Volltext Seite (XML)
Wochenblatt für Nr. 82 1879 Freitag, den 17. Oktober für die König!. Amtshauptmannschaft zn Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zn Wilsdruff. Neunund-reitzigster Jahrgang. Erscheint wöchentlich 3 Mal (Dienstag und Freitag) AbonnementSyreis vierteljährlich 1 Mark Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. Znseratenaiinakine Montags u. Donnerstags bis Mittag 12 Mr. Erlcheint wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitag) Nbonnementspreis vierteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. für Wilsdruff, ThuMUdl, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden Kontrol - Versammlungen. Die diesjährigen Herbst-Kontrol-Versammlungen in dem Gerichtsamts- und Stadtbezirk Wilsdruff finden vor dem Gasthause zum „goldenen Löwen" daselbst wie folgt statt: Mittwoch, den 29. Oktober dieses Jahres, Nachmittags ^2 Ubr, sämmtliche Unteroffiziere und Mannschaften des Benrlaubtenstandes ans dem Stadtbezirke Wilsdruff sowie aus den Ortschaften: Kaufbach, Unkersdorf, Roitzsch, Steinbach bei Kesselsdorf, Kesselsdorf, Huhndorf, Kleinschönberg, Weistropp, Niederwartha und Wildberg Mittwoch, den 29. October dieses Jahres, Nachmittags ^3 ubr, sämmtliche Unteroffiziere und Mannschaften des Bcurlaubteustandes aus den Ortschaften: Sachsdorf, Klipphausen, Kneipe, Sora, Röhrsdorf, Grumbach, Herzogswalde, Steinbach bei Mohorn, Helbigsdorf, Birkenhain, Limbach, Blankenstein, Neukirchen, Lampersdorf, Lotzen, Schmiede walde, Burkhardtswalde, Munzig, Neutanneberg, Alttanneberg, Rothschönberg, Perne und Groitzsch. Die Militärpapiere sind mit zur Stelle zu bringen. Orden, Ehrenzeichen, Kriegsdenkmünzen re. sind anzulegen. OrdreS werden nicht erlassen und ergeht demzufolge an die Herren Gemeinde-Vorstände das Ersuchen, die in ihren resp. Ort schaften aufhältlichen Mannschaften des Beurlaubtenstandes, zu welchen auch die zur Disposition der Ersatz-Behörden Entlassenen gehören, zum pünktlichen Erscheinen bei den vorgedachten Kontrolen, durch Anschläge in öffentlichen Lokalen zu veranlassen. Meisten, am 2. October 1879. Königliches Landwehr-Bezirks-Kommando. von Mondelsloh. Oberst z. D. Die Zunahme der Selbstmorde. Jüngst machten wir auf die schreckenerregende Zunahme der Mein eide aufmerksam. Eine gleich trostlose Erscheinung in unserer Zeit ist die, daß wir zwar Jahr um Jahr auf den verschiedensten Gebieten des Wissens und Könnens uns neuer Errungenschaften rühmen dürfen, daß Jahr um Jahr neue Hebel unserer Wohlfahrt nnd Cultur erfonuen werden, daß aber dennoch, trotz aller materiellen Fortschritte, von einer Abnahme der Macht des Unglücks gegenüber dem Menschenherzen nichts zu bemerken ist; im Gegentheil: Das Drama der Zeit läßt die Zahl der Selbstmorde fast im Tempo des Dampfwagens sich mehren, Jahr um Jahr wachsen die düsteren Ziffern an, mit denen die Statistik jenes Verbrechen der Firma „Mensch u. Co." bucht; von dem wir im Reiche der Thiere vergeblich nach einer Spur suchen! Speciell in unserem deutschen Vaterlaude ist wohl noch nie die Desertion aus dem Leben so an der Tagesordnung gewesen, wie jetzt. Obgleich auch in Frank reich in den letzten drei Jahren die Zahl der Selbstmorde stetig zuge nommen hat, beträgt dieselbe doch dort nicht ganz 6000, während in dem mehr als zehnmal kleineren Königreich Sachsen im vergangenen Jahre nicht weniger als 1126 Personen den Tod durch eigene Hand suchten und fanden! Nehmen wir einen beliebigen Wochenbericht der Berliner Polizei zur Hand, so lesen wir da: „Am 20. Morgens versuchte ein Mann in einer Laube des Hauses . . . sich mittelst eines Taschenpistols zu erschießen; an demselben Tage verstarb eine Frau in ihrer Wohnung in Folge des Genusses von Schweselsäure, die sic in selbstmörderischer Absicht genossen; gestern versuchte ein junges Mädchen ihrem Leben durch Einathmen von Kohlendunst ein Ende zu machen; heute öffnete sich ein Cigarrenhändler die Pulsadern und erhängte sich an seiner Kammerthür; vergangene Nacht sprang ein Schneidermeister ins Wasser!" — So der. Polizeibericht Berlins von einer Woche! Man kann ja überhaupt kaum eine einzige Zeitungsnummer in die Hand nehnien, ohne fürchten zu müssen, auf einen Seldstmordbericht zu stoßen. Und welches sind in der Regel die nächsten Veranlassungen zu diesem Verbrechen? Nun, hier ist's verschmähte Liebe, dort gekränkte Ehre, bei einem Andern sind es eheliche Zerwürfnisse, vor Allem aber zerrüttete Vermögensverhältnisse — lauter Dinge also, die es von jeher gegeben hat, so lange die Welt steht und so lange Menschen auf der selben leben. Woher kommt es aber, daß heutzutage diese Umstünde unter denen die Menschen von jeher geseufzt haben,' so Viele zu dem letzten und entsetzlichsten Schritt, den es gibt, zum Selbstmord treiben? Wir können den letzten und tiefsten Grund nirgends anders finden als in der immer mehr unter unserem Volke zunehmenden Jrr- religiosität. Denn, welches sind die Folgen derselben? Der bekannte Gottes- läugner David Strauß nennt sie uns, wenn er bekennt: „Der Weg fall des Vorsehungsglaubens gehört in der That zu den empfindlichsten Einbußen, die mit der Lossagung vom christlichen Glauben verbunden sind. Man sicht sich in das furchtbare Getriebe der ungeheuren Welt maschine wehr- und hilflos hineingestellt, keinen Augenblick sicher, bei einer unvorhergesehenen Bewegung vom Rad erfaßt und zerrissen, oder von cinem Hammer zermalmt zu werden. Dieses Gefühl des Preis- gegebenfeins ist wirklich entsetzlich." So schreibt Strauß und ein Gesinnungsgenosse von ihm, der Fürst Pückler - Muskau bekennt: „Es bringt eine trostlose Leere in's Leben, wenn man nichts Anderes weiß, als daß man einmal von den Würmern gefressen wird. Gibt es wahre Güter auf dieser Erde, so sind es nur eiserne Gesundheit und sehr viel Geld, als Mittel zu Allem, was die Welt bietet; alles Andere ist nichts." Da haben wir zwei unverfängliche Zeugen dafür, was die Jrr- religiosität für einen Zustand in dem Menschenherzen hervorrnft — eine Halt- und Trostlosigkeit, die nichts mehr hat und nichts mehr kennt als den materiellen Genuß. So lange der Mensch sich einen solchen noch verschaffen kann, so lange thuts zur Noth noch gut. Ist es aber auch mit diesem vorüber, ist die Gesundheit zerrüttet, ist das Vermögen vergeudet, dann gähnt dem Menschen der finstere Abgrund der Verzweiflung entgegen und in diesen Abgrund stürzt er sich hinein. Die Verzweiflung, die unausbleibliche Folge der Jrrreligiosität — das ist in weitaus den meisten Fällen der tiefste Grund des Selbstmordes. Wenn man nun aber sieht, wie seit Jahren besonders von einem gewissen Theile unserer Presse auf die Zerstörung des christlich-religiösen Bewußtseins unseres Volkes hingearbeitet worden ist, wie die Jrr religiosität als der höchste Fortschritt, ja als das Zeichen eines „wahr haft gebildeten" Menschen hingestellt worden ist, wie statt der Reli giosität in so vielen Blättern nur der nackteste Materialismus, der die Sinnenlust und die Genußsucht als das Erstrebenswertheste hinstellt, gepredigt wurde, wenn man bedenkt, wie die Lehren dieser Presse in hohen und in den niedersten Kreisen unseres Volkes wahrhaft ver schlungen worden sind — ist's da ein Wunder, wenn die schauerlichen Folgen der Zerstörung alles religiösen und sittlichen Halles, wenn die Selbstmorde unter unserem Volke so entsetzlich überhand nehmen. Tagesgeschichte. Die fortschrittliche Breslauer Zeitung sagt in einem „Nach der Wahlcampagne" überschriebenen Artikel zu den preußischen Land tagswahlen: „Da hilft kein Verschweigen und Vertuschen — sagen wir es nur offen heraus: die liberalen Parteien, und zwar Fort schrittspartei und Nationalliberale, haben eine entschiedene Niederlage erlitten; seien es 80 oder 100 oder noch mehr Sitze, die sie verloren haben, gleichviel, die Conservaiiven und das Centrum haben gesiegt. Man erinnert an die Landrathskammer der funziger Jahre; aber es ist ein Unterschied. Damals unter Manteuffel-Westphalen arbeitete die Regierung selbst mit Hochdruck für die Conservaiiven; ob die Mittel gesetzlich waren oder nicht, danach wurde nicht gefragt; die Liberalen wurden in aller Weise verfolgt, die Conservaiiven geschützt und befördert. Heute hat man von einer speciellen, sozusagen per sönlichen Einwirkung der Regierung nichts gemerkt; die paar Artikel der Provinzial-Correspondenz können einen derartigen Umschwung nicht bewirkt haben. Die Blätter der konservativen Partei haben allerdings auf die Wahlen eingewirkt, aber die Blätter der liberalen Partei nicht weniger und vielleicht noch mehr, kurz der wirklich amt liche Einfluß, der in den fünfziger Jahren alles machte, ist heute bis auf ein Minimum verschwunden. Das Volk selbst hat gesprochen! ... Und der besiegte Liberalismus, der durch das Volk, nicht durch die Regierung besiegte und niedergeschlagene Liberalismus? Nun er wird weiter kämpfen. ... Vor allem wird die Defensive, zu welcher er jetzt gedrängt ist, auch zur Läuterung innerhalb der Parteien bei tragen. Denn Fehler — auch das wollen wir nicht leugnen — ha ben ja die liberalen Parteien begangen, fonst hätte der Umschwung nicht erfolgen können; ein gewisser Uebermuth hatte sie ergriffen. Aus Berlin vom 12. Oct. wird der Kölnischen Zeitung geschrie ben: „Aus guter Quelle erfährt man, daß es in Wien nicht blos bei mündlichen Verabredungen geblieben, fondern zwischen Deutsch land nnd Oesterreich ein förmlicher Vertrag abgeschlossen worden ist. Das Bündniß zwischen beiden Reichen ist nur zum Schutze der beiderseitigen Interessen bestimmt und daher für niemand bedrohlich, auch nicht für Rußland, wenn dieses sich entschließt, die Bedingungen des Berliner Friedens zu achten und die panslawistischen Wühlereien nicht zu begünstigen. Kaiser Wilhelm, welcher das freund schaftliche Verhältniß zu Rußland zu bewahren wünscht, hat sich in die neue Wendung der Dinge nicht ohne Widerstreben gefügt, indessen sich von deren Nothwendigkeit überzeugt."