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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.07.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080715012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908071501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908071501
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-07
- Tag 1908-07-15
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Monat
1908-07
-
Jahr
1908
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«r. 1Ä4. 102 Jahr». Leipziger LageolM. «ittwoch, 15. Juli- 1SV8. Nun erscholl ans Sängermunde bell und klar, laut und kräftig der Sängergruß: „Grüß Gott, grüß Gott mit Hellem Klang. Heil deutschem Wort und Sang!" Neberrcischt und gerührt ob solcher Ehrung ivandte sich der Präsi- deut des Brooklyner „Arion", Rechtsanwalt Henry Fuehrer, an die versammelten, Dank, herzlichen Dank sagend: Er bringe Grüße aus dem fernen Land über der See. Dort werde auch daS deutsche Lied gehegt und gepflegt. „Wir haben ein .Kleinod von drüben mitgcbracht", fügte er hinzu, von dem ich bosse, daß es die Ursache werde, die freundschaftlichen Beziehungen zu Amerika weiter zu pflcaew auch mit Leipzig» Sängern wolle man ewige Freundschaft schließen. Alle Herzen öffnen sich ihnen. Mit einem „Ans Wiedersehen heute abend" schloß Henry Führer seine von warmem Empfinden ge tragene Rede. Ein dreifache? Hoch gab den harmonischen Ausklaug dieser Worte, Souias „Eadettenmarsch" gab daS instrumentale Geleit. Egniyagcn die mit Fähnchen mit „StarS and Ttrives" geschmückt waren, führten die amerikanischen Gäste zunächst in ihre Quartiere nach Hotel -Hausse, dem Kaiscrkos, Hotel de Prüfst und Hotel Sedan, tvährend sich die Söngerabteilungen mit ihren Fahnen nach der neuen Koiizertballe deS Kriktyllpalastes verfügten. Konzert in der dilberthalle. Waren dir amerikanischen Gäste bei ihrer Ankunft mit vieler Wämnc begrüßt worben, so halte auch das Konzert, das sie gemein schaftlich mit dem Leipziger Männerchvr in der Alberthalle gaben, sehr starke Teilnahme gesunden: die Zuhörer drängten sich, der Beifall rauschte. Zunächst betrat der Leipziger Männerchor unter Führung seines EhormeisterS Gustav Wohlgemuth das Podium. Man kennt das satte Material dieses Verein?, kennt seine Tüchtigkeit. Der Vortrag von HegarS „Totenvolk" entsprach freilich gestern nicht in allen Stücken den Erwartungen, mehr Detail al? strasier Zug zeigte sich, die Aun'assung ging weniger auis Dramatische, als aufs Lyrische, oabci hätten einige Eiwätzc doch klangedler gebracht werden dürfen. Die kürzeren Gesänge dagegen ließen betreffs der Ausführung kaum einen ÜLunsch offen, um so stärker zu beanstanden waren leider die Tenorsoli des Herrn Vollrath Schwenke, der (wohl ein früheres Vereinsinitglicd'?) als Ehorsänger gewiß eine schätzbare Kraft ist, in- deS für Mozart? Bildnisarie sauS der „Zauberflöte") längst nicht genug tonliche Schulung nnd Taktgefühl bat, Mängel, die durch Hinzu fügung von Lassens „Ich hatte einst ein sci-vnes Vaterland", am Schluß vom Sänger mit beängstigend dünner Fistelstimme gebaucht, nicht besser wurden. Nun zu den Leistungen des „A r i o n" - B r o o k l y n! Die Gäste fingen gut, nur nicht immer Gutes. Die vom Dirigenten Herrn Arthur Claassen vorgenommene Bearbeitung fenes Wiegenliedes, da? man fälschlicherweise Mozart zufchreibt, auch Herrn Elaakfen? Komposition „Magdalene" sind da?, was mau Liedertafelstil nenn:: auch Fostcr-Sluckens Chore ,OId Kentucky Home" und „DixieS land'" wiegen musikalisch nicht schwer, so virtuos letzteres Lied ver mittelt wurde. Einen sebr vorteilhaften Eindruck machte der „Arion" in Faßbenders „Das deutsche Lied", und als Chorleiter bedeutet Herr Claassen weit mehr als aus kompositorischem Gebiete. Er zügelt, ohne sich eines Taklstockes zu bedienen, mit charakteristischen Handbewegun- gen seine Sänger sehr sicher, bat wohltuend gesunde Auffassung, die rhythmische Kraft nicht in empfindelnde Verschleppung zerstieben läßt, weiß den Chor auch ans ein schönes, zugleich präzises Piano und Pianissimo obzustimmen, überhaupt aus Geschmack der Nuancierung zu halten, und nur anfangs zeigten die ersten Tcnöre Neigung zu un angebracht grellem Akzent. Als dann im dritten Teile des Abends ,.Arion"-Brooklyn und Leipziger Männerchor zu gemeinsamen Chören zusammentraten, wechselsweise von Herrn Claassen und Herrn Wobl- gemuth geleitet, gab es, obwohl zu einer Probe keine Zeit gewesen war, ebenfalls guten Klang, einzig mit Ausnahme des nicht recht geglückten übermäßigen Quartenvvrbaltes im Pilgerchor aus „Tannhäuser". Daß sich die Mitglieder de? Leipziger Männerchors den Intentionen des amerikanischen Dirigenten so aufmerksam anpaßten, ist warm zu rühmen. Der „Arion"-Brooklyn bat dabeim auch einen Damenchor. Und diesem gehörten vermutlich die Sängerinnen an, die gestern als Manhattan Ladies-Quartett sangen —, besser als man nach den Meldungen über das Berliner Konzert des „Arion" batte anncbmen müssen. Die stimmlich begabteste der Damen ist die A l t i st i n S ch e rb e y, die auch zwei ziemlich salonmäßige Colokompositionen s„Partinig" und „Gang im Geheimen" von A. Claassens sang, mit pastosen Tönen, wennschon nicht abwlnt rein. Daß bas Konzert etwas zu lang war, soll noch gesagt werben, daß es interessierte, darf gleichwohl hinzugcletzt werben, und der Leipziger Männerchor, der nm die Veranstaltung bemüht gewesen ist, verdient da^ür Dank. Vom Konzert verfügten sich dann Sänger und Hörer gegen 11 Uhr zum Kommers nach der dicht gefüllten neuen Konzert Hal le deS Kristall palastes, dort den Mitgliedern des „Arion"-Brooklvn den Ehren- platz, an ihrer Spitze Präsident Henry Fuehrer, Vizepräsident LouiS Janson und 2. Vizepräsident Dr. Schildge, einräumend. Der gewaltige Raum trug den freundlichen Schmuck der Sternen banner, und Draperien in den Farben des Reiches, unterbrochen von rotweißen Behängen und den Sängersahnen des Leipziger Gausänger- vereins. Von der Bühne aber grüßte in strahlenden Lichtern ein „Arion Heil" die sange-freudigen Freunde, deren Platze ein mächtige-, aus tiefroten Rosen gewundene- Lyrapaar zierte. Eine militärische Fanfare leitete die festlichen Stunden ein. Unmittelbar darauf eröff nete der Vorsitzende deS Leipziger Männerchores, Herr Wilh. Brüg mann, als Vertreter einer großen Sangesbrüberschaft, den Kom mers. den lieben Gästen ein herzliches Willkommen »nd aufrichtigen Dank darbringend. Sein Hoch galt dem Präsidenten Roosevelt, be tätigt durch die von der Kapelle des 107. Regiments anacstimmte amerikanische Nationalhymne, in die alle Anwesenden begeistert ein stimmten. Di« Begrüßung durch Stadtrat Dr. Wagler. Im Namen der Stadt Leipzig entbot Herr Stadrrat Dr. Wag- l c r den deutschen Sangcsbrüdern einen herzlichen Willkommensaruß. Er lieh in seiner so überaus warmen und gemütstieseu Ansprache Emp findungen Ausdruck, die ganz seinem inneren Gefühl entsprangen, jenem Gefühl, dessen Träger er selbst bei seiner jüngsten Weltreise gewesen. So wollte er auch in solchem Sinne seine Begrüßung nicht nrir als einen Akt reiner formeller Höflichkeit aufgefaßt wissen. „Wie aber sollten wir nicht", so begann Herr Srabtrat Dr. Wagler, „wärmere Herzen-töne finden angesichts einer Schar von Männern, die einzig und allein die Liebe zur deutschen Stammeöhcimat über die weite Wasserbahn zu uns hergeführt hat, die nicht als Schiss-brüchige gehegter Hoffnung, sondern aus wohlbsgründeten und glücklichen Ver hältnissen dennoch zu uns gekommen sind, um mit uns deutschen Händedruck und deutsches Lied zu tauschen. Das ist ja der alte wundersame Zug im Charakter der Germanen, daß ein geheimnisvoller Wandertrieb ihn anregt, über Länder und Mcerc zu gehen, daß er aber doch, wo immer er auch weile, der Sehnsucht tiews Weh in Gedanken cm fein Vaterland empfindet. Niemals ist dieser Zwiespalt der Gefühle schöner besungen worden, als von Hoffmann von Fallersleben in seinem allen Sange-kundigen wohlbekannten Liede' „Zwischen Frankreich und dem Böhmcrwald, da wachsen uns're Neben": „Ais ich sah die Alpen wieder Glüh'n hell in der Morgensonne ... Grüß mir meinen grünen Rhein, Grüß nur meinen grünen Rhein, Nur in Deutschland, da wohnt Freud' und Wonne." Warum dies Zitat? Nicht nur gibt es Ihre Stimmung wieder, feine Wahrheit ist auch mir in banger Stunde vor die Seele getreten. Es ist noch kein Jahr her. daß ich mit einem lieben Reisegefährten eine wissenschaftliche Reise durch sechs südcmerikanische Republiken unternommen habe. In jenen Ländern, wo sich unter einem nur dünnen Kulturfirnis noch Willkür und Widerrechtlichkeit genug geltend machen, in der unwirtlichen Höhe der Kordilleren, in der furchtbaren Einöde der Atacamawüste, 2000 Meilen fern von unseren Lieben, da überkam auch uns bei allem Schönen, was wir schauten, doch ost die heimatsehnende Stimmung dieses Liedes mit Allgewalt. Als. wir dann die ungeheure Mecresstrecke vor Valparaiso über Panama nach New ?)ork zurückgelegt hatten, da eilte ich noch am 27. März diele? Jahres auf die berühmte Brücke, die den East River überspannt. Da, beim Anblick der alten niederländischen Häuser, im alten Teile, bei dem Gedanken, daß diese machtvolle Entwickelung nicht zuletzt deulsck>er Energie und deutscher Arbeit zu verdanken ist, da, zum ersten Male nach langer Zeit, spürten wir wieder etwas wie Le» wehenden Hauch deutschen Geistes. Nnd dann kam der Tag Ler Ab reise mit dem Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie „Pennsylvania". Dort erklangen sie wieder, die Laute der deutlcbeu Muttersprache, dort besaud man sich inmitten zahlreicher Deutsch-Amerikaner, die, wie Sie, die Hoffnung langer Jahre bewegt, Deutschland wieder zu sehen. Welche Freude herrschte do, al- sich das Schiff vom Peer in Hoboken löste! Wie achteten wir ans Wind und Welle, aus die Schnelligkeit des Schiffes! Und wie freuten wir uns, wenn die Dampfersirene die neue Mittagsstunde aukiindigte, und wir die Taschenuhren eine halbe Stunde vorstellen dursten, weil die Meeres götter uns eine Fahrt von 800 Seemeilen verstauet batten, -lber das haben Sie ja selbst erlebt! Und auch für Sie kam der Tag, wo Sie in da- deutsche Meer, in die Nordsee, einliefen. Da grüßte Sie frei- lich an der Steuerbordseite kein Alpengipfel mit glühendem Schein, aber cS war vielleicht gerade Abend, als der Jubelruf erscholl: „Bor kum, Feuerschiff in Sicht!" Nnd da ist Ihnen da- Leuchtfeuer diese» sturmaepeitfchten SchißseS, de- westlichsten Gren-zeichvn- des Deut- schen Reich-, ebenso schön erschienen, wle daS Feuer de? Alpenglühen-, und als Sie dann in Bremen durch die rotblühende Haide fuhren, da wird e? Ihnen gelungen haben: „Deutschland ist schön überall." Und heute sehen wir Sie in unserer Mitte. „Mit den deutschen. Liedern schweifen wir der alten Heimat zu", so sangen einst die deut schen Brüder in Lyon und sie meinten damit, daß sie da- deutsche Lied doch wenigstens in Gedanken in die Heimat führe. Sre aber Haden mehr gewagt, Sie sind selber gekommen und Sie haben Ihre Lieder mitgebracht, und welch reiches Geschenk Sie un» damit dargebracht haben, das hat Ihnen der jubelnde Beifall bewiesen, darum noch einmal: „Willkommen auf deutscher Erde, Willkommen in Deutschlands deutschester Stadt, in Leipzig! Unsere Stammesbrüder, die Herren de- Brooklyner Gesang vereins „Arion", sie loben hoch!" Jubelnder Beifall begleitete diese Worte, der Sang der Strophe „Deutschland, Deutschland über alles" gab die feierliche Bekräftigung hierzu. Darauf tpielte die Kapelle des 107. Regiments unter Stabs hoboist Giltschs temperamentvoller Leitung Sousas Marsch „Unter'», Sternenbanner", mit gewaltigem Eindruck den Charakter des ToustückS betonend. — Sodann feierte Konsul Warner inmitten der amerika- nischen Kolonie in englischer Sprache Deutschlands Kaiser und Sachsen- König, mit einem kräftigen Hip hip Hurra der Monarchen gedenkend. Kan leirat Metzdvrsf, Vorsitzender des Leipziger Gausängevbimdcs. wünschte den „Arion" zu seinen Erfolgen aufrichtig Glück und gab der Freude Ausdruck, daß der „Arion" dem Deutschen Sängerbund beige- treten. Später ergriff Direktor Dr. Bischoff das Wort: „Festgenossen, deutsche Sangesbrüder! Man hat gesagt, unsere amerikanischen Gäste, sie seien gekommen, um zu ernten. Gewiß, sie wollen ihre Heimat suchen, oder doch die .Heimat ihrer Vorfahren, und wollen heimatliche Erinnerungen mit nach Hause nehmen. Sie wollen auch Erholung finden und die Freuden der Reise. Und sie wollen mit ihrem Sange die Herzen der Hörer und die Anerkennung der Sachverständigen erobern. Aber am Ende bringen sie doch auch uns gar vieles. Ich will hier nicht reden von den Gaben ihrer Kunst, über die seit ihrem Eintreffen in Deutschland bereits Berusenere so schön geurteilt haben. Ich möchte hier auf ein anderes Hinweisen, das unsere Deutsch-Amerikaner uns bringen. Ich möchte meinen: Sie dringen uns gnteLehre: wir können bei ihnen in mancher Beziehung in die Schule gehen. Einmal können wir von ihnen als Amerikanern allerlei nützliche Lehre übernehmen. Wer sich näher mit dem Geiste des amerikanischen Volkes beschäftigt, der entdeckt in ihm als größten Zug den Glauben an die Ardeit. Die Religion der Amerikaner ist recht eigentlich ein Evangelium der Praktischen Kulturarbeit. Diese amerikanische Arbeit aber Hal im wesentlichen den Charakter der Selbsthilfe; der veil' - uurckv - iuuir ist in den Augen des ameri kanischen Volkes der rechte Held. Diese Auffassungen rufen bekannt- lich drüben im Dollarlandc eine gewaltige Schasfensenergie hervor. Manche Seiten dieser Entwickelung mag man bemängeln, aber eines bleibt immer wahr: jenes Selbsthilfestreben und jene Schafsens- cnergie sind höchst wichtige und unerläßliche Triebkräfte tüchtiger, ge- sunder Kultur. Die Bedeutung dieser Wahrheit wird heute bei uns im deutschen Vaterlande, wo immer größere Kreise nach Staatshilic rufen und ans die Staatshilse vertäuen, allzusehr verkannt und unterschätzt. Darum ist es gut, daß Tur uns in diesem Punkte einmal ein wenig von unseren amerikanischen StammeSgenossen belehren lassen. Vor allem aber wollen wir von ihnen als Deutschen gute Lehre annchmen. Die Mitglieder des „Arion" und ähnliche deutsch amerikanische Vereinigungen, sie lehren uns, wie man nationalen Besitz Pflegen und Hochhalten soll. Sie haben ein gut Teil deutschen Idealismus' in Pflege genommen, sie sind Vertreter geblieben jener geistigen Güter, die das Volk der Denker und Dichter in Jahrtausen den zur Entwickelung gebracht haben. Ms Bewahrer des Deutschtums sind sie Pfleger des sittlichen Empfindens und der innersten Lebens anschauungen, die das deutsche Volkstum zu eigen hat. Tas sind Werte, die nicht in Dollars, in Pferdekräften und in Paragraphen sich darftellen. Von ihnen redet man auch nickt in der Sprache der Ge lehrsamkeit und der Politik. Ms ein Ausdruck dieses innersten Lebens, diese? natürlichen Volksempfinden? aber erscheint von alters her da« Lied, da- auS dem Herzen dringt und zum Herzen spricht. Dieses geistige Erbe, das im Deutschtum lebendig ist, besitzt eine bohr, reale Bedeutung für den Fortgang gesunder Kulturentwickelung. Energie und Arbeit allein können auf die Dauer kein Volk groß macken und groß erhalten. Das Streben nach idealen Gütern muß sich binzugesellen; wo da» sittliche Empfinden nicht gepflegt und da- Vvlksgewissen nicht entwickelt wird, da kann kein« Kultur gedeihen, bei der sich die Volksgenossen wahrhaft wohl fühlen. DaS bat ja auch Präsident Roosevelt, der große Praktiker, seinen Ameri kanern jetzt oft genug ausgesprochen. Ein reiche- nationale? Ge- mütSleben muß schließlich doch immer wieder da- Fundament ab aeben für den Oberbau der Kultur. Nur auf solcher Grundlage kann der einzelne, da? einzelne Volk und die ganze Menschheit wirk- Feuilleton. Franz Moor in Gohlis. „Ter Vorhang ging in die Höhe. „Franz" begann in gleichgültigem Tone, mit rauher, gebrochener Stimme seinen Dialog mit dem alten Moor. Nur^ die großen, unheimlich leuchtenden Augen redeten eine diabolische Sprache, aber diese Augen standen nicht im Einklang mit Haltung und Ton: cr versprach sich auch oft, was Heiterkeit erregte — ich hatte das peinliche Gefühl, daß er über den ersten Akt nicht Hinweg kommen werde. Als cr mit den Worten: „So sollst dn vor mir zittern!" die ersten mächtigen Töne anschlug und nach seinem Abgänge einige den schüchternen Versuch machten, zu applaudieren, da ertönte Zischen und Lachen. Noch bevor Amalie ihre letzten Worte sprechen konnte, erschien plötzlich Kläger hochaufgerichtel in der Tür, durch die er abgegangen war, und blieb in drohender Haltung bis zum Aktschlüsse stehen. Totenstille herrschte, als der Vorhang gefallen war. Ofsenbar fühlte jeder Zuschauer, daß diese drohende Gebärde nicht der Amalie galt, und daß die seltsame Nuance improvisiert war. Aber ich hatte mit einem Male die beruhigende Empfindung, daß das Publikum nicht wieder wagen würde, zu zischen oder zu lachen. Der Löwe hatte eben sein Haupt erhoben. Seine folgenden Szenen gingen teilnahmslos vorüber. Aber welche Ueberraschung brachte die Gartenszene mit Amalie! Klager schlich sich wankend und mit lüsternen Augen an Amalie heran: mit lallender Zunge stammelte er Töne der sinnlichsten Glut, und immer mächtiger erhob sich seine Stimme, bis er endlich mit dämonischer Leidenschaft Amalie an sich riß. Diese eminente Leistung wurde nur leider durch seinen Abgang beeinträchtigt, denn fliehend vor dem gerückten Schwert, stolperte er iioer eine Latte, verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin. Merkwürdigerweise hielt aber das Publikum den Unfall für eine beabsichtigte Nuance des Künstlers und brach in stürmischen Jubel «ach dem Aktschluß aus. Kläger aber erschien nicht. Erschütternd spielte er die sogenannte Visionsszene. Eine neue Ueberraschung bot jedoch die letzte Szene des Franz. Ter Vorhang giiig in die Höhe — große Pause —, plötzlich erscheint Kläger, sich am Boden bis zur Rampe heranwälzend, mit dem entsetzlichsten Ausdruck der Furcht in den weit aus den Höhlen herausguellcndcn Augen: er macht einige ver gebliche Versuche, sich zu erbeben: er fällt immer wieder zusammen. Das Publikum wird unruhig, die Ausregung steigert sich, da ruft jemand aus dem Parterre: „Vorhang fallen lassen!" Im Nu richtet er seine Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck der Verachtung aufs Publi kum: mit einem gewaltigen Ruck stand er auf den Beinen nnd, mit den Händen drohend nach der Richtung hinweisend, von wo der Ruf er klungen. rie^ er mit der Stimme eines Löwen: „Verraten — verraten!" wankte dann rücklings bis in den Hintergrund und mit lallender, kaum verständlicher Sprocke. aber mit mächtiger, erschütternder Tragik und einer Gebärdensyracke von kvlck dämonischem Ausdruck spielte er seine Szene zu Ende, daß mir jedes Haar einzeln zu Berge stand: und in fieberhafte! Erregung, wie gebannt von der elementaren Gewalt, die über mich bereinströmtc, war ich nicht fähig, nachdem der Vorhang ge fallen war. in den Beifallsjubel einzustimincu. der wonl seit.» so wahr und unmittelbar einem Künstler gezollt wurde. Kläger erschien wieder nicht. Ter „Pefrer Llov»' b,uckl ktuc tzranz-Moor.vrmntkuna de« TckutsiUeller« Josef L«nUn«ko ob, an den Tob de» ehemaligen Deininger« Leopold Teller anknsipfl und »aN> deyrn -rzäblung einen Mimen von damals, den dem Alkohol verfall«»«» Charakler- fm«ler Wilhelm »lager lchttberf In einem Lommerrheain in» oh l i «trat dtrfer al« Moor auf. wir g«ben di« hübsch geschriebene Remtnis«en, vorf»«h«nd »»«der. Die Vorstellung war zu Ende. Ich postierte mich vor dem Bühnen eingang. um den Meister sofort zu fassen, wenn er das Theater verließ: denn ich hatte daS unwiderstehliche Bedürfnis, ihm meinen Donk zu sagen. Ich wartete vergeben». Viertelstunde auf Viertelstunde verging: ich befürchtete, da da- HauS bereit- geleert war, ihn verfehlt zu haben: um mich davon zu über zeugen, ging ick hinauf zur Bühne. Ein Theaterarbeiter, den ich be fragte, deutete lächelnd auf eine Tür im Hintergründe. Bescheiden trat ich, nachdem auf mein Klopfen eine pievsende Stimme „Herein!" ge rufen, in die Garderobe. An der Schwelle der Tür hielt mich jedoch ein dünnes, nervöse? Männchen mit einem „Bst" zurück. „Ich wünsche Herrn Kläger zu sprechen", sagte ich. „Bst!" rief da- Männchen wiederholt und zeigte mit zitternder Handbewegung auf eine gebrochene, den Kopf hin- und herwiegende Gestalt. Es war Kläger. Er saß auf einem hohen Schemel, seine Augen waren stier und verglast. „Lieber Herr Kläger, erlauben Sie . . . ." fing ich an. Er unterbrach mich jedoch mit den Worten: „Ungeheuer, hast du schon meinen Leib, so nimm auch einen Funken meine- Geistes!" „Passen Sie ans!" rief das nervöse, zitternde Männchen. „Er zielt schon — jetzt — jetzt —", und krachend flog eine entleerte Flasche in Sckcrben zu meinen Füßen." Theater rrird AonzerL. Leipzig, 1Ü. Juli. Neues Theater. („Früh ii ng-lüft.") Mit ausgesprochenem Erfolge debütierte gestern Frl. Marie Seubert (vom Stadttheater in Frankfurt a. M.s. Die Künstlerin hatte bereits im verwichenen Januar gelegentlich eine- Gastspiel? bedeutende- Spieltalent und vor treffliche gesangliche und musikalisch» Qualitäten bewiesen und wieder holte die- gestern al- Dienstmädchen Hanni in Strauß-Reiterer? ge- naunter Operette in beinahe noch stärkerem Maße. Frl. Seubert bringt gesunden Humor mit und verfügt bei natürlicher Grazie über so viel Natürlichkeit und Einfachheit des Spiel-, daß sie, gewiß ein sehr wesentlicher Vorzug der Gesamtdarbietung, den Zuschauer mit Leichtigkeit über die Unnatur und Gezwungenheit des Operettengenres fast hinwegzutäuschen versteht. Ihr mannigfachen schauspielerischen Nuancen, guten Einfälle und scherzhaften Impromptu- erweckten in nicht geringem Maße die lebhafteste BeifallSlust deS Publikums, dem e? das fesche, übermütige, verschlagene und doch gutmütige Mädel Hanni im Verlause einer dreifachen Metamorphose als täppisches Ding vom Lande, als fesche Stubenmaid und zuletzt als beinahe vcritable Dame merkbar angetan hatte. — Die gestrige Vorstellung bot überdies noch ein Bemerkenswertes: Nach langer Krankheit erschien Frl. Buse end lich wieder auf der Bühne und batte als bedenklich aggressiv gesinnte Schwiegermutter alle Lacher auf ihrer Seite. Allgemeiner Begrüßungs applaus, Blnmenspenden nnd Hervorrufe zeigten, daß die Zuschauer der so viel bewährten Künstlerin aufs neue warme und herzliche Sym pathien entgegenbrachten und sich ihrer Wiederkehr aufrichtig freuten. Tic taten auch recht daran. Denn wahrhaftig: der echte Leipziger kann sich die Operette kaum ohne seine Ida Buse denken. ... O *- * Victor Hugo al» Advokat. Victor Hugo war bekanntlich rin erklärter Grauer der Todesstrafe, und die Anschauungen de» Vater» gingen auch auf den Sohn Lharle» Hugo über. Im Fabre 1851 wurde der Sohn vor Gericht gestellt, weil er in einer Zeitung anläßlich der Au-führunq eine» Todesurteil» eine I empörte Schilderung über den Vorgang geschrieben hatte und dabei die Grau- I famkeit der Gesellschaft und de» Gesetze» einer leidenschaftlichen Kritik unterzog. I Zusammen mit dem Herausgeber der Zeitung mußte Lharle» Hugo al» Angeklagter vor den Geschworenen erscheinen, und nun mischte sich der berühmte Vater ein und verlangte, die Verteidigung dr» Sohne» übernehmen zu dürfen. Wie im EvSnement, der diese Episode erzählt, berichtet wird, gab rS einen Riesenandrang zu diesemProzeß, und alle- verlangte den temperamentvollen Dichter al» Advokaten zu bören, der so oft und so leidenschaftlich gegen da» Tode-urteil in die Schranken ge- treten war. Mr Neugierigen erlebten auch in der Tat kein« Enttäuschung. Mit jenem wuchtigen Patho», da» dem Haupt der Romantiker eigen war, begann er eine prachtvolle Rede, die schließlich in den Worten gipfelte: „Ich, der ich heute zu Ihnen spreche, ich kämpfe seit 25 Jahren für die Unverletzlichkeit de» Menschenleben». Also ich habe da» gleiche Ver brechen begangen, wie mein Sohn, ich habe'«» vor ihm begangen und unter erschwerenden Umständen: mit Vorbedacht, mit Hartnäckigkeit und Rückfall. Laut rufe ich e» Ihnen zu: diese» Ueberbleibsrl einer barbarischen Strafe, diese» alte und barbarische Gesetz de» Messer», diese« Gesetz vom Blut um Blut, mein ganze» Leben lang habe ich »S mit aller Kraft bekämpft". Victor Hugo hatte feinen Triumph, di« Menge und die Geschworenen waren hingerissen bei dem erhabenen Patho» de» Poeten, und al« er den Grricht-saal verlieb, bereitete man ihm eine Ovation. Der Sohn aber hatte von dem kühnen Auftreten seine» Vater» mehr Schaden al» Nutzen, denn di« Antwort de- Ge- richt» auf Victor Hugo» Verteidigungsrede für seinen Sohn stand am nächsten Tage in allen Blättern zu lesen: „Heute, am 11. Jnni 1851, Tharle» Hugo, von seinem Vater verteidigt, zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt". * Tie Münchener Menzel-Slistnng. In dem soeben erschienenen .Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst" (Verlag Georg D. W. Lallwey, München) gibt Franz Reber eine Uebersicht über die Gemälde und Studieu- blättrr Adolfs v. Menzel, die brkannllich im vorigen Winter Fra« Margarethe Krigar-Menzel, di« Nichte de- Meister», der Münchener Neue« Pinakothek ge schenkt hat. Die bayrische Hauvtstadt ist damit zu einem seltenen Schatz gelangt: sie besitzt jetzt im ganzen 16 Menirlsch« Gemälde nnd mehr al» rin halbe» Hundert seiner Handzeichnungen. Die Werke umfassen fast die ganz« Laufbahn de» Meister», insbesondere sind au» seiner ersten Zeit vortrefflich« Studien darunter. Von den Gemälden sind besonder» zu nennen: „Bilderstöckl bei Salzburg", „Menzel« Schwester an der Tür" kein koloristische» Meisterwerk) und „Wohnstube eine» Büchertrödler»". Ta» Problem eine» mit Menschen gefüllten Interieur» bet künstlichem Licht erscheint auf» wunderbarste gelöst in einer Oelskizze, die ein Salonkonzrrt darstellt; von entzückender Wahrheit sind zwei Monvicheinskizzen. Da» Pastell „Adam und Eva" bezaubert durch feine frisch« Helligkeit. Die Szene ist neu und charakteristisch, Adam von der Jagd heim kehrend, hat seine Beute hingrworfen, eine» Eber, an de» sich der kleine Kain heranmacht, während Abel an der Brust der kauernden Mutter lieat. Ter Meister wollte hier wohl zeigen, daß auch ideale Stoffe seiner Universali tät zugänglich feien. Von packender Wirkung in seiner grauen Herbststimmung ist da» Bild „Blick vom Balkon de- Berliner Schlöffe»". Die bedingungs loseste Hingabe an die Eigenart de» Modell» offenbart endlich da» Aquarrll- bildni» der Schwester de» Künstler», datiert vom 4. Februar 1866. Me Hand zeichnungen (besonders die Studie „Meissooier bei der Arbeit'^ stud von nicht weniger hohem Wert und zeigen den Meister von allen Seiten seiner ge waltigen Kunst. * Kleine Chronik. Da» „v. T." meldet au» Prag: Im tschechischen Weinberger Stadttheater wurde zu Ehren de» slawischen Kongresse» da« Lustspiel „Die Prüfung de« Staatsmannes" gegeben. Demonstrativer Beifall ertönte bei der Stelle, wo der Kanzler Fürst Kaunitz der Kaiserin Maria Theresia ein Bündnis mit Frankreich statt mit Preußen empfiehlt. — Für die Robert-Koch-Stiftnng haben noch weitere Städte, Korporationen und An stalten Beiträge gezeichnet. So die Stätte Kiel 3000, Pose» und Rirdorf je 1000.4! Direktor und Mitglieder Le» Institut» zur Erforschung der Infektions krankheiten, sowie AussichtSrat und Mitglieder de» Schweizer Serum» und Impf institut» zu Bern stifteten 725, dazu kam al» zweite Rate von ungarischen Aerzten ein Betrag von 250 ^l — Dir Bekanntgabe der Bedingungen, unter denen von Dr. Paul Wolf»kehl in Darmstadt testamentarisch ein Preis von 100000 .6 für die Lösung de» großen Fermatschen Satze» au-grsetzt wurde, ist, wie au« Göttingen geschrieben wird, jetzt durch die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften erfolgt.
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