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in Unordnung ist.' — Kann eine Wahnsinnige sich erinnern, mit welchen Worten der Gemahl einst ihr Herz berückt und zur Untreue gegen einen braven Mann verleitet? Mir brennen sie noch in der Seele. — Ich habe die Tage gezählt, die ich hier an diesem Orte des Schreckens verlebt und weiß, daß heute meiner kleinen süßen Hertha Geburtstag ist, oder ist's nicht wahr, daß wir heute den letzten August schreiben?" „Ja, meine Tochter, Du hast ganz richtig gerechnet/' sprach die Mutter, „o, mein Herr Doktor!" wandte sie sich zu diesem, „ist das Wahnsinn? Ich protestire feierlich gegen diese Gewaltthätigkeit, welche der eigene Gatte gegen sie verübt und fordere ihre Freilassung im Namen der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit, — des Gesetzes!" Der Direktor zuckte ungeduldig die Achseln. „Lassen wir diese Phrasen, Madame!" rief er drohend, „ich bin nicht gewillt, Sic ruhig anzuhkren, eS ist Wahnsinn, mindestens Ueberspanntheit, dergleichen zu denken, ein Ver brechen, es auszusprechen. Die Krankheit Ihrer Tochter scheint ein Erbfehler zu sein." „Beleidigen Sie mich, soviel Sie wollen, Herr Doktor!" versetzte Frau Walter würdevoll, „ich habe mich von der Wahr heit des Gerüchts, welches von einer gewaltsamen Einsperrung erzählt, überzeugt und weiß jetzt ebenfalls, daß jener Professor Hermann, welcher sich hicrhergewagt, um mein Kind aus dem lebendigen Grabe zu befreien und den sic hier, jedem Gesetze zum Hohne, als Wahnsinnigen zurückbehaltcn, meiner Tochter früherer Verlobter Hermann Wolfgang ist, also Mohrbach's persönlicher Feind. Reimt sich diese Geschichte, worüber das Publikum sich den Kopf zerbricht, nicht ganz vortrefflich, Herr Direktor?" „O, großer Gott!" stöhnte Louise, in Thräncn aus« brechend, „wars noch nicht genug, — auch er — er —" Sie barg ihr Antlitz außer sich an der Mutter Brust. „Tolles Weib!" murmelte der Direktor, „wie schlau sie mich überlistet hat. — es ist genug!" setzte er laut und ge bieterisch hinzu, den Wärter einen Blick zuwerfend. Dieser trat jetzt näher und sagte kurz: „Die Konferenz ist zu Ende, Madame muß sich entfernen." „O, Mutter! Mutter! verlaß mich nicht, nimm mich mit Dir," jammerte Louise, sich fest an sic klammernd, und ihre Augen mit einem herzzerbrechenden Ausdruck auf sie richtend, Sie peinigen mich hier zu Tode!" „Unglückliches Kind!" schluchzte die Mutter, „vertraue auf Gott, er läßt die Unschuld nicht verderben und machet alle Bosheit offenbar. — O, geben Sie mir mein Kind zurück, Herr Direktor!" wandte sie sich verzwciflungsvoll an diesen, „ich schwöre Ihnen, daß die Arme noch heute mit mir die Stadt verläßt und eine Scheidung ihren Gatten befriedigen soll." „Enden Sie die unerquickliche Komödie, Madame!" ver setzte der Direktor kalt, „wenn ihre Tochter geheilt ist, nicht eher, wird sie den Ihrigen zurückgegeben, zwingen Sie mich nicht zur Gewalt." „Die Ihnen schon zur Gewohnheit geworden, mein Herr!" rief Frau Walter mit dem Tone verzweiflungsvoller Ironie, „was hindert Sie daran, auch mich als wahnsinnig hier einzusperren? Sind Sie doch unumschränkter Herr in diesem Narrenhause." „Fort mit ihr," sprach der Direktor, zornig mit dem Fuße stampfend und sich der Thür zuwendend. „Lcb wohl, mein Kind!" flüsterte Frau Walter athemlos, „ich muß der Gewalt weichen, doch hoffe auf Gott und Deine Mutter!" Der Wärter packte Louise mit rohem Griff und stieß sie durch eine Seitenthür, vor welche er einen starken Riegel schob. Dann führte er die Mutter ziemlich unsanft aus der Zelle, welche der Direktor bereits verlassen und bedeutete sie kurz und barsch sich augenblicklich zu entfernen, um nicht eine andere Be handlung zu gewärtigen. Frau Walter hörte noch einen furchtbaren Schrei, sie er kannte die Stimme ihrer Tochter und glaubte, ihr Herz müsse in diesem entsetzlichem Augenblick brechen. Der unglücklichen Mutter wankten die Knie, die Decke schien sich auf sie herab- zusenken, die Mauern sic erdrücken zu wollen. Mit einem tiefen Seufzer sank sic bewußtlos zu Boden. Fünfzehntes Kapitel. Ein Muttcrfluch. „Gut, daß Sie kommen," rief Doktor Mohrbach dem zu ihm eintretenden Bruno Walter entgegen, „wissen Sie schon das Neueste, Herr Schwager?" „Wie kann ich alles wissen?" „Ihre Frau Mutter ist hier in der Stadt!" „Zum Henker auch, ist es Ernst?" „Bitterer Ernst, der alte Drache fehlt uns noch in diesem Augenblick, wo Alles so trefflich wie am Schnürchen sich fügt." Bruno ließ sich in einem Sessel nieder und machte ein bedenkliches Gesicht. „Das ist fatal," brummte er verdrießlich, „die Alte kann uns hier einen Heidenlärm machen, — woher haben Sie diese Neuigkeit?" „Sie war schon auf dem Mondholze — und hat dem Direktor die Hölle weidlich heiß gemacht, — ist sogar dort ohn mächtig geworden, das haben Sie benutzt, sie rasch in den Wagen gepackt und nach der Stadt fahren lassen?" „Und nun?" fragte Bruno lauernd. „Ja, nun müssen wir sehen, sie mit guter Manier wieder los zu werden," meinte Mohrbach, „Eie als Sohn könnten es am Besten bewerkstelligen." „Hm, sie ist doch immer meine Mutter," sagte Bruno achselzuckend, „habe mehr Rücksichten gegen sie zu nehmen als der Schwiegersohn, der sie schon einmal aus dem Hause ge worfen, Sie sind mit dergleichen Experimenten vertraut, Herr Schwager!" „Damals lag die Geschichte anders, — jetzt muß ich den alten Drachen mit spitzen Fingern anfassen, der öffentlichen Meinung wegen, die sehr leicht irre zu leiten und verdammt wandelbar ist, auch am liebsten Partei für heulende Weiber er greift. Muß mich vor jeglichem Scandal in dieser Sache hüten, und möchte Sie deshalb allen Ernstes bitten, die Alte sobald als möglich nach Hausc zu schaffen. — Doktor Todten berg," fuhr erregt fort, „hat die Albernheit begangen, die beiden verrückten Frauenzimmer zusammen zu bringen —" „Alle Wetter!" lachte Bruno spöttisch, „das mag ein Lamento abgegeben haben." „Es soll haarsträubend gewesen sein, ich gönne dem Direktor diese Scene für seine eigene Dummheit. Die Alte hat ihm die ärgsten Beleidigungen an den Kopf geworfen und sogar behauptet, der verrückte Professor sei der frühere Verlobte ihrer Tochter, Hermann Wolfgang, den ich ebenfalls als meinen persönlichen Feind widerrechtlich, weil er meine Frau zu retten versucht, habe einsperren lassen. Kann man die Tollheit weiter treiben?" „Gewiß nicht," lächelte Bruno höhnisch, „ich sagte Ihnen ja schon, daß meine Schwester die Ueberspanntheit von Ler Mutter geerbt habe. Ein Wunder, daß der gute Direktor nicht auch die Alte gleich zur Heilung dort behalten hat." „Pah, das wäre eine zweite Dummheit gewesen; — nein, nein, Sic sind der rechte Mann dazu, sie zur Raison zu bringen. Ich könnte es meiner Mutter überlassen oder der Inspektorin Büsching, — Sie haben sie hier bei mir gesehen — " „Ein famoses Weib —" bemerkte Bruno mit lüsternem Ausdruck. „Ihre Mutter haßt Beide, drum gehts nicht," fuhr Mohr bach achselzuckend fort, also, ja oder nein, Schwager!" »Ich sagte Ihnen schon —" „Meine Kasse steht natürlich zu ihrer Verfügung." Brunos Augen funlclten dämonisch. „Nun gut, ich gebe mein Wort, die Alte zwischen heute und übermorgen in die Heimath zurück zu dirigiren. „Lou, —" sprach Mohrbach, vergnügt eine Rolle aus seinem Schreibtisch nehmend, „wir verstehen uns, Schwager! mit Ihnen läßt sich schon leben." Bruno ließ die ziemlich schwere Rolle in seine Tasche gleiten und zündete sich eine feine Havannah an, die ihm der gefällige Schwager präsentirte. „Sie frühstücken doch mit mir, Walter?" „Mit Vergnügen!" Mohrbach klingelte und befahl ein Frühstück in den kleinen Salon zu bringen, wohin sich nach einer Weile die beiden würdigen Genossen begaben. Bruno Walter fühlte sich so behaglich wie der Fisch im Wasser, ein guter Tisch, ein vorzüglicher Wein, die feinsten Cigarren, was fehlte ihm noch — höchstens die Fran In spektorin, welche er heimlich an seine Seite wünschte. „Trinken Sic, Schwager!" rief Mohrbach, „auf die lebenslängliche Besorgung der Verlobten im Tollhause!" Die Gläser klangen lustig zusammen, Bruno lachte mit cymschem Spott, — jeder Funken Ehr- und Rechtsgefühl war in der Brust des Elenden erstorben. (Fortsetzung folgt.)