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Parteien gehegt «erden mag, von seiner Verwirklichung aber heute soweit wie nur je entfernt ist. Gelingt es nicht, das, was den Kartellparteien an der Mehrheit fehlt, durch Zuzug aus den gemäßigten Elementen der anderen Parteien zu ersetzen, so geräth die Reichsgesetzgebung überhaupt in Stockung und Stagnation und es würde sich in kürzester Zeit zeigen, daß mit diesem Reichstag ein Auskommen nicht möglich ist. Darauf wird bei der bevorstehenden praktischen parlamentarischen Thätigkeit ein Versuch ge macht werden müssen. Man wird, zumal nachdem der verflossene Reichs tag in pflichttreuer Arbeit, wenn auch auf die Gefahr einer vorübergehen den Einbuße der Volksgunst, die dringendsten Bedürfnisse des Reichs be friedigt hat, noch nicht daran zu verzweifeln brauchen, daß auf der be zeichneten parlamentarischen Grundlage manches Nützliche und Nothwendige geleistet werden wird. In den Jahren 1881 bis 1887, wo die parlamen tarischen Grundverhältnisse von den heutigen nicht allzu sehr verschieden waren, ist schließlich auch manche werthvolle gesetzgeberische Leistung zu Stande gekommen. Die Sammlung aller staatscrhaltenden Kräfte gegen über den drohenden Mächten des Umsturzes ist heute mehr als je ein Gebot, das auch von besonnenen und über die kleinlichsten Parteigesichtspunkte sich erhebenden Männem des Centrums und der Linken anerkannt werden muß. Wir wollen hoffen, daß auch der neue Reichstag einsichtig und pa triotisch genug ist, die große auf ihm liegende und durch die Zerstörung der alten Mehrheit nur gewachsene Verantwortung zu begreifen und ihr gerecht zu werden. Graf Wilhelm Bismarck, Regierungspräsident zu Hannover, wird wie man hört, ebenfalls seine Entlassung nachsuchen. Dem Staatsmi nister und Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Grafen Herbert Bismarck, ist der nachgesuchte Abschied bewilligt worden. Dem Berliner Vertreter des „New-Jork Herald" hat Windthorst erklärt, das Centrum beabsichtige keine systematische Opposition gegen die Regierung, werde vielmehr die vom Kaiser angeregte Sozialreform mit ganzer Kraft unterstützen. Der Kaiser und der Papst stimmten in dieser Angelegenheit überein; die Einberufung der Arbeiterkonferenz gereiche dem Kaiser zum ewigen Ruhme. Der Reichstag selbst werde die Friedens politik der Regierung nach besten Kräften unterstützen. Die innere Ruhe hänge innig mit der Sozialreform zusammen. Die Frage werde immer dringender und erheische eine Lösung. „Der Kaiser trägt das Banner, wir marschiren ihm nach und es ist uns heiliger Ernst." Der „Post" wird aus Wien gemeldet: Die „Deutsche Zeitung" weist auf die Kundgebungen der Sympathie für Se. Durch!, den Fürsten von Bismarck seitens Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef und Sr. Majestät des Königs Humbert hin und bemerkt, daß beide Monarchen den Fürsten Bismarck zweifellos mit ähnlichen Empfindungen wie ihre Völker aus dem politischen Wirken scheiden sehen, daß sie aber sich bewußt sind, daß die große Friedensschöpfung des Dreibundes nicht an einzelne Persönlichkeiten und Namen, und seien sie die größten und sympathischsten, gebunden sind. Die „Neue Freie Presse" bespricht das Hervortreten des Hofpredigers Stöcker und sagt, daß, wenn es ihm und seinesgleichen beschieden sein sollte, in der neuen Zeit eine politisch maß gebende Rolle zn spielen, dies ein Unglück wäre, vor dem ein gnädiges Schicksal den Deutschen Kaiser und mit ihm die Millionen, die mit ge spannter Erwartung den künftigen Thaten seiner Regierung entgegensetzen, bewahren möge. Die Niederhaltung und Unterdrückung von Ausschreit ungen der Sozialdemokratie, wie sich dieselben namentlich in der Bedrohung friedfertiger Arbeiter an Leib und Leben und der Werke durch Brandlegung und anderweite Zerstörung der Maschinen rc. aussprechen, wird, wie der „Berl. Act." hört, Hinfort eine wesentlich militärische Aufgabe sein. Die Erörterung und Feststellung der im Falle zu ergreifenden Maß nahmen war Hauptzweck der jüngst hier unter dem Vorsitz des Kaisers abgehaltenen Art von Kriegsrath und auch die Ernennung eines hervor ragenden Generals zum Reichskanzler dürfte mit den bestehenden Absichten in enger Verbindung stehen. Sind wir recht unterrichtet, schreibt das genannte Blatt, so werden die kommandirenden Generäle bei bedrohlichen Arbeiterbewegungen in Zukunft zunächst auf eigene Hand urtheilen und handeln, insbesondere auch nicht mehr immer vorab Requisitionen der Civilbehörden abwarten. Es scheint festzustehen, daß die Thätigkeit der Civilbehörden bisher, namentlich bei Gelegenheit der Bergarbeiterstreikes im Mai vorigen Jahres wesentlich von der Sorge beeinflußt war, daß vor allem Einquartierungslasten zu vermeiden seien. Dadurch sind manche Erscheinungen ermöglicht worden, die bei rechtzeitiger Anrufung militärischen Schutzes zu vermeiden gewesen wären; insbesondere haben diejenigen Ar beiter, welche keine Neigung hatten, sich der Bewegung anzuschließen, des staatlichen Schutzes entbehrt, auf den sie in erster Reihe Anspruch hatten und nicht selten sind sie dadurch erst in die Bewegung hineingedrängt worden, von welcher man heute mit Sicherheit weiß, daß sie nicht den Um fang gewonnen haben würden, den sie schließlich annahm, wenn die Staats gewalt überall sofort mit voller Unabhängigkeit von kleinlichen Rücksichten eingeschritten wäre. In Zukunft wird das anders sein; Industrie und Handel werden also fortan mit größerem Vertrauen dem Anstürmen der Sozialdemokratie gegen unsere Staats- und Gesellschaftsordnung entgegen setzen dürfen. Wien, 25. März. Ein sonst aus Hofkreisen nicht unterrichtetes Blatt, der clericale Meraner „Burggräfler" meldet, die verwittwete Kron prinzessin Stephanie werde im April zu längerem Aufenthalte sich nach Meran begeben und dort ihre Verlobung mit dem Erzherzog Franz Este feiern. Wien, 24. März. Gestern riefen dreitausend Steinsetzergehülfen den 1. Mai als Arbeiterfeiertag aus, wobei der Vorsitzende den Aufwand der Reichen gegenüber der Noth der Arbeiter in leidenschaftlichen Worten besprach. Unter allgemeinem Beifalle sagte der Redner, es werden am 1. Mai einmal die Rollen getauscht. Anstatt der Wohlhabenden werden die Arbeiter die alljährliche Praterfahrt abhalten. Die Arbeitgeber mögen indessen arbeiten. Auch in Lemburg erfolgte gestern eine Kundgebung der galizischen Arbeiterschaft für den Ausstand am 1. Mai. Es wurde beschlossen, an diesem Tage das Grab Lassalle's zu bekränzen, Arbeiter versammlungen einzuberufen behufs Besprechung der Arbeiterfragen und der Haltung der Arbeiterschaft zu der Agitation für die konfessionelle Schule. Die Versammlung lehnte eine Dankadresse an Kaiser Wilhelm für die Arbeitererlasse ab. In Moskau sind nach der „Köln. Ztg." unter den Studenten der Landwirthschaftlichcn Akademie große Unruhen ausgebrochen. Die Akademie ist geschlossen und 200 Verhaftungen vorgenommen worden. Ein Bittgesuch an den Domainenminister beantragt die Absetzung des Rectors, dessen ungeschickten Maßnahmen Entstehung und Anwachsen der Bewegung zuzuschreiben sei. Von großen Ueberschwemmungen abermals heimgesucht ist die spanische Stadt Murcia. Seit der großen Katastrophe von 1879, welche ganz Europa zu bereitwilliger Unterstützung heranzog, ist Murcia wieder holt überschwemmt worden — in diesem Jahre aber ist nach Allem, was gemeldet wird, eine Ueberschwemmung in großem Maßstabe eingetreten. Infolge des plötzlichen Aufthauens der großen Schneemassen ist das Wasser des Scquraflusses angeschwollen und steht bereits 3 Meter hoch in den Straßen der Stadt. Die Dämme sind fast sämmtlich zerstört, weite Terrainflächen sind überschwemmt. Gleiche Nachrichten kommen aus ganz Südspanien. Ueberall sind Häuser demolirt, die Ernten zerstört, die Ein wohner dem Elend preisgegeben. Die Stadt- und Provinzialverwaltungen aber erklären, nichts thun zu können, ihre Kassen sind leer. Die Regier ung hat eine Anzahl Mannschaften, mit den nöthigen Barken und In strumenten versehen, in die bedrohten Landestheile abgesandt; von einer pekuniären Hülfe für die schwer heimgesuchten Einwohner verlautet aber noch nichts. Selbst von den spanischen Zeitungen wird es scharf getadelt, daß die Regierung trotz der wiederholten Petitionen und trotz der vielfach gemachten Erfahrungen wieder ein Jahrzehnt hindurch keine Vorkehrungen getroffen hat, um die Wiederkehr einer Katastrophe, wie die von 1879, zu verhüten. New-Jork, 26. März. Durch Blitzschlag fand in einem Dyna mitmagazin zu Hauchaca (Peru) eine Explosion statt. 25 Menschen wurden getödtet, 40 schwer verwundet. Vaterländisches. Wilsdruff. Auf die heute in den Vormittagsstunden stattfindende Golckenweihe in Grumbach machen wir nochmals aufmerksam und bemerken dabei, daß der von uns in letzter Nummer erwähnte Commers nicht stattfindet. — Da Se. Majestät der König gegenwärtig nicht in Dresden weilt, ging der Schluß des Landtages diesmal nicht im Konigl. Schloß mit dem üblichen großen Ceremoniell vor sich, sondern mit weniger Prackt- entfaltung im Sitzungssaale der Ersten Kammer. Der von Sr. Majestät mit der Vornahme des feierlichen Aktes betraute Herr Premierminister Graf v. Fabrice fuhr kurz vor 12 Uhr in einem königlichen Galawagen vor dem Landhause vor. In der Vorhalle der Ersten Kammer wurde Se. Excellenz von dem Direktorium der beiden Kammern empfangen und, gefolgt von dem Referenten des Gesammtministeriums, Geh. Rath Held, und seinem Sohne, Rittmeister von Fabrice, als Adjutanten, in den Saal geleitet, wo sich bereits die Stände wie die Herren Staatsministcr v. Nostitz-Wallwitz, Dr. v. Gerber, Dr. v. Abeken und v. Thümmel eingefunden hatten. Die Herren der beiden Kammern trugen diesmal sämmtlich Civil. Der König!. Kommissar zeigte der Versammlung zunächst an, daß ihm der ehrenvolle Auftrag zu Theil geworden, den gegenwärtigen ordentlichen Landtag i» Namen Sr. Majestät zu schließen, worauf Geh. Rath Held das König!. Dekret verlas, welches diese Ermächtniß ausspricht. Im Anschluß daran hielt der Herr Premierminister folgende Ansprache: „Ehe ich nun, meine sehr geehrten Herren, zu der Verabschiedung des gegenwärtigen Landtages verschreite, habe ich zunächst auf Grund des mir hierüber ertheilten besonderen Besehls den heute hier vereinten hohen Ständekammern den gnädigsten Gruß unseres königlichen Herren zu entbieten und Ihnen auszusprechen, wie leb haft und aufrichtig Se. Majestät bedauern, verhindert gewesen zu sein, die Herren Stände an dem heutigen Tage nicht nochmals um sich versammelt zu sehen. Se. Majestät erkennen zu Allerböchstsciner hohen Genugthuung und Freude die loyale und patriotische Gesinnung und Haltung, sowie das getreue unausgesetzte Streben, die Interessen und die Wohlfahrt Sachsens zu fördern und weiter zu entwickeln, welche die Stände des Landes auch während dieses nun verflossenen Landtages wiederum bethätigt haben, und wollen deshalb auch Allerhöchstseinen desfalligen huldvollen königlichen Dank Ihnen ganz besonders ausgesprochen wissen. Indem Se. Majestät die sehr geehrten Herren nach einer ersprießlichen Thätigkeit unter besten Wünschen in Ihre resp. Heimath in Gnaden wiederum entlassen, versehen Allerhöchst- dieselben Sich dessen, daß auch dort ein Jeder zu seinem Theile jenen Patriotismus und jene Hingebung für des Landes Wohl nur fort und fort bethätige, die nun schon seit langen Jahren die hohen Ständekammern kennzeichnen und Ihnen zur Zier und zum Ruhme gereichen." Geh. Rath Held verlas dann den sogenannten Landtagsabschied, die Entschießungen und Erklärungen der Regierung über die eben geschlossenen ständischen Berathungen, welchen Graf v. Fabrice hierauf in die Hände der beiden Kammerpräsidenten niederlegte. Im Auftrag und auf Befehl Sr. Majestät des Königs erklärte nun der König!. Kommissar den 23. ordentlichen Landtag des Königreichs Sachsen für geschlossen. Mit einem von dem Präsidenten der Ersten Kammer, Exc. v. Zehmen, ausgebrachten dreifachen Hoch ans Se. Majestät dm König schloß der feierliche Akt. — Am Montag Abend konstituirte sich in Helbig's Etablissement inDresden ein conservativerVereinfürden6. Wahlkreis (Dresden- Land). Versammelt waren 140 Personen, die sämmtlich dem Verein bei traten und die Statuten einstimmig in allen Theilen annahmen. Zum Vorsitzenden des Vereins wurde der Einbcrufer der Versammlung, Herr Kammerherr von Burgk, gewählt. Die erste Generalversammlung soll im nächsten Monat stattfinden. Als Vereinsorgan wurde bis auf Weiteres die Wochenschrift „Das Vaterland" bestimmt. Mit einem Hoch auf Kaiser und König sand die Versammlung ihren Abschluß. — Die Bäckergesellen zu Dresden rüsten sich, wie man hört, um den von den Spitzen der Arbeiterbewegung ausgeschriebenen Arbeiter festtag am 1. Mai sämmtlich zu begehen und sonach an diesem Tage die Arbeit einzustellen. Von anderer Seite hört man, daß sie am 1. Mai von früh 6 bis Abends 10 Uhr feiern, dann aber wieder arbeiten wollen. — Eine selbstständiger Buchhändler in Dresden wurde wegen Be triebs unzüchtiger Druckschriften verhaftet, nachdem eins vorausgegangene Untersuchung eines seiner Lagerräume gegen 500 Stück solcher Bücher zu Tage gefördert hatte. Eine ziemlich Anzahl Druckschriften gleicher Art ist von ihm nach auswärts versandt worden. — In Rücksicht auf die bedeutenden Kosten, mit welchen die Voll streckung eines Todesurtheils verknüpft ist, sowie aus Gründen einer zweckmäßigen Wahrung der beschränkten Oeffentlichkeit sollen künftig die innerhalb Sachsens zu vollziehenden Hinrichtungen innerhalb des Dresdner Justizgebäudes, am Orte der Aufbewahrung des Fallbeilinstrumentes, statt finden. — Aus der Lommatzscher Pflege, 24. März. Kaum haben Sonnenschein und Wind den feuchten Boden soweit abgetrocknet, daß die Vorbereitungen zur Frühjahrssaat beginnen können, so macht sich unter dem landwirthschaftlichen Gesinde, das während der arbeitslosen Winter monate von dem Arbeitgeber ohne entsprechende Gegenleistung unterhalten worden ist, gleichzeitig an verschiedenen Punkten ein Geist der Unzufrieden heit geltend, der in plötzlichem Verweigern der Arbeit zu den bisher verein barten Lohnsätzen oder gar in ungesetzlichem Verlassen des Dienstes ohne Kündigung zum Ausdruck kommt. Namentlich haben Landwirthe hiesiger Gegend mit fremden männlichen Arbeitern, mit denen sie bisher wohl zu frieden waren, in den letzten Tagen bittere Erfahrungen machen müssen. Das wirksamste Zwangs- und Sicherungsmittel, welches den Arbeitgebern zu Gebote steht, ist die Zurückhaltung eines größeren Lohnbetrages, schon als Deckung für die Anwerbungs- und Reisekosten, die nicht selten 50 Mk. und mehr für einen männlichen Arbeiter betragen. Die Aufregung, welche durch die Wahlen bis in das kleinste Dörfchen hineingetragen worden ist, trägt nun in dieser künstlich geschürten Unzufriedenheit ihre bittere Frucht. — Bautzen. Am 24. März spielte sich bei der Einfahrt des Abends