Volltext Seite (XML)
ganze Garnison und die Feuerwehren der Vororte beteiligten sich an der Löscharbeit. Der Brand dauerte bis gegen den Morgen des zweiten Tages und fielen demselben zahlreiche Menschen, darunter einige Kin der, znm Opfer. Der Schaden ist enorm. Eine Hungersnoth herrscht in dem Kreise Nertschinsk in Folge mehrjähriger Mißernten. Der Kornpreis war schon in den letzten Wochen aui 5 Rbl. 50 Kop. per Pud (40 Pfd.) gestiegen und jetzt ist gar kein Getreide mehr zu haben, die Vorräthe der örtlichen Händler sind erschöpft. Die Bevölkerung nährt sich von Heuschrecken, wildwachsenden Zwiebeln und einer weißen Wurzel, deren Genuß Schwellungen verursacht. Auch die diesjährige Ernte wird dem Un glück kaum steuern können, da aus Mangel an Saatkorn zu wenig ans- gesäet worden ist. Im Kreise Werchneudinsk sind zwar noch geringe Vorräthe vorhanden, aber die Aussuhr ist besonders im Sommer außerordentlich beschwerlich. So ruht die ganze Hoffnung des Kreises Nertschinsk auf der Zufuhr aus dem etwa 125 Meilen entfernten Gouvernement Irkutsk. Oertliches und Sächsisches. Die sächsische sozialistische Presse ist fortwährend Gegenstand der Aufmerksamkeit der Behörden. So wurde im Laufe der letzten Woche auf Grund des Sozialistengesetzes das fernere Erscheinen der „Dresdner Presse", sowie der in Wilkau erscheinenden Zeitschriften „Mulden- thal-Bole" und „Planitzer Nachrichten und Tageblatt", der Chemnitzer Nachrichten und Geschäftsanzeiger" undder„Ober- erzgebirgischen Zeitung" in Buchholz verboten. Dasselbe Schick sal theilt der „Dissidentenbund" zu Dresden. Die vorgenannten Blätter versuchten immer ungehüllter für die Lehre des Sozialismus Propaganda zu machen. Nachdem nunmehr das Resultat der jüngst stattgefundenen Er- gänznngswahlen für die 2. Kammer der Ständeversammlung in amt licher Feststellung vorliegt, ergiebt sich, daß von den gewählten 29 Ab geordneten ihrer politischen Parteistellung nach 16 der konservativen, 9 der liberalen bezw. der nationalliberalen, 2 der fortschrittlichen und 2 der sozialdemokratischen Parteirichtung angehören. Bedauerlich im Interesse der Sache der öffentlichen Ordnung ist zweifellos der Sieg der beiden sozialdemokratischen Abgeordneten, deren Zahl dadurch in der Kammer auf drei anwächst. Die hauptsächlich in Blättern der nationalliberalen Parteirichtung erhobene Bezüchtigung, daß für den Sieg wenigstens des einen sozialdemokratischen Abgeordneten (im Leip ziger Landkreis) die Konservativen insofern die Verantwortung trügen, als sie durch Aufstellung eines eigenen Kandidaten die Stimmen der Ordnungsparteien zersplittert hätten, dürfte thatsächlich kaum zu recht fertigen sein. Die Ursache dieses sozialdemokratischen Sieges hat we sentlich in der geringen Wahlbetheiligung der sogenannten Bauern dörfer gelegen, wie seinerzeit ziffernmäßig nachgewiesen worden ist. Ganz aus dem gleichen Grunde erklärt sich der zweite diesmalige Sieg der Sozialdemokratie, der diesmal errungen wurde, obgleich daselbst die Ordnungsparteien cimnüthig zusammengestanden haben — der schla gendste Beweis, daß dieses Zusammengehen nichts Hilst, wenn die Wäh ler sich lässig verhalten. Wäre die Wahlbewegung im Leipziger Land kreise so stark gewesen, wie in dem Dresdner Landkreise, wo es eben- salls einen gemeinsamen Kampf gegen den sozialdemokratischen Kandi daten galt, so wäre auch dort wie hier der Kandidat der Ordnnngs- parteien durchgekommen. Daß es die Conservativen den Nationalli beralen gegenüber, wo gemeinsame Interessen der Sache der öffentlichen Ordnung auf dem Spiele standen, nicht an Entgegenkommen haben fehlen lassen, haben sie bewiesen durch ihr Verhalten bei den Wahlen sür Chemnitzer Landkreis und den Reichenbacher Wahlkreis, wo sie auf Aufstellung eigener Candidaten verzichteten, obwohl sie in dem letzteren sogar den Besitzstand für sich hatten. (L. Z.) — In mehreren sächsischen Städten hatten die Gewerbekammern sich für die Abschaffung der Jahrmärkte ausgesprochen. Diese Kund gebungen haben in den betheiliaten Kreisen Besorgmß erregt und war deshalb nach Roßwein eine Versammlung einberufen worden, um gegen jene Gutachten der Kammern Stellung zu nehmen. Die aus ca. 60 Personen bestehende Versammlung erwählte eine Commission, welche an die Regierung und den Landtag eine Petition um fernere Beibehaltung der Jahrmärkte ausarbeiten soll. Freiberg. Der Obst- und Gartenbauverein für den hiesigen amtshauptmannschaftlichen Bezirk veranstaltet vom 6. bis mit 15. Okt. hier eine Obst- und Gemüseausstellung. — Bergrath Bernhard v. Cotta, Professor an der Bergakademie zu Freiberg, ist am Sonntag gestorben. Der Verstorbene, welcher sich als Geognostiker einen weitverbreiteten Ruf errungen hat, wurde am 24. October 1808 zu Klein-Zillach im Eisenachschen als Sohu des ausgezeichneten Forstmannes Heinrich Cotta, des Begründers der Tharandter Forftakademie, geboren, ist also ziemlich 71 Jahr alt geworden. Bekanntlich hat der Rothschönberger Stölln zwei Hauptzwecke, der eine ist die gewöhnliche Aufgabe eines Stöllns, nämlich die in einer Grube vorhandenen Grundwasser möglichst tief abzuführen; der andere ist die Auffindung und Untersuchung des „Halsbrückner Spat" genannten reichen Erzgangs in einer größeren als der bisher zugäng lichen Tiefe. Nachdem der erste Zweck schon seit Jahren erreicht ist, hat, nach dem „Freib. Anz.", in den letzten Tagen bei dem fiskalischen Berggebäude „Beihülfe" zu Halsbrücke, dessen Wiederaufnahme durch den Rothschönberger Stölln herbeigeführt wurde, in den dortigen Tief- banen der längst gesuchte Haupterzgang endlich erreicht werden können. Plauen. Abermals ist von einem in der Nähe vorgekommenen Raubanfall zu berichten. Am Sonnabend gegen 6 Uhr ist die Gärtners- fran Lina Schumann aus Pirk, als sie sich auf ihrem, mit zwei Ochsen bespannten Wagen auf dem Heimwege vom hiesigen Wochen markte befand, auf der Chaussee im Walde zwischen Meßbach und Pirk nach dem „V. Anz." von einem Kerl, der aus dem Walde herausge kommen ist, augefallcn worden ist. Nachdem er an dem Wagen die Stränge zerschnitten und das Fuhrwerk angehalten, hat er mit dem Rufe: Geld her! ihre Ledertasche gewaltsam vom Leibe herunter ge rissen. In der Tasche befanden sich ungefähr 27 Mark. Dresden. Am 13. Sept, starb an einem Herzschlag der treu verdiente Direktor der hiesigen Blindenanstalt, Reinhard, erst im 57. Lebensjahre stehend. Die vaterländischen Blinden verlieren an ihm einen liebenden, sorgenden Vater. Leipzig. Zur Feier der Eröffnung des Reichsgerichts wird von der Stadt eine Festfeier im neuen Theater, ähnlich der Galavorstellung vor Sr. Maj. dem Kaiser im Jahre 1876, veranstaltet. Die Dauer derselben ist auf die Zeit von Abends 8 Uhr bis Nachts 1 Uhr be rechnet. Außer an die besoldeten und unbesoldeten Rathsmitglieder und Stadtverordneten nebst deren Familienmitglieder, sind Einladungen an die hiesigen k. und kais. Behörden ergangen. Die noch übrigen Plätze werden ä 10 M. verkauft. — Nach einer im „Dr. Journ." veröffentlichten Quittung hat der Albertverein durch sein im Großen Garten abgehaltenes Som- merfest eine Summe von circa 30,000 — sage 30,000 Mark als Ueberschnß für seine segensreichen Zwecke erzielt. Sonnabend Abend hat ein Gürtlergehilse aus Dohna in der Hausflur eines öffentlichen Hauses auf der kleinen Kirchgasse in Dres den seine Geliebte durch einen Schuß in die rechte Seite des Kopfes und sodann sich selbst durch einen Schuß in die Stirn mittelst eines Revolvers, welchen er kurz vorher gekauft hatte, getödtet. Der Tod ist bei Beiden sosort erfolgt; das Motiv der That soll Eifersucht sein. Eine Räuberfamilie. Erzählung der Neuzeit nach wahren Thatsachen von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Vierzehntes Kapitel. Ein Briganten-Salon. Im Pavillon der Villa Rapo zu Bisaccia war Alles still, Ler Gast weilte dort nicht mehr, weil die Familie ebenfalls nach der Stadt in das Haus der Mutter übergesiedell war. Doch in der Villa selbst herrschte, trotzdem es Mitternacht war, ein reges lustiges Treiben, das aber nicht an die Oberfläche gelangte und sich in unmittelbarer Nähe wie ein unterirdischer Bienenschwarm anhörte. Die Dienerschaft der Familie Rapo war ebenfalls in der Stadt; nur wenige davon durften ahnen, was die Häuser ihrer so hochge achteten Herrschaft oft sür seltsame unheimliche Gäste bargen. Betreten mir die Villa und begeben uns hinunter in die Keller räume, welche eigens zu diesem Zwecke eingerichtet zu sein scheinen, indem sie nebst einigen kleineren Räumen auch einen großen Salon enthalten. Dieser unterirdische Salon war so luxuriös ausgestattet, als sei er für fürstliche Gäste hergerichtet, er übertraf fast noch die oberen Räume, die dazu bestimmt waren, die vornehme Welt Bisaccias zu empfangen. Eine glänzende Tafel nahm die Mitte des Raumes in seiner ganzen Länge ein, eine Tafel, auf der in goldenen und silbernen Schüsseln die ausgesuchtesten Speisen und die edelsten Weine in Gold- und Sitber-Pokaten prankten. Schwellende Divans von rother Seide zogen sich zu beiden Seiten der Tafel hin und auf diesem lagen und saßen phantastische reich gekleidete Gestalten beiderlei Geschlechts, vom Wein und den Freuden der Tafel zur wildester Orgie entflammt. War das die schöne und geistreiche Seraphine Rapo, welche dort an der Tafel präsidirte? Ein rothes Gewand von durchsichtigem Flor umfloß ihre üppigen Glieder, weiches von einem golddurchwirkten Shawl um die Taille zusammengehalten wurde. Ein Kranz von Weinlaub umwand ihre dunklen Lock.n und gab ihrer ganzen Erscheinung mit den funkelnden Augen und den glühenden Wangen den getreuen Ausdruck einer Bacchantin. Zur Rechten von ihr saß Schiavones Geliebte, die schöne Fi- lomena im phantastischen Räuberkostüm, Seraphinens Busenfreundin, während zu ihrer Linken Lupparellr saß, der seine Verbannung nicht hatte ertragen können und heimlich zurückgekehrt war. Wenn Seraphinens Blick auf ihn fiel, verfinsterte sich ihre Stirn ein wenig und die rothen vollen Lippen warfen sich trotzig empor, denn an seiner andern Seite saß Tita Maria, die Briganten-Königin, wie Pasquale Rapo sie nannte und trotz Seraphinens Leidenschaft für den blonden Deutschen loderte doch ihre wilde Eifersucht empor, als Lupparelli heimlich mit Croccos Geliebte scherzte und lachte. Der wilde Crocco saß an ihrer Seite, — sein unschönes, blut dürstiges Gesicht glühte von Wein. Sie waren Alle versammmelt, die Freunde der Famille Rapo. Die würdige Mutter mit ihren vier andern Töchtern hatte die Be dienung übernommen und spielte mit wahrer Lust die Räuberwirthin. Sacchetiello, der sanfte Brigant mit dem Kindergesichte, wie Tita Maria ihn nannte, war auch mit seiner Bande von acht Köpfen eingetroffen und erzählte soeben mit einer bewunderungswürdigen Unschuld, wie er den guten Kaufmann Amavi aufgefangen, bis aufs Hemde ausgeplündert und ihm ein Lösegeld von 6000 Scudi aufge geben habe. „Das wird ihn von der Gespensterseherei heilen," lachte Luppa relli, „was will sich der Narr erlauben, einen frommen Pfarrer in üblen Geruch zu bringen." „Du warst selbst ein Narr, daß Du Dich mit mir in den Pfarr garten setztest und wußtest doch, daß man uns nebenan belauschen könne," nef Schiavone, der mit Michel Rapo im Hintergründe auf und nieder wandelte. „Ja," fuhr er lachend fort, „der Narr verlangt von mir, ich solle einige unserer Gefangenen abkehlen, wozu ich augenblicklich keine Lust hatte, — und die Todten in's Meer schleppen — der Weg war mir zu lang, Signor Lupparelli." „Ihr seid zu sorglos," versetzte dieser achselzuckend, „was wollt Ihr schließlich mit den Todten in Eurem Keller anfangen? Frisches Fleisch riecht nicht, es kann aber acht Tage später den stummen Ver- räther spielen." „Der Lupparelli hat Recht," sprach Michel Rapo leise zu Schia vone, „weiß der Henker —" „Pah, schweig mir vom Henker!" brummte Schiavone, „der Name erregt mir Kolik. Sei kein Kopfhänger, Michel! Du bist ja wie ausgewechselt seit einigen Wochen! Will's dem Pater Gennaro sagen, er soll Dich von Allem absolruren, was Deine Seele drückt." „Er kann mich nicht absolviren von der unerklärlichen Angst, welche mich in den letzten Tagen gefangen hält," sprach Michel Ra po düster, „es ist mir immer, als sehe ich das blitzende Schwert dicht über meinem Haupte, als —" „Nun, daran muß sich allerdings ein Brigant gewöhnen, das hängt schon vom Beginn unserer Lausbahn über uns." „Freilich, Du hast recht, — indessen senkt es sich unheimlich tief. Ich wittere einen Judas unter uns. Es gefällt mir gar nicht,