Volltext Seite (XML)
Eine Näuberfamilie. Erzählung der Neuzeit nach wahren Thatsachen von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Arabella von Cantonelli war eines jener Wesen, die dazu bestimmt scheinen, in allen Münnerherzen, welche sich ihnen nähern, Leidenschaft und Verwirrung anznrichten. Von tadelloser Schönheit, südlicher Gluth und hohem, lebhaften Geiste war sie mit siebzehn Jahren eine Perle von Neapel, welche, da sie die einzige Erbin des unermeßlich reichen Marchese war, hierdurch die echte Einfassung erhielt. Pasquale Rapo blickte mit unverkennbarem Staunen auf die wunderbare Schönheit dieses jugendlichen Weibes, das der Schöpfer mit allein Glück der Erde überschüttet zu haben schien. Er warf einen raschen Seitenblick in den hohen, Venetianischen Spiegel und durfte sich mit zufriedenem Lächeln sagen, daß die Natur auch ihn nicht ver nachlässigt habe. Schon oft hatte er die berühmteste Schönheit von Neapel in der Ferne gesehen, ohne jemals einen Wunsch, irgend eine Begier darnach zu haben; so schön hatte er sich kein Weib in seinen kühnsten Träumen gedacht. Welche Gedanken bei ihrem Anblick seine Brnst durchzogen, wollen wir nicht vorzeitig enthüllen, hätte indessen der gute, von Dankbarkeit überströmende Marchese dieselben nur zum kleinsten Theile ahnen können, er hätte sicherlich den Gast mit Schaudern von seiner Schwelle ge stoßen. Ob Leonardi, der Deutsche, sie ahnte? ach, ist cs nicht eine genug bewiesene Thatsache, daß die Eifersucht blind, aber in manchen Dingen auch eine Hellseherin ist. Und die Furie der Eifersucht war's, welche mit ihren furchtbaren Schlangenhänptern in den Herzen der beiden Männer sich zischend erhob. Als Signora Arabella zum Bewußtsein zurückgekehrt war, beeilte sich Leonardi, sie so rasch als möglich den Blicken des Fremden, der ihm trotz des Dienstes in tiefster Seele verhaßt war, zu entziehen und den Händen ihrer weiblichen Bedienung zu übergeben. Er schürfte der Kammerfrau einige Verhaltungsregeln für die Nacht ein und zog sich daun mit einer tiefen Verbeugung auf sein Zimmer zurück, um die Ruhe zu suchen, welche er für diese Nacht nicht finden sollte. Der Marchese indessen zeigte die größte Lust, noch ein wenig mit seinem Gaste, den er schon wie einen langjährigen Freund in sein Herz geschlossen hatte, zu Plaudern. Er ließ deshalb ein reiches Nacht mahl austragen, verabschiedete dle Diener, bis auf seinen alten Kammer diener Antonio und lud den Studenten mit einer Handbewcgnng ein, Platz zu nehme» und sich's in seiner Gesellschaft wohl fchmcckeu zu lassen. Der feurige Cyperwein übte bald seine Wirkung. Rapo erzählte mit einer gewissen prahlerischen Bcrcdtsamkeit von seinem Haufe in Bisaccia, von dem Bruder Michel Rapo, der als Offizier dcrNatioual- garde und Mitglied des Gemeinderaths großen Einfluß in der Stadt habe, von seinen fünf Schwestern, Alle wegen ihrer großen Schönheit in dortiger Gegend berühmt, von dem Oheim, dem srömmsteu Pfarrer der Stadt, welcher die Anssicht habe, Bischof zu werden, nnd dem ob seiner Klugheit und Frömmigkeit jedenfalls der Weg znm päpstlichen Stuhle offen stände. Der alte Marchese hörte sehr aufmerksam zu und nickte zuweilen zufrieden, und als er in seiner Freude mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte, umarmte er den Studenttn einmal über das andere und schwur, ihn reich, glücklich und angesehen zu machen, als wenn es sein leiblicher Sohn wäre. Napo stürzte mit triumphirendem Lächeln den großen goldenen Pokal voll des xdlen Weines mit einem Zuge hinunter, strich sich dann den zierlichen schwarzen Schnurrbart und fragte so gleichgültig als möglich: „Ist das vielleicht ein Verwandter von Ihnen, Herr Marchese, der deutsche Arzt oder was er eigentlich ist?" Der alte Herr stützte den etwas schweren Kopf auf die rechte Hand und sagte dann leise, als scheue er sich von jenem Manne laut zu reden: „Mein Verwandter ist er nicht, aber ich habe ihn sehr, sehr lieb. Er stammt aus dem hohen Norden Dentschlands, nicht sehr weit von der großen Seestadt Hamburg. In Frankreich lernte ich ihn kennen, eine Aehnlichkeit zog mich zu ihm, ach! Signor, cs giebt Vieles im Leben, das besser ungeschehen wäre, aber die Jugend hat keine Tugend, und wir Männer üben diesen schlechten Satz wie ein Gesetz aus. Ja, wenn ich ihn auschaue, steigt die Vergangenheit empor, um nur alle Skorpionen der Reue au's Herz zu legen. Wäre er aus dem Süden Deutschlands, dann könnte er mit mir verwandt sein, nahe verwandt, Signor! Aber es ist nichts, unr ein Spiel der Natur, daß ich mir als ewige Buße mitgenommen, um in diesem Spiegel niemals zu ver gessen, daß Reue und Buße auch dem größten Sünder die Pforten des Himmels offnen. „Pah, Signor!" lachte Rapo verächtlich, „ich dächte für diesen Fall Hütten wir die Absolution, hat die Blutter Kirche doch treu genug für die Seelen ihrer Kinder gesorgt." Der Marchese schüttelte traurig das schneeweiße Haupt, wollte etwas erwidern, seufzte dann und erhob sich mühsam, um nach der Schelle zu greifen, woranf der alte Kammerdiener erschien. „Leuchte dem Signor Rapo in das gelbe Zimmer, Antonio," sagte er langsam, „sorge für seine Bequemlichkeit und kehre daun zu mir zurück." „Gute Nacht, Signor!" sprach Rapo, sich tief ihm verneigend, doch der alte Herr streckte ihm die Hand entgegen, drückte die seine herzlich und entließ ihn mit freundlichem Wunsche, gut zu schlafen. Zweites Kapitel. Der deutsche Zauberer. Während dieser Zeit saß Leonardi, oder Leonhard, wie sein deutscher Name war, in seinem prächtigen Zimmer und starrte unverwandt, als hätte er irgend eine Vision, zur Decke empor. Sein Diener, der treue riesige Georg, den man in seiner deutschen Heimath stets „Schorfe" genannt, stand an der Thür und schaute mit bekümmerter Miene zu fernem Herrn hinüber. Einige Male hatte er schon gehustet, ohne daß Jener es bemerkt, oder Notiz davon genommen hätte. Jetzt schien er es nicht mehr aushalten zu können, er trat einige Schritte näher und sagte mit leiser bittender Stimme: „Wollen Sie sich denn nicht schlafen legen, lieber gnädiger Herr?" Leonhard fuhr aus seinem starren Sinnen erschreckt empor und blickte den treuen Diener erzürnt und finster an. Dieser wiederholte ohne Zögern seine Frage. „Du bist ein Narr und quälst mich buchstäblich mit Deiner Hundetrcue," rief sein Herr unwillig, „leg'Dich auf's Ohr, oder scheel' Dich zum Teufel!" „Wie Sie befehlen, gnädiger Herr!" versetzte Georg, welcher wohl im Alter an zehn Jahre mehr zählen mochte, als sein Herr, „zürnen Sie mir nicht, in dieser Nacht weiche ich nicht von Ihrer Schwelle." „Willst Du Dich zu meiuem Tyrannen aufwerfen? hüte Dich, mein Freund, noch bin ich Herr und kann Dich in der nächsten Stunde fortjagen." „Das werden Sie nicht thun, gnädiger Herr! Wer sollte dann über Ihr thcurcs Leben wachen in diesem nichtsnutzig falschen Welsch land? hat doch der alte Herr Baron, als Sie durchaus fortwollten, mich deshalb von sich gegeben, da er wußte, daß er keinen treueren Hund als mich in der ganzen Welt finden konnte." Der junge Mann streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit bewegter Stimme: „Hast recht, mein vielgetreuer Corso, es war nicht so schlimm von meiner Seite gemeint." „Das wußte ich wohl, gnädiger Herr," versetzte der Diener, „ich kenne ja am Besten Ihr gutes Herz. Doch eine Bitte müssen Sie mir erfüllen!" „Nun?" „Nennen Sie mich nicht immer Corso, ich komme mir schon ganz vcrwelfcht vor nnd denke immer, mein ehrlicher deutscher Name müsse sich schämen, so spitzbübisch verhunzt zu werden. Juckt mir doch allc- mal die Hand, wenn der Kerl mit dem Banditengesicht, der Marco, mich so nennt, hab' ihm auch darum viel tolles Zeug aufgebundcn, daß er schon bei Ihrem Namen zittert, gnädiger Herr!" „Ei, was könnte das so Schreckliches sein, mein lieber Corso? Ah so, Georg oder Schorse, wollt' ich sagen," erwiderte Leonhard, wieder zerstreut nach der Decke emporschauend. „Ja Georg oder Schorse, das ist mir einerlei, gnädiger Herr," lächelte der Diener vergnügt, „doch hören Sie, was ich dem Welschen aufgebunden, Sie können alles, anch zaubern!" „Kerl, bist Du verrückt?" fuhr Leonhard unwillig empor, „mich hier in diesem von Aberglauben erfüllten Lande für einen Zauberer auszugeben, das kann mir die Freiheit kosten." „O, fo fchlimm wird cs doch nicht sein," stotterte Georg heftig erschreckt, „der Herr Marchese z. B. ist gar nicht abergläubisch, und seitdem Garibaldi hier aufgeräumt hat, sind die Klöster leerer und die Köpfe klüger geworden." „Schweig, Du hast mich in Deinen Unterhaltungen stets aus dem Spiele zu lassen, verstanden?" „Ja, ja, lieber gnädiger Herr, ich werde in Zukunft still wie ein Fisch sein," antwortete Georg mit einem Seufzer, „dieses verdammte Welschland, wären wir doch erst daheim in unserem lieben Deutschland, wo die Menschen treuer und selbst die Luft ehrlicher ist." „Du mußt Dich fchon noch ein wenig gedulden," sagte Leonhard, „bevor wir die Heimreise antreten, ich spüre noch nicht die mindeste Lust nach dem kalten Norden." „Das begreife ich nicht," meinte Georg kopfschüttelnd, „dort wird man doch nicht von Räubern und Mördern überfallen. Und dann der alte Herr Baron, er sehnt sich ganz krank nach Ihnen, jetzt sind wir schon über drei Jahre in der Fremde." „Ich kann noch nicht heimkehren, mein alter Freund," versetzte Leonhard, träumerisch empvrstarrend, „hier ist meine Heimath, dort im kalten Norden müßte ich sterben. Doch wenn Du Heimweh yast, mein guter Georg, ich will Dich nicht zurückhalten, wie sehr ich Dein ehr lich deutsches Gesicht auch hier vermisse» würde." „Mein ehrlich deutsches Herz sagen Sie lieber, gnädiger Herr!" rief Georg lebhaft und gerührt, „nein ich bleibe bei Ihnen, es ist mir just, als drohe Ihnen in nächster Zeit eine große Gefahr. Dieser Student, welcher so schnell, als sei er wirklich em Zauberer, die Sig nora befreite, kommt mir schlimmer vor; ich fürchte der Herr Marchese hat sich da den Teufel selber zu Gaste geladen." Leonhard blickte seinen Diener überrascht an und nickte dann lang sam nachdenkend. „Sein Gesicht gefällt mir nicht," sagte er leise, wie zu sich selber. „Mir auch ganz nnd gar nicht," setzte Georg entschieden hinzu, „und die Rettung muß auch einen absonderlichen Haken haben. Sie waren ihrer Vier nnd er allein, dazu das Boot dicht vor der Nase." „Ja, ja, die Geschichte ist dunkel, recognvsciren wir ein wenig, mein guter Georg." „Das werde ich thun, gnädiger Herr, habe schon einen kleinen Leitfaden, der soll mich wohl weiter führen. Der Marco nämlich, das Banditengesicht, erschrak so heftig, als er den Fremden erblickte, daß er fast den Lenchter hätte fallen lassen. Verdammt will ich sein, hier mein Leben beschließen zu müssen, wenn die Beiden sich nicht genauer kennen." „Gut, Georg! ich will Dich ewig segnen, wenn Du mir über de» fremden Gast nähere Aufschlüsse bringen kannst. Doch jetzt geh' zur Ruh', ich will noch nach Deutschland schreiben." „An den Herrn Baron?" fragte Georg erfreut. Leonhard nickte. „Soll ich Grüße bestellen?" „Ei, das versteht sich, gnädiger Herr! so viel der alte gnädig? Herr nur immer annehmen will." , Und einen Extra-Gruß noch an Fräulein Agnes." „Agnes?" fragte Leonhard erstaunt. „Nun ja, des Jnfpectvrs Tochter, sie ist bei der Großmutter er zogen, weil die Mutter so früh gestorben; jetzt ist sie beim Vater aus Wildau, wie mir der alte Jean, der gnädige Herr heute mittheilte." „Ach, Agnes Walther," rief Leonhard, und ein Lächeln überflog sein Gesicht, „jetzt erinnere ich mick des blondlockigen Kindes, sie muß noch keine achtzehn Jahre alt sein." , - , „Noch nicht, zu Weihnacht ist ihr Geburtstag, da wird sie wohl so alt werden. Nun also, gnädiger Herr, den Gruß an Fräulein Agnes Walther —" „Ich werde ihn nicht vergessen, Georg, — nun aber marsch um Dir zu Bett." (Fortsetzung folgt.)