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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 265 — Dienstag, den 13. November 1934 Was die Welle bringt. Was die kleine Welle bringt. Bleibt nicht lang am Strande; Funkelt einen Augenblick, Und schon holt's das Meer zurück — Neues liegt im Sande. Einzig was der große Sturm Weit landein getragen» Wird noch viele Monde lang Von dem wilden Ueberschwang Stumme Kunde sagen. Was der kleine Tag uns bringt, Lachen oder Weinen — Schon der nächste löscht es aus; Keine Rune wird daraus A« .dm Meilensteinen. Nur das tiefste Glück und Weh» Das so voll bemessen, Daß wir taumeln, pslugscharwund, Bleibt bis auf die letzte Stund' Nah und unvergessen Heinrich Anacker. Novemberwali). Novembermorgen. Stahlgraue, frostige Zirruswolken bedecken weithin den Himmel, über Nacht haben die blaugrünen Kronen und die kupferroten Stämme des alten Kiefernforstes ein anderes Gewand angelegt, denn in der Frühe hat es stark gereift, und silberner „Duftenhang", wie der Grünrock ihn nennt, hängt als Rauhreif in feinen Eisfäden an Holz und Nadelwerk, so dicht, daß die ganze Waldlandschaft, die sich im Dunst in der Ferne verliert, in einen zartweißen Schleier gehüllt ist. Die gleiche Pracht zeigen die schlanken, immergrünen Christdorn- und Wacholderbüsche und der junge, auch jetzt noch braunbelaubte Eichenaufschlag» den der Eichelhäher, der farbenschönste Vogel unserer Wälder, unter die Föhren gesät hat. Er, ein nimmersatter Feinschmecker, trägt im Herbst die Eicheln, seine liebste Atzung, weit umher, läßt sie da und dort fallen und fördert so die Besamung und den Unterwuchs der Nadelwaldungen mit jungem Laubholz, weshalb ihn die grüne Gilde den „F o rst g ä rtn e r" nennt. Auch der Bodenüberzug des Waldes, die Masse der welken Gräser und Stauden, des Farnkrauts, der Heidelbeere und Preiselbeere, deren ei förmige Blätter denen der Myrte gleichen, stehen heute in winzigen Eispanzern, ein silbergrauer Teppich des Waldreviers. Schräg fallen die Strahlen der tief- stehenden Wintersonne durch die Baumkronen und lassen die seinen Gebilde des Rauhreifs an Blatt und Halm in den zarten Farben des Negenbogens wie Myriaden blitzender Edelsteine funkeln. Vom Berghang hallen Axtschläge herüber, die ver stummen und wieder einsetzcn: nun schmetterndes Krachen. Holzer sind dort feit dem Morgengrauen bei einem Kahlhieb beschäftigt, dem ein fünfzigjähriger Buchen bestand zum Opfer fällt, um Brenn- und Bauholz zu liefern. Stark bespannte Leiterwagen mit Ladebäumen und Winden kommen durch den Talgrund zur Holzab fuhr heran. Die kräftigen Pferde, grau von Reif, dampfen in der frisch-herben Frühluft, die Deichselketten rasseln, das Lederzeug jankt und knirscht, und die anfeuernden Rufe und das Peitschenknallen der Geschirrführer hallen weithin durch den herbststillen Wald. Der Förster verteilt die Abfuhrscheine und schreibt den Rückweg bis zur Landstraße vor; den feuchten Tieren werden die Decken über die Kruppen gezogen und die Futtersäcke umgehängt, dann beginnt die mühselige Arbeit des Ausladens, das bis zur Dämmerung währt. Der Tag ist vorgerückt. In einem schmalen Einschnitt zwischen fichtendunklen Höhen wird die blutrote Sonnen scheibe noch einmal sichtbar und überflutet die Fläche des stillen Schilfsees im Grunde mit purpurner Glut. Der See, in dessen Wasser sich die schirmförmigen Kronen der Schwarzkiefern spiegeln, die fast alten hohen Pinien gleichen, ist leicht bewegt. Unablässig rollen die flachen Wellen heran, deren grauweißer Schaum auf dem Ufer- sand zurückbleibt, um in dem leichten Bodenfrost des No vembertages sogleich zu erstarren. Da wird es in der Luft noch einmal lebendig — rauschend und brausend fallen mit jäher Schwenkung ganze Geschwader von Staren in das dichte Röhricht, als ihrem gewohnten Nachtquartier, ein; auf jedem Rohr stengel hocken sie schwatzend und lärmend im Dutzend nebeneinander, daß das Nied wie dunkle Wogen auf- und niederschwenkt. Da und dort bricht eine Staude unter der Last, dann suchen die Exmittierten schnarrend und schimpfend ein anderes Unterkommen. Doch unversehens verstnmmt der Lärm — ein später Raubvogel, der seinen Schlafbaum, die alte graubärtige Wetterfichte am ge schützten Südhang des Berges, sucht, streicht niedrig über das geschwätzige Konvivium hinweg, und seine fatale Er scheinung, die an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnt, bringt auch eine Starenzunge auf Augenblicke zum Stillstand. DerAbend kommt. Der frühen Dämmerung folgt das Halbdunkel sternheller Novembernächte. Auf den Schienen rollt ein Güterzug vorüber. Aus den schwarz qualmenden Schloten der in der Steigung schwer arbeiten den Maschinen Wirbeln lohende Aschengarben auf. Eine Zeitlang noch trägt der Wind, bald stärker, bald schwächer, das rhythmische Stoßen der Räder herüber, bis der Tunnel das letzte Dröhnen einschluckt und dunkle Rauch schwaden aus dem schwarz gähnenden Portal wie Nacht gestalten langsam zur Höhe aufsteigen. Das Rottier mit seinem Kalb am Brombeergestrüpp des Einschnitts, hat kurz aufgeworfen, doch das Donnern der Züge stört es nicht mehr, vertraut kreuzen sie die Gleise und ziehen in den schattendunklen Hochwald hinein. über den Höhen im Osten geht mit tiefgelbem Schein der Mond auf: „wie traurig steigt die imvollkommne Scheibe des roten Monds mit später Glut heran". An fangs blickt er tief durch die schwarzen Stämme, dann steigt er höher und höher bis in die Kronen der alten Föhren, jetzt steht er über dem weiten Wipfelmeer und umspielt mit seinem milden Licht die hundertjährige Rieseneiche am Berghang, die über die dunkle Wand der jungen Fichtenschonung hoch hinausragt. Ein Schatten gleitet durch den Hellen Schein in das Dunkel des Unterholzes — Meister Grimmbart hat feinen nächtlichen Raubzug an getreten. Noch fällt draußen im Tak, wo die Felder an den Wald herantreten, ein später Schuß, der wohl einem Stück Schwarzwild galt, das um diese Stunde gern die Buchel und Eichelmast unter den Randbäumen sucht; von Wand zu Wand kommt der rollende Hall herangezogen und verebbt sacht zwischen Höhen und Tiefen. Dann wird es still, und das tiefe Schweigen der H^rbstnacht geht durch den schlafenden Wald... ' Verfügung des Führers über dis Arbeitsfront. Der Führer hat folgende Verfügung erlassen: Meine Verordnung vom 24. Oktober 1934 über die Deutsche Arbeitsfront wird dahingehend abgeändert, daß der 8 4 nachstehende Fassung erhält: 8 4. Führung und Organisation. Die Führung der Deutschen Arbeitsfront hat die NSDAP. Der Reichs- organisationsleiter der NSDAP, führt die Deutsche Arbeitsfront. Er wird vom Führer und Reichs kanzler ernannt. Er ernennt und enthebt die übrigen Führer der Deutschen Arbeitsfront. Zn solchen sollen in erster Linie Mitglieder der in der NSDAP, vorhandenen Gliederungen der NSBO. und NS.-Hago, des weiteren Angehörige der SA. und SS. ernannt werden. Ferner: In 8 5, Absatz 3, wird das Wort „Stabs leiter der PO." durch „Reichsorganisationsleiter der NSDAP.' ersetzt. Kurze poMsche Fachn'chien. über die Fragen des Einbaues der JugenS in den Beruf spricht im Deutschlandsender am 13. November von 18.10 bis 18.30 Uhr der Ober gebietsführer Artur Axmann» Leiter des Sozialamtes der Neichsjugendführung» zusammen mit dem Ober- rcgierungsrat Dr. Handrick von der Neichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge. , * Zur weiteren Unterstützung des Winterhklfswerks hat der Reichspostminister zugelässen, daß die Führer der Kraftposten an Sonn- und Feiertagen bis Ende März 1935 Geldspenden von den Fahrgästen sammeln. Die Kraftwagenführer geben an solchen Tagen Spen de n s ch e i n e über je 5 Pf. aus. -i- Nach halbamtlichen Schätzungen haben sich etwa 16 000 Mitglieder der Rechtsverbände an den Auf märschen beim Grabmal des Un b ek annten S o l- daten in Paris beteiligt. Der Umzug der links radikalen Organisationen dürfte 12 000 Menschen, da von etwa die Hälfte Frontkämpfer, umfaßt haben.' In Paris ist ein d e u ts ch - fr a n z ö si s ch e s Ab« kommen über die Doppelbesteuerung unterzeichnet worden. Dieses Abkommen war im Mai 1934 in Berlin paraphiert worden. Es wird nach Ratifi zierung durch den Führer und Reichskanzler und den Präsidenten der französischen Republik in Kraft treten. * Wie aus Nancy gemeldet wird, werden demnächst die Grenzbefestigungsarbeiten im sogenannten Loch von Montmödy beginnen. Die hierfür bereit stehenden Mittel belaufen sich auf 25)4 Millionen Franc. * Die holländische Regierung gab die Erklärung ab, daß sich durch die Aufnahme Sowjetrußlands in den Völkerbund in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Sowjets nichts geändert habe. Eine diplomatische An erkennung Sowjetr ußlands durch Hol land komme nach wie vor nicht in Frage. Der Führer bei der Schiller-Gedenkfeier. Der feierliche Staatsakt zum 175. Geburtstag Friedrich von Schillers im Deutschen Nativnaltheater zu Weimar erhielt seine besondere Bedeutung durch die Anwesenheit des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler. Unser Bild zeigt den Führer, Reichsminister Dr. Goebbels und Reichsstatthalter Sauckel mit anderen Persönlichkeiten in der Ehrenloge während der Feierlichkeit. Der loff suf ffoffsnkneff Roman von Lurt blnrtln ^11ö Usvble vorbobalten. — Uaobckilloll verboten 47 Oox^rigbt bzc Verlag „bleues beben", La^r. Owain Einmal wollte Sigrit dazwischenreden; aber der Kom missar fuhr sie heftig an. „Schweigen Siel Jetzt reden andere!" Da war sie verstummt. Endlich hatte Egon Gerdahlen seinen Bericht beendet. Seine Mutter saß in einem Lehnstuhl. Sie sah matt und leidend aus. „Es ist furchtbar gewesen, Herr Kommissar!" Der Kommissar ließ sich Tee, Wasserflasche und Flakon zeigen. Schließlich trat er zu Sigrit. „Was sagen Sie zu all dem?" „Ich weiß von nichts, Herr Kommissar." „Sie hatten das Flakon in Ihrer Stickerei versteckt?" „Nein. Ich sah das Flakon erst, als Herr Jobst meine Stickerei auseinandernahm. Da fiel es zu Boden." „Und wie ist es in die Stickerei gekommen?" „Das weiß ich nicht." „Was haben Sie mit dem Tee gemacht?" „Nichts! — Lassen Sie ihn mich trinken, damit Sie sehen, daß er nicht vergiftet ist!" „Das werden wir schon feststellen, was es mit dem Tee für eine Bewandtnis hat." „Ja, lassen Sie ihn untersuchen." „Das wird morgen geschehen. — Und was haben Sie in den Zimmern Ihrer Tante gesucht?" „Nichts! Ich sollte ja zu meiner Tante kommen." Da richtete sich Frau Gerdahlen wieder auf. „Es ist eine Lüge, Herr Kommissar! Sie hat wohl schon seit Wochen gesonnen, wie sie mich beseitigen könnte. Ich war ihr zu gefährlich. Ich schien ihr hinter ihre Gemeinschaft mit dem Mörder meines Schwagers kommen zu können. — Der Lee ist ganz gewiß vergiftet." Der Kommissar beobachtete Sigrit. „Sie stehen im dringenden Verdacht, in mörderischer Ab sicht versucht zu haben, Ihrer Tante Gift beizubringen. Ich erkläre Sie für verhaftet!" Sigrit taumelte zurück. „Wie — Sie verhaften mich?" „Machen Sie kein Aufsehen! — Sie folgen mir jetzt zur Polizeidirektion. Morgen »erden wir weiter sehen. Unser Auto wartet draußen." Sie krampfte die Hände ineinander. . „Das nicht. — O, nur da» nicht! Ich habe doch nichts getan." „Das wird sich morgen alle» ausweisen!" Max Jobst atmete auf. „Herr Kommissar, ich danke Ihnen, daß sie auf meinen Anruf vorhin so rasch gekommen sind. Wir haben da einen guten Fang gemacht, passen sie auf!" Sigrit schwindelte. Sie schluchzte. „Ins Gefängnis soll ich! — Ins Gefängnis soll ich! — Weshalb denn? — Was wollt ihr denn alle von mir!" Kriminalkommissar Deissinger gab seinen Leuten einen Wink. — Harte Hände faßten des Mädchens Arme. Sigrit warf sich zurück, sie schrie und jammerte auf. „Nicht! — Nicht das! — Ich habe ja nichts getan!" Die Hände ließen nicht locker. Sie wurde mehr zur Tür geschleift, als sie ging. Und dann saß sie im geschlossenen Auto. Ihre Kehle war wie zugeschnurt. Sie brachte kein Wort mehr über die Lippen. — Der Wagen hielt. Man schob sie in ein großes Zimmer. Jemand stellte Fragen an sie. Sie verstand deren Sinn nicht. Und wieder packten sie derbe Hände und schoben sie vorwärts. Sie wankte durch eine Tür, die hinter ihr kra chend zufiel und durch eiserne Riegel gesichert wurde. Nacht war um sie. Sie lehnte an der Wand. Ihr Herz klopft« zum Zer springen. Da hörte sie etwas rascheln. Sie schrie auf. Eine rohe Frauenstimme fuhr sie an. „Sei still — Dummes Ding, habe ick dir etwas getan?" Si« konnte nickts erkennen. „Wo bin ich?" „Auf der Polizeidirektion. Frauenzelle! — Werden schon noch mehr kommen heute Nacht. Du bist erst die zweite." Eine Hand griff nach ihr. „Komm her! — Findest dich nicht in der Finster nis, he?" „Sie schauderte zurück. „Lassen Sie mich!" Die Person murrte. „Ho, ho! — Nur sachte! -- Was hast du denn an- Das sagen sie alle! — Na, morgen früh Gesicht." gedreht, he?" „Nichts!" „Nichts! — sehe ich ja dein „Du, was ist? — Hast du was zu rauchen mit, eins Zigarette?" Sigrit antwortete nicht. Die andere drängte. „Nichts, he? — Bist wirklich eine Neue? Noch nicht hier gewesen? — Na, warte nur, du gewöhnst dich schon dran!" Sigrit sank neben der Wand auf die Knie nieder. Sie lag in sich zusammengesunken da, ihre Augen starrten in die Nacht um sie her. So sah also die Welt aus, in der Albert nun schon seit Monaten lebte! — Und sie? — Und sie? — Was wollte man von ihr? — Hatte sich die Welt jetzt auch gegen sie ver schworen? — Albert sollte vernichtet werden! — Und nun auch sie! — Wie denn aber? — Wie war es nur geschehen? — Gist sollte sie in den Tee gemischt haben? — Sie stöhnte. „Ich werde wahnsinnig." Die fremde Frau sprach wieder aus der Nacht zu ihr. „Na, na, na! — Das denkt jede, wenn sie erstmals hierher kommt. Ich kenne das schon. — So schlimm ist das nicht.— Der Mensch gewöhnt sich an alles. — Mich haben sie heute zum elften Male beim Taschendiebstahl er wischt. — Morgen komme ich ins Untersuchungsgefängnis« — Was hast du denn angestellt, he?" Sigrit hörte sie nicht. Sie kauerte am Boden. Hilflos schluchzte sie leis in sich hinein, die ganze Nacht hindurch.