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— Am Sonntag in der siebenten Abendstunde verunglückte der Spe- I diteur Carl Jllschner von hier in derNähe von Gauernitz dadurch, daß derselbe mit einem Kutschgeschirre an eine Brückenbarriore an fuhr, wodurch der Wagen mit sümmtlichen Insassen umstürzte und Jllschner mit der Brust so stark an die Wagcnlaterne gedrückt wurde, daß derselbe an den erhaltenen Quetschungen schon Nachts um 2 Uhr in Gauernitz verschied. Den übrigen Betheiligten ist außer einigen leichten Verletzungen kein Schaden zugefügt worden. Jllschner wurde heute als Leiche hierher gebracht. Bezüglich der bevorstehenden Landtagswahlen sei wiederholt darauf hingewiesen, daß die vielfach verbreitete Ansicht, daß die Steuerzuschläge zu dem Einkommen von Einfluß auf den Wahlcensus seien, eine irrige ist. Bei Berechnung des festgesetzten Census ist: 1) in Ansehung der Grundsteuer davon auszugehen, daß dieselbe 4 Pf. jährlich von jeder Steuereinheit beträgt; 2) in Ansehung der Einkommensteuer der im Ortscataster eingetragene Steuersatz, unberücksichtigt etwaiger Zuschläge, zu Grunde zu legen; dagegen muß 3) die Steuer vom Gewerbebetriebe im Umherziehen außer Berücksichtigung bleiben. Das Stimmrecht steht Denen zn, welche entweder Eigenthümer von einem mit Wohnsitz ver sehenen Grundstücke am Orte sind oder an Grundsteuer von einem ihnen eigenthümlich gehörigen Grundstücke oder an direkten persönlichen Abgaben oder an Beiden zusammen mindestens 3 Mark jährlich ent richten. Die Wählbarkeit wird dadurch mit bedingt, daß der zu Er- wählende an Grundsteuer von ihm eigenthümlich zugehörigen inländi schen Grundstücken oder an direkten Persönlichen Abgaben oder an Beiden zusammen wenigstens 30 Mark entrichtet. Dresden. Die hiesige Kriminalpolizei hat im Laufe des 5. Au gust bei allen bekannten Sozialdemokraten Dresdens Haussuch ungen nach verbotenen Schriften vorgenommen und^dabei eine ziem lichreiche Ernte gehalten. Es fielen der Polizei u. a? zahlreiche Exem plare von Most's „Freiheit", 500 Exemplare des Buches „Marseillaise des Christenthums", sowie verschiedene Korrespondenzen in die Hände. Der Redakteur der sozialistischen „Dresdner Presse", Max Kegel, ferner der Kaufmann Schuster uud dessen Bruder, wie Kaufmann Goldstein von hier wurden verhaftet. Letzterer ist wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Unter den beschlagnahmten Schriftstücken befindet sich eine Korrespondenz mit Zürich, welche den Reorganisationsplan der sozialdemokratischen Partei in Deutschland enthält. — Ein Arzt aus Leipzig, in Neustadt besuchsweise aufhältlich, ist am 5. August in dem von ihm bewohnten Hanse auf der Hauptstraße eine Treppe her- abgefallen und hat einen Schädelbruch erlitten. — An demselben Tage wurde vom neuen Elbkai aus, in der Nähe des vormaligen Gondel hafens, der Leichnam eines Mannes aus dem Wasser gezogen, dessen Kopf mit mehr als 20 starken Stichwunden bedeckt war, die von frem der Hand beigebracht worden, ohne jedoch den Tod herbeigeführt zu haben. Derselbe ist vielmehr erst im Wasser erfolgt. Mit welcher Pünktlichkeit die Beamten der sächs.-böhm. Dampf schifffahrts-Gesellschaft den außerordentlichen Verkehr während der sogenannten großen Woche Dresdens bewältigt haben, können wir heute durch Ziffern beweisen. Während dieser acht Tage wurden nach und von der Vogelwiese 678 Fahrten, außerdem aber noch 432 plan mäßige Fahrten, welche ebenfalls Personen an dem Festplatze absetzten, ausgeführt. Mit diesen 1110 Schiffen wurden etwa 300,000 Per sonen befördert. Der Dienst der Beamten erstreckte sich regelmäßig Lis früh 3, am Freitag uud Sonntag bis früh 4 Uhr. Von Störungen und Unfällen ist uns nichts bekannt geworden und gereicht dies der Verwaltung sowie dem Publikum nur zur Ehre. Schwarzenberg, 5. August. Die heute Vormittag nach Süden und Westen zu sich bildenden Gewitter entluden sich Nachmittags zwischen 12 und l Uhr über den Ortschaften Schwarzenberg, Neuwelt, Unter fachsenfeld, Obersachsenfeld, Beierfeld und Waschleithe re. und vernich teten, namentlich bei den auf der nördlichen Seite gelegenen Fluren, die Feldfrüchte aller Gattungen durch das mindestens Vs Stunde an haltende Schloßen- und Hagelwetter in der bedeutendsten Weise. In Waschleithe ist fast sämmtüche Ernte vernichtet worden. Außer den genannten Schäden sind Dächer, Fensterscheiben, Kommunikativnswege und Chausseen beschädigt. — Die Vermehrung der Gast- und Schankstätten im Kö nigreiche Sachsen, sowie der Verkaufsstätten, welche den Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus betreiben, ergiebt sich recht deutlich aus den Uebersichten, welche das statistische Jahrbuch auf 1880 (veröffent licht vom kgt. statistischen Bureau) zur Kenntniß dringt. Danach haben Angenommen seit Anfang 1870 bis zu Anfang 1878 die Gastwirth- fchaften von 4048 zu 4425 (ca. 9 Proz.), die Schankwirthschaften von 7048 zu 10,593 (ca. 50 Proz.), die Spirituosen-Kleiuhandlungen von 5066 zu 5811 (ca. 15 Proz.). Die Gesammtsumme solcher Stätten, welche Anfang 1870 16,162 betrug, steigerte sich also binnen 8 Jahren um 4667, was einer Vermehrung um etwa 30 Prozent gleichkommt. Eine Mäuberfamilie. Erzählung der Neuzeit nach wahren Thatsachen von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Und doch willst Du Dich an Lupparelli, dessen Name halb ge ächtet ist, hängen?" fragte Michel spöttisch. „Hm, Du hast ihn mir schon halb verleidet; wenn der Tedesco schön und reich ist, verliebe ich mich in ihn." „Man sieht, Du kennst keinen Deutschen, Kind!" sprach Michel achselzuckend, „der ist treu wie Gold, und Du hörtest doch aus dem Briefe, wie er ein Liebhaber der Signora Marchesa Cantonelli ge wesen. Verlaß Dich darauf, der wechselt mit seinem Herzen nicht wie ein Jtaliano!" „Dann werde ich ihn zwingen, mich zu lieben," rief Seraphine drohend. „Thorheit! — Der ließe sich lieber tödten; deutsch und italienisch paßt auch nimmermehr zusammen, es ist wie ein Eisgletscher und ein Vulkan." „Der schmilzt das Eis mit seiner Gluth," rief Seraphine leiden schaftlich, „bei der heiligen Jungfrau, wen ich mit meiner Liebe be glücken will, soll es nimmer wägen, mich zu verschmähen, er würde sein Vaterland zum letzten Male gesehen haben." Michel Rapo schüttelte mißmuthig den Kopf und schritt langsam mit der Schwester der Villa zu, ihm gefiel an diesem Morgen nichts mehr in der Welt. Zum ersten Male fühlte der so hoch geachtete Mann das Damo klesschwert dicht über seinem Haupte. Während der ernsten Unterhaltung der beiden Geschwister lag der Major in seinem Bette und kämpfte wie ein Verzweifelter mit den Gedanken, welche wüst und wild sein glühendes Haupt umflatterten und sein Gehirn zu verwirren drohten. Oft wandte er sein Auge hin zu dem Muttergottesbilde, um hier Verstäuduiß und Erleuchtung zu empfangen, wie gern wollte er sich überreden, daß nur die Fiebcrphantasien sein Gedächtniß verwirrt hätten und jene Vorstellung von der Grotte und Lupparelli nur ein wüstes Traumgebild sei. Er sann dann nach, voll Unruhe und tödtlicher Angst, und wenn dir Ueberzcugung des wirklich Erlebten sich ihm mit ihrer ganze Wucht aufdrüugte, dann schloß er die Augen und betete um Ruhe und Schlum mer, weil ihm jede Aufregung tödtlich war. Da sah er die versteckte Grotte im Mondenlichet, sah Seraphine hinauseilen, leichtfüßig wie eine Elfe, und mit der Gesellschaft lachen und scherzen. — Uud dann aus derselben den Mann, welchen er wie sich selber erkannt hatte, diesen Verhaßten, der ihm das Banditen-Stilet in die Seite gerannt, ihn hatte ermorden wollen! „Ja, es ist so," murmelte er, sich den Schweiß von der Stirn trocknend, „der Lupparelli ist ihr Geliebter; sie ist eine Schlange, welche mich immer wieder mit ihren falschen Reizen umringelt. — Weg ihr Gedanken, wie starrt ihr mich scheußlich an, weg, sag' ich; wie sprach der alte Amavi, welche Stimme klang genau so, wie seines Räubers Stimme im Garten? Sie ging vorüber im weißen Gewände, das Bild der Unschuld, und er war ihr Begleiter! — Weg, ihr Nattern, — ihr erwürgt mich." Er hatte Fieber, der arme Major, die furchtbare Aufregung mußte ihm schaden und die Phantasien herbeirufen. Er wollte sich angstvoll erheben, aus dem Bette springen, aber stöhnend vor Schmerz sank er zurück und fiel bald in einen unruhigen von wilden Phantasien durchwebten Schlummer. Als Seraphine zurückkehrte, fand sie ihren Kranken in einem Zu stande, der sie mit Besorgniß erfüllte, aber ihr auch zugleich die Be friedigung gewährte, einen der Diener an sein Bett bestellen zu können, um fortan die Pflege zu übernehmen. Neuntes Kapitel. M h n n n g e n. Es war in der nächsten Mitter» cht, genau wie Michel Rapo es seiner Schwester mitgetheilt, als der Räuber Schiavone mit seinem Ge fangenen allein das Haus des Pfarrers Napo und die Stadt verließ. Leonhard saß auf einem niedrigen Wagen, vor welchem ein Esel gespannt war, seine Augen waren mit einer schwarzen Binde verdeckt, und ein leinenes Laken schloß ihn von der Außenwelt ab. Der junge Mann fühlte sich matt und erschöpft zum Sterben, er sah und hörte nichts, was um ihn her vorging; das Haupt wie ein Sterbender zurückgelehnt, stöhnte er leise mit zusammengeklemmten Zähnen bei den harten Stößen des Wagens, — seine Wunde, welche nur nothdürftig verbunden worden war, schmerzte ihn so gräßlich, daß er sich in jeder Minute de» Tod herbei wünschte. Schiavone ging neben dem Wagen her, gekleidet wie ein Karren führer, — er sang, pfiff, knallte lustig mit der Peitsche und schimpfte dann auf den langsamen Esel, der zuweilen störrisch stehen blieb. Wohin es jetzt ging, wußte der arme Gefangene nicht, er mochte auch nicht darüber nachdenken, war ihm doch Alles gleichgültig auf Erden seit jener furchtbaren Stunde, als der Marchese ihm das Schick sal seiner Mutter erzählt, und er den eigenen Vater im Herzen hatte verfluchen müssen. „Ein Bastard, — dessen Mutter auf dem Schaffst geendet!" so tönte es unaufhörlich in seiner Seele wieder. „Ein Unseliger, der den eigenen Vater verfluchen muß!" Und dazwischen grinste das Bild des Studenten von Bisaccia, wie die schönen Züge der Signora Cantonelli, hohnlacheud in die so furchtbaren Gedanken hinein. Wo befand er sich eigentlich? Er wußte es nicht, er konnte es nicht wissen, da er fortwährend von halber Ohnmacht umfangen gewesen war. Den folgenden Tag hatten die Räuber mit ihm in einer Schenke zugebracht, und dann war er zur nächtlichen Stunde mit verbundenen Augen nach Bisaccia gebracht worden. Die liebevolle Pflege und freundliche Zusprache des einen Räuber — es war Filomena — hatten ihn aufrecht erhalten; dann war er in einen finstern Keller gesperrt worden, man schien ihn vergessen zu haben, bis jener junge Räuber wieder erschien und ihm ein besseres Loos verkündete. Besseres Loos! — Leonhard lächelte matt, — er wollte nur sterbe», warum hatte man ihn nicht verbluten lassen, warum ihn zu einem qualvollen Leben erwecken! Er mochte nicht mehr leben; mit dem schrecklichsten Fluche des Dasein, welcher dein Säugling schon sein Brandmal aufgedrückt, war ihm die Luft verhaßt, welche soviel Unglück athmete. Und Arabella, er dachte nur mit Grauen au sie, und die Prophe- zeihung der Zigeunerin: „Von Italien kommt all Dein Verderben!" grub sich mit gierigen Krallen zerfleischend in sein Herz. In diesem Augenblicke hatte er nur eine Hoffnung: den Tod! Er hoffte, dies sei sein letzter Weg. Da scholl plötzlich Pferdegetrappel an sein Ohr, ein eigenthümliches, ganz merkwürdiges Gefühl schien ihn zu beleben, war es die neu er wachende Lebenslust? „Halt!" donnerte eine kräftige Stimme, und gleich daraus hielt der Karren mit einem kurzen Ruck still. „Wohin des Weges, Kärrner, was birgt Dein Karren! Steh' Rede, ich bin Offizier der Nationalgarde und berechtigt, Dein Fuhrwerk zu untersuchen." Den Gefangenen durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag, er streifte mit den Händen die Binde von den Augen und stöhnte dann mit matter, Stimme: „Hülfe, rettet mich!" „Es ist mein kranker Bruder, Signor!" versetzte Schiavone ängst lich, „ich bringe ihn nach Hause." „Ist das wahr, Kranker?" fragte der Reiter. „Nein, nein," stöhnte Leonhard, „ich bin in Räuberhänden, rettet mich, man hat mich auf den Tod verwundet!" „Ah, Hund von einen: Briganten! haben wir endlich einen er wischt," schrie Michel Rapo, sein Pferd auf ihn spornend.