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Wochenblatt für Wilsdruff Beilage zu No. 29. Blätter und Blüten. Hu«, Palmsonntage. „Stehe fest im Glauben!" Was immer auch als hohes Gut Uns Menschen mag vor Augen schweben, Dem mit begeist'rungsvollem Muth Wir uns beeifern nachzustreben — Das höchste doch beut nicht die Welt: Es wurzelt tief im Seelenfrieden Und ist allhier nur Dem beschieden, Der treu und fest am „Glauben" hält. Zwar giebt's der Pilgerpfade viel, Auf denen wir, oft mühsam, schreiten, Doch kann der Glaube nur an's Ziel, Das einzig wahre, sicher leiten. Wer, frei von Zweifel, Hohn und Spott, Kann wohl erhav'nern Standpunkt nennen, Als den, wenn wir vereint bekennen: „Wir glauben All' an einen Gott?" Das höchste Gut, das nie zerrinnt, Nie der Vergänglichkeit zum Raube, Im Alter selbst noch Kraft gewinnt, Umschließt ein fester Gottesglaube. Was uns hienieden auch bedroht Und ob auch tausend Feinde lauern, — Uns schützen ja des Glaubens Mauern; „Ein' feste Burg ist unser Gott!" Als hohe Burg, des Glaubens Hort, Steht felsenfest auch Christi Kirche Und ihre Zweige grünen fort Gleich starken Eichen im Gebirge; Wenn s ringsum donnert auch und blitzt Von nächtlich drohenden Gewittern, Was kann im Glauben uns erschüttern, „Wenn Christus seine Kirche schützt!" Vertraue Gott! — Harr' in Geduld! — Dies ist die Loosung gläub'ger Seelen; Ein Herz, beschirmt von ihrer Huld, Wird nie den rechten Weg verfehlen. So wohn' auch mir mein Leben lang Die Einsicht dieser Wahrheit innen; Was immerhin auch mein Beginnen: „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank!" Ich weiß, wenn Demuth und Vertrau'» So ganz mein gläubig Herz erfüllen, Daß ich die Sonne werde schau'n, Die jetzt noch Wolken mir verhüllen; Bau all mein Wirken früh und spat Auf den, der nur allein Gelingen Und Segen giebt zu guten Dingen: „Auf Gott und nicht auf meinen Rath." Ich traue fest, selbst wenn ich schon Die Nächstenliebe fast verlernte, Wenn ich nur Undank, Spott und Hohn Für reinste treue Liebe ernte: Ein Wesen giebt es, hoch und hehr, Das niemals täuscht, nie irre führet Und Jeden lohnt, wie ihm gebüret; — „Allein Gott in der Höh' sei Ehr'!" Wenn Krankheit schwer mich niederdrückt Und Noth und Sorgen so erfassen, Daß mich Verzweiflung fast berückt, Auf wen kann ich mich dann verlassen? — Nur eine Hoffnung leuchtet mir, Wenn ich vor Gottes Antlitz trete Und glaubensinnig zu ihm bete: „Aus tiefer Noth ruf ich zu Dir." Zu dir allein, du treuer Gott, Der du ja selbst es hast verheißen: „„Ich will, rufst du mich an in Noth, „„Dich retten und du sollst mich preisen;"" „Ich weiß es ja, daß Nichts allhier „Kann, Höchster, ohne Dich geschehen, „Drum sag' ich froh, wenn Du's ersehen: „Herr, wie Du willst, so schick's mit mir!" Ich weiß, daß Gottes Vaterhand Es sicher wird zum Besten wenden Und, der die Trübsal mir gesandt, Zu tragen sie, auch Hilfe spenden. Wenn solche noch so nöthig wär' Und noch solange auch verzöge — Glaub nicht, daß mich sein Wort belöge: „Vom Himmel hoch da komm ich her." Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, Drum will ich stille sein und hoffen, Denn wer zu ihm den Blick erhebt, Für den ist stets ein Weg noch offen; Er wandelt ruhig seine Bahn, Wird auch sein letzter Port zu Staube, Ihn tröstet ja der fromme Glaube: „Was Gott thut, das ist wohlgethan!" Und wird einmal, nachdem vielleicht So manchen Leidenskelch ich leerte, Der Freude Becher mir gereicht: Es sind nur Freuden dieser Erde Freitag, den 8. April 1892. Nur Ahnung höh'rer Seligkeit. — Vertrauend seiner Weisheit Walten Soll drum mein Wahlspruch nie erkalten: „Was mein Gott will, gescheh' all'zeit!" Und muß dereinst ich diese Welt Verlassen, die so dornenvolle, So seis nur ihm anheimgestellt, Wann, wo und wie ich sterben solle. Was er, der mich erschaffen hat, Mir vorbehält, das wird mir frommen, Drum glaub' ich, wie's auch möge kommen:" „Es ist bestimmt in Gottes Rath!" O, wohl mir denn, und Allen Heil! Die wir den Glauben uns bewahren: Was uns hier dunkel noch zum Theil, Wird Gott einst herrlich offenbaren; In jenen ew'gen, lichten Höh'n Wird uns des Glaubens Sonne scheinen; Die wir beklagt, die uns beweinen — „Dort werden wir uns wiedersehn!" Denn nur ein Saatfeld ist das Grab, Wie sollte uns vor ihm noch grauen? Nur, was vergänglich, sinkt hinab — Vom „Glauben" dringt der Geist zum „Schauen" Im Lichte der Verklärung dort Empfängt er vor des Ew'gen Throne Des Lebens, der Vollendung Krone — „O Ewigkeit, du Donnerwort!" So laßt mit freudiger Geduld Stets treu und fest uns stehn im Glauben, Dann wird ja auch durch unsre Schuld Der Hoffnung Baum sich nie entlauben; Wir gehn getrost und Wohlgemuth Auf guten und auf schlimmen Wegen Der Zukunft mit Vertrau'n entgegen. — „Sei Lob und Ehr' dem höchsten Gut!" Ein Geheimnitz. Roman von Henry Greville. Autorisierte Bearbeitung von Ludwig Wechsler. (Nachdruck verboten.) Die Sorgen der Vergangenheit zerstoben und an ihre Stelle trat eine seelische Heiterkeit, welche nicht einmal die möglicher weise bevorstehende, vielleicht sogar furchtbare Entdeckung zu er schüttern vermögen wird. Dunkel war sich Benois ihrer Gedanken bewußt und er wagte dieselben nicht zu stören, so heilig und erhaben dünkten ihm dieselben. Von Zeit zu Zeit tauschten sie lächelnd einen Blick, um dann von neuem in ihre Phantasiegebilde zu ver sinken. An einer Station, wo der Zug für einige Minuten hielt, drang ein frischer Luftzug in den Waggon; Estelles Haar be wegte sich leise in demselben und das Lied der Lerche klang schmetternd, gleich dem Rufe einer liebenden Seele, durch die Luft. — Estelle richtete sich empor, seufzte leise und blickte dann hinaus. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung; noch ver nahm ihr Ohr einige kräftige Töne und dann verschlang das rasselnde Rollen der Räder neuerdings jedes andere Geräusch. Estelle wandte sich um; vor ihr stand Benois, ihr beide Hände entgegenstreckend. Mit einem glücklichen Gefühl überließ sie ihm ihre Hand. „Du bist mein, Estelle," sprach Theodor leise und sie ver nahm es dennoch. Viel litt ich um dich, mehr als du um mich, denn ich haßte dich . . . Du aber besitzest ein viel zu gütiges Herz, als daß du zu hassen vermöchtest. Ich glaube, ich haßte dich schon an dem Tage deiner Vermählung, da Ray mond mit mir über dich sprach. In einem gewissen Moment sagte ich mir, meine wahren Gefühle bemeisternd: es wäre sehr bedauerlich, wenn diese zwei herrlichen Menschen mit einander nicht glücklich wären. Doch gleich darauf erwachte ein schlechter Gedanke in mir und ich wünschte nicht, Ihr möget glücklich werden ... Als ich Raymond tot auf der Erde liegen sah, da — kaum wage ich es auszusprechen — mengte sich meinem Schmerze offenbar auch eine Empfindung der Erleichterung bei . . . Ja, Estelle, dies dachte ich mir — nicht gerade in diesem Augenblicke — doch einige Minuten später sagte ich mir, daß du nicht die Seine geworden, und ich suchte mich zu überzeugen, daß mich eine instinktive Abneigung beeinflußte ... Ich wünschte dir Schlechtes, verleumdete dich beinahe in meinem Herzen ... Du lächeltest, statt mich von dir zu stoßen . . . Oder solltest du begriffen haben, daß ich dich liebte, während ich dich zu hassen meinte?" Estelle blickte ihn thränenfeuchten Auges an; draußen aber zogen die Landschaften der Bretagne unablässig an ihnen vor über, nicht gerade sehr schnell, da auf diesen kurzen Linien keine Eilzüge verkehren. Der Himmel blieb rein und mild und von der grauen Blässe bedeckt, welche die Eigenthümlichkeiten der Meergegenden bildet. Benois fuhr fort: „Habe ich dich geliebt? Dieser Gedanke konnte mir gar nicht in den Sinn kommen. Es wäre der wahre Wahnsinn ge wesen. Und ich kann gestehen, daß ich gar nicht daran dachte. Aber wie sehr haßre ich dich ! Ich muß ja eine Erklärung da für finden, daß meine Gedanken unablässig mit dir beschäftigt waren. Ich suchte mich zu überzeugen, daß meine Liebe zu Raymond mir die Pflicht auferlegt, dich zu verfolgen, und dies bereitete mir einen solch bösen Genuß, eine so bittere Freude, daß du es dir gar nicht denken kannst." Lächelnd, voll tiefen Vertrauens hörte ihn Estelle an. Wie sehr mag Theodor sie lieben, daß er ihr derart seine Seele erschließt! „Und weißt du," fuhr der junge Mann zu sprechen fort, „wie ich erfuhr, daß ich dich liebe? Meine Mutter sagte es mir! Du wirst meine Mutter lieben, Estelle, denn niemals besaßest du eine bessere Freundin als sie! Von dem Tage an, da ich sie von meinem Argwohn in Kenntniß setzte, hörte sie nie auf, dich zu vertheidigen. Gleich beim ersten Anlaß sagte sie mir, ich möge dir den Briefumschlag übergeben, der mir schon so viel Kummer und Gewissensbisse bereitete. Hätte ich ihr gehorcht, so würde ich dir vielleicht viel Leid erspart haben! Doch in mir lebte ein dunkles Gefühl, daß ich, wenn ich ihn dir ausliefere, keinen Vorwand mehr haben werde, um dich zu verfolgen, jeden Moment an dich zu denken ... Ich war blind . . . war von Sinnen ... Ich haßte und betete dich an, Estelle!" „Mein Freund!" stammelte Estelle und ließ es geschehen, daß Benois die beiden weißen Hände, die sie ihm überließ, an, seine Lippen zog. Dann aber zog sie dieselben sanft zurück. Die Lampe die den Waggon erleuchtet hatte, war erloschen und das Halbdunkel erweckte ihr Schamgefühl. Benois blickte in dieselbe Richtung, die Estelle's Augen nahmen: nach dem westlichen Himniel, wo sich noch ein schwacher Wiederschein geltend machte. „Die morgen ausgehende Sonne," sprach er, „wird viel leicht dein ganzes Leben in Leid und Kummer hüllen; wird deine Person vielleicht mit einem Verbrechen in Verbindung bringen und du wirst in dir niemals wieder die Person er blicken können, die du jetzt bist, weil vielleicht ein unvertilg barer Flecken an dir haften wird . . . Doch bevor dieser Moment eintritt, will ich dir sagen, was ich auch nachher sagen würde und sagen werde: ich liebe dich, vertraue dir und du wirst meine Gattin!" „Ach!" rief Estelle aus, die sich von neuem von Angst erfaßt fühlte, „weshalb verließ mich Raymond ? Was auch sein Kummer, seine Schande oder sein Vergehen sein mochte, er hätte leben müssen, um mich zu beschützen, zu vertheidigen! Obschon er gestorben, vermag ich ihm doch nicht zu verzeihen; indem er die Verantwortung für seine That auf mich wälzte, handelte er ebenso, als hätte er treulos seine Fahne verlassen! ... Ich weiß, was Sie sagen wollen . . . sagen Sie es nicht! Nichts, nichts wird diesen Mann für das gegen mich begangene Vergehen entschuldigen, gegen mich, die ich ohne ihn zu lieben seine Gattin wurde, nur damit er glücklich sei!" „Er ist tot!" sagte Benois sanft. Estelle ließ den Kopf sinken und schloß die Augen; Benois verstand, daß sie bete. Der Zug begann langsamer zu rollen. Em stärkerer Luftzug führte ihnen nunmehr den Hauch des Meeres zu. Der Himmel war von Sternen besät. Estelle schlug die Augen auf. „Geliebte," sprach Theodor, „wie sich unser Geschick auch wenden mag, der zur Neige gehende Tag hat uns unauflöslich aneinandergekettet. Von dieser Stunde an sind wir vor Gott und unserem Gewissen vermählt. „So sei es!" erwiderte Estelle ernst. Der Zug hielt. Sie betraten den in der vorgerückten Stunde ziemlich verlassen daliegenden Bahnhof. Obschon die Gasthofbesitzer sich eifrig um Benois bemühten, nahm er dennoch einen Wagen und eine Viertelstunde später rollten sie auf dem sandigen Wege nach Mont-Saint- Michel dahin. An einander geschmiegt, in einem Gefühle ruhiger Glück seligkeit, das ihre Befürchtungen einschläferte, fuhren sie in der Hellen Mainacht, deren Luft rein und mild war gleich dem Athemzuge eines kleinen Kindes. Ein schwacher Windhauch strich seufzend über die niedrigen Zäune, welche die dem Meere abgerungenen Grundstücke umgaben. Thymian und Tamariaden- gruppcn erhoben sich hier und dort inmitten der verlassenen Weiden. Die im Sonnenlicht einen traurigen Anblick bietende Gegend war im Glanze der zahllosen Sterne von einem sanften, mächtigen Zauber übergossen. Langhin erstreckte sich die Milchstraße gen Südosten, wo- gleich einem leuchtenden Wasserfall, der weitab von den Grenzen der Erde sich in eine unergründliche Tiefe ergießt. Sie schien so nahe zu sein, daß man sie meinte berühren zu können, während der Azur des Himmels noch einen tiefen Hintergrund hinter den Sternen erblicken ließ. Plötzlich sah Estelle linker Hand den Mast und das Takt werk eines Bootes hervortreten. „Wir sind schon nahe," sagte Benois leisen Tones. Seit Pontoison hatten sie kein Wort mehr mit einander ge wechselt. Der Kutscher trieb seine Thiere mit Wort und Peitsche an. An einer Stelle beschrieb der Weg eine Wendung und gab die Perspektive frei. „Sieh!" sprach Benois. In überraschender Reinheit hoben sich die Umrisse von Mont-Saint-Michel vom nächtlichen Himmel ab. Es war die Zeit der Fluth; die ruhig und glatt daliegende Wasserfläche be rührte die alten Mauern und spiegelte die Sterne wieder, die am Himmel silbern erschienen, in der Tiefe aber in goldenem Glanze erstrahlten. Die Hufe der Pferde klapperten auf dem Pflaster des Dammes. Und ehe sie es gewahrten, hatte sich das schwere Thor der Burgmauer vor ihnen geöffnet,