Volltext Seite (XML)
Nikolaus kn-st«'s SSchter. Roman von B. Riedel-Ahrens. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. ^D»eonore liegt noch immer bewußtlos, und so groß ist die Schwäche, daß man meinen mühte, der kaum be merkbare Atem wird in der nächsten Minute ganz aufhören; aber die kerngesunde Natur, der kräftige Herzschlag in dem widerstandsfähigen jungen Körper, vereinen sich zum jähen Kampfe gegen den vernichtenden Feind; die Aerzte hegen Hoffnung, hart an der Grenze zwischen Tod und Leben wird sie sich wohl durchringen. Am Nachmittag nach der Ankunft hatte sie in einem ächten Moment Rahel erkannt, die thränenschweren Blickes ihrer Nähe saß, und dann war um die Lippen ein glückliches, unendlich dankbares Lächeln sichtbar geworden 7^ ein Lächeln, so selig und doch so weltmüde, daß Rahels Vermutungen, die Gemütsverfassung der Schwester be treffend, zur Gewißheit wurden. Nicolaus Erichsen aber hatte anfangs wie gelähmt Bette gestanden; war es wirklich seine Tochter? War "ieses abgezehrte, sterbenskranke Weib, das auf den ein gefallenen Zügen den Stempel der scheinbar Todgeweihten trug, sein einst so blühendes Kind? Jetzt waren die Lampen angezündet, draußen fielen «ichte Schneeflocken, die sich auf den Straßen bald in eine Hmutziggraue Masse verwandelten; an Leonorens Lager !»b Fräulein Jutta; die Kranke schlief, das heißt, sie lag ür dem bewußtlosen Zustande des zunehmenden Fiebers, trnd wälzte sich unruhig hin und her, von Zeit zu Zeit ^zusammenhängende Sätze hervorstoßend. Da geschah es, daß bei einer neuen Bewegung das Nachtgewand, dessen «nopf am Halse aufgegangen, sich verschob und die weiße Schulter sichtbar wurde. Tante Jutta liebevoll bemüht, sie wieder zuzudecken, "emerkte bei dieser Gelegenheit plötzlich zu ihrem Entsetzen iwei lange, wundenfeuchte, dicht nebeneinanderliegende Striemen, wie von den Hieben mit einer Peitsche oder teerte herrührend. Eiskalt lief es ihr über den Rücken. Aber da konnte ja gar kein Zweifel walten — das waren die beredten Spuren einer — Mißhandlung. Schnell entschlossen winkte sie ihren Bruder aus dem Nebenzimmer zu sich heran und schloß die Thür leise hinter M zu. „Nicolaus — Eugen v. Ravens hat unser Kind geschlagen." „Woher weißt Du das, Jutta?" „Sieh her; sage es ihm auf den Kopf zu, es kann nicht anders gewesen sein." Er iah die Striemen auf der Schulter, für die es in der That keine andere Erklärung zu geben schien, und verstummte; wie durch einen Schleier sah er das schöne, von goldblondem Harr reich umflutete Antlitz, dessen edler Ausdruck in seiner Ruhe um so auffälliger hervortrat, er sah wieder die Schmerzenslinien seelischer Leiden, die ihm mehr erzählten, als Bände es vermocht; und es gab einen Buben auf der Welt, der es gewagt haben sollte Hand, an sie zu legen, die er wie ein Heiligtum gehütet, in deren Brust er vielversprechend den göttlichen Keim für alles Hohe und Erhabene genährt, es gab einen Mann, der Leo nore Erichsen mit brutaler Hand gezüchtigt hatte? War das Wirklichkeit oder Wahnsinn, der ihn umnebelt hielt? Nicolaus Erichsen konnte sich später nie mehr ent sinnen, wie er eigentlich hinausgelangt und was dann folgte; die Erinnerung setzte erst dort klarer ein, wo in dunkel verschwommener Umgebung das entstellte Gesicht seines Schwiegersohnes vor ihm auftauchte. Die beiden Herren befanden sich im Rauchzimmer Eugens, wohin er den erregten Vater gezogen. „Warum haben Sie meine Tochter — geschlagen?? Seine hohe Gestalt, welche den nur mittelgroßen Baron hoch überragte, schien noch zu wachsen, als er jetzt mit unheilverkündender Stimme Rechenschaft zu fordern be gann über sein Kind. Eugen erschrak — diese Frage kam ihm doch zu un erwartet und beraubte ihn in der Minute vollständig aller Geistesgegenwart, so daß Nicolaus Ecichsen an der Ver wirrung des Mannes erkannte, das Richtige getroffen zu haben. „Ich frage, warum haben Sie meine Tochter ge schlagen?" wiederholte der Greis, den vor ihm Stehenden mit seinen flammenden Augen durchbohrend, drohender noch als zuvor. „Ge — schla — gen," stammelte Eugen, dem es höchst unbehaglich zu Mute war, und der in seinem Leben sich noch nie so gänzlich fassungslos gefühlt hatte, „da kann doch um alles in der Welt nicht von Schlagen die Rede sein ich begreife nicht, daß Leonore Sie sollten doch nicht vergessen, Herr Pastor — daß sie der größten Schonung bedarf und jetzt nicht . . ."