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Tagesgerichte. Der Kaiser hat den Berliner Oberbürgermeister v. Forckenbeck ans Lebenszeit ins Herrenhaus geschickt. Was werden die Offiziösen dazu sagen? Sie haben ihn quasi zum „Revolutionär" ernannt und Hütten ihn am liebsten nach Plvtzcnsee geschickt. Bekanntlich war der Hauptgrund für die Einbringung der Nach steuer auf Tabake im jüngsten Reichstage die Thatsache, daß sämmt- liche Fabrikanten sich mit bedeutenden Tabaksvorräthen, weit über den Bedarf, versehen hatten. Fabrikanten, welche sich während der Zoll- berathung dutzendweise in Berlin befanden und außerdem dort eine ständige Versammlung unterhielten, um die Nachsteuer zu hintertreiben, räumten bereitwillig ein, daß sie große Vorräthe eingeheimst hätten, erklärten aber, daß dies geschehen sei, um dem Publikum den Ueber- gang zu höheren Preisen zu erleichtern, zu ihrer Selbsterhaltung, und sucht etwa, um daraus einen besonderen Gewinn für sich zu ziehen. Wie sehr man zu Mißtrauen gegen diese Versicherungen berechtigt war, beweisen die jetzt vorliegenden Cirkulare der Tabak - Großfabrikanten, iit welchen dieselben schon wenige Tage nach Publikation des neuen Zollgesetzes mit 10 bis 30 Pfg. Per Pfund aufschlagen. Es hört sich io unschuldig an, wenn die Herren per Pfund nur 10 Pfg. mehr haben wollen; die Sache gewinnt aber ein anderes Ansehen, wenn man be denkt, daß dies bei Rauch-Tabaken der Fall ist, welche seither 30—32 Pf. per Pfund gekostet haben. Bei diesem Ausschlag von ca. 30 Pro cent wird aber besonders betont, daß er nur vorläufig sei, somit erst der Anfang der Erhöhung. Der Beschluß der vorläufigen Erhöhung wurde m einer Jnteressentcnversammlung gefaßt, die in Gießen statt gesunden hat, und diese Versammlung wird den Herren Tabakfabrikanten immer eine angenehme Erinnerung bleiben; denn der gemeinsame Be schluß aufzuschlagen, sichert den Herren enormen Gewinn. Die Firmen, welche bereits ausgeschlagen haben, waren seiner Zeit sämmtlich in der sogenannten Delegation in Berlin vertreten. Die Cigarren- und die kleinen Tabakfabrikanten liefern noch zu den alten Preisen weiter, hoffentlich haben letztere den Nutzen davon, daß sie dadurch in das größere Geschäft kommen. Auf dem Gebiete der Sprachreinigung wird wieder ein starker Schritt vorwärts gethan. Das königliche Polizeipräsidium zu Berlin erläßt folgende Bekanntmachung, die den Herrn Generalpost meister in Begeisterung versetzen und dem Publikum recht angenehm sein dürfte: „Die Herren Aerzte Berlins bedienen sich bei Angabe der tödtlich gewordenen Krankheit der Verstorbenen auf den Todtenscheinen in neuerer Zeit häufig ausschließlich nichtdeutscher Ausdrücke. Dies Verfahren führt zu Unzuträglichkeiten, weil die Todtenscheine vorzugs weise zum Zweck der polizeilichen Kontrole eingeführt sind und diesem Zweck nur dann entsprechen können, wenn die Todesursache mit einem auch für den Nichtarzt verständlichen Namen bezeichnet ist. Das Po- lizeipräsidinm ersucht die Herren Aerzte, bei Ausfüllung der Todten scheine sich thunlichst deutscher Krankheitsnamen zu bedienen." In Straßburg sind die drei Turnvereine „Ancienne", „Frater- nelle" und „Union" wegen politischer Demonstration aufgelöst worden. Die Politische Demonstration bestand darin, daß Mitglieder dieser Ver eine, aber weder als Turner, noch Vertreter der betr. Vereine, nach Nancy reisten, um den Festen beizuwohnen, welche zu Ehren der Ent hüllung des Thiers'schcn Denkmals abgchalten wurden. Man hat vielleicht geglaubt, uicht weniger streng sein zu dürfen als die fran zösische Regierung, welche Herrn Lambert wegen seines Toastes absetzte. Gastein, 17. August. Der Aufenthalt des deutschen Kaisers in Gastein veranlaßte diesmal einen Kostenaufwand von nahezu fünf zehntausend Gulden, wovon sechstausend Gulden allein den Miethpreis im Badeschloß ausmachen. Der Kaiser hinterließ außer den Summen für Lie Armen und das Hospital noch kostbare Geschenke für die Ga- steiner Post- und Telegraphenbeamten sowie die Bedientesten des Bürgermeisteramtes. Während des diesjährigen Aufenthaltes des Kaisers war die Geheimpolizei auf fünf preußische Beamte und vier öster reichische Gendarmen beschränkt; der Kaiser hatte persönlich den Wunsch ausgesprochen, nicht wie im vorigen Jahre durch Polizeivorkehrungen die Kurgäste belästigt zu sehen, da ihm eine hierauf bezügliche Beschwerde des Gasteiner Bürgermeisters namens der Kurgäste indirekt zu Ohren gekommen war. Der 50. Geburtstag der Eisenbahnen. Man hat die Absicht den 15. October d. I. als den 50. Geburtstag der Eisenbahnen festlich zu begehen. Am 15. Oct. 1829 war es, als die Locomotive Stephensons ihre ersten Schritte auf dem Schienenweg in England machte. Im Jahre 1830 wurde die erste Eisenbahnlinie der Welt, diejenige von Liverpool nach Bianchester, eröffnet und im Jahre 1878 besaß Europa bereits ein Eisenbahnnetz von 154,523 Kilometer. Es wird vielleicht etwas Statistisches über die Vertheilung der Eisenbahnlinien auf die verschiedenen Länder nicht uninteressant sein. Den ersten Platz nimmt in dieser Beziehung Deutschland ein, welches ein Netz von 30,464 Kilom. besitzt. Nach ihm kommt England mit 27,540 Kilom., Frankreich mit 23,883 Kilom., Rußland mit 21,687 Kilom., Oesterreich - Ungarn mit 17,997 Kliom., Italien mit 8213 Kilom. rc. Das Netz der Vereinigt. Staaten von Nordamerika umfaßt allein fünf Sechstel des ganzen eu ropäischen Eisenbahnnetzes und hat eine Ausdehnung von 127,470 Kilom.; die anderen Staaten von Amerika haben zusammen nur 19,000 Kilom. Schienenwege, Asien 14,OM, Australien 4000 und Afrika 29M Kilom. Die Capitalien, welche zur Erbauung fämmtlicher Eisenbahnen der Welt verwendet worden sind, stellen einen Gesammtbetrag von un gefähr 75 Milliarden Francs dar. Man kann dreist behaupten, daß das russische Volk von der gleichen übermenschlichen Geduld beherrscht wird wie das türkische. Welche Tyrannei von den Ortsältesteu an bis hinauf in die höchsten Kreise. Man denke nur an Sibirien! Auf dem ganzen Erdball ist nicht so viel Jammer angehäust, herrscht nicht ähnlicher Schrecken wie zwischen dem Baikal - See und dem Schwarzen Irtysch. Die Russen, welche mit den West-Europäern verkehren, pflegen alles was in Europa über das Elend der Verbannten berichtet wird, einfach als Fabel hin zustellen. Sie thun dies theils aus Scham, auderntheils aus Unkennt- niß; denn wer die Schrecken der Bergwerke geschaut, der kehrt ja nie wieder heim und vermag sonach keine Kunde aus jenem Dante'schen Höllenpfuhle zu bringen. Selbst die Eskorte-Mannschaften sind eine Art von Verbannten, die von Etappe zu Etappe die Verbannten über nehmen und somit selbst aus Sibirien niemals hinauskommen. Jede Colonie hat ihre verbannten Kosaken, Offiziere und Beamten, und der Pope, der in das Quecksilberbergwerk hinabsteigt, um den Unglücklichen, welche in der Erden Tiefen „Zoll für Zoll" sterben müssen, die „Tröstung der Religion" zu bringen', ist ein auf Lebzeit Exilirter, der nur die mildere Strafe abbüßt, nicht zeitlebens seine Tage im Berg werke selbst verbringen zu müssen. Keine Rückkehr giebt's aus diesen unterirdischen Menschenkerkern. Wer hinein geräth, ist lebendig be graben, ist todt; denn nie vernimmt man von ihm — der keine» Namen, sondern nur eine Nummer hat — selbst für den Fall, daß er begnadigt werden sollte; denn diese „Gnade", zu welcher der „gütige Zar" sich herbeiläßt, besteht nur darin, daß der Bergarbeiter den Rest seiner Strafe „über der Erde" als Colonist zubringen darf. Nach der neuesten Praxis „auf administrativem Wege" werden übrigens Verur- theilte häufig zur Minenarbeit — begnadigt. Englische Ingenieure planen einen Tunnel zwischen Spanien und Afrika. Der Tunnel würde auf spanischer Seite unweit Algestras, auf der afrikanischen zwischen Tanger und Ceuta münden. Seine Länge würde etwa 14^ Kilometer bei einem Gefälle von 1 : 100 be tragen. Da die größte Tiefe des Meeres in der Straße von Gibraltar 900 Meter beträgt und man beabsichtigt, zwischen dem Grunde des Meeres und der Tunnelwölbung einen Zwischenraum von 90 Metern zu lassen, so würde die tiefste Stelle des Tunnels 990—1000 Meter unter dem Meere liegen. Oertliches un- Sächfifches. Meißen. Dieser Tage wurde von einem hiesigen Fleischermeister ein Kalb geschlachtet, dessen Kopf mit zwei Nasen, zwei Mäulern (beide mit vollständig ausgebildeten Gebissen) und drei Augen versehen war. Der Kopf ist angekauft worden und soll der Seltenheit wegen in Spiritus aufbewahrt werden. Potfchappel. Am 16. August ist ein ca. 6 Jahre alter Knabe in dem zum hiesigen Rittergute gehörigen Steinbruche dadurch verun glückt, daß er das Schleifzeug an einem leeren bergabstehenden Stein wagen aufdrehte und letzterer ihm über die Brust ging, wodurch das unglückliche Kind seinen sofortigen Tod fand. Der Wagen hat den Knaben ein Stückchen mit fortgeschleift und ist im Weißeritzbette zuin Stehen gekommen. Freiberg. Abermals ist durch die eingeführte Trichinenschau ein Unglück abgewendet worden. Fleischbeschauer Wohllebe fand ain 14. August ein durch und durch trichinöses Schwein (Bakonyer), wel ches beim Seifensicdermeister Görne unter polizeilicher Aufsicht einge sotten wurde. Wie mau versichert, ist es erst der zweite Fall, daß in Deutschland Trichinen bei Bakonyern gefunden wurden. Den Hauptgewinn der Lotterie der Roßweiner Gewerbe- und In dustrie-Ausstellung — eine complette Zimmereinrichtung — hat eine wenig bemittelte Braut in Sicbenlehn gewonnen. En entsetzliches Unglück hat einen bei der Reparatur der Silber bacher Capelle in Plauen i. V. beschäftigten Arbeiter getroffen. Er war am Dache beschäftigt und stürzte von da, weil plötzlich die Leiter brach, jählings herab ans einen hölzernen Gartenzaun, auf welchem er hängen blicb. Mehre Spitzen waren ihm tief in den Leib gedrungen. Mit Mühe brachte man den Unglücklichen vom Zaune und die Pflöcke aus seinem Körper, wobei noch einer der Pflöcke im Körper stecken blieb, den erst der Arzt beseitigen konnte. Das geschah am Mittwoch, am Donnerstag lebte der Unglückliche noch, man erwartet aber kauin ein Aufkommen. Er ist Vater von acht Kindern. (D. N.) Geithain, 14. August. Auf eine schreckliche Art verunglückte am vergangenen Mittwoch in den ersten Nachmittagsstunden der N» 55. Lebensjahre stehende Kalkbrenner Traugott Kluge. Mit dein Wegfahren der glühenden Asche aus den Kalköfen beschäftigt, glitt el am Rande der Aschengrube aus und stürzte in die glühende Masse- Auf sein Geschrei eilten zwar die zufällig in der Nähe sich Befindenden, der Ziegelstreicher Ackermann und der Schmied Adam herbei und zöge» ihn heraus, doch war der Unglückliche schon auf die fürchterlichst» Weise verbrannt und fiel ihm die Kleidung in Stücken vom Leibe- In seine Wohnung geschafft, ist er heute früh Uhr verschieden- Kluge hinterläßt 6 Kinder, von denen zwei noch unerzogen sind. Vermischtes. * In Kettwig a. d. R. ereignete sich dieser Tage der überaus seltene Fall einer Fünflingsgeburt. Die Mutter, Frau eines Ar beiters , befindet sich in jeder Beziehung recht wohl. Die fünf Kin der (vier Knaben und ein Mädchen) lebten nur einige Stunden nach der Geburt; sie waren, wenn auch sehr klein, so doch durchaus wohl gebildet. * Das Ertränken von Neugeborenen weiblichen Geschlecht kommt in China nicht selten vor. Arme Leute thun es, um der Sorge für ihren Unterhalt enthoben zu sein, reiche, weil sie die Aus gaben für die einstige Aussteuer scheuen. Die Gouverneure suche» dem Verbrechen zwar zu steuern, werden aber von den Ortsobrigkelle» nicht immer nnterstützt. Es hat deshalb der Mandarin von Foochw» jüngst das nachstehende charakteristische Dekret in dieser Beziehung erlassen: „Wenn armen Leuten ein Kind weiblichen Geschlechts ge boren wird, das sie nicht ernähren zu können glauben, so sollen st» es nach dem Findelhause bringen, wo man für das Kind sorgen wird- Da es den Nachbarn nothwendig auffallen muß, wenn irgendwo ei» neugeborenes Kind beseitigt wird, so sind diese zunächst gehalten, di» Sache zur Anzeige zu bringen, widrigenfalls sie selbst der Straft verfallen. Da es in der Regel die Hebamme ist, welche das Er säufen besorgt oder die jedenfalls darum weiß, so ist sie gleichfalls znr Anzeige zu bringen, um ihre Strafe zu finden." Kirchennachrichten aus Wilsdruff. Am 11. Trinitatis-Sonntage Vormittags predigt Herr k. vr. Wahl. Nachmittags Betstunde. » Heute Freitag Schlachtfest, früh 8 Uhr Wellfleisch Drichinenfrei.Noritr kutriK. !°ri,ire»iniilile. Sonntag den 24. August großes Karten-Honcert, gegeben von dem Herrn Stadtmusikdirector LiessiA mit seiner Capelle- Anfang 4 Uhr. Entree 30 Pf. Dazu ladet ergebenst ein verv. Svdutre.