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Eine Räuberfemulie. Erzählung der Neuzeit nach wahren Thatsachen von Emilie Heinrichs. , (Nachdruck verboten.) Jetzt öffnete Marco, der bekannte Brigautenfrenud aus dem Pa laste Cantonelli, die Wageuthür, schaute vergnügt herein und sagte: „Na, ist der Corso nicht ein wackerer Bursche, Signor?" — Aber auch der Marco hat sein gut Stück Arbeit dabei gehabt." „Ei, Marco, Du bist's. Das werde ich Dir nicht vergessen, mein muthiger Bursche. Aber jetzt löst mir das Näthsel, weshalbUhr mich heimlich entführen mußtet und nicht offen in das Haus des Signor Rapo kämet, um mich zu holen. Ich war ja kein Gefangener, sondern wartete nur auf Geld aus Deutschland, wohin ich mehrere Briefe ab gesandt." „Die niemals ankommen werden, mein theurer Signorl" erwiderte Marco trocken. „Doch jetzt dürfen wir uns nicht weiter unterhalten, wir sind noch nicht aus dem Bereiche der Gefahr, obgleich in dieser Nacht Alles zum lustigen Feste versammelt ist, was Waffen trägt. Wie wird sich der Alte aber freuen, wenn er seinen Sohn wieder sieht. Ja, Signor, es warten viele gute'Freunde in Neapel, darum vorwärts, daß wir bald zu Menschen kommen, dann erst sind wir sicher." Er schlug den Wagen zu, schwang sich auf den Bock und wieder ging es wohl eine Stunde lang in rasender Eile, als der Wagen plötz lich einen fürchterlichen Ruck erhielt und dann still stand. Das schöne Roß war gestürzt und hatte dem Anscheine nach ein Bein gebrochen. Da standen sie auf der öden Landstraße im Morgenlichte, ohne Aussicht auf ein rascheres Weiterkommen, von welchem jetzt so viel für sie abhing. „Erstich das arme BÄ), Marco!" sprach Leonhard entschlossen, „wir können es nicht dem langsamen Hinsterben überlassen. Dann aber dürfen wir nicht länger zaudern; wir müssen uns jetzt auf unsere Füße verlassen." „Ja, es geht nicht anders," seufzte Marco, und nachdem er dem Leiden des armen Thieres ein Ende gemacht hatte, nahm er aus dem Wagen einige Waffen, Terzcrole, einen Stutzen und mehrere scharfge schliffene Dolche nebst Munition. Er vertheilte diese gleichmäßig, da, wie er meinte, es leicht möglich wäre, daß sie irgend einen freundlichen Gruß auf der Landstraße erhielten und denselben als gute Christen doch erwidern müßten. Dann warf er einige Blicke rückwärts und ' rasch schlagen sie den nun geraden Weg nach Neapel ein. Als sie eine ziemliche Anhöhe erreicht hatten, von wo sie die ganze Gegend überblicken konnte, bebte Marco, der den Blick eines Falken be saß, plötzlich zusammen, deutete in die Ferne und sagte: „Da kommen Feinde! Alle Heiligen mögen uns vor Schiavone und seiner Bande bewahren. Vorwärts, sonst sind wir verloren!" Im Schnelllauf ging es jetzt herab. Doch die Verfolger hatten schnellfüßige Rosse und flogen mit Windeseile hinter ihnen her. „Sie werden uns erreichen," sprach Marco, entschlossen stehen bleibend. „So wollen wir denn unser Leben so theuer als möglich verkaufen. Hören Sie den Ruf: Santa Gennaro! Signor! — Es ist der fürchterliche Schiavone." Entschloßen erwarteten die drei Männer die Räuber. Voran auf schäumendem Rosse kam Schiavone, hinter ihm drei Räuber, ebenfalls zu Pferde. „Keine Uebermacht," sprach Marco ruhig, „wir können noch siegen; suchen wir die Räuber herunter zu schießen und uns der Pferde zu bemächtigen." „Ah, Hunde, da hab' ich Euch!" schrie Schiavone. „Auch den Verräther Marco! Halt, lebendig wollen wir sie haben, daß ich die die Hunde nach Verdienst belohnen kann." „Feuer!" kommandirte Marco, selbst auf Schiavone anlegend; im selben Augenblicke krachten drei Schüsse und zwei der Räuber sanken todt von ihren Pferden, während des Dritten Kugel über ihre Köpfe dahinsauste. Schiavone war nicht getroffen, und drang auf Marco ein, der sich mit bewundernswerthcr Geschicklichkeit zu vertheidigen verstand. Ein schneller Blick zur Seite überzeugte ihn, daß es Leonhard und Corso gelungen war, sich mit den beiden Pferden der erschossenen Räuber beritten zu machen, und wie sie eben den dritten Räuber, der wüthend mit dem Siilet auf sie eindrang, in die Flucht jagten. Schiavone, der die Flucht seines Kameraden ebenfalls bemerkt hatte, geriet!) dadurch so in Wuth, daß er, alle Vorsicht vergessend, sich vom Pferde schwang und wie ein Tiger auf ihn eindrang. Dieser hatte seinen furchtbaren Gegner nicht aus dem Auge ge lassen; er fiel zur Erde nieder, als sei er getroffen, und als Schiavone sich mit einem dumpfen Wnthschrei auf ihn werfen wollte, schnellte Marco mit einer so riesigen Kraft empor, daß der Räuber taumelnd niederstürzte. Diesen Moment benutzte der tollkühne Marco, um sich auf ihn zu werfen. Er wollte Schiavone lebendig fangen und im Triumphe nach Ne apel bringen. Dieser Gedanke durchfuhr wie eiu Blitz sein Gehirn. In diesem Augenblicke kam Leonhard und Georg im Galopp zu rück und erhoben ein Triumphgeschrei, als sie Schiavone in Marcos Gewalt erblickten. Letzterer blutete bereits aus mehreren kleinen Wun den, doch hielt er den Räuber mit übermenschlicher Kraft am Boden fest, bis Georg ihm zu hülfe eilte. Nur mit Mühe gelang es, ihn Mit starken Tüchern so zu binden, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Schließlich drehte Marco noch ein Tuch zum Knebel und schob dieses dem Räuber zwischen die wüthend zusammengeklemmten Zähne. „So, nun beiße Dir die Wolfszähne aus, Schiavone!" sprach Marco gleichmülhig, „sieh, wie traurig Dein schöner Lucifer den Kopf senkt; nun Du sollst ihn mit mir noch einmal besteigen, um Deinen Trimnphzug in Neapel zu halte». Ei, Lucifer soll künftig mein Leib roß sein." So plauderte Marco mit der größten Zungcngeläusigkeit, schwang fich auf den Lucifer und ließ sich dann von Georg den gefesselten Briganten-Häuptling ans den Sattel legen. „Nnn vorwärts, was die Pferde laufen können," rief Marco. Georg schwang sich ebenfalls auf sein Roß und fort gings in rasender Eile, als säße die wilde Jagd hinter ihnen. Scchszehntes Kapitel. Einzug in Neapel. „Evviva! Schiavone, der Bluthund, gefangen!" so tönte es wie ein einziger mächtiger Triumphschrei durch die Straßen Neapels, m welchem sich unabsehbare Menschenströme drängten. Cecci, unser pfiffiger Lazzaroni und Brigantenfreund, spitzte bei diesem Rufe erschreckt die Ohren und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann drängte er vorwärts und kam just zur Minute an, als Marco mit seinem Gefangenen und seinen beiden Begleitern langsam in die Toledostraße einbog. „Nulackatto, es ist richtig Schiavone," knirrschte Cecci, zum ersten Male in seinem Leben vor Schreck erbleichend, was seinem gelben Gesicht nicht besonders stand. In diesem Augenblick zupfte ihn Jemand am Aermel. „Ah, Filippo! — Was sagst Du dazu? — Der Marko hat ihn verrathen." So zischelte Cecci dem Fischer, der ängstlich den Finger aus die Lippen legte und die Augen auf den verwundeten Schiavone gerichtet hielt. „Man müßte ihn der Polizei denunziren, als früherer Brigant," fuhr Cecci grimmig fort, „dann hätte er noch die Ehre, mit dem großen Schiavone gehängt zu werden." „Beim heiligen Antonins von Padua, bist Du toll?" flüsterte Filippo, ihn ängstlich zurückhaltend. „Wenn Du den Marko denun- zirst, dann wird man auch Dich in Gewahrsam nehmen und Deiner Wissenschaft weiter nachspüren." Cecci schwieg, die Wahrheit dieser Argumentation mochte ihm wohl einleuchten, aber er ballte ingrimmig die Faust und schwur, den Marco zu verderben. Die Sbirren hatten jetzt Marco mit seinem Gefangenen in Em pfang genommen und der Chef bewillkommnete den kühnen Thürhüter des Palastes Cantonelli mit einem lauten Lobspruche, worauf erden Gefangenen nach dem Gefängniß bringen ließ, umschwärmt von einer unabsehbaren Menge, welche den gefürchteten grausamen Räuber mit Flüchen überhäufte. Unsere drei Flüchtlinge hielten jetzt vor dem Palaste Cantonelli, und Leonhardt wollte, als sich der Menschcnstrom den Sbirren nach wälzte, eben sein Pferd wenden, um in fein früheres Hotel zurück zu reiten. Da traf ein Schrei sein Ohr; er hörte seinen Namen von einer bekannten Stimme rufen und sprang mit dem Ausruf: „Mein Vater!" vom Pferde in des Barons Arme, der ihn bleich und zitternd umfaßte und an sein Herz drückte. „O, welche Ueberraschung, Du hier, mein geliebter Vater?" rief Leonhard außer sich und nicht im Stande, dieses Wunder zu fassen. „Komm, mein Sohn! drmnen soll alles ausgeklärt werden. Und auch Du, treuer Georg! Gott segne Dich und den guten Marco." „Vater, wie kommst Du in diesen Palast?" fragte Leonhard, einen scheuen Blick hinauswerfend, „o, folge mir unter ein anderes Dach, ich kann in jenen Räumen nicht athmen. Signora Arabella —" „Ist dort nicht, mein Sohn," fprach der Baron, „sie wollte mit einem jungen Signor nach Avellino, um den wahnsinnigen Marchese in eine dortige Heilanstalt zu bringen, wurde aber unterwegs von Räubern angefallen, man weiß jetzt noch nichts von ihrem Schicksal." „Sie befindet fich bei Signor Rapo in Bisaccia, im Hause seiner Mutter," schaltete Marco mit einem schlauen Lächeln ein. „Und der Marchese?" fragte Leonhard. „Ist durch die Hand eines jungen gottbcgnadigteu Wesens ge rettet worden," versetzte der Baron, „er befindet sich in seinem Pa laste, und leider noch immer vom Wahnsinn umnachtet. — Allein, nun folge mir, und auch Ihr, daß ich Euch drinnen noch einmal die Versicherung meiner innigen Dankbarkeit wiederholen kann." Leonhard betrat mit seltsamen Gefühlen den Palast, während Marco und Corso die prächtigen Briganten-Pferde in den Stall zo gen und sich dort noch einmal von den anwesenden Dienern bewun dern und anftaunen ließen. Hand in Hand saß Leonhard mit dem Vater vor Agnes-Fidelios Lager, und leise erzählte der Baron dem horchenden Leonhard von der Liebe und Treue dieses Kindes, von ihrer Opferwilligkeit für den wahnsinnigen Mann. „Weshalb sie es gethau, weiß ich im Grunde nicht," schloß der Baron lauter, „der Marchese war ihr doch immerhin ein Fremder, dem sie weder Dankbarkeit noch Liebe schuldete." Da öffnete Agnes die Augen und heftete sie, zum ersten Male während ihrer Krankheit, klar auf den Baron, hob dann die feine weiße Hand empor und sprach dann leise: „Weshalb ich den wahnsinnigen Marchese nicht verlassen wollte, fragst Du, mein Vater? — Er war mir ja kein Fremder, sondern Leonhards unglücklicher Vater, der immerfort nach seinem Sohne rief und mich nicht lassen wollte. Durfte ich Leouhards Vater allein in seinem Jammer lassen?" Der Baron sah Leonhard erschreckt an, doch dieser nickte lang sam und eine Thräne rann über seine Wange. „Ick: weiß Alles, mein theurer Vater! Ich weiß auch in dieser Minute, daß Gott ihnen Beiden die Sünde vergeben hat, daß er versöhnt ist durch diesen Engel, der sich selbst geopfert hat, nm dem armen Wahnsinnigen Frieden zu geben, während der eigene Sohn ihn der Nacht überließ und in der Verzweiflung sein eigen Verderben aufsuchte. Agnes Walther! das ist der Engel, den Georg mir ins Gedächtniß zurückrief, es ist der Engel, den Gott mir in meinem letzten Traume sandte, als meine Befreier nahten. Agnes-Fidelio — meine Mutter segnet Dich durch ihren Sohn!" Er kniete nieder und küßte ihre Hände, sie aber lächelte ihn still an und strich leise durch sein blondes lockiges Haar. Es war ihr, als erwache sie soeben aus einem bösen Traume, als müsse es so sein, daß diese beiden geliebten Menschen, sür welche sie ihr Leben mit Freuden geopfert, da vor ihrem Bette saßen und ihren Schlummer bewachten.