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Besorgniß erfüllt und dringen darauf, daß bei dm Ausfahrten des Zaren die größte Vorsicht beobachtet werde. So fährt der Kaiser jetzt häufig beim Besuche der Hauptstadt vom Bahnhofe nach dem Antischkowpalais durch andere Straßen als sonst, auch fand neulich die Kirchenparade eines Garde-Regiments, welcher der Kaiser mit seiner Familie beiwohnte, trotz des schönen Wetters nicht im Freien statt, sondern in einem Exerzirhause. Es scheint fast, als hätte der Nihilismus eine andere Organisation ange nommen, was auch der berühmte nihilistische Verschwörer Tichomiröw, welcher umlängst Frieden mit der Regierung geschlossen hat, ausgesagt haben soll. Früher war die Organisation eine mehr einhcitiliche, von be stimmten Führern geleitete, jetzt scheinen einzelne, von einander unabhängige Gruppen zu bestehen." — Eine neue mystische Nihilistengcschichte läßt sich die „Pol. Korr." aus Petersburg berichten: In einer Apotheke auf der Wassili-Insel erschien kürzlich ein junger Mann, welcher auf Grund eines von einem angesehenen Spezialarzte unterschriebenen Bestellzettels eine Unze Bleifäure verlangte. Da der junge Mann alle hierfür vorgeschriebenen Formalitäten erfüllte, wurde ihm das Gift ausgefolgt. Als am nächsten Tage Polizeibeamte eine der regelmäßig wiederkehrenden Revisionen in der Apotheke vornahmen, verlangten sie, von dem Ankauf einer so großen Menge von Bleisäure durck eine Privatperson überrascht, die Auslieferung des Bestellzettels und die Angabe des Namens und der Wohnung des Käufers. Bei den sofort eingeleiteten Erhebungen erklärte der erwähnte Arzt seine Unterschrift als gefälscht; ebenso erwies sich die Adreßangabe des Käufers als falsch. Es wurden infolge dessen zahlreiche Verhaftungen insbesondere unter Studenten der Medicin vorgenommen, ohne daß aber der Käufer der Bleisäure entdeckt worden wäre. Die Polizei befürchtet, daß derselbe der territoristischen Partei angehört und die Beisäure zu einem Verbrechen zu verwenden beasichtigt. Vaterländisches. Wilsdruff. Am Sonnabend, den 11. d. W., vollendete ein hiesiger ehrenhafter Bürger, Herr Tischlermeister Gottlieb Vogel, in bester Ge sundheit im Kreise seiner zahlreichen Familie sein 90. Lebensjahr. Nicht allein von seiner Familie, es sind deren 6 Kinder, 30 Enkel und 11 Urenkel am Leben, auf das Herzlichste begrüßt und beglückwünscht, sondern auch seitens der städtischen Behörde und Geistlichkeit und anderen Bürgern wurden dem guten „Vater Vogel" theils schriftlich, theils mündlich die besten Glückwünsche dargebracht. Möge dem würdigen Greise im Kreise seiner Familie, in welchem er sich noch gern bewegt, ein recht sonniger Lebensabend beschicken sei. — Mit Hinweis auf die im Jnseratcntheile befindliche Anzeige sei noch besondersauf das am nächsten Sonntag nachm. 2 Uhr inWeistropp stattfindende Missionsfest aufmerksam gemacht. In der an den Gottes dienst sich anschließenden Nachversammlung im Saale des Gasthofes werden mehrere Geistliche Mittheilungen aus dem Gebiet der Missionsarbeit machen. Voraussichtlich werden dieser Versammlung auch 2 frühere Missionare bei wohnen: Cordes, welcher 30, und Baierlein, welcher 40 Jahre lang das Evangelium unter den Heiden verkündigt hat. — (Egsdt.). Lauschend stehen wir oft und erfreuen uns an dem lieblichen Gesänge der Vögel. Mancher hat seine Freude, wenn in seiner Nähe Vögel ihre Nestchen bauen. Mit Wehmut und Grimm sieht und hört er die klagenden Vögelchen, denen man die Eier oder Jungen geraubt. Nicht nur unvernünftige Tiere, auch rohe, unverständige Menschen vergreifen sich an den Nestern der Vögel. Daß das Tödten der Vögel verboten ist, das wissen die meisten. Auch das Stören der Vogelnester, das Ausnehmen der Eier oder Jungen von Vögeln wird nach den R. St. G. bestraft. Diese Zeilen sollen darauf Hinweisen und etwas beiträgen zum Schutze unserer lieben Sänger. — Der neue Dampfschifffahrplan tritt am 12. Mai in Kraft. Die Dampfschifffahrten erfolgen mit 23 neu und bequem eingerichteten Dampf schiffen. Von Meißen gehen die Schiffe nach Dresden früh 6 Uhr, 10 Uhr 10 Min., 2 Uhr 15 Min. und Abends 6 Uhr, nach Riesa bez. Strehlen 8.30, 11.55, 4.25. Die Schiffe nach der sächsischen Schweiz haben in Dresden folgende Abgangszeiten: 6, 7, 7.30, 8, 8.30, 9, 9.30, 10, 11, 11.30, 12, 12.30, 1, 1.30, 2, 2.30, 3, 3.30, 4,4.30,5,5.30, 6, 6.30, 7, 7.30, 8, 8.30, 9, 9.30, 10. Von Dresden nach Meißen hat man folgende Zeiten ins Auge zu fassen: die Schiffe gehen in Dresden ab 6.35, 10, 2.30 und Abends 7 Uhr und treffen in Meißen 8.20, 11.45, 4.15 und 8.45 ein. — Einen seltenen Besuch hatte am Sonntag der Rentier Krusche in Kötzschenbroda, welcher frühere Basitzer des Bahnhofhotels daselbst war, zu ihm kam ein Landstreicher mit der Bemerkung: „Derjenige, welcher Ihnen vor etwa 20 Jahren die 200 Thaler und Werthsachen durch Ein bruch entwendet hat, bin ich, und wollen Sie mich arretiren lassen, denn mein Gewissen läßt mir keine Ruhe, ich kann so nicht sterben." Da alle Einzelheiten über den Einbruch genau stimmten, so konnte kein Zweifel sein, daß der Strolch wirklich der Verbrecher sei. Da Krusche aber die Verhaftung ablehnte uud den Strolch ersuchte, schleunigst das Weite zu suchen, so erwiderte dieser: „Dann geben Sie mir wenigstens noch 50 Pfennige zum Fortkommen." Er erhielt diese noch und verschwand. — Ein wolkenbruchartiges Regenwetter mit Hagelschlag, welches am Donnerstag in den ersten Nachmittagsstunden über die Residenz und Um gegend niederging, hat, wo es angetroffen ist, der Baumbluth in Gärten und Obstpflanzungen ein jähes Ende bereitet. Die weißen Obstblüthen stiebten überall schneefallartig zu Boden, wo die Hagelkörner niederpraffelten. Von der Menge des in wenig Minuten zur Erde gestürzten Regens gab der große Exerzierplatz vor der Schützenkaserne ein sprechendes Bild. Die Wassermengen flutheten von demselben so massig nach dem Bischofsweg und der Förstereistraße herunter, daß ersterer aus längere Zeit absolut nicht passirbar war und in letzterer, weil dort die Schleußen die Wasiermassen nicht so schnell aufzunehmen vermochten, die Kellerräume überschwemmt wurden. In grausam zerstörender Weise hat der Wolkenbruch in Wach witz gewirkt. Daselbst sind vom Wasser Brücken und Gartenmauern wez- gerisfen, die Gärten und Felder schwer heimgesucht worden. — Meißen. Der Prachtwagen der königl. Porzellan-Manufactur zum Dresdner Huldigungszuge ist im Rohbau vollendet. An dem Wagen, der eine Länge von 6m 80 em und eine Breite von 3 in hat, ist seit 4 Wochen von 5 Bildhauern und 7 Tischlern gearbeitet worden. Der ganz? Wagen ist im Rococostyle gehalten und wird von 4 nebeneinander gespannten Pferden gezogen werden. Die Höhe des in der Mitte des Wagens angebrachten Gestells ist 5 w. Bei einem Gewitter in der Niederlößnitz fuhr der Blitz in das Wohnhaus eines dortigen Gärtners an der Meißner Straße. In einem Zimmer saßen mehrere Personen an dem Kaffeetisch. Der Blitz fuhr an den Wänden deS Zimmers rings umher, dicht über der Sophalehne weg, riß überall Putz und Bilder herab, verließ durch eine Thür das Zimmer und verschwand spurlos. Von den Personen ward keine verletzt. Sprach los und vor Schreck wie erstarrt, konnten sie kaum fassen, was geschehen. Der Besitzer, der eben im Garten an einen Bauunternehmer Bäume ver kaufte, streckte vor Schreck die Zunge heraus und konnte sie längere Zeit nicht wieder Hineinbringen. Dem Käufer kam es vor, als wenn es ihm im Gesicht mit Nadeln steche und als ob seine Haut mit heißem Wasser übergossen würde. Beide blieben jedoch auch unversehrt. — Oschatz. Bei dem am 9. Mai über unsere Stadt hingezogenen Gewitter, das auch auf kurze Zeit mit Schloßenschlag begleitet war, schlug der Blitz in die Windmühle Gutmann's und tödtete den Besitzer, der sich in der Mühle befand. Außer der Zersplitterung einer Leiste am Steuerrad war keinerlei Beschädigung an der Mühle zu bemerken. — Die in Sebnitz einen Hauptindustriezweig bildende Fabrikation künstlicher Blumen erfreut sich gegenwärtig eines derartig lebhaften Auf schwungs, daß die vorhandenen Arbeitskräfte nicht im Stande sind, die vorliegenden Aufträge fertig zu stellen und mancher der letzteren aus ge dachtem Grunde fallen gelassen werden muß. Um dem Arbeitermangel einigermaßen abzuhelfen, hat bereits eine der größten Blumenfabriken eine größere Anzahl Arbeiter beiderlei Geschlechts aus entfernter Gegend engagirt, welche am 8. d. M. daffelbst eingetroffen sind. — Branddirektor und Hauptmann der freiwilligen Feuerwehr zu Siebenlehn, Paul Zetzsche, erhielt das Ehrenzeichen für langjährige Dienste als Feuerwehrmann. — Am Sonntag Abend verwendete in Lichtenstein ein Dienstmädchen in der Badergassc beim Feuermachen wieder die gefährliche Petroleumflaschc, gegen welche so oft in der Presse gewarnt wird. Auch hier folgte wieder die unausbleibliche Explosion und das Mädchen stand lichterloh in Hellen Flammen. Die Unglückliche rannte in den Hof und wurde zwar hier noch gerettet, doch trug sie schwere Brandwunden davon, und machte sich die Unterbringung im Krankenhause nöthig. — Bis Ende des Jahres 1888 sind bei der Kgl. Altersrcntenbank zu Dresden (Landhaus, König Johannstraße) überhaupt 3 259 972 M. in 52 146 Vierteljahresraten an Rentner und deren Erben ausgezahlt worden. Zum ersten Male hatte die Bank im Jahre 1864 Renten zu zahlen und zwar 48 M. 66 Pf. in 2 Vierteljahresraten. Vergleicht man damit die Summe von 8,36 765 M., welche im vergangenen Jahre in Gestalt von Renten abgegeben worden ist, so erkennt man den Aufschwung, welchen unsere Renten genommen hat. Voraussichtlich wird schon Ende dieses Jahres die jährlich zu zahlende Summe die Höhe von einer Million Mark erreicht haben. — Crimmitschau, 8 Mai. Gestern Nachmittag in der zweiten Stunde überzog unsere Stadt ein schweres, von wolkerbruchartigem Regen begleitetes Gewitter. In der Umgebung hat dasselbe mannichfach-n Schaden angerichtet, denn in dem nahen Dorfe Lauenhain schlug der Blitz ein Mal ein, in Lauterbach zwei Mal und in Langenhessen tödtete er in dem Stalle eines Bauerngutes 3 Rinder. Verschlungene Wege. Original-Roman von Emilie Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Jawohl, den Neffen des Major Tellkamp," versetzte ein Zweiter, „sah beide heute Mittag nach dem kleinen Gehölz hinauspromeniren. Ein stattlicher Kerl, braungebrannt wie ein Kamerun-Neger, dieser Doctor, wie nennt er sich doch gleich?" „Egon Dorner," rief der dritte Herr im ungeduldigen Tone. „Ihr bekommt im Leben kein Feuer, mein bester von Horst!" „Verleumdung," lachte der Zweite, „da brennt's schon lichterloh, kann uns davon abgeben. Aber sagt mir doch, Selchow, — ist's wahr, daß bei Immendorffs polizeiliche Haussuchung stattgefunden?" „Ganz wahr, ich erfuhr es soeben auf meine Anfrage vom Major Tellkamp, der seinen berühmten Neffen wieder nach der Bahn brachte. „Ach, er ist schon wieder davongeflogen, dieser emporstrebende junge Adler?" rief von Horst, mächtige Rauchwolken von sich blasend und mit den Freunden langsam weiter schreitend, „man sprach doch davon, daß seinetwegen ein Festbankett stattfinoen und er außerdem unsern durchlauch tigsten Herrschaften vorgestellt werden solle." „Wenn selbige auf der Einzugsreise unsere Stadt berührt —" Das steht bereits bombenfest," versicherte von Selchow, „Putzmacher innen, Schneiderinnen Wäscherinnen rc. rc. haben alle Hände voll zu thun, um die Weißgekleideten zweifelsohne herzustellen. Die feierliche Vorstellung des berühmten Afrika-Reisenden wird ebenfalls stattfinden können, sinte malen derselbe, wie der Major mir sagte, schon übermorgen wieder zurück kehrte." „Wie sieht er denn eigentlich aus ?" fragte von Horst nachdenklich, „ja so, wie ein Kamerun-Neger, — eigene Passion, sich bei den Menschen fressern herumzutreiben, Spracht Ihr mit ihm, von Selchow?" „Mit dem Neffen? Nein, der saß schon im Coupee, sah gerade den Major, als der Zug sich in Bewegung setzte. Netter alter Herr, famose Nichte oder ähnliche Verwandte." „Und famoses Vermögen," nickte von Horst, „keine üble Partie, was?" „Könnte Manchem aus der Dinte helfen, klopft dort mal an, von Horst, Euer Name wiegt ebenso schwer, — famose Idee, was?" Lachend und durcheinander schwätzend entfernten sich die Herren immer weiter von dem hinter dem Gebüsch lauschenden Detectiv, der jetzt aus seinem Versteck trat und in hoher Aufregung zu dem noch auf seinem Posten stehenden Timm zurückeilte. „Geht nur nach Haus," befahl er kurz, die Sache ist bereits erledigt." Timm ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern schoß auf der Stelle wie ein Pfeil davon, während Thorsen sich langsam, als ob er Bleigewichte an den Füßen habe, der Stadt zuwandte. Es ist kein Zweifel, der Major hak ihn fortgeholfen," dachte der Detectiv mit wildem Ingrimm, „o, hätte ich diese Gans von Dienst-Magd bei Seite gelassen und selber die Wache vor dem Hause übernommen! — Und dafür noch um Verzeihung bitten, es ist zum Todtschießen! — Also der berühmte Herr Doctor ist auch im Complott? — Und der Onkel declarirt ihn als Verreist? Halt, da bietet sich mir eine Gelegenheit, mich zu rächen, benutzen wir sie auf der Stelle." Eiliger ausschreitend, wurde sein eben noch so aufgeregtes Gesicht un beweglich, jeder Zug desselben undurchdringlich, wie aus Stein gehauen. Er wandte sich der Straße zu, wo Major Tellkamp wohnte und zog nach wenigen Minuten mit fester Hand die Klingel. Ein Diener öffnete die Hausthür. „Der Herr Major zu sprechen ?" fragte Thorsen kurz. „Bedaure, nicht zu Hause." „Dann melden Sie mich dem Herrn Doctor Dorner oder den Damen des Hauses." „Niemand daheim," erwiderte ebenso prompt der ehemalige Soldat, welcher seinem Herrn schon über zehn Jahre diente. „Nicht vor morgen früh zu sprechen die Herrschaft, nicht vor übermorgen der Herr Doctor!" Bums, schlug die Thür zu. Thorsen ballte die Faust und stieß, was ihm als höchster Grad der Erregung galt, einen Fluch aus. Dann machte er kehrt und ging nach dem Jmmendors'schen Hause, um auch hier die Wächter mit seiner höchsten Ungnade heimzuschicken.