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WeM ftUMnff Beilage zu No. 25. Freitag, den LS. März I88S. Tagesgeschichte. Ueber das parlamentarische Gastmahl bei demReichskazler Bismarck, dem der Kaiser Wilhelm am Dienstag beiwohnte, wird be richtet: Um 5 Uhr erschien der Kaiser in dem Palais des Reichskanzlers, sichtlich in bester Stimmung, die sich in freundlichen Ansprachen an jeden Einzelnen der Anwesenden kundgab. „Bismarck!" redete der Kaiser den Reichskanzler an. „Ihnen habe ich etwas mit gebracht," sagte der Kaiser zu dem. Freiherrn von Hüne, demselben den Rothen Adlerorden zweiter Elaste überreichend. Besonders eingehend unterhielt sich der Kaiser mit dem Centrumsführer Freiherrn zu Franckenstein. Nach aufgehobener Tafel verlangte der Kaiser, daß sich in gewohnter Weise die trauliche Nach-Tisch- Gruppe bilde und daß Fürst Bismarck — die lange Pfeife anzünde. Selbstverständlich folgte der Gastgeber der Weisung, und es war nicht des Kaisers Schuld, wenn die Stimmung nicht die ungezwungene wurde, welche die parlamentarischen Zusammenkünfte bei dem Reichskanzler immer aus gezeichnet hat. Mit jedem Einzelnen unterhielt sich der Kaiser, die Schüch ternen zog er zum Gespräch heran. „Ich bleibe der König, aber ich ver kehre unter der Volksvertretung; Mein Großvater stand dem noch fremd gegenüber, doch ich bin eben ein Kind der neuen Zeit," so ungefähr äußerte sich der Kaiser, und daß seine Anwesenheit der ungezwungenen Laune und der freien Unterhaltung keinen Abbruch that, geht schon daraus hervor, daß das Nachtisch-Gespräch, welches sonst zwei Stunden zu währen pflegte, diesmal vier Stunden, bis 10 Uhr, sich ausdehnte. — Se. Majestät der Kaiser bekundete den sächsischen Abgeordneten Klemm, Ackermann und Hartmann gegenüber ein lebhaftes Interesse für die erhebende Feier des Wettiner Jubiläums und kündigte sein persönliches Erscheinen zu diesem Feste an. Zu der Vorlage über Abänderung des Strafgesetzbuches und Preßgesetzes bemerkt die „Köln. Zeit.": Es verlautet, die dem Bundes- rath zugegangene Vorlage über Abänderung des Strafgesetzbuchs und Preß gesetzes sei viel kürzer als das Sozialistengesetz und halte sich auf dem Boden des allgemeinen Rechts; dies sei dadurch erzielt, daß an Stelle des Begriffs der sozialdemokratischen Bestrebungen einerseits die theilweise ver schärften bisherigen Bestimmmungen über politische Verbrechen und Ver gehen treten sollen, anderseits der Ausdruck „sozialdemokratischen und kom munistischen Bestrebungen" durch den sehr dehnbaren Ausdruck „Angriffe auf die Grundlagen des Staatswesens, Monarchie, Ehe und Eigenthum" — eine andere kaum glaubhafte Lesart setzt an Stelle von Ehe Kirche — ersetzt werden soll. Gegen Bestrebungen dieser Art setzt der Entwurf scharfe Strafbestimmungen fest. Wer wegen derartiger Bestrebungen einmal ver- urtheilt worden ist, kann polizeilich auf eine bestimmte Reihe von Jahren ausgewiesen werden. Dagegen soll eine dauernde polizeiliche Ausweisung nicht mehr statthaft sein. Vereine und Versammlungen, welche bestimmt erscheinen, die gekennzeichneten Bestrebungen zu pflegen, können aufgelöst werden. Zeitungen und Drucksachen können dauernd verboten werden, wenn sie wegen derselben Bestrebungen einmal verurtheilt worden sind; über die Fortsetzung solcher verbotenen Druckschriften sind ähnliche Be stimmungen wie im Sozialistengesetz enthalten. Nicht verständlich ist uns die Meldung, daneben sei dem Bundesrath ein abgeändertes Sozialisten gesetz als Novelle zum gemeinen Recht zugegangen. Die Urtheilsbildung über die ganze Angelegenheit wird sich in Deutschland wohl ziemlich rasch vollziehen. Wir denken nicht, daß ein derartiger Entwurf irgend welche Aussicht auf Annahme hat. Wir können nicht glauben, daß die National liberalen sich entschließen werden, um einer schönen Theorie willen, um der Beseitigung eines Ausnahmegesetzes gegen Ausnahme-Erscheinungen willen, die allgemeinen Volksrechte in dieser Weise zu beschränken und insbesondere die Stellung der Presse zu verschlechtern. Diese Bestimmungen gebender Verwaltung eine furchtbare Waffe in die Hand, mit der sie alle demokra tischen und zahlreiche dcutschfreisinnige und ultramontane Organe treffen könnte. Schon die bloße Möglichkeit, das freie Wort zu knebeln und die Opposition mundtodt zu machen, ist gefährlich und trägt zur Vergiftung der Parteigegcnsätze bei. Ein abschließendes Urtheil wird man übrigens erst dann aussprechen können, wenn der oben im Umriß gezeichnete Ent wurf im Wortlaut vorliegt. Ueber die Reise des Staatssekretärs Grafen Bismarck nach England schreibt der „Daily Telegraph": „Die Ankunft des Grafen Herbert Bismarck in London steht wohl in Zusammenhang mit dem Besuch, den der deutsche Kaiser im Laufe dieses Sommers der Königin zu machen beabsichtigt. Da der Besuch des Kaisers bei seiner Königlichen Großmutter sowohl gesellig als diplomatisch Aufmerksamkeit erregen wird, so wäre es dem dentschen Kanzler besonders von Werth, daß derselbe entweder mit einer gewissen Feierlichkeit vor sich geht, oder aber den ausgesprochenen Charakter einer Familien-Zusammenkunft trage. Nach dieser Richtung hin die Wünsche der Königin und ihrer Rathgeber kennen zu lernen, ist der B^Eck der Reise des Grafen Herbert Bismarck." An einer anderen Stelle schreibt dasselbe Blatt aus Wien: „Graf Herbert Bismarcks Reise nach London erregt in Wien erhebliches Aufsehen. Man ist im Allgemeinen entschieden der Ansicht dem Besuch politische Bedeutung beizulegen. Wenn Kaiser Wilhelm im Laufe des Sommers nach England geht, würde Fürst Bismarck ihn vielleicht begleiten wollen. Der Kanzler ist unzweifelhaft klar darüber, daß ein solcher Schritt in den höchsten Kreisen die größte Genugthuung verursachen würde. Ich weiß zufällig, daß Fürst Bismarck, als er die Königin bei ihrem Besuch in Potsdam sprach, von der Zu sammenkunft höchst befriedigt war und seiner Umgebung die Hoffnung aus sprach, es möchte sich Gelegenheit zu einer Wiederholung finden. Der Reichskanzler sagte wörtlich: „Ich war ganz erstaunt von der staats männischen Anschauungsweise der Königin." Die Begegnung hat bessere Resultate zu Tage gefördert, als man gemeinhin glaubt." In der Angelegenheit des Verbots der Berliner „Volkszeitung" ist noch keine Entscheidung getroffen und verbleibt es einstweilen bei dem Verbote. Auch die Donnerstagsdebatte des preußischen Abgeordnetenhauses über den „Fall" der „Volkszeitung" hat keinerlei Aufschluß darüber ge geben, inwieweit man zuständigen Orts geneigt ist, dem erhobenen Protest des genannten Blattes gegen seine Unterdrückung stattzugeben und würden daher die Entschließungen der Reichskommisston abzuwarten sein. Als ein gutes Zeichen für die Besserung der Verhältnisse in Elsaß- Lothringen ist es zu betrachten, daß die gesammte einheimische Presse den früheren Reichstagsabgeordneten für Metz, Antoine, ohne Worte des Bedauerns scheiden läßt. Zu den Ausnahmen gehört der in Metz er scheinende „Lorrain"; aber auch dieses Blatt weist die von Paris aus gemachte Andeutung, der ehemalige „Vvxutö 6s werde auch künftig seine Pflichttreue gegen Elsaß-Lothringen zu erfüllen bereit sein, mit den Worten zurück: „Metz den Metzern, Lothringen den Lothringern". Er sagt ferner, die Situation erfordere einen „neuen, von Voreingenommen heit freien Mann". Es bestätigt dies auch die anderweitig zu beobachtende Thatsache, daß man allgemein des fruchtlosen Protestes müde und über zeugt ist, daß die Interessen des Landes ein Einlenken in andere Bahnen verlangen. Aus zahlreichen Gegenden Deutschlands kommen abermals Meldungen über ein bedrohliches Steigen der Flüsse, hervorgerufen durch die Regen- güffe der letzten Tage und Schmelzen des Schnees. Speziell sieht man in Schlesien wieder vor einer ernsten Hochwassergefahr und ist eine neue Ueberschwemmungs-Katastrophe leider nicht ausgeschlossen. Ueber die Samoa frage ist dem deutschen Reichstage eine Reihe weiterer Aktenstücke vorgelegt worden. Dieselben beziehen sich sämmtlich auf die Streitigkeiten der deutschen Vertreter auf den Samoa-Jnseln mit denen Englands und Nordamerikas, wie solche durch die Erklärung des „Kriegszustandes" auf Samoa seitens des deutschen Konsuls Knappe her vorgerufen worden waren. Aus den Aktenstücken geht hervor, daß dieses Vorgehen entweder auf eigener Willkür Knappe's, der inzwischen bekannt lich durch den General-Konsul Dr. Stübel ersetzt worden ist, oder auf einem schwer erklärlichen Jrrthume beruhte, denn Knappe hatte zu seiner „Kriegserklärung" keineswegs die Ermächtigung der kaiserlichen Regierung erhalten. Fürst Bismarck verurtheilt auch in einem an Dr. Stübel ge richteten Erlaß scharf das eigenthümliche und schroffe Verhalten des bis herigen deutschen Vertreter auf Samoa und weist er schließlich den neuen Generalkonsul Stübel an, von allen Verhandlungen künftig Abstand zu nehmen und alle weiteren Instruktionen von Berlin abzuwarten. Die gewaltthätigen Ausschreitungen, die in den jüngsten Tagen in den Straßen Budapest's vorfielen, namentlich aber die Versuche zu thätlichen Angriffen auf die Person des Ministerpräsidenten v. Tisza haben nicht nur in den Augen der Regierung und der liberalen Partei die Noth wendigkeit energischer Maßregeln und eines rücksichtslosen Einschreitens zur Unterdrückung der Slraßenunruhen erwiesen, sondern auch die Wirkung erzeugt, daß die beiden Gruppen der Opposition von Tag zu Tag ent schiedener gegen Diejenigen Stellung nehmen, welche die lärmenden Stör ungen der öffentlichen Ordnung veranlassen. Die französische Marine, die in letzter Zeit wiederholt von schweren Unfällen betroffen wurde, muß schon wieder ein empfindliches Mißgeschick verzeichnen. Ein Torpedoboot kenterte in der Nacht zum Freitag infolge hohen Seeganges ist der Nähe von Barfleur (Nordfrankreich), wobei die aus 13 Personen bestehende Mannschaft ertrank. Auch bei dem letzten vor einigen Wochen stattgefundmem Unfall handelte es sich um ein Torpedo boot, dasselbe ging in der Nähe von Marseille unter und büßte der größte Theil der Besatzung das Leben ein. Paris. Der Kammer ist eine Reihe von Schriftstücken überreicht worden, die sämmtlich auf die Weltausstellung Bezug haben. Einer der vorgelegten Gesetzentwürfe vorlangt außerordentliche Geldbewilligungen, die aus Anlaß der Ausstellung gewissen Beamten und Offizieren gewährt werden sollen. Für den Präsidenten der Republik werden 500,000 Fres., für die Minister insgesammt 1,350,000 Fres, besondere Nepräsentations- kosten gefordert. Außerdem erhalten die Pariser Beamten, deren Gehalt unter 2400 Francs beträgt, während der Dauer der Ausstellung eine Zu lage und die der Pariser Besatzung angehörigen Offiziere vom Hauptmann abwärts eine solche von 30 Francs monatlich. In den Jahren 1867 und 1878 waren die gleichen Bewilligungen gemacht worden. — Vier jugendliche Strolche im Alter von 20 bis 25 Jahren brachen kürzlich in eine Villa ein und ermordeten, um ungestörter plündern zu können, den schlafenden Hausdiener in bestialischer Weise. Sie umstellten sein Lager, zündeten ein Licht an, und nachdem sie den Armen geweckt hatten, tödteten sie ihn mit 12 Messerstichen, wovon ein jeder tödlich war. Als man am Sonntag die Vagabunden vom Hauptdepot nach dem Mazas-Gefängniß überführte, verlangte der Hauptattentäter seine Mordgesellen noch einmal zu sehen. Er reichte ihnen in ungezwungener Weise die Hand und sagte ihnen in jovialem Tone: „Adieu, Kinder! Das Schaffst ist mir sicher. Thut mir wenigstens den Gefallen und seht zu, wenn ich geköpft werde. Ich habe mir den Scherz gelegentlich der Hinrichtung Pranzini's auch gegönnt, leider gingen mir aber, weil ich zu weit abstand, die interessan teren Einzelheiten vorloren. Diesmal werde ich mit demselben aber ent schieden vertrauter gemacht werden." . . . „Solche Verhöhnungen," meinen die Pariser Zeitungen, „hatte man früher nicht zu verzeichnen; sie sind ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen unserer laxen Handhabung der Sitten- und Moralgesetzc." — Ein bedeutender Brand brach Abends imWaaren- schuppen der Docks von Marseille aus. Der angerichtete Schaden wirb auf mehrere Millionen geschätzt. Ueber die Reise des Schahs von Persien nach Europa erfährt die „Now. Wr." Nachstehendes: Der Schah reist spätestens am 20. März aus Teheran ab, und zwar durch's Land bis Tauris. Russischen Boden betritt er bei Dshulfa, Gouvernement Eriwan. Vom Tiflis aus benutzt der Schah die grusinische Militärstraße. In St. Petersburg, wo für ihn Gemächer im Winterpalais eingerichtet sind, bleibt der Schah circa zwei Wochen; dann besucht er Berlin, Paris und London. Von London aus begiebt er sich nach Oesterreich und von dort über Ungarn, Serbien, und Bulgarien nach Konstantinopel, von hier nach Rumänien und dann durch Rußland in sein Reich zurück. Begleitet wird der Schah von seinem ersten Minister Emin-Sultan.