Volltext Seite (XML)
„Ich muß mir Garn für meine Strümpfe kaufen, Rike, laufe nur eben durch den Garten." „Die Pforte ist verschlossen, das gnädige Fräulein verwahrt den Schlüssel," bemerkte Rike mürrisch, „magst die Folgen selber tragen" „O, ich komme schon heraus, daß muß man kennen," lachte Lise, „Du hast nichts dagegen, Rike?" „Habe nichts zu erlauben, nichts zu verbieten, verantworte es selber." Liese nickte, holte sich Mantel und Kopftuch und lief hinaus. „Taugt nichts, die Lise —", murmelte Rike kopfschüttelnd, „ist schon zu lange im Hause, muß fort. Hat nichts Gutes vor, hätt' sie nicht sollen gehen lassen, aber sic hört ja nie. Unsere Herrschaft ist zu gut, viel zu gut für so eine falsche, nichtsnutzige Person. Der Johann hat's gleich gesagt, und der kennt sich aus auf solche. Ja, ja, mir ist's gestern auch in die Glieder gefahren, wir haben ein Gespenst im Hause, ich les' ganz deutlich auf seinem Gesicht, der alte Mensch ist seit gestern Abend ja wie ausgewechselt." Das Stubenmädchen verstand sich auf Schleichwege und der dicke Nebel beschützte ihren geheimen Ausgang. Sie fand sich in der undurch dringlichen Finsterniß wie eine Blinde zurecht und stand bald vor einem Gebüsch, hinter welchem sie sich einen Weg bis zu einer losen Planke ge bahnt hatte, welche den Spüraugen des alten Johann bis dahin gänzlich verborgen geblieben war, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil Lise es verstanden, die defecte Planke stets genau wieder einzufügen. Ohne Zögern löste sie jetzt dieselbe um durch die so entstandene Oeffnung zu schlüpfen. Sie befand sich auf der Promenade, ging eine Strecke ent lang bis zur Pforte und hustete leise. Im selben Augenblick tönten Schritte durch die Stille, eine Stimme flüsterte: „Graut Liebchen auch?" und Lise antwortete leise mit unterdrücktem Kichern: „Warum nicht gar, die Dunkelheit paßt wunderbar!" „Brav, schönes Lieschen, Sie haben die Parole ja bewunderungs würdig behalten," sprach die halblaute Männerstimme, ihren Arm ergreif end und in den seinen legend, „welchen Weg haben Sie denn eigentlich genommen? Ich erwarte Sie hier an der Pforte." Lise kicherte auf's Neue. „Den Pfortenschlüssel verwahrt unser gnädiges Fräulein, die schwarze Ulrike," versetzte sie leise, „aber ich hab' mir einen anderen Ausweg ge sucht, weil vorn an der Hausthür der alte Kettenhund Johann die Wacht hält." „Ohne ihn kann also Niemand herein oder herauskommen?" „Nein, es ist ein gräulicher Windhund, — heute hat er zweimal welche in's Haus gelassen, die keine Klingel zogen, was das zu bedeuten hat, möchte ich wissen man darf sich aber oben nicht sehen lassen. Es riecht seit gestern wie ein Geheimniß im Hause. Aber was geht Sie das an, lieber Herr Brand —" „Nenne mich Heinrich, theueres Mädchen! — ich habe erst seit gestern Abend das Glück Deiner persönlichen Bekanntschaft, aber Dir schon lange heimlich nachgestellt, und war entzückt, Dich gestern zufällig hier zu treffen. Aber nun zeige mir Deinen heimlichen Ausweg, cs würde jedenfalls ge- müthlicher sein, im Garten ein wenig zu promeniren." Lisa besann sich einen Augenblick, da die Promenade im Garten ihr doch nicht ganz gemüthlich erschien. Sie hatte den Herrn Brandt in der That gestern Abend, wo die Luft von einem schwachen Mvndschimmer erhellt gewesen, hier draußen, als sie wieder einen Abstecher durch die Planke gemacht, zum ersten Male getroffen und war beglückt von seiner Versicher ung, daß er nur ihrethalben das Haus von allen Seiten sehnsüchtig um schwärme, da nur sie oder keine seine Gattin werden müsse. Auf diese Worte und Versicherungen hin hatte die leichtgläubige Thörin ihre frechen Reden in der Küche gemacht und dem Zukünftigen auf heute Abend das erste Stelldichein an der Gartenpforte zugesagt, obwohl sie gestern nur wenige Augenblicke Zeit übrig gehabt hatte, um die Fülle ihres so über raschend schnell gekommenen Glücks ganz begreifen zu können. Herr Brandt behandelte sie zart und schmeichelnd wie eine vornehme Dame, weshalb sie ihn nach jener Stelle führte und hindurchschlüpfte, welchem Beispiel er trotz der dichten Finsterniß sehr gewandt folgte. „Man ist doch nicht umsonst ein geschickter Turner," meinte er, als sie seine Hand ergriff, um ihn durch das Buschwerk zu leiten und auf einen der breiten Gartenwege zu führen. Hier wußte es der zärtliche Brandt geschickt anzufangen, daß sie sich, ohne es zu ahnen, mit ihm dem Hause näherte, dessen Fenster verschiedentlich erhellt waren, während aus der Küche ein breiter Lichtstreifen auf den großen Rasenplatz fiel. In diesem Augenblick verdunkelte ein Schatten den Lichtstreifen. Er schrocken zog Lise ihren Begleiter zurück und flüsterte: „Dort kommt Jemand aus dem Hause, geschwind zurück, mein Theurer!" „Nach der Pforte," gab dieser zurück, „wir werden vielleicht jetzt die Lösung die Geheimnisses entdecken, Liebste, das wäre famos!" Lise's Neugierde überwog ihre Bedenken, geräuschlos schlich sie mit ihrem Zukünftigen auf Seitenwegen der Pforte zu und stand nun athmen- los, mit klopfenven Herzen an der Seite des ihr im Grunde völlig fremden Mannes, um zur Verrätherin an ihrer Herrschaft zu werden. Was war das? — Bewegte sich nicht dort ein Licht durch den den Garten? Herr Brandt trat unwillkürlich vorwärts, um die merk würdige Erscheinung zu beobachten. Schritte kamen näher, es schienen zwei Männer zu sein, wovon einer derselben eine Handlaterne trug. Jetzt waren sie dicht bei dem lauschenden Paar. „Ohne Licht wären wir kaum zurecht gefunden, Herr Doctor!" bemerkte jetzt der Laternen-Mann mit gedämpfter Stimme, „der Nebel fällt einem ordemlich auf die Brust." „Deshalb reden wir lieber nicht, mein alter Freund!" erwiderte der Andere halblaut. „Das ist unser Johann, der mit der Laterne," zischelte Lise ihrem Begleiter zu, „Herrgott, wenn der Andere am Ende gar der Räuber wäre wonach die Polizei —" „Ich glaube es selber," murmelte Brandt, ihren Arm von sich ab streifend, „jetzt ruhig, Kind; oder Du bist verloren." Liese blieb erstarrt stehen und wagte sich nicht zu rühren, geschweige denn einen Laut hervorzubringen. Sie vermochte in der Dunkelheit die neben dem alten Johann rasch hinschreitende Gestalt nicht zu erkennen, doch dämmerte die unheilvolle Ahnung in ihr auf, daß sie fremden Zwecken ihren Beistand geliehen und ihre leichtgläubige Eitelkeit vielleicht nnabseh- bares Unglück veranlaßt habe. Die Thörin zitterte am ganzen Körper, sie hätte in diesem verhängnißvdllen Augenblick Alles darum gegeben, dem alten Diener ein Warnungszeichen geben zu können, wenn nicht die Furcht ihre Lippen geschlossen hätte und überhaupt nicht zu spät dazu gewesen wäre. (Fortsetzung folgt.)