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Beilage z« Nr. 28 des Wochenblattes für Wilsdruff re. Verschlungene Wege. Original-Roman von Emilie Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Der Verfolgte trat in den Raum, das Getäfel schloß sich hinter ihm und Jobann löschte vorsichtig das Licht, als er die Treppe hinabgestiegen war. Nach wenigen Augenblicken befand er sich wieder in seinem Stüb chen und hatte sich kaum, tief aufathmend, in seinen Lehnstuhl niedergelassen, als ein lautes, ungestümes Klingeln aus dem Krankenzimmer ihn emporschreckte. „Herr, Du meine Güte, die Gnädige! Am Ende hat sich schon ver gebens nach mir geklingelt." Eiligst kam er dem Befehle nach. „Wo steckst Du, Alter?" herrschte die Krankeihn aufgeregt an. „Ich habe zum zweiten Male — nein," unterbrach sie sich leiser, „ich will Dir kein Unrecht thun, Johann! — ich glaube, daß ein lebhafter Traum mich gefangen hielt." „Ich hätte des gnädigen Fräuleins Klingeln auch jedenfalls hören müssen," bemerkte Johann aufathmend. „Wo sind die Damen, Johann?" „Das gnädige Fräulein haben Conferenz mit einem Lieferanten," log der Alte mit gedrückter Stimme, „und das Freifräulein Hedwiga mochten hier nicht stören, weshalb sie auf ihrem Zimmer blieben." „Schon gut, Alter! — Bitte, Freisräulein Hedwiga, sich hierher zu bemühen." Johann verbeugte sich und verließ geräuschlos das Zimmer. „Gott sei gelobt, sie hat noch nichts gemerkt." Mit diesem Stoßseufzer begab er sich zu Fräulein Hedwiga. IV. Die Haussuchung im Erdgeschoß war resultatlos verlaufen, der Ver brecher nirgend gefunden worden. Mit einem unheimlichen Gefühl unbestimmter Besorgniß hatte Fräu lein Ulrike, von dem Polizei-Commissar gefolgt, sich in den ersten Stock begeben, um hier die großen unbewohnten Zimmer, welche ehedem thcils dem Freiherrn gehört, theils zu Gesellschaftsräumen benutzt worden waren, in Augenschein zu nehmen. Dann klopfte sie etwas gefaßter an Hedwigas Thür. Eine silberhelle Stimme rief: „Herein! und Ulrike öffnete, um zuvor einen raschen forschenden Blick hinetnzuwerfen. Die junge Dame ordnete vor dem Spiegel ihr Haar und lachte fröhlich auf, als sie die Eintrende erkannte. „Seit wann bist Du bei mir so ceremoniell geworden, liebe Tante?" „Entschuldige, Kind, ich bin nicht allein," versetzte Ulrike mit ihrer gewohnten ruhigen Würde. „Wir haben leider eine unangenehme Procedur, eine Haussuchung nach einem verfolgten Verbrecher, der sich unter unser Dach geflüchtet haben soll, gestatten. Der Herr Polizei-Commissar wird auch Dein Zimmer revidiren müssen." „Ah, das ist ja ordentlich romantisch," lächelte Hedwiga mit leichtem Spott, „bitte, mein Herr, wcnn's sein muß; ich begreife nur nicht, wie «vtKMN» »UiI i i MM» I >1 »Hi II! »I!IIIsMf»VNIN ein Verbrecher ohne unsere Erlaubniß, also ungesehen in dieses Haus ge langen könnte." Der Commissar war ein galanter Mann, er verbeugte sich tief vor der schönen jungen Dame und trat mit einem Lächeln in das Zimmer. „Meine Nichte hat Recht," nahm Ulrike jetzt rasch das Wort, „ich begreife es selber nicht, wie ein Fremder ungesehen in unser Haus sich einschleichen konnte." „Nun, zum Beispiel durch den Garten, gnädiges Fräulein!" bemerkte der Beamte, mit scharfen Augen das Zimmer musternd. „Jene Thür führt —" „In mein Schlafgemach!" versetzte Hedwiga mit blitzenden Augen. „Ich hoffe, daß Sie diesen Raum respectiren." „Bedauere unendlich, meine Gnädige! — Ich darf meine Pflicht nicht verletzen und höchstens ein Krankenzimmer respectiren." „Thun Sie Ihre Pflicht Herr Commissar," sprach Ulrike mit fester Stimme und undurchdringlicher Ruhe, obwohl ihr Herz heftig klopfte und eine furchtbare Angst ihre Brust beklemmte. Hedwiga trat an's Fenster, um ein spöttisches Lächeln zu verbergen, während der Commissar mit einem bedauernden Achselzucken in's Schlaf zimmer sich begab, wohin Ulrike ihm folgte. Es fand sich selbstverständlich weder der gesuchte Verbrecher, noch sonst etwas Verdächtiges in dem Heiligthum der jungen Dame vor, und als der Commissar zurückkehrte, Hedwiga sich langsam umwandte, da konnte sie den Spott und Triumph in ihrem beweglichen Mienenspiel nicht länger gebieten. Der Beamte warf einen durchdringlichen Blick auf sie, verbeugte sich lächelnd und meinte dann, zu Ulrike gewandt, daß die Häuser der Vor väter durch ihre unzähligen Winkel und Verstecke so recht dazu geschaffen seien, den heutigen Sicherheitsbeamten in Verzweiflung zu bringen. „Da lobe ich mir unsere jetzigen Bauten," setzte er hinzu, „welche an Licht und Luft nichts zu wünschen übrig lassen." „Sehr wahr," nickte Ulrike, „besonders die sogenannten Mieths-Ka- sernen, wo es im Grunde gar keine eigene Wohnung, also auch kein Ge heimniß, kein behagliches Alleinsein mehr giebt." „Doch Zugluft und Licht in Hülle und Fülle, um jeden Verbrecher dem Richterblick preiszugeben," schaltete Hedwiga lächelnd ein. „Sie haben in diesem Hause gut spotten, meine Gnädige!" lächelte der Commissar zerstreut, „ich weiß dessen Vorzüge genau zu schätzen und zog überhaupt nur den Vergleich für den praclischen Nutzen der Polizei. Jedenfall giebt es noch geheime Verstecke hier, gnädiges Fräulein ?" wandte er sich fragend an Ulrike. „Welche ein fremder Mensch doch unmöglich entdecken könnte!" rief Hedwiga vorschnell. Ulrike warf ihr einen strafenden Blick zu, worauf die junge Dame sich erröthend zurückzog. „Also giebt es solche in ihrem Hause?" fragte der Commissar rasch und dringend. „Ich bin davon überzeugt, gnädiges Fräulein, und muß leider im Namen des Gesetzes —"