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Dcr Bürgermeister Kleinpaul hatte eine einzige Tochter, ein liebes hübsches Mädchen, es war des Senators zweite Flamme; die erste war die Frau Bürgermeisterin, Lina's Stiefmutter gewesen, welche just an dem Tage verlobt wurde, als er sich ein Herz gefaßt, um sie an zuhalten; er trat in dem Moment ins Zimmer, als der Bürgermeister das Jawort von den bräutlichen Lippen der Braut und den Segen der Eltern empfing. Herr Adalbert Kühn mochte wohl ein unendlich trübseliges Ge sicht bei dieser rührenden Scene gemacht haben, doch war er ein so feinfühlender Mann, um nicht sogleich aus dem unglücklichen, in seinen Hoffnungen durch eigene Schuld getäuschten Freier ein artiger und liebenswürdiger Gratulant zu werden. Daheim aber in seinem einsamen Zimmer hätte er sich selber be- ohrfeigen mögen ob seines Zauderns, seiner fluchwürdigen Unentschlos senheit, die ihm so oft auch in minder ernsten Dingen ein donnerndes „Zu spät" zugerufen. Einige Jahre waren vergangen, Lina Kleinpaul war zur stattlichen Jungfrau erblüht, sie wartete der Dinge, die da kommen sollten und was des Lebens Mai, der leider den armen Mädchen nur einmal und nicht wieder blüht (was die Männer auf sich anzuwenden brauchen), ihr für Blumen und Kränze bringen würde. Die Eltern hatten ihre Augen von wegen des schönen grünen Jungferukranzes auf Adalbert Kühn gerichtet und auch nicht ohne triftigen Grund. Er war fast täglicher Gast im Bürgermcisterhause und wurde von Lina mit kindlichem Vertrauen behandelt. Onkel Adal bert war das A und O ihrer Gedanken, und dieser wollte nur ihren zwanzigsten Geburtstag abwarten, um alsdann mit seinem neuen Herzensplane rasch herauszurücken, und den Geburtstag mit der Ver lobung recht sinnig zu verbinden. Der gute Adalbert war jetzt 32 Jahre alt und hielt ein zwanzig jähriges Mädchen nicht zu jung zur Frau Senatorin, welches Amt er ob seiner hohen Verdienste uin das städtische Gemeinwesen (wie der Herr Bürgermeister sehr energisch im Magistrat behauptet hatte, ob gleich er selber nnr eine äußerst dunkle Vorstellung davon besaß), in diesem Jahr erhalten hatte. Der Herr Senator beging bei diesem Kalkül den einzigen Fehler, das Backfischalter dis zum zwanzigsten Jahre eigenmächtig auszudehnen, was ihm natürlich ein falsches Fa- zitbnch einbringen mußte. Auch hatte er im gerechten Stolze seiner Manneswürde, von welcher er einen bedeutenden Begriff besaß, es unterlassen, die Stiefmutter ins Vertrauen zu ziehen, eine Unterlassungs sünde, die sich bitter an ihm rächen sollte. Vielleicht war es auch eine Art Scheu oder Scham, sich dieser Frau, die einst seine Liebe gewesen, in einer solchen Herzenssache zu vertrauen, da er's ihr im Stillen doch ziemlich lange nachgetragen, daß sie nicht auf ihn gewartet hatte. Es war einige Tage vor ihrem neunzehnten Geburtstage, als Lina ihren lieben guien Onkel Adalbert zu einem Spaziergang nach dem schönen Garten, den der Bürgermeister vor dem Thore besaß, einlud. Der Vater war verreist, die Mutter zum Besuch bei einer Freundin. Der Senator war überglücklich und überlegte bereits, ob es nicht am Ende doch ebenso rathsam wäre, das Backfischalter abzukürzen und die Verlobung mit dem neunzehnten Geburtstage zusammen zu feiern. Wie er so an Lina's Seite durch den herrlichen Herbsttag dahinschritt, erschien das Mädchen ihm schon so gesetzt, so kindlich und doch so ernst, daß es ihm vorkam, als müsse sie sich schon ganz würdevoll zur Frau Senatorin eignen und der grüne Myrthenkranz ihrer hübschen Stirn, auf welcher heute ordentlich geheimnißvoll ernste Gedanken zu lagern schienen, prächtig stehen. Warum auch noch ein volles Jahr warten, mir muthwillig den eigenen Lebensgenuß abkürzen? kalkulirte er auf diesem Weg. — Es war freilich mein festes Prinzip, kein Mädchen vor ihrem zwanzigsten Jahre zum Altar zu führen, aber — sie geht ja nach diesem Geburts tag auch schon in jenes Alter hinein, und mein beginnender Herbst erfordert diesmal ein rasches Handeln. Herr Adalbert war somit entschlossen, glücklich zu werden, und mit stolzeren Schritten betrat er an Lina's Seite den schönen schattigen Garten. „Onkel!" begann hier das junge Mädchen etwas zaghaft. Der Titel gefiel ihm jetzt gar nicht mehr, doch mußte er denselben für heute noch gelten lassen. „Lieber, bester Onkel Adalbert!" wiederholte sie in ihrem süßesten Tone, wobei sie schmeichelnd seine Hand ergriff. Der Senator schaute sie mit dem glücklichen Lächeln eines Bräu tigams au und sagte, zärtlich ihre Hand in der seinigen drückend: „Nun, Du Schelm! was hast Du dcun nur heute vor?" „Eine große Bitte an Dich, Onkelchen!" „Sie ist Dir im Voraus gewährt, mein Engel, wie könnte ich Dir etwas abschlagen?" „So habe ich Dein Wort?" „Mein Ehrenwort, vorausgesetzt, daß die Gewährung Deiner Bitte in meiner Macht steht." „Wie sollte ich den» so thöricht sein, etwas Unmögliches von Dir zu erbitten, Onkelchen?" „Nun, so sprich, heraus damit, was es auch sei." „Ach, Onkel! mir fällts so schwer, aber Du bist der Einzige, zu dem ich ein völliges Vertrauen habe. So wisse denn, ich liebe —" Adalbert blickte sie überrascht an ob dieser naiven Offenheit; es fiel ihm natürlich nicht im entferntesten ein, bei diesem Gegenstand ihrer Liebe an einen Anderen zu denken, als an sich selber. „Nim, Herzchen!" versetzte er deshalb nach einer kleinen Pause, „ist denn das so schlimm?" „Ach nein, Onkelchen! und ich wußte cs Wohl, d«ß Du es auch nicht für so schlimm halten würdest; wenn Dir nur der Gegenstand meiner Liebe auch gefallen möchte, dann hätte ich auch schon halb ge wonnen!" „Hm," schmunzelte er ganz selig, „die Versicherung darf ich Dir wohl mit Hand und Mnnd geben." „Du kennst ihn?" fragte Lina überrascht. „Wie mich selber, Du loses Kind!" lachte er vergnügt; „wie sollte ich Deinen Zukünftigen nicht kennen?" Das junge Müdchen schaute ihn etwas zweifelhaft an, — der sonst so nüchterne und äußerst solide Senator hatte am Ende doch nicht ein Gläschen zu viel bei Tisch getrunken? Doch gleichviel, viel leicht kam diese angeheiterte Stimmung ihrem Plane just gelegen. „So komm denn, Onkelchen!" sprach sie entschlossen, „doch ver giß nicht, daß Du mir unter allen Umständen Dein Ehrenwort ver pfändet hast." Sie eilte hastig voran, einem Gartenhäuschen zu und Herr Adal bert folgte erwartungsvoll. Er lachte iu sich hinein, da er die List seines kleinen Bräutchens, wie er sie schon längst bei sich selbst genannt, zu durchschauen meinte; war doch in jenem Häuschen selbstverständlich auch ein großer Spiegel, worin er ihren Zukünftigen, also sich selber schauen sollte. „So jung und schon so schlau!" dachte er, „aber stolz lieb ich meine Spanier und klug meine Frau Senatorin!" (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Man sollte nicht meinen, daß in Berlin, der „Metropole der Intelligenz", so grosser Aberglaube herrschte, wie aus folgender Mittheuung des „Börsen Cour." hervorgehl: „Bor Kurzem halte sich in einem Hause der Friedrichstadt eur Arbeiter erhängt. Etwa 4 Tage später, nachdem der Selbstmörder beerdigt war, erschien bei der Wittwe desselben eins feine gebildete Dame von eleganter Haltung. Die Dame schien sehr verlegen; sih wünschte die Wittwe zu sprechen. Sie wolle nur — sagte sie — anfragen, ob die Wittwe sich vielleicht noch im Besitze des Strickes befinde, an dem sich der Mann aufge- häugt habe. Wenn dies der Fall sei, bitte sie, gegen anständige Be zahlung, um Ueberlassung der hänfenen Schnur. Als die Wittwe bejahte, gleichzeitig aber auch anfragte, zu welchem Zwecke die Dame den Strick haben wolle, äußerte sich dieselbe wörtlich dahin: „Eine alte Frau hat mir gerathen, ich müsse stets ein Endchen von dem Stricke eines Erhängten bei mir tragen, dann werde mein Geliebter, der mich verlassen, wieder zu mir zurückkehren und das Glück mir stets hold bleiben". Die Wittwe schüttelte freilich den Kopf bei diesen Worten, holte aber eine Zuckerhurschnur hervor — angeblich den Strick des Gehängten — und händigte den Talisman der Dame ein, welche der Wittwe ein Zwanzigmarkstück dafür schenkte. So ge schehen im November des Jahres 1879!" * Die verwittwete Oberst Wolf in München war eine brave Frau, nur Steuern zahlte sie möglichst ungern. Als sie starb, hin terließ sie eine Million Mark und nur Seitenverwandte. Diese wissen nun nicht, ob sie lachen oder weinen sollen, denn sie erben zwar eine halbe Million und noch mehr, müssen aber an Steuern und Strafen an die Stadtgemeinde und an den Staat 160,OM Mark nachzahlen. Man nennt sie in München trotz ihrer Verlegenheit — Seiden- Verwandte. * Gera. Ein entsetzliches Unglück ereignete sich am 21. Nov. in der bekannten großen Hirsch'schen Stückfärberei. Zum Glätten und Fertigstellen der Wollwaaren werden die Zeuge über eine mäch tige metallene Trommel, die mit Dampf geheizt ist, geleitet. Die eine dieser Maschinen, der sogenannte, aus der Fabrik von Pierron L Dechaitte in Paris bezogene Filzkalander, explodirte Vormittags dadurch, daß die Boden der kupfernen Walze dem Dampfdruck nicht widerstanden. Die mächtige Metalltrommel mit ihren eisernen Böden und sonstigen Maschinentheilen war in dem einen großen Appretnr- saale Plötzlich unter mächtiger Detonation verschwunden, den Raum selbst füllten die frei ausströmenden Dämpfe an, bis dieselben abge stellt wurden und man sich dem Unglücksplatze nähern konnte. Ein schrecklicher Anblick bot sich den Herankommcnden, denn am Boden wanden sich nicht weniger als 15 Personen in furchtbaren Schmerzen. Die von der Dampfkraft geschleuderten Etsenlheile hatten ihr Ziel nicht verfehlt, und was die umherflieaenden Maschineustücke verschont hatten, das hatte der frei ausströmende Dampf verbrüht. Ein 16- jähriges Mädchen aus einem benachbarten Dorfe war aus einem an deren Arbeitssaale nach dem Appretursaale geschickt worden und kam in dem Augenblicke an dem Kalander vorbei, als er sprang. Ein Stück des 5 cm starken Eisenbodens hatte der Armen sofort die Brust zerschmettert. Sämmtliche in unmittelbarer Nähe Stehenden waren in ähnlicher Weise verwundet oder verbrüht, und es mußten 8 schwer Verletzte sofort nach dem städtischen Krankenhause gebracht werden, wovon bereits 4 ihren Wunden erlegen sind. Die übrige« kamen, wenn auch mit bedeutenden, so doch nicht lebensgefährlichen Verwundungen davon. * Clemence Blossier, ein sehr hübsches 17jähriges Mädchen aus anständiger Familie, wurde dieser Tage von den Geschwornen in Versailles der Brandstiftung schuldig erkannt und zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurtheilt. Das Mädchen hatte in seinem Heimaths- orte 6 Feuersbrünste angestiftet, um bei der allgemeinen Verwirrung mit seinem Geliebren in einem nahen Wäldchen zusammentreffen zu können. Es war vollständig geständig. * Ein Berg von Glas. Die westlichen, an das Felsengebirge grenzenden Gegenden von Nordamerika bergen bekanntlich eine Menge seltener Schätze der Natur, welche das Staunen und die Bewunder ung der Zuschauer erregen. Zu denselben gehört auch, daß man neuerlich in dem sogenannten Icllowstone-Park einen ganzen, mehrere hundert Fuß hohen Berg von vulkanischem Glas (Obsidian oder Glasachat) von verschiedenen Farben entdeckt hat. Die Spekulation geht bereits um, diese merkwürdige Entdeckung industriell zu Ver wertheu und auszubeuten. Die Indianer haben aus diesem natür lichen Glas seit undenklichen Zeiten Spitzen sür ihre Speere und Pfeile verfertigt. * Langlebigkeit. Aus Portsmuth wird geschrieben, daß kürz lich in d»r Nähe des genanten Platzes ein gewisser Stephen Goodale im Alter von 118 Jahren gestorben sei. * Reclame. „Nur lustig herinspaziert, meine Herren und Damen! in der elenden Bude da drüben zeigt man eine Klapperschlange, die anjeblich so jroß ist, daß sie es vorne nicht hört, wenn sie hinten klappert — das ist aber noch jar nichts, da müssen Sie hier in un seren Wundersalon herinspazieren, da werden Sie sehen eine Lou oonstriotoi-, aus Hinterindien gebürtig, die ist so jroß, daß eine Person allein sie jar nicht besehen kann, da müssen jedesmal 10 Per sonen auf einmal herinspazieren, um sie ganz betrachten zu können." * Einige übermüthige jnnge Männer, welche am Abend tüchtig gezecht hatten, kamen am Morgen zur jungen Gattin emes Bekannten und baten um ein „Katerfrühstück" zur Beseitigung ihres Katzen jammers. Ei gewiß, sagte schelmisch die schlaue Eva, das sollt Ihr haben. Ich habe grade was von der Art in der Speisekammer. Die edeln Jünglinge träumten von italienischem Salat und Caviarbrödchen, da kam das Küchenmädchen herein und servirte in verdecktem Teller >— 4 todte Mäuse, ein wirkliches Katerfrühstück! * Der Kassirer des Waisenhauses in Petersburg hat nahezu 5 Millionen Rubel unterschlagen und ist ins Ausland geflüchtet. Wie mögens da die armen Kinder gehabt haben.