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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.07.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080727019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908072701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908072701
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-07
- Tag 1908-07-27
-
Monat
1908-07
-
Jahr
1908
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>41». u > Ste in ). 114« H»7 IN c». ert ävr u« IB. »»««». st»«». lel. 1966. vr, r. <U00«»rt- r»u. beliebte 17— BezugS-Prei- ckr Lei»»!, und «iorvrte durch auler» träger uni Spediteur« tu» Hau« gebracht! «utaabe « (nur morgen«) dterteljätzrlich 8 «., mouaRb 1 U»«gade v (morgen» und abend«) diertel» jährlich «.SO M„ monatlich USD M. Durch dir V«k ,u degtr-eur (2 «al täglich) innerhalb Deutschland« und der deutlchen «olonien »ierteliährlich b,2S M., mon-tlich 1.7S «. au«Ichi7P»p. bestell,ew, iür Oesterreich S L S6 b, Ungar« 8 L vierteljährlich. Ferner in L«ö gien, Dänemark, den Donauftaaien, Italien, Luxemburg, Niederlande iiorwegen, stiu» land, Schweden Schweig uud Spanten. In allen übrigen Staaten nur direkt durch bi» Llped. d. >Sl. «-ältlich. Sdonnement-Annabm«« Anguftusplatz 8, bei unsere» Trägern, Filialen, Spediteure« und Snnahoiestellea, sowie Postämtern und Briefträgern. Di« etn-elu« »tum«« kostet 1v lpf^ stiebakliou und «xpedttto« Johanuilgass« 8. Televboa Str. 14692, Nr. 14WJ, Nr. 14694. Nr. 208. Morgen-Ausgabe S. Anzeigen-PreiS KWMr.TagMaü Handelszeitung. Amlsvlittt des Rates und des Vetizeiamtes der Stadt Leipzig. ist» Snserat« au« Lechgia und Umgebung dt» ««ipalmn» Petttgeile 2S Ps-, ftnangielle Ungetan SO PI., Reklamen IW.; dm» autwärt« SO Ps., Reklamen 1.20 illl.; »owAllalSOPI., finan,.Lngeigen75Ps.. Reklamen ilSO M. Ins«ate». Behdrden tr amtlichen Teil 40 PI. veilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. Post, gebühr. »ejchästLangeigen an beoorjugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tari' Festerteilte Austräge können nicht »urück- gezogen w«den. Für da« Erscheinen an beltlmmten Lagen und Plasten wird kein« Laranti« übernommen. Angeig«». Annahme i Lugustu«platz 8, bet sämtlich«» Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen de« In- und Au»lande«. Haupt »Stltal« vrrliu: - Carl Dunck«r, Herzog!. Bahr. Hosbuch- handlung, Lüstowstrabe 10. (Telephon VI, Nr. 4603). Haupt-Siltale Dre-den: Eeeftratze 4,1 (Telephon 4621). Montag 27. Juli 1908. 1V2. Jahrgang. Das wichtigste. * Unterstaatssekretär v. Lindequift tritt seine Reise nach Deutsch-Ostafrika zum Studium der Besiedelungsmöglichkeiten am 10. August an. * Das portugiesische Budget sür 1908/09 weist trotz ver schiedener Abstriche an den Ausgaben ein Defizit von 1585 Contos Reis aus. * Die Wiedereinführung einer Verfassung ist be- reits gestern in der ganzen Türkei bekanntgegeben worden. (S. Leitartikel und Letzte Dep.) * Der Sultan hat ein Jrade erlassen, durch das die politi schen Gefangenen, soweit sie nicht wegen Mordes verurteilt wurden, amnestiert und di« Zensur und Geheimpolizei aufge - hoben werden. * Abdul Aziz ist auf seinem Zuge nach Marrakesch von An hängern Muley Hafids völlig geschlagen worden. (S. Ausl.) * Ter Berliner Landschaftsmaler Prof. Walter Leistikow ist im 43. Lebensjahre gestorben. (S. Feuill.) * Der deutsche Protos-Wagcn ist gestern abend auf der Fernfahrt New Aork—Paris in Paris ein getroffen. lS. Letzte Tep.) * Tie Herren-Weltmeisterschaft über die lange Strecke gewann der Engländer Meredith, die Herren-Weltmeisterschaft über die kurze Strecke der Engländer Johnson. lS. Sport.) * Den Großen Preis von Kottingbrunn l47 000 Kronen gewann „Roter Stadl" in einem Felde von acht Pferden sehr leicht mit 21ü Längen. „Delphin II" befand sich im Felde der Ge schlagenen. — Im Prix Monarque (40 000 Fr.), der gestern in Maisons-Laffitte gelaufen wurde, siegte Mons. T. P. Thomes „M ageIla n" unter Milton Henry. Der Totalisator honorierte den Sieg mit 147 :10. (S. Sports Aeberflnssige Ferevtage. Ter Kampf um Aufhebung oder Verlegung des Hoheneujahrs- fcslcs, der vor einigen Wochen den Landtag angelegentlich beschäftigt hat, ist in diesen Tagen aufs neue aktuell geworden. Der Verband sächsischer Industrieller hatte auf Grund eines Beschlusses vom 16. April dieses Jahres eine Eingabe an das Ministerium des Innern gerichtet und gebeten, angesichts der in Handels, und Jndustriekreisen immer wieder hcrvortrctenden Wünsche auf Aufhebung bzw. Verlegung des Epiphaniasfestcs in Erwägungen darüber einzutreten, wie diesen Wün schen Rechnung getragen werden könnte. Auf diese Eingabe hat das Ministerium dem Verbände unterm 13. Juni den Bescheid zugchcn lassen, daß das Ministerium des Innern aus den in den Verband- lungcn des soeben vertagten Landtages dargelegten Gründen nicht in der Lage sei, die gewünschte Abschaffung oder Verlegung des Epi- phaniasfcstes zu befürworten. Dagegen, so heißt es weiter in dem Be scheide, sei das Ministerium bereit, in Erwägungen darüber einzutreten, ob nicht bestimmten, bei der jetzigen Feier des Epiphaniasfestes her- vortrctenden, näher zu bezeichnenden Nebelständen durch Gewährung wcitergcbendcr Ausnahmebewilligungen hinsichtlich der gewerblichen Ar beit an Feiertagen im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung Rechnung getragen werden könne. Tie sächsische Industrie, wie das sächsische Erwerbsleben überhaupt, wird sich bei diesem Bescheide schwerlich beruhigen, vielmehr den Kampf gegen die überlebte Institution des Hoheneujahrsfestes mit aller Energie fortführen, und zwar mit gutem Grunde. Denn der Bescheid ist ebenso schwächlich, wie die Haltung der Regierung im Landtage, und obendrein noch inkonsequent. Das Ministerium — der erwähnte Be- scheid ist vom Grasen Hohenthal selbst unterzeichnet, gibt unumwunden zu. daß bei der jetzigen Feier des Epiphaniasfestes Uebelstände im ge werblichen Leben zutage treten, es möchte aber augenscheinlich gegenüber den kirchlich gesinnten Kreisen Sachsens nicht radikal Ab hilfe schaffen, weshalb es im Anschluß an das Gesetz vom 10. Sep tember 1870 dem Hoheneujahrstag den gesetzlichen Schutz als Feiertag entzieht und beim Kirchenregiment veranlaßt, daß die kirchliche Feier im Verordnungswege auf den folgenden Sonntag verlegt wild. Die Haltung der Regierung ist aber auch inkonsequent. Denn entweder ist der Epiphaniastag ein kirchlicher und allgemeiner Feiertag, für dessen Beibehaltung ein Bedürfnis besteht, dann ist es verkehrt, für diesen Tag weitgehende Ausnahmebestimmungen betr. der gewerb lichen Arbeit zu erlassen, oder er ist es nicht, dann ist es verfehlt, ihn überhaupt noch beizubehalten. Daß aber für die Beibehaltung des Epiphaniasfestes ein Bedürfnis besieht, kann nicht anerkannt werden. Von den sechzehn Tagen, die auf die Zeit vom 24. Dezember bis 8. Januar entfallen, sind jetzt mindestens fünf, oft aber sieben Tage Feiertage. Dabei ist der kirchlich und staat- sich nicht gebotene, wohl aber vielfach noch gehaltene dritte Weihnachts- fciertag noch gar nicht mitgerechnet. Das ist des Guten entschieden zu viel, und wohl jeder hat an sich selbst und seiner Umgebung die Beobachtung gemacht, daß ein Gefühl der Erleichterung und des Be- haqenS sich einstellt, wenn man sich sagen kann: Gott sei Dank, nun ist alles wieder im gewohnten Geleise! Dies Behagen hat in sehr vielen Fällen auch noch einen finanziellen Hintergrund, denn mit der gewöhn- ten Tätigkeit stellt sich auch der gewohnte Verdienst wieder ein, dessen Ausfall in einer Zeit, die erfahrungsgemäß erhöhte Ausgaben mit sich bringt, doppelt unangenehm empfunden wird. Die Regierung erklärte zwar, wie aus dem Teputationsbericht für die Zweite Kammer hervor geht, sie habe gerade aus Arbeitnehmerkreisen außerordentlich viel Stimmen gehört, die sich für Beibehaltung des Hoheneujahrsfestes ausgesprochen hätten, und sie schließt daraus, daß auch in diesen Kreisen eine Beseitigung des Festes unangenehm empfunden werden würde. Tew Schluß ist aber übereilt und infolgedessen ein Trugschluß, denn er berücksichtigt nicht, daß zwischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmer noch rin gewaltiger Unterschied besteht. Für alle die, die in festem Wochen lohn oder Monatsgehalt stehen, bedeutet die Aufhebung des Epiphanias festes allerdings einen Arbeitstag mehr und die Aeußerungen, die dem Ministerium des Innern aus Arbeitnehmerkreisen zugegangen sind, dürsten ausschließlich von solchen herrühren, die „in gewissem Gelde" wie es im Buchdruckerjargon heißt, arbeiten. Weit überwiegend ist aber die Zahl derer, die im Akkordlohn, im „Berechnen" (Buchdrucker) oder im Tagclohn stehen, an die man aber im Ministerium des Innern anscheinend gar nicht gedacht hat. Für sie bedeutet die Aushebung des Eviphaniasfestes einen vollen Lohntag mehr, ja sie kann unter Um- ständen einen halben Wochcnverdienst ausmachen. In sehr instruktiver Weise hat dies am 29. April d. I. der nationalliberale Abg. Bauer in der Zweiten Kammer an einem Beispiel aus der Textilindustrie ge zeigt. Er führte bei dieser Gelegenheit nach dem amtlichen Steno gramm aus: „Die Arbeiter, die im Akkord arbeiten, verlieren nicht nur einen Lohntag, sie verlieren noch mehr. Ihre Arbeit ist unter Umständen so eingerichtet, daß sie eine gewisse Leistung in der ganzen Woche schaffen. Ich will da z. V. auf die Tcrtilindustrie verweisen, auf die Weberei. Nehmen Sie an, ein Arbeiter schafft in einer vollen Woche vor sechzig Arbeitsstunden seine zwei Stück Ware, die er eben gerade in dieser Arbeitszeit fertigbringen kann. Dadurch, daß ihm aber ein Arbeitstag verloren geht, fällt ihm ein ganzes Stück aus. Er kann es nicht einholen in der kommenden Woche, es fällt ihm daher mit dem einen Arbeitstage ein halber Wochenlohn aus." Tie Arbeiterfreundlichkeit, die hier die Negierung an den Tag legt, ist also sehr zweischneidiger Natur. Nun erklärt der Minister, wie wir uns aus den Verhandlungen der Zweiten Kammer entsinnen, er befürchte, der Ansturm gegen das Hohcneujahrsfest werde hierbei nicht Haltmachen, wenn dieses Fest gefallen sei, werde der Frühjahrsbußtag dran kommen und dann auch noch das Reformationsfest. Demgegen über möchten wir hier einmal ausdrücklich seststellen, daß sich gegen die Beibehaltung des Rcformationsfestes als eines kirchlichen Feiertags noch niemals eine Stimme aus dem gewerblichen Leben erhoben hat, denn dieser Feiertag ist ganz anders, viel tiefer im allgemeinen Volks bewußtsein begründet, als der Epiphaniastag, von dem sehr viele nicht einmal wissen, was denn eigentlich an diesem Tage gefeiert wird. Wenn aber der Frühwhrsbußtag fallen sollte, so würden wir das nicht als einen sozialen Nachteil, sondern lediglich als einen wesentlichen Vorteil bezeichnen. Wenn weiter der Minister darauf hinwies, es ginge der Bevölke rung, speziell den arbeitenden Ständen, durch Beseitigung der erwähn- ten Feiertage eine Erholungszeit verloren, und die Beibehaltung dieser Festtage sei eine soziale und hygienische Notwendigkeit, so sei ihm ent. gegnet, daß er weit mehr in sozialem Sinne wirken würde, wenn er resp. die Regierung ihren Einfluß auf die Arbeitgeber in dem Sinne geltend machen wollten, daß die Erteilung von Urlaub an Angestellte und Arbeiter, die jetzt schon in der Industrie vielfach eingesührt ist, noch immer allgemeiner verbreitete. Gegen eine zusammenhängende Erholungszeit im Sommer unter Jortgewährung des Gehalts, bzw. Lohns würden sich die Angestellten aller gewerblichen Berufe die Ab schaffung des Hoheneujahrstages, wie auch der Bußtage sehr gern ge fallen lassen. Unserer sächsischen Industrie aber würde mancher Auf trag erhalten bleiben, der ihr jetzt entgeht, weil er doch nicht prompt ausgeführt werden kann, denn — in Sachsen ist mal wieder Extra- feiertag. Ter Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die Synode von 1906 sich keineswegs unbedingt f ü r Beibehaltung des Epiphaniasfcstes ei klärt hat, sondern daß sie beschlossen hat, wenn aus überwiegend wirtschaftlichen Gründen der Wohlfahrt des Landes eine Verlegung der Feier des Epiphaniasfcstes von der Staatsregierung und den Stän den sür angezeigt erachtet werden sollte, dem Kirchenregiment di« Er- mächtigung zu erteilen, das weitere im Verordnungswcge zu regeln. Türkische Morgenröte? Man kann es dahingestellt sein lassen, ob die Durchführung einer Verfassung in der Türkei ein „Gnadengeschenk" des Sultans und ein „rühmliches Werk" zu nennen sei oder nicht. Jedenfalls ist es ein Zeichen eines Entgegenkommens, daß gerade Said Pascha, der schon dem ehemaligen Parlament von 1876 angehörte, zum Äroßwcsir be rufen wurde. Nicht minder bemerkenswert ist die Meldung, daß die neue Verfassung im wesentlichen der des Jahres 1876 ent'prechen soll. Damit sind schon ganz positive Anhaltspunkte sür die geplanten Re formen gegeben. Die Verfassung vom Jahre 1878 enthält nämlich folgende Hauptbestimmungen: Unteilbarkeit des ottomanischen Reiches; der Sultan, als oberster Kalif und Beherrscher aller ottomanischen Untertanen, ist unverant wortlich und unverletzlich; seine Prärogative sind jene der konstitu tionellen Herrscher des Okzidents; die Untertanen des Reichs werden unterschiedslos Ottomanen genannt: ihre persönliche Freiheit ist un- verletzbar und durch die Gesetze verbürgt. Der Islam ist die Staats religion; es wird jedoch die freie Ausübung aller anerkannten Glau bensbekenntnisse gewährleistet, sowie die religiösen Privilegien der Kirchengemeinscha't-n aufrecht erhalten bleiben. Freiheit der Presse, Versaminlungsrecht, Petitionsrecht für alle Ottomanen bei den Kam mern, Unterrichtsfreiheit, Gleichheit aller Ottomanen vor dem Gesetze, gleiche Rechte und gleiche Pflichten gegen das Land, Zulassung zu allen öffentlichen Aemtern ohne Unterschied der Religion, gleichmäßige Verteilung der Steuern und Abgaben, Garantie des Eigentums. Der Ministerrat berät unter dem Vorsitze des Großwesirs; jeder Minister ist sür die Führung der Geschäfte seines Departements verantwortlich. Die Generalversammlung der Ottomanen besteht aus zwei Kammern, dem Senat uno der Deputiertenkammer, welche am 1. November jedes Jahres zusammentretcn, und deren Session vier Monate dauert. Bel Eröffnung jeder Session wird eine Botschaft des Sultans an di« beiden Kammern gerichtet: die Mitglieder der beiden Kammern sind frei in ihren Abstimmungen und der Abgabe ihrer Meinungen; das imperative Mandat ist nicht zulässig; die Gesetzes initiative gebührt in erster Linie dem Ministerium, dann den Kammern in Form eines Vorschlages; die Gesetze werden zuerst der Genehmigung der Deputierten, dann dem Senat, schließlich der kaiserlichen Sanktion unterbreitet. Auf 100 000 Einwohner entfällt ein Deputierter. Die Wahl findet mittels geheimen Skrutiniums statt; das Deputierten mandat ist unvereinbar mit öffentlichen Funktionen: die allgemeinen Deputiertenwahlen finden alle vier Jahre statt; die Abgeordneten sind wiederwählbar; im Falle der Kammerauslösung linden die allgemeinen Wahlen statt, und die neue Kammer tritt sechs Monate nach dem Aus- lösunngstage zusammen. Die Sitzungen der Teputiertenkammer sind öffentlich; die Deputierten können wahrend der Dauer einer Session ohne Ermächtigung der Kammer weder verhaftet noch gerichtlich ver- folgt werden. Die Kammer votiert die Gesetz« nach Artikeln und das Budget nach Kapiteln. Die weiteren Paragraphen der Verfassung ver fügen die Unabsetzbarkeit der Richter, obligatorischen Unterricht, Selbst. Verwaltung der Kantone usw. Natürlich hat der plötzliche Entschluß des Sultans in ganz Europa Aussehen erregt. Die Stimmung im Ausland« isi je nach den Interessen der betreffenden Nationen oder Kreise sehr verschieden. In Deutschland steht man, wie aus den Urteilen der Tagespreise hcrvorgeht, der Neugestaltung der Verhältnisse schon insofern wohlwollend gegenüber, als der Weg tatsächlich zu einer Be- ruhigung Mazedoniens führen und jede Resormaktion der Mächte überflüssig zu macken geeignet ist. Selbst der „Vorwärts" begrüßt den Umschwung, obwohl er sich den Spaß nicht verkneifen kann, daraus hin- zuwcisen, daß der „Kapitalismus Europas" seine „revolutionäre Mis sion" in der Türkei erfüllt habe. — In Oesterreich-Ungarn, Las gleichfalls an einer Erhaltung der europäischen Türkei interessiert ist, läßt sich eine ähnliche Beurteilung der Lage konstatieren. — Ueber die Stimmung in Frankreich berichtet uns ein Korrespondent, daß die Pariser Presse zwar große Zweifel an der dauernden Wirksamkeit der Konstitution zum Ausdruck bringen, im übrigen jedoch ohne Rück halt ihre Ueberraschung mit diesem plötzlichen Aufschwung und ihre Zn- sriedcnkeit mit der junqtürkischen Energie zu erkennen gebe. Auch wird deutlich ausgesprochen, daß es die.beste Lösung der orientalischen Frage wäre, wenn die Türken selber ihr Schicksal in die Hand nähmen und ihre Unabhängigkeit sicherten. — Anders ist. wie man sich leicht denken kann, die Stimmung in England. Erklärt doch die „Times" ebne weiteres, die Verfassung sei vom Sultan nicht bona kicks erlassen worden. Die Verfassung als Produkt einer Militärrevolution sei un- sicher. Die konstitutionelle Bewegung sei übrigens von innen mehr gefährdet als von außen. Der Weg für die Jungtürken von der Agi tation zur Verantwortlicheit sei voller Fallgruben, von denen sie sich einige selbst gelegt hätten. Tie Jungtürken würden gut tun, sich daran zu erinnern, daß die Hand, die die neue Volksvertretung der Türkei gewährt hat, schon einmal der Türkei diesen Segen verlieh, freilich nur, um im geeigneten Moment wieder abzuscknapven. Auch der libe rale „Daily Ebronicle" ist nicht sehr zuversichtlich. „Bezüglich der Konstitution hoffen wir, daß sich die Geschichte nickt wiederholt", schreibt er. . Keinesfalls darf die Gewährunn einer allgemeinen Ver» kallung als Mittel gebraucht werden, um die Reformen in Mazedonien beiseite zu legen oder zn verschieben." — Die italienischen Blät ter drücken, wie aus den bisher vorliegenden Telegrammen hervorgeht, eleichsalls ihre Re'riedianng über die Wendung der Tinge, aber auch ihre Msoroni«. dnß alles nur Schein sei. ans. Die russische Presse begrüßt die Einführung der Verfassung in der Türkei, betont jedoch, daß man die weitere Entwicklung der Dinge abwarten müsse, da eine gefährliche Verwicklung in der Balkanfrage zu befürchten sei. Das Ministerium des Aeuhern in Petersburg, nahm die Nachricht von der Verleihung der türkischen Konstitution sympathisch auf, und beschloß, sich jeder Beeinflussung zu enthalten und die Entwick lung der Dinge abzuwarten. Dem Zaren wurden die Einzelheiten der Vorgänge in der Türkei nach Reval gemeldet. Aus dem Balkan. In Bulgarien rief die Meldung über die Gewährung der Ver fassung in der Türkei in allen politischen Kreisen den tiefsten Eindruck hervor und findet allgemein sympathische Aufnahme. Politische Kreise) sind der Ansicht, daß dieser Entschluß des Sultans den baldigen Still-' stand der jungtürkischen Bewegung und eine Beruhigung der Gemüter herbeiführen werde; auch hält man dafür, daß die verfassungsmäßigen Zugeständnisse auch den christlichen Nationalitäten der Türkei zugute kommen werden. Die griechische Presse begrüßt mit Befriedigung die Veränderung in den politischen Verhältnissen der Türkei und drückt die Meinung aus, daß, wenn der Uebergang zum liberalen Regime ehrlich gemeint ist, das griechische Element darin nur eine Gelegenheit der günstigeren politischen Entwickelung finden kann. „Embros" be glückwünscht den Sultan zu seinem schnellen und vernünftigen Entschluß. „Patris" hebt den friedlichen Ebarakter der Bewegung hervor und kon statiert die sympathische Haltung der griechischen Bevölkerung gegen über der Bewegung. Andere Blätter drücken sich ähnlich aus. — In Serbien wurde man, einer offiziellen Mitteilung zufolge, völlig überrascht. Die serbische Regierung ist der Ansicht, daß diese Entwicke lung der Dinge auch für die Christen der Türkei gut sei. Was weiter geschehen werde, läßt sich natürlich nicht sagen, doch glaubt man an eine günstige Entwickelung der Dinge. — In Mazedonien fanden Freudenfeste statt. Tie griechische Bevölkerung von Monastir hielt eine große Versammlung ab, in der die Proklamierung der Konstitution mit Enthusiasmus begrüßt wurde. In Serres erfolgte die Proklamierung in Gegenwart einer Volksmenge von 15 000 Menschen. Die kirchlichen Oberhäupter wohnten dem Akte bei. Nach Verlesung des Jrades umarmten sich unter frenetischem Bei fall der Menge der griechische Metropolit und der bulgarische Ober priester. Ersterer hielt eine Ansprache an die Menge, in der er die Hoffnung ausdrückte, die Gewährung der Konstitution durch den Sultan werde allen Seiten Frieden und Glück verleihen. Es ist eine vollstän dige Beruhigung der Bevölkerung zu bemerken. Die Führer der städti- schen und kirchlichen Körperschaften verbrüdern sich und sandten eine ge meinsame Depesche an den Sultan. Manifestanten durchzogen mit einem Musikkorps an der Spitze die Stadt und begrüßten die Konstitution. Vor dem griechischen Konsulat stimmte die Musik die griechische Natio nalhymne an und die Menge brach in lebhafte Hochrufe auf die Freiheit aus. Mehrere Offiziere besuchten den griechischen Konsul. In Salo niki pingen ähnliche Kundgebungen vor sich. Der Bürgermeister von Saloniki hielt eine Ansprache an die Menge und verkündete, daß ein Platz der Stadt den Namen Freiheitsplatz erhalten solle. Aus der Vorgeschichte der Verfassung. sei noch folgendes nachgetragen: Den Ausschlag zum Entschluß des Sul tans, die alte Verfassung wieder aufleben zu lassen, gab die H a l t u n g der Albanesen. Mit den Offizieren und Soldaten wäre man aus gütlichem Wege fertig geworden, aber die Haltung der Albanesen drängte zu einer unzweifelhaften Bekundung friedlicher Absichten des Herrschers. Ohne selbst ihren eigenen Leuten den Endzweck zu verraten, nahmen die bei Jerissowitz versammelten Albanesenfübrer zu den Vorgängen in Monastir Stelluna, indem sie telegraphisch die Verfassung vom Sultan verlangten. Bis Montag, den 20. d. stieg die Zahl der versammelten Albanesen auf zwanzigtausend. Sie verlangten von der Orientbahn gesellschaft Sonderzüge nach Uesküb, die ihnen mit Hilmi Paschas Ein willigung gegeben wurden. Inzwischen hatte ihnen der Sultan aus weichend geantwortet. Am Dienstag, 21. d. M., hielten sie in Uesküb eine neue Versammlung ab. Hierbei ging es sehr bewegt zu. Einer der ältesten Führer schilderte die Not des Landes, die Bakschiicki- und Spitzel wirtschaft, sowie die Fremdherrschaft in Mazedonien. Hierauf schwo ren alle Anwesenden, die Einführung der alten Ver fassung erzwingen zu wollen. Als das im Palais bekannt wurde, siel zunächst der Großwesir Ferid Pascha. Der Sultan war wohl der Meinung, mit Hilfe Kütschük Saids, und wenn er die Armee durch Gehaltzahlungen und Beförderungen gewänne, sicher zu sein. Indessen wirkte der Albancscnschwur von Uesküb bei den hiesigen Albanesen nach. Zweifellos führte dieser Umstand dazu, daß der Sultan sich in seiner per- sönlichen Sicherheit bedoht fühlte, und nm sich zu retten, nachgab. Da gestern das Gerücht von Saids Rücktritt verbreitet war, so ist anzu nehmen, daß auch er den zögernden Sultan zum Nachgeben drängte. Als
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