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Tagesgeschichte. Berlin. Ueber die Feier der goldenen Hochzeit des Kaiserpaates bringt die „Prov. - Korresp." folgendes Programm: Ihre Majestäten begeben sich am Mittwoch, Vormittags 11 Uhr, vom königlichen Palais in das Schloß, nehmem im Rittersaale die Glückwünsche der Königs- familie und der Anverwandten des Königshauses entgegen und begeben sich dann in die neue Schloßkapelle, wo in Gegenwart der zum Feste Geladenen und der Deputationen aus den Provinzen und anderen deutschen Bundesstaaten die feierliche Einsegnung des Jubelpaares durch den Hofprediger Kögel erfolgt und vom Lustgarten ans durch 101 Kanonenschüsse verkündigt wird. Nach der kirchlichen Feier nehmen Ihre Majestäten in dem Rittersaal die Cour des diplomatischen Corps, in der Bildergallcric die Conr aller Geladenen, des Reichskanzlers, der Generalfeldmarschälle, der Ritter des Schwarzen Adlerordens, der landsässigen Fürsten, der Generalität, der Minister, der Bundesrathbe- vollmächtigten, der wirklichen Geheimen Räthe und Oberpräsidenten, im Weißen Saal aber die Glückwünsche sämmtlicher preußischen und deutschen Deputationen entgegen und kehren daun in das Palais zm rück, wo um 5 Uhr Familientafel stattfindet. Abends ist Festvper.. Am Donnerstag findet Festmahl im Schlosse statt, woran die Mitglieder und Gäste des Königshauses, alle Geladenen und die Deputationen theilnehmen, Abends ist Concert im Kaiferpalais. Der Freundschaftsvertrag, den Deutschland mit den Samoa- Jnseln abgeschlossen hat, ist jetzt mit einer Denkschrift und dem ganzen Aktenmaterial dem Bundesrathe zugegangen und dürfte daher auch dem Reichstage demnächst vorgelegt werden. Es geht aus diesem gesammten Material hervor, daß gegenwärtig der deutsche Handel auf den Samoa-, Tonga- und Fidschi-Inseln, wie auch auf einigen anderen Inselgruppen jener Gegend dem aller andern Nationen überlegen ist, und daß es daher die deutsche Regierung für ihre Pflicht erachtet hat, zur Erhaltung und weiteren Entwickelung desselben, sowie znr Abivehr unberechtigter Eingriffe alle Schutzmaßregeln zu ergreifen, namentlich auch durch dauernde Stalionirung kaiserlicher Kriegsschiffe in jener Gegend. Folgende Zahlen werden die Bedeutung des dortigen deutschen Handels beispielwcise erkennen lassen. In den Jahren 1876 und 1877 betrug auf Samoa- und Tongainseln: die Gesammteinfuhr 1,587,420 Mk.; davon auf Deutschland 1,248,420 Mk.; die Gesammtausfuhr 2,5)0:1,400 Mark, davon auf Deutschland 2,216,800 Mk. Unter den dort ein- und auslaufenden 285 Schiffen waren 154 deutsche. Der Vortrag enthält 13 Artikel, in denen unter andern die volle Gleichbe rechtigung Deutschlands mit jeder andern Nation, die Bestätigung der Eigenthumstitel der Reichsaugehörigen an allen rechtmäßig von ihnen erworbenen Ländereien, das Recht zur Anlegung einer Kohlenstation für Kriegsschiffe im Hafen von Saluafata bei Apia mit Ausschluß der Einräumung irgend welcher Vorrechte in diesen: Hafen au irgend eine andere Nation festgestellt wird. Die Denkschrift giebt eine sehr in teressante Geschichte der auf diesen Vertrag bezüglichen Verhandlungen und der Verständigungen mit andern Inselgruppen. Obgleich Niemand dem Fürsten Bismarck nachsagen kann, daß er die politische Dankbarkeit jemals übertrieben habe, so sind doch viele Leute furchtbar ängstlich, daß er seinen jüngsten Pakt mit dem Centrum im Reichstage theuer werde bezahlen müssen. Und sie sind noch ängst licher geworden, seit der neue Papst Leo sich so wenig ängstlich um den Dank Bismarcks zeigt. Dieser ist vielmehr voll Zuversicht, daß das Centrum und Nom nicht leer ausgehen. Der Papst hat sich neulich gegen den Cardinal Biliv über diese Sache ausgesprochen. Jeder Menschenkenner, sagte er, konnte den Pakt Bismarcks vorher sehen, und fuhr fort: Fürst Bismarck habe in seinem Herzen den nothgedrungencn Bund mit den Liberalen verabscheut und den Tag sehnlich erwartet, an welchem er ihn zerreißen konnte. Dieser Tag mußte kommen, sobald die Verhältnisse ihm gestatteten, sich auf feine ehemaligen Freunde, die Conservativen, zu denen doch in der ersten Reihe die. Katholiken (lies Clerikalen) gehören, zu stützen. Wären die deutschen Katholiken (Cen trumsmänner) klüger oder scharfsichtiger gewesen, so wäre dieser Tag schon viel früher gekommen, und Bismarck hätte nicht erst die ökono mischen Verwicklungen abwarten müssen, um sich nach der Seite zu wenden, zu welcher ihn sein Herz, seine Traditionen und seine Ueber- zeugungen zogen. Fürst Bismarck weiß, daß er ohne die Annäherung der Katholiken (Centrum) genöthigt gewesen wäre, das unnatürliche Bündniß mit den Liberalen zu ertragen, und da alle politischen Bünd nisse auf dem Grundsatz beruhen: „ich gebe, damit Du gebest", so wird der Kanzler schließlich den Preis des Bündnisses dem Centrum bezahlen müssen, um nicht gezwungen zu werden, die Verbindung mit den Li beralen wiederherzustellen. Die Katholiken müssen nur nichts übereilen und die Saat ruhig zur Erndte reifen lassen. So der Papst. Ist nur die bekannte Verdrießlichkeit und Grämlichkeit der Alten daran Schuld., daß so vielen Leuten die Gegenwart nicht gefällt und daß sie mit noch mehr Sorge in die Zukunft blicken? Jst's ein Vor urtheil., daß das Heranwachsende Geschlecht ganz andere Anschauungen fiat und andere Ziele verfolgt als das ältere Geschlecht? und daß diese Anschauungen und Bestrebungen für den Bestand des Staates und der Gesellschaft gefährlich sind? Diese Fragen haben auch die 13. deutsche Lehrerversammlung in Braunschweig beschäftigt. Da man den Schulen immer mehr den Haupttheil der Erziehung der Jugend zu- weist, so fragt es sich nur: wie kann die Schule zur Hebung der Sittlichkeit und der sozialen Wohlfahrt beitragen? Die Beantwortung dieser Frage hat sich der Seminardirektor Dr. Credner aus Bremen zur Aufgabe gestellt. Die Schule, sagt er, hat sich sehr vervollkommnet, äußerlich und innerlich, ein Dorfschüler besitzt heutzutage mitunter mehr Kenntnisse, als vor zwanzig Jahren ein Schüler der vornehmsten Großstadt, aber zugenommen hat auch der Mangel an Pietät und Gehorsam, gewachsen sind Rohheit, Sittenlosigkeit und Genußsucht, tief gesunken ist das Streben nach idealen (geistig-sittlichen) Gütern und an seine Stelle getreten die Jagd nach materiellen Gütern. Wohin derartige Zustände führen, liegt leider nur allzuklar vor aller Augen. Die Massengegensätze treten immer schärfer zn Tage und der wirth- fchaftliche Niedergang erhalte eine immer größere Erweiterung. Man sehe also, daß es mit den Fortschritten des Wissens allein keineswegs gethan sei. Diejenigen Leute, deren Namen man mit Entsetzen nenne, seien weder unwissend noch unklug gewesen. Es fei dies der beste Verweis, daß die Schule in erster Beziehung eine sittliche und erziehliche Ausgabe habe, und daß die Religion einen Hauptlehrgegenstand in der Schule bilden müsse. Wenn die Lehrer die ihnen anvertrauten Kinder mit Sachkenntniß erziehen, wenn sie es als ihre Hauptaufgabe betrachten, das religiöse Gefühl in dem kindlichen Gemüthe zu wecken uno zu pflegen, wenn sie die Kinder ferner ans ideale Männer verweisen, wenn die Lehrer endlich selbst bestrebt seien, den Kindern als ideales VE bild zu dienen, dann dürfte die Schule einen wesentlichen Theil M Hebung der Sittlichkeit und sozialen Wohlfahrt beitragen. Allerdings fei es erforderlich, daß die Familie die Schule in diesem ihren Sieben unterstütze. Solle das deutsche Volk wieder zu gesünderen Verhältnissen gelangen, dann müsse Arbeitsamkeit, Einfachheit und Mäßigkeit an Stelle des Luxus, des Hochmuth und der Arbeitsscheu treten und wahre Herzensreligion der oberste Grundsatz der Schule und Familie sein. (Lebhafter Beifall.) Die anderen Redner der Versammlung stellten ähnliche Forderungen an die Erziehung der Jugend durch die Schule und mehrere hoben die Bedeutung der Seminare als der Bildungs- und Erziehungsanstalten für die Volksschullehrer hervor; denn die Auf gabe einer guten Volksschule könne nur von guten Lehrern gelöst werden. München, 7. Juni. Der hiesige Magistrat hat auläßlich der Feier der goldenen Hochzeit des deutschen Kaisers die Absendung einer Huldigungsadresse beschlossen. Am Festtage wird ein feierlicher Gottes dienst abgehalten werden; die städtischen Gebäude, sowie die ganze Stadt werden im reichsten Flaggenschmuck prangen. Seit länger denn acht Tagen strömen im ganzen südlichen Tyrol und in Oberitalien mit geringen Unterbrechungen fast unausgesetzte Regengüsse vom Himmel und haben bereits ungeheuren Schaden an gerichtet. Die Flüsse treten aus, die Wildwasser reißen ihre Uferbetten ein, und Bergstürze und Mnräncn werden überall gemeldet, wie auch in der letzten Woche ein Bergabrutsch den Betrieb auf der Brennerbahn fast einen Tag laug unterbrach. Dabei leidet die Vegetation unter dieser ganz abnormen Witterung den allerempfiudlichsten Nachtheil. Der Weinstock ist in Meran und Bozen noch um mindestens 14 Tage gegen früher zurück und die Blüthe kann sich nicht normal entwickeln. Die Maulbeerblätter gedeihen nicht, das schon gemähte Heu verfault auf den Wiesen oder wird von den überschwemmten Bächen fortgerisse», und auf den oberen Bergwiesen liegt zum Theil noch tiefer Schnee, daS arme Vieh auf den höheren Bauernhöfen brüllt vor Hunger, und die beinahe verzweifelnden Bauern reißen die Blätter und Zweige von den Bäumen, um damit zu füttern. Daß die nun schon lerder seit so manchen Dezennien in ganz Südtyrol und Oberitalien planmäßig be triebene entsetzliche Waldverwüstung nicht ohne Einfluß auf diese all jährlich immer häufiger sich wiederholenden schlimmen Witterungs verhältnisse bleibt, wird von allen kompetenten Stimmen entschieden bestätigt. Die Nihilisten in Petersburg haben neulich einen Extrastreich vollführt. Am Hellen lichten Tag und auf belebter Straße haben sie den Grafen Kasküll, einen Liebling des Kaisers, aufgehoben und ent führt. Nach acht Tagen erst fand die Polizei 15 Werst von Peters burg seinen Leichnam und Tags darauf theilte das geheime Nihilisten- Comitee den Petersburgern durch Anschlag an den Straßenecken mit, daß der Graf zum Tode verurtheilt und das Urtheil an ihm vollzogen worden sei. Ain 30. Mai wollten die Nihilisten wahrscheinlich den Großfürsten-Thronfolger fangen. Dieser war nach Oranienbaum zum Thee gefahren und wollte Nachts nach Petershof zurückkehren. Eine Stunde vor der Rückfahrt ritt ein Gardeoffizier des Wegs und fand die Straße nach Petershof durch eine Barricade gesperrt und in der Nähe mehre verdächtige Kerle. Er benachrichtigte sofort die Polizei, ließ die Barrieade entfernen und ein paar Personen verhaften. In Kiew sind drei Nihilisten, Brandtner, Antonow und der Edelmann Ossinski am Galgen aufgehängt, ein Dutzend andere, darunter mehre Frauen und Mädchen, nach Sibirien, theils in die Bergwerke, theils in die Fabriken gebracht worden. Alle Polizeileute in den Städten sind mit Revolvern bewaffnet worden. Petersburg, 7. Juni. Prozeß Solowjeff. Die gestrige Sitzung des obersten Gerichtshofes unter Vorsitz des Fürsten Urussoff wurde um 11 Uhr 10 Minuten Morgens eröffnet. Als Staatsanwalt fungirte der Justizminister Nabokoff, als Vertheidiger der vereidigte Advokat Turtschaninoff. Die Anklageakte rekapitulirt die bereits bekannten De tails des Attentates und bringt das von Solowjeff gemachte Geständ nis;, daß er zn der sozial-revolutionären Partei gehöre, doch beim Atten tate keinen Mitschuldigen gehabt habe und sich zu demselben aus eigenem Willen entschieden habe, ohne jeglichen Einfluß seitens seiner Meinungs genossen. Er glaube aber im Sinne seiner Partei gehandelt zu haben. Aus den weiteren in der Anklageakte gebrachten Aussagen Solowjeffs ist ersichtlich, daß er noch während seiner Studien im Gymnasium, nach deren Absolvirung er die hiesige Universität zwei Jahre besuchte, ernsthafte religiöse Zweifel hegte, welche ihn zur Annahme der Ansichten des sogenannten Deismus führten. Schon damals habe er geplant, sich dem Dienste des Volkes zu widmen, dessen Armuth und Entbehr ungen ihn stets ans Herz gegriffen hätten, wobei er dieselben für das Resultat der bestehenden unbefriedigenden staatlichen und sozialen Ord nung hielt. Der Gerichtshof hat folgendes Urtheil gefällt: Alexander Solowjeff ist schuldig, daß er, der verbrecherischen Genossenschaft ange-' hörend, welche bestrebt ist, die in Rußland bestehende Staatsordnung durch Gewaltthätigkeiten zu stürzen, am 16. April o. in der 10. Morgen stunde in Petersburg mit Vorbedacht es auf das Leben Sr. Maj. des Kaisers abgesehen nnd mehrere Nevolverschüsse auf Se. Majestät ab gefeuert hat. Der Gerichtshof hat deshalb beschlossen, dem Angeklagten, ehemaligem Kollegiensekrctär Alexander Solowjeff, aus Grund der Ar tikel 241, 249, 17 und 18 des Strafgesetzbuches alle Standesrechte zu entziehen und ihn mittelst des Stranges hinzurichten. In Südamerika giebt's einen Racen- und Vertilgungskrieg. Die Peruaner und Bolivianer haben den Chilenen den Krieg er klärt. Die Bolivianische Armee ist gut gedrillt, mit den besten Waffe» versehen und besteht aus den wildesten Jndianerstännnen Südamerikas, ihr Präsident, General Daza, hat ihnen besohlen, Pardon weder z» geben, noch auzunehmen. Der Haß zwischen Bolivianern und Chilene» besteht seit Jahrhunderten. Auch Peru ist ein Militärstaat mit stehen dem, vielfach geübten Heer. Die Chilenen, Abkömmlinge der europä ischen Einwanderer, sind Handelsleute nnd haben feit Jahren kein stehendes Heer. Mit Mühe haben sie bei Beginn des Krieges 10,000 ' Mann auf die Beine gebracht, bald aber werden sie 60—80,000 Man» haben; denn alles eilt zum Heer, weil es Sein oder Nichtsein gilt. Was ihnen fehlt, sind gute Waffen, Kanonen und Offiziere. Als Bundesgenossen haben sich ihnen die Araucaner augeboten, eine wilde und starke Cavallerie von unschätzbarem Werthe im Kriege, aber seither immer Feind der Chilenen. Die Chilenen haben seither trotz ihrer Minderzahl zu Wasser und zu Land gesiegt und die Feinde in die Enge getrieben. Dertliches und Sächsisches. Wilsdruff. Der feltene Jubeltag unseres erhabenen Kaiser paares, das goldene Hochzeitsfest, wird morgen in ganz Deutschland