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Berlin, den 30. Juli. „Liebe Rahel! Meine Antwort hat sich verzögert; doch wenn Du wüßtest, in welch einem Meer von Zerstreuungen, gesell- , schaftlichen Pflichten, Vergnügungen und notwendigen Be schäftigungen aller Art ich förmlich versinke, dann würdest Du vereisten! Mir schwirrt's zuweilen im Kopfe — ich weiß nicht mehr, was und wo zuerst beginnen. Nun aber will ich auf eine Stunde alles vergessen — allen Farbenglanz, alle rauschende Musik und süßen Schmeichelworte, alles, was das Leben in der Hauptstadt so berückend schön erscheinen läßt — um mich Dir ganz zu weihen. Dein Brief brachte mir den Duft meiner geliebten Heide, aus ihm weht die herbe Poesie unserer freien Heimat, oer reine Hauch des wilden Nordmeers; Klänge der Harfe Ossians! O Rahel, ich war berauscht, vor Freude trunken, und habe doch geweint. Du bist eine Künstlerseele, und andachtsvoll stehe ich vor den Wunoern, die Dein Inneres zu entfalten beginnt. In welchem neuen, duftigen Märchen lebst denn Du, woher nimmst Dn den Zauber, der wie Frühlingswehen über den Gedanken schwebt? Liebst Du — meine Schwester? Schatten, Rahel; erinnerst Du Dich noch dieses Auf satzthemas — es war eines unserer letzten; ich hatte mich bereits darin ausgelassen und ganze dreißig Seiten zu- sammengebracht, der Vater lobte die Arbeit. Weil es eine Sonne giebt, muß es auch Schatten geben — der Tag neigt seinem Ende zu und sie senken sich herab znr erquickenden Nacht. Du denkst beim Lesen dieser Zeilen: Leonore be findet sich heute in elegischer Stimmung, und Du hast recht; vielleicht bin ich krank, ohne es zu wissen, und Eugen ist garnicht zu tadeln, als er heftig gegen mich wurde und behauptete, ich sei ein launenhaftes anspruchs- volles Geschöpf. Das ist nun am Ende gar nicht schlimm, und er hat es nicht so böse gemeint — aber ich — schilt mich nur tüchtig aus, Rahel, ich habe mich, als er fort war, hingesetzt und geweint, wie eine wirklich launenhafte, alberne Person. Ich weiß nicht, aber für mich lag solch eine Kränkung, solch einebittere Entäuschung in dem Tadel! — Halt. Ehe ich weiter spreche, will ich mich vor Dir rechtfertigen: Du bist meine einzige Schwester, seit unserer frühesten Kindheit gab es nichts, das wir nicht geteilt und gemeinsam durchlebt hätten. Du stehst mir fast noch näher als der Vater, da von Dir mich nicht jene ehrfurchtsvolle Scheu trennt, welche das Alter und die Geistesüberlegenheit des Mannes mit sich bringen; ich fühle mich eins mit Dir, und deshalb darf ich Dir vertrauen, was kein anderer Sterblicher von mir vernehmen würde; denn es giebt Geheimnisse in der Menschenseele, die im Verborgenen Hinsterben müssen, — damit solches Geständnis nicht eines Tages, wenn die Trauer überstanden und die Sonne wieder lächelt, sich als etwas greifbar Drückendes wieder uns er hebt, weil wir es im Innern des anderen flüstern hören, der es nicht vergessen kann und vielleicht zum Vorwurf gegen uns erhebt. Eugen hat angefangen, mich zu „erziehen", wie er es nennt, er meint, ich sei viel zu sentimental, voll romantischer Schrullen, viel zu eigen, zu empfindlich, und was sonst noch; nun hege ich aber starke Zweifel, ob er mit seiner Erziehung mir gegenüber im Rechte ist, auch gefällt mir seine Methode nicht; er hat eine Manier erfunden, mich neckend zu „strafen", die zuweilen an Grau samkeit streift; er ergeht sich nämlich dann in Spöttereien über meine Erziehung zu Hause, über Euch und besonders über den Vater, und das hat seinen Grund zum Teil in dem unversöhnlichen Hasse, den Eugen gegen ihn hegt. Dieser Haß dehnt sich auch auf das aus, was zum Vater gehört, er möchte am liebsten, daß ich dem Verkehr mit Euch entsage, und das ist mir doch ganz unmöglich Siehst Du, Rahel, das sind die ersten Schatten meines sonnigen Glückes. Nun aber will ich von der Veranlasste seiner jähzornigen Aufwallung erzählen, die mir so große» Kummer bereitete. Die letzte Woche war eine besonders geräuschvolle für uns gewesen, keinen einzigen Abend HB ich zu Hause allein mit Eugen, wie ich es so reizend finde verleben dürfen, dazu kam gestern die erste größere Ge sellschaft bei uns — Rahel, Du kannst Dir vorstellen, dok schon drei Tage vor diesem hochwichtigen Ereignis ei« gelindes Angstsieber mich gepackt hatte." Etwa vierzig GO waren geladen, zum größten Teil aus den Militärkreiser einige Herren der bauts tinauos mit ihren Damen, ei» paar Künstler — und Eugens Freund, Graf Borrisky, i» meinen Augen ein widerlicher Mensch, aus dem zweifä hasten Reiche der Nichtsthuer und Verschwender. (Fortsetzung folgt.) Humoristisches. Hin kleiner Egoist. Fritzchen: „Tante, sei so gut und spiel' etwas am Klavier!" — Tante: „Du liebst wohl nieine Musik?" Fritzchen: „O, nein! aber ich krieg' dann vom Papa Bonbons, da mit ich die Noten verstecke!" Hutes Gedächtnis. Dame: „ . . . Ja, die Welt heutzutaa' ist demoralisiert, Baron. In Rom hat einst ein Vater seine Toch!' getötet, weil er ihren Verführer nicht erreichen konnte!" — Lentos „Ja, die Cuba!" — Dame: „Sie irren, die Virginia!" — Leutnat „Richtig; na, ich wußte ja, daß es eine Cigarrensorte war!" Asm Kasernenhok- Feldwebel: „Warum ist in den StB über jedem Pferdestand der Name des Pferdes angeschrieben?" ss Rekrut: „Damit jedes Pferd weiß, wie es heißt!" — Feldwebst „Damit jedes Pferd weiß, wo es sich hinzustellen hat, wenn io Rekrut nicht lesen kann!" Rätsel-Auflösung in voriger Nummer: ' „Profit Neujahr." Pauline Rosamunde Nordeutschland Ecuador Dramen Urgroßvater Schauspiel Influenza Aurikel Insulaner Tausendschön Harmonium Rosalie. N)o ist der Abgesandte der Chinesen? Nachdruck aus dem Inhalte dieses Blattes verboten. Gesetz vom 11. Juni 1870. NcfivMvn, nnfi von q<?poj„,