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Tagesgeschichte. Der deutsche Reichstag hat am Dienstag der laufenden Woche seine Berathungen wieder ausgenommen und ist sofort in die Fortsetzung der zweiten Lesung der Alters- und Jnvaliditätsvorlage eingetreten. Mit großer Spannung sieht man in ganz Deutschland dem Verlaufe der neu begonne nen Arbeiten entgegen; denn nachdem ein Theil der früheren Freunde der letzten socialpolitischen Versprechung der kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 sich in das gegnerische Lager begeben, handelt es sich nun mehr nicht bloß um die möglichst gute Ausgestaltung des Alters- und Jn- validitäts-Versichcrungsgesetzes, sondern um die Entscheidung der Frage, ob die letzte Verheißung des focialpolitischen Testaments Kaiser Wilhelms I. bald verwirklicht oder auf die lange Bank geschoben werden soll. Es ist nichts als Selbsttäuschung, wenn einzelne Freunde der Vertagung der Entscheidung die Ansicht haben und dieselbe zu verbreiten suchen, als könne die Alters- und Invaliditäts-Vorlage in einer ihren Wünschen entsprechen den Form schon in der nächsten Session den gesetzgebenden Factoren des Reichs vorgclegt werden. Das ist bei einem Gesetze von so weittragender principieller Bedeutung nicht gut möglich. Die Frage darf also nicht etwa so gestellt werden: ob in dieser oder in der nächsten Session, sondern so: ob jetzt oder, wenn dann überhaupt noch, erst nach längerer Zeit die Al ters- und Invaliditäts-Versicherung eingeführt werden soll. Hierzu wird man Stellung nehmen müssen. Kaiser Wilhelm scheint nun wirklich die Absicht zu hegen, der Hauptstadt von Deutsch-Lothringen im Laufe dieses Sommers einen Be such abzustatten. Der Bezirks-Präsident von Lothringen, Frhr. v. Hammer stein, welcher dieser Tage vom Kaiser in Audienz empfangen wurde, hat die bestimmte Nachricht hiervon nach Metz gelangen lassen. Ueber den Zeitpunkt, wann diese Reise zur Ausführung gelangen wird, haben bis jetzt Festsetzungen noch nicht stattgefunden. Der Kaiser soll dem Bezirks- Präsidenten gegenüber betont haben, der Besuch werde möglicherweise ganz unerwartet erfolgen; die „Metzer Zeitung" will jedoch wissen, der Kaiser Wilhelm werde gegen den 20. Juni dort erwartet. Wie man in Metz selbst annimmt, findet während der Anwesenheit des Mo narchen die Einweihung des Mathilvenstiftes, zu welchen Kaiser Friedrich im Herbste 1886 den Grundstein gelegt hat, sowie die Grundsteinlegung zu dem auf der Esplanade zu errichtenden Kaiser Wilhelm-Denkmale statt. Se. Maj. der Kaiser wird, wie der „B. B.-Ztg. nach Berichten des Berliner Times-Korrespondmten aus London mitgetheilt ist, auf seiner in der zweiten Juliwoche stattfindenden Reise nach England von I Maj. der Kaiserin begleitet sein. Es ist dies nicht nur darum interessant, weil die Kaiserin den Monarchen bei seinen früheren Reisen in's Ausland nicht begleitet hatte (dies lag hauptsächlich daran, daß Mutterpflichten die Kaiserin daran verhinderten) — sondern auch noch durch die begleitenden Umstände. Der Kaiser wird sich nämlich auf dem Panzerschiff „Kaiser" einschisfen, während die Kaiserin die Ueberfahrt auf der Jacht „Hohenzollern" vor nehmen wird. Auf letztgenanntem Schiffe ist sür den Hofstaat beider Maje stäten nicht Platz und galant räumte der Kaiser das bessere Schiff seiner erlauchten Gemahlin ein. Berlin. Der Gegenbesuch des Zaren bei Sr. Maj Kaiser Wil helm II. dürfte nach der „B. B. Ztg." in die zweite Hälfte des Juni fallen. Der Großherzog von Hessen soll eine diesbezügliche Anfrage aus Gatschina in Berlin vermittelt haben. Da in Hofkreisen die Rede davon ist, daß ebenfalls gegen Ende Juni der Prinz-Regent von Bayern uud die Großherzöge von Baden und Weimar erwartet werden, gewinnt es den Anschein, als werde Se. Maj. der Kaiser, umgeben von einer größeren Zahl seiner verbündeten deutschen Fürsten, den Zaren hier begrüßen können. Aus Westfalen wird der „Magdeburgischen Zeitung" geschrieben: Es unterliegt keinem Zweifel, daß die im westfälischen Kohlenrevier ein geleitete Lohnbewegung von sozialdemokratischen Agitatoren angezettelt wor den ist. Notorische Parteigänger haben der Sache sich bemächtigt und suchen aus demselben Kapital für die bevorstehenden Reichstagswahlcn zu schlagen, bei welchen die in der Mark bisher so gut wie gar nicht aufge kommene Sozialdemokratie überhaupt die gewaltigsten Anstrengungen machen zu wollen scheint. Rothe Fahnen, welche auf den Schornsteinen mehrerer Zechen im Bochumer Revier aufgepflanzt wurden, geben über die Natur der Bewegung die augenfälligste Auskunft. Gelsenkirchen, 6. Mai. In Gelsenkirchen sind die Aufruhrpa ragraphen verkündet, das ist das neueste traurige Ereigniß aus dem west fälischen Jndustriebezirke; die Sache wird ernst, sehr ernst, die Arbeiter haben ihrer Forderung auf Erhöhung der Löhne gestern Abend hier blutigen Nachdruck gegeben. Wie in Bochum auf Zeche Präsident, so haben auch die Schlepper der benachbarten Zechen eine Lohnerhöhung von 20 Pfg. pro Schicht und Kopf gefordert. Gestern Mittag nun weigerten sich die Schlepper der in der Nähe des hiesigen Köln-Mindener Bahnhofes gele genen Zeche Hiberna anzufahren, wenn ihnen nicht die am Abend vorher geforderte Lohnerhöhung bewilligt werde. Es kam schon im Laufe des Tages zu Zusammenrottungen, die anfangs noch keinen gefährlichen Cha rakter hatten; später kam die Polizei dazwischen und wurde die Sache schon schlimmer, bis dann gegen 9 Uhr gestern Abend der offene Aufruhr ausbrach. Die aufgeregte Menge zog durch die Hauptstraßen der Stadt, der Bahnhofsstraße und dem Neumarkt zu, Fenster und Thüren zertrüm mernd, die flüchtende Volksmenge, die sich inzwischen angesammelt hatte, vor sich forttreibend. Schon auf der Bahnhofsstraße mußte die inzwischen verstärkte Polizei von der Waffe Gebrauch machen; zahlreiche Schüsse wurden auf die erbitterten Arbeiter abgegeben, und diese erwiderten den Angriff mit einem wahren Steinhagel. Auf dem Neumarkte kamen beide Parteien zum Stillstand, aber nicht der Kampf, der von beiden Seiten mit immer größerer Schärfe geführt wurde. Seitengewehre, Revolver und Steine von allen Größen, wie sie noch heute den Marktplatz bedecken, machten schneidige Arbeit; zahlreiche Verwundete auf beiden Seiten legten trauriges Zeugniß dafür ab. Bis nach 11 Uhr tobte der unglückselige Kampf, um sich dann später in den Seitenstraßen noch bis spät in die Nacht fortzusetzen; die noch fortwährend abgegebenen Schüsse deuteten die Richtung an. Die Aufregung in der Stadt ist ungeheuer. Viele Ge schäfte nnd Wirtschaften hielten den ganzen Tag die Läden geschlossen, andere schließen eben jetzt am Nachmittag, weil für den Abend neue Un ruhen befürchtet werven. Wie verlautet, hat sich das königliche Landraths- amt militärische Hilfe erbeten. Gelsenkirchen, 8. Mai. Die Arbeitseinstellung hat sich auf das Bochumer und theilweise auch auf das Essener Revier ausgedehnt, in etwa 30 Zechen ist Ausstand; außerdem sind durch Kohlenmangel viele Werke stillgelegt, wodurch die Zahl der Arbeitslosen noch steigt. Hier herrscht vollkommene Ruhe; das Militär ist heute früh abgerückt. Die Gesammt- zahl der Streikenden beläuft sich jetzt auf 39 000 Mann mit einer täg lichen Kohlenförderung von 43 000 Tonnen. Ueber die Reise des Königs Humbert nach Deutschland gehen der „Nat.-Ztg." von einem wohlunterrichteten Gewährsmanns in Rom nachstehende Mitthcilungen zu: „Ich kann versichern, daß König Humbert am 19. Mai von Rom nach Berlin abreisen wird. Er wird die Gott- hardroute wählen, indem er Genua, Basel, Frankfurt a. M. berührt. Der König wird vom Kronprinzen, dem Minister und dem Generalsekretär des königliche» Hauses und einigen Adjutanten begleitet sein. Von den Mi nistern wird ihn nur Crispi begleiten. Es ist also unrichtig, daß auch der Kriegsminister oder der Marineminister mitkommen wird. Hinsichtlich der Rückkehr ist noch nichts bestimmt. Man weiß also noch nicht, ob sie auf der Gotthardroute oder über den Brenner erfolgen wird. Die größere Wahrscheinlichkeit ist allerdings aus leicht zu begreifenden Rücksichten für den ersteren Weg (auf welchem Südtirol nicht berührt, also zu irreden- tistischen Kundgebungen kein Anlaß geboten wird). Der Zeitpunkt deS Besuches ist vom Kaiser Wilhelm festgesetzt worden, welchem der König Humbert die Entscheidung überließ. Man konnte die großen Ferien des italienischen Parlaments nicht abwarten, weil der Kaiser in den Sommer monaten andere Reisen in Aussicht genommen hat. Paris, 6. Mai. Die Ausstellung wurde heute programmmäßig er öffnet. Präsident Carnot wurde auf der Fahrt nach dem Ausstellungs- gebäude von dem Publikum warm begrüßt. Tirard hob in seiner Rede hervor, Frankreich liefere mit dieser Ausstellung den Beweis, daß es seine alten Eigenschaften, die Liebe zur Arbeit, bewahre und trotz der geschäft lichen Krisis Neichthümcr in der Ausstellung ansammelte. Das Resultat sei nicht allein dem Verdienste Frankreichs, sondern auch der Betheiligung fremder Nationen zuzuschreiben, und die Ausstellung beweise, daß ein Wetteifer bestände, ja, in manchen Zweigen überträfen fremde Nationen Frankreich. Wenn auch nicht alle Regierungen offiziell betheiligt seien, so hätten sie doch das Privatunternehmen unterstützt und zu einem Erfolge beigetragen, welcher frühere überträfe. Tirard sprach sodann den fremden Regierungen den Dank aus und bemerkte, die Republik liebe und ehre die Arbeiter aller Länder, die keine Rivalen, sondern Mitarbeiter an dem großen Werke der Menschheit, dem Weltfrieden, seien. Präsident Carnot wurde bei seinem Eintritte in die Ausstellung aufs Sympathischste begrüßt. Die GesandtschaftsattaLäs, sowie zahlreiche Mitglieder des diplomatischen Corps befanden sich in seiner Begleitung. Die Geschäftsträger Deutschlands, Englands und Italiens wohnten der Eröffnung im Civilanzug bei, während die Geschäftsträger Oesterreichs und Rußlands fehlten. Die Reden Tirard's und Carnot's wurden enthusiastisch ausgenommen. Carnot ließ sich die Vorstände der einzelnen Abtheilungen, sowie die namhaftesten Aussteller vorstellen. Die Zahl der Personen, welche die Ausstellung am Eröffnungstage besuchten, wird auf 200 000 geschätzt. Nach den Abendfestlichkeiten blieb eine ungeheure Menschenmenge noch eine Zeitlang ans dem Quai der Stine versammelt und verlief sich sodann langsam. Viele betheiligten sich noch an den in den einzelnen Stadttheilen stattfindenden Belustigungen, nament lich am Tanzen im Freien, das bis 2 Uhr Morgens dauerte. Das ganze Fest von Anfang bis zu Ende und vom Ganzen bis ins kleinste Detail muß als sehr gelungen bezeichnet werden. Warschau, 6. Mai. Fast das ganze StädtchenZwiahylnia ist niedcrgebrannt. 800 Menschen sind dadurch abdachlos geworden. Vaterländisches. — Das „Dresdn. Journ." veröffentlicht folgende amtliche Bekannt machung: „Se. Majestät der König haben aus Anlaß der bevorstehenden Feier des 800jährigcn Regentenjubiläums allerhöchstseines Hauses beschlossen, einen außerordentlichen Landtag auf den 12. Juni dieses Jahres in die Residenzstadt Dresden einberufen zu lassen. Allerhöchstem Befehle gemäß wird Solches und daß an die Mitglieder der beiden ständischen Kammern noch besondere Missiven aus dem Ministerium des Innern ergehen werden, hierdurch zur öffentlichen Kenntniß gebracht." — Aus Anlaß des Wettinerjubiläum hat Herr Nadlermeister Carl Horn in Dresden, Frausnstraße, eine Medaille angefertigt, deren-Vorder- s-ite die vorzüglich ausgeführtcn Porträts unseres Königspaares trägt mit der Ueberschrist: „Zur Erinnerung an die 800jährige Jubelfeier im Jahre 1889." Die Rückseite zeigt die Fortuna, Blumen über die Burg Wettin und das sächsische Wappen streuend, und die Umschrift: „Gott erhalte unser Fürstenhaus Wettin." Der Preis ist für ein Stück in Goldbronze oder fein vernickelt auf 15 Pf. festgcstellt. — Die Getreidehändler Gebr. Heller haben die ihnen in dem be kannten Getreidezoll-DcfraudationSprozeß zuerkannte Strafe von 560,000 M. haar und richtig auf Heller und Pfennig erlegt. — Die Gemeinden Förder- und Hintergersdorf und Hartha mit Spechtshausen haben sich zu einer gemeinsamen Begehung der Wettinfeier zusammengethan; cs ist beabsichtigt, am Sonntag, den 16. Juni ein Denkmal auf dem Harthaberge im sogenannten Pfarrbusch zu errichten. Das Denkmal wird ein Obelisk sein, auf dessen Vorderseite eine Marmortafel mit entsprechender Inschrift angebracht ist. Aus dem in der Nähe sich befindlichen Basaltbruch werden die Steine zum Sockel genommen, der aus einem 8-eckigen Unterbau besteht, hierauf kommt eine Granitsäule, umgeben mit einer Steingruppe, bestehend aus den schönsten vorgefundenen säulenförmigen Basaltsteinen. Das Denkmal soll mit einem Geländer umgeben und darum 8 Eichen gepflanzt und Wege und Anlagen mit Bänken und Ruheplätzen geschaffen werden. An der Feier werden sich die Gemeindeverwaltungen, Vereine und Schüler betheiligen; der Pfarrer von Fördergersdorf wird die Festrede halten. — Den Hausfrauen möge folgender Vorfall zur Vorsicht bez. War nung dienen: Eine in Meißen wohnhafte Dame hat ihr Haus mädchen mit dem Plätten der Wäsche beauftragt. Wie schon früher, hat man, wohl um der Wäsche mehr Glanz und Steife zu geben, die einzelnen Stücke mit Benzin bestrichen. Das Dienstmädchen hatte darauf das Plätten begonnen. Kaum hatte aber letztere die heiße Plattglocke ans die Wäsche gebracht, als das auf die Wäsche gestrichene Benzin sich ent zündete. Im Nu ist eine lohende Flamme aufgeschlagen, die auch andere Wäschestücke erfaßt und sie unbrauchbar gemacht hat. Das Feuer ist zwar rasch erstickt worden, doch ist der Schaden an der Wäsche und an Möbeln, welche von dem verheerenden Element erreicht wurden, immer hin beträchtlich. — Kirchberg, 7. Mai. Gestern früh gegen 1 Uhr brach in der Tuchfabrik von Emanuel Hermann Richter in Saupersdorf Feuer aus und brannte das betreffende Gebäude völlig nieder. Gegen 4000 Centner Wolle und 80—100 Stück fertige Waare sind mit verbrannt. In der Fabrik standen 18 mechanische und 2 Handwebstühle, und hatten 5l> Personen Beschäftigung. Man vermuthet, daß sich die Wolle selbst ent zündet habe. Unglücksfälle sind nicht vorgekommen. — Bei dem am 3. Mai über Olbersdorf hinziehenden Gewitter wurde die 44 Jahre alte Johanne Juliane verehel. Renter geb. Wünsche von hier auf dem Felde, in der Nähe des sogenannten Kaltensteines, durch einen Blitzstrahl sofort getödtet. — Schlesische Blätter melden: Die 18jährige Tochter eines schlesischen Gutsbesitzers, die sich behufs ihrer Ausbildung in Dresden aufhielt, ist ihrer Modethorheit zum Opfer gefallen. Sie preßte sich die Taille der maßen zusammen, daß für sie zuletzt besondere Schnürleiber angefertigt werden mußten', da ihr Taillenumfang nur noch 40 Centimeter betrug. Sie erregte allgemeine „Bewunderung," die freilich dadurch beeinträchtigt wurde, daß sie ungesund blaß aussah. Während des Mittagsessens wurde das unverständige Mädchen dieser Tage vom Schlage gerührt und getödtet^ Die mißhandelte Leber, Lunge und der Magen hatten ihren Dienst versagte