mit seinem blinden Freund, für welchen er unterwegs ein zierliches Halsband und eine Schnur, um ihn daran zu leiten, kaufte, zu Eilert, welchen er nicht zu Hause traf. Nach der Polizei, wo der Schutzmann anzutreffen sein sollte, mochte er sich nicht begeben, und so wanderte er langsam hinaus nach dem Friedhof, um mit ganz neuen Gefühlen jetzt die Gräber im Armensünder-Winkel zu besuchen. Die beiden Todtengräber gruben ein neues Grab dicht neben der Ca pelle der Familie Fichtner. Sie begrüßten den Lieutenant wie einen Freund und Conrad murmelte: „Es ist der Richtige doch, trifft alles zu bis auf die Montur." Niklas Fischer deutete auf das Grab und dann auf die Capelle. „Ist der Herr Baron, der Schwager von diesen hier, wollt' nicht mit ihnen unter einem Dach liegen, hat's besohlen, hier unten in der eigenen Kuhle ganz für sich allein zu bleiben. Sagte es mir schon vordem. Nik las! sagte er, mach' mein letztes Bett tief, hörst Du, — ich will mit der Krämer-Sippschaft dann nichts mehr zu thun haben." „Ja, und die Frau Baronin war dem Herrn Adalbert dort drüben seine Schwester," setzte Conrad mit einem gewissen Nachdruck hinzu, „und sie war gut, so gut, daß sie die Ehe mit dem Baron bald satt hatte und sich hinlegte und starb. Die liegt nun drinnen in der Capelle. Red' Du weiter, Vetter Niklas!" „Hm," besann sich der Alte, sich mit beiden Händen auf sein Grab scheit stützend. „Da ist nichts mehr zu reden, Vetter Conrad!" „Doch, doch," knurrte dieser, eine Schaufel Erde cmporwersend, „von wegen dem Sohn —" „Hm, aufrichtig, — Herr Fichtner — was nun der Herr des HauseS ist, will's nicht haben, daß der Herr Baron hier allein liegt, er sagt, cS sei eine Schande für die Familie und für den Todten, aber was dem Baron sein Sohn ist, der setzte es durch, das ist der Vater auf und nieder, ein flotter Husaren-Lieutenant, dem macht es höllischen Spaß, die Krämer zu ärgern." — „Hätt' die Frau noch gelebt, dann wär' sie seine Freundin gewesen," bemerkte Conrad ziemlich zusammenhangslos. „Er meint hier ihren Bruder drüben an der Mauer," setzte NiklaS erläuternd hinzu. „Aber sie war schon todt, als Herr Adalbert wieder hierher kam." Frank warf einen finsteren Blick auf die offene Gruft, welche bei nahe fertig geschaufelt war, und auf das hochmüthige Gewölbe jener Familie, welche die Absonderung des stolzen Barons, den ihr Mammon vor der Schmach bewahrte, als eine Schande betrachtete, während sie den eigenen Sohn und Bruder bei den Ausgestoßenen verscharren ließ. Immer und ewig die alte Geschichte vom Pharisäer und Sünder, welche niemals aus stirbt!" — „Ich habe mit dem Schutzmann Eilert gesprochen," begann er nach einer Weile, „er ist überzeugt von dem gewaltsamen Tode meines Pflege vaters und zwar durch fremde Hand —" „Das stimmt, Herr!" nickten die beiden Todtengräber befriedigt. „Aber die Doctors sind es nicht," setzte Conrad hinzu. „Wir werden einstweilen unsere Ueberzeugung für uns behalten," fuhr Frank fort, „und auf eigene Hand der Spur des Mörders felgen." „Stimmt wieder," nickte der alte Niklas, seinen Spaten kräftig in die aufgeworfene Erde stoßend, „nun rede Du, Vetter Conrad!" „Hm, ja," sprach dieser, ebenfalls sein Grabscheit niederstoßend. „Heute früh, so um vier Uhr, da kam ein Fremder hierher, — ganz ordentlich im Zeug, mit einem schwarz und grau melirten Ziegenbart am Kinn und dünnem Schnauzbart unter der Nase, ganz kleinen kohlschwarzen Augen und fremdländischer Sprache, es mußte, dachten wir, ein Welscher oder Franzmann sein. Nicht war, Vetter Niklas?" „Stimmt!" sprach Niklas lakonisch. „Was wollte dieser Mensch?" fragte Frank überrascht und erregt. „Erzählt rasch, meine Freunde!" „Ja, nun rede Du, Vetter Niklas!" sprach Conrad in seinem lang samsten Tempo. „Hm, was er wollte, Herr?" fragte Niklas nachdenklich, „ich glaube, er wollte uns ausfragen, nicht war, Vetter Conrad?" Frank ballte vor Ungeduld die Hände. „Na, ja," versetzte Conrad, „so kam es uns vor, ein verdächtiger Mensch, nicht war —" „Um Gottes Willen, Conrad, erzähl weiter," schrie ihn Frank heftig an. „Ja, Herr, es kam uns so vor, denn erst wanderte er zwischen den Gräbern umher, las hier und las da, obschon ich nicht glaube, daß er die Inschrift lesen konnte, nicht war — na, na, schon gut, machen Sie nur nicht so schreckliche Augen, lieber Herr," setzte Conrad ängstlich hinzu, „ich rede schon von selbst weiter. Na ja, wir waren schon bei der Ar beit und wunderten uns Beide, Vetter Niklas und ich, denn warum, so früh geht doch sonst kein Mensch auf den Kirchhof, seitdem wir den Herrn Fichtner begraben haben. Als er nun so eine ganze Weile herumgewandert ist, steht er auf einmal neben uns und sagt, — aber nun kannst Du