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Officiere in den abgetrennten Raum traten, um theils Abschied vom dem Capitän der „Seemöve" zu nehmen. Wardour und Crayford blieben allein zurück. Crayford klopfte seinem Freunde auf die Schulter, um ihn aus seinem dumpfen Brüten und seinem Schlafe aufzuwecken. Wardour schlug mit mürrischer, trotziger Miene die Augen auf. „Ich war eben eingejchlafen," sagte er, „weshalb wecken Sie mich schon wieder?" „Schauen Sie um sich her, Richard, wir sind allein." „Nun — und was soll denn das?" „Ich wünsche Sie allein zu sprechen und jetzt bietet sich die geeignete Gelegenheit. Sie waren mir heute ein doppeltes Räthsel. Weshalb sagten Sie, daß eS Ihnen vollkommen einerlei sei, ob Sie gingen oder ob Sic blieben ? Weshalb sind Sie der Einzige unter uns allen, der, wie es scheint, gar nichts darnach fragt, ob wir gerettet werden oder nicht?" „Kann und darf Jemand immer sagen, aus welchem Grunde er ab sonderlich und eigen in seinem Wesen geworden ist?" war Wardours aus weichende Antwort. „Er kann es wenigstens mittheilen, wenn ein wohlmeinender Freund ihn darum frägt?" antwortete Crayford kühl. WardvurS Stimme klang zarter und sympathischer. „Es ist wahr", sagte er, „und Ihnen sollte ich es mittheilen, Sie «einen es gut mit mir und verkennen mich nicht ganz. Erinnern Sie sich noch der ersten Nacht auf See, nachdem wir den heimathlichen Hafen ver lassen?" „So gut, als wäre es gestern gewesen." „Es war eine kühle, stille Nacht," fuhr der Andere halblaut fort, „keine Wolken, keine Sterne, nur der Mond goß in magischem Scheine sein silberhelles Licht auf die sich kräuselnden Meeresfluthen. Ich hatte in der Nacht die Wache im Mitteldeck. Sie kamen dorthin und trafen mich allein —" Er hielt inne; Crayford nahm seine Hand und vollendete den Satz statt seiner. „Allein und — leise «einend." „Die letzten Thränen, die seitdem in meinen Augen waren, ja die letzten sür immer überhaupt," fügte Wardour mit Bitterkeit hinzu. „Sagen Sie das nicht! Es giebt Zeiten, daß ein Mensch allerdings zu beklagen ist, weil er keine Thränen hat — aber erzählen Sie weiter, Richard." Wardour fuhr fort, wiederum in leiserem Tone. „Mit jedem Andern, der mich in diesem Augenblicke gestört hätte, würde ich in Streit gerathen sein", sagte er; „aber es lag etwas in Ihrer Stimme, was mein Herz traf, als Sie sich in theilnehmender Weise um die Ursache «einer Thränen erkundigten. Ich sagte Ihnen damals, daß mich ein Ereigniß getroffen, das mein Herz gebrochen habe. Ich brauche nichts weiter beizufügen; das einzige hoffnungslose Elend in dieser Welt, ist das durch Frauen verursachte Elend." „Und das einzige ungetrübte Glück" schaltete Crayford ein, „das Glück, welches die Frauen bereiten." „Das mag Ihre Erfahrung sein", fuhr Wardour fort, „meine Er fahrung dagegen ist eine andere gewesen. All' die Zuneigung, Ergebenheit, Verehrung und Liebe, die -in Mann nur haben kann, legte ich zu den Füßen einer Frau. Sie nahm das Opfer an, wie Frauen dies thun — nahm es willig und doch wieder gefühllos an — sie nahm es an, als ob es sich von selbst verstände. Ich verließ England, um mir einen höhern Rang zu erwerben, bevor ich sie direct um ihre Hand bitten wollte. Ich setzte in Afrika mein Leben auf's Spiel, allein um die Stellung zu ge winnen, die ich ihretwegen verlangte und die ich denn auch errang. Ich kam zurück, um ihr alles zu geben, und sie zu bitten, mir zu vergönnen, daß ich mich an dem Sonnenschein ihres holden Lächelns labte und mich in ihren schönen Augenstern zu spiegeln. Und ihre eigenen Lippen — die Lippen, die ich bei meinem Verzüge nach Afrika geküßt hatte — sagten, daß ein anderer Mann mir ihr Herz entrissen habe. Ich konnte, nachdem ich dieses Bekcnntniß vernommen, nur wenige Worte mehr zu der Treu losen sagen, dann verließ ich sie. „Die Zeit wird vielleicht kommen," sagte ich ihr, „daß ich Ihnen vergeben kann, aber wehe dem Manne, der mir Sie entrissen hat, er soll den Tag betrauern, an dem er zum ersten Male in Ihrer Nähe weilte. Fragen Sie mich nicht, wer der Mörder meines Glückes war! Ich kenne ihn selbst nicht und muß ihn noch aufsuchen. Der Verrath ist ge heim geblieben, Niemand wußte mir zu sagen, wo ich ihn suchen muß, Niemand wußte, wer er war. Aber was nun? Nachdem ich den ersten tiefen Schmerz, der wild mein Herz erfaßte über das Verlorene, überstanden hatte, wurde ich wieder Herr meiner selbst und fand die Geduld, meine Zeit abzuwarten." „Ihre Zeit? Welch- Z-it?« „Die Zeit, wann ich dem Zerstörer meines Liebestraumes Auge in Auge entgegentreten werde. Ich fühlte es damals, ich fühle es noch, mein Herz sagt es mir, wir werden einander kreuzen auf dem Lebenswege. Stark in dieser Ueberzeugung nahm ich freiwillig theil an der Expedition, wie ich es an jedem andern Unternehmen würde gethan haben, die bei Arbeit, Anstrengung und Gefahr mich ein Elend in etwas vergessen machte. Start in dieser Ueberzeugung, sage ich Ihnen auch jetzt noch, daß es mir einerlei ist, ob ich hier bei den Kranken bleibe, oder ob ich mit den Stärkeren ausziehe. Ich werde dem Leben erhalten bleiben, bis ich den Mann ge troffen habe. Der Tag wird kommen, an dem wir miteinander abrechnen: hier in der erstarrenden Kälte des Eismeeres, oder unter der glühenden Sonne des Aequators, auf dem Schlachtfelde, oder im Schiffbruche, mit dem Hungertod- vor den Augen oder die Pest um uns her; und fallen Hunderte von Schlachtopfern in der Stunde, ich werde dem Leben erhalten bleiben, ich werde leben, um das Licht des Tages begrüßen zu können, an dem ich den Mann finden soll." Er hielt inne in seinen erregten Worten, denn Körper und Geist selbst bebten unter dem Eindrücke seines eigenen furchtbaren Vorgefühls. Cray ford wendete sich schaudernd ab. Wardour bemerkte die Bewegung, was ihn berührte und ihn veranlaßte, zur Vertheidigung seiner lieblosen und furchtbaren Worte sich auf Crayfords Bekanntschaft mit seiner Person zu berufen. (Forts, folgt.) Rechnungsformulare, Eisenbahnfrachtbriefe hält vorräthig die Druckerei dieses Blattes.