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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.05.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190905205
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090520
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090520
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-05
- Tag 1909-05-20
-
Monat
1909-05
-
Jahr
1909
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Bezug»-Prei« str Letz»,^ »»« Borort» durch uni«« Träg« und Spediteur« tu» Hau« aebracht: Sv^ moaatl., K.7V uss »ierteljthrl. Bei unser» Filialen u. Annahmestellen abaeholtr 7ll 4s »onatl., ll.llü vierteljLhrl. Lurch dtt Po«; innerhalb Deutschland« und d»r deutsche» Kolonien VierteljLhrl. ll.llst «onatl. au«Ichl. Postbestellgcld. Ferner i» Belgien, Dänemark, den Donaustaate», Italien, Lurembura, stiiederlande, Nor wegen, Oesterreich Ungar», «ustlaud, Schweben, Schwei, u. Spanien. I» alle» Übrigen Staaten nur direkt durch di» »«schästlliell« da« Blatte« erhältlich. La» Leipziger Da,«blatt erschaiut wüchend- llch 7 mal uud Mar morgen«. «dmmement-Annahme - August»«pl«tz 8, bei unseren Dräger», Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämter» u»d Bries trLgern. Di» einzelne Nummer kostet 1v «etaktien u»d GeschLftßstelle! Johanni«gasie 8. Fernsprecher: 14892. I4E. I««t. KiWgerTagMaü Handelszeitimg NmlsAatt des Rates und -es Rakizeiamtes der Ltadt Leipzig. 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Sie will auch am Freitag und Sonnabend Sitzungen abhalten. sS. 2. Beilage.) * Der Kaiser verlieh dem Statthalter Grafen von Wedel die Brillanten zum Schwarzen Adlerorden. * Das preußische Abgeordnetenhaus hat die Wahlen der Berliner sozialdemokratischen Abgeordneten mit großer Majorität für ungültig erklärt. lS. DtschS. N s * Am Geburtstag des Zaren wurden dir Zum Tode verurteilten Feldherren General Stössel und Admiral Nebogatow begnadigt. sS. Ausl.) * Sultan Mohammed V. hat den General Schewkct Pascha zum Generalkommandierenden der türkischen Armee von Europa ernannt. * Entgegen allen Dementis steht es nach einer neuesten Bel grader Meldung fest, daß die Skupschtina zum Herbst e i n- berufen werden soll, um die Abdankung des Kronprinzen rückgängig zu machen. * Auf der Rheinischen Metallwarcn- und Maschi nenfabrik in Düsseldorf brach gestern früh Feuer aus, wie es heißt, infolge Selbstentzündung von Putzwolle in dem Geschoßfüll- raum. 20 000 Schrapnells explodierten, ohne Schaden an zurichten politische Ferien. Der Reichstag hat nach Ostern vier Wochen lang gearbeitet und gönnt sich nun eine Erholungspause von gleicher Zeitdauer. Der Arbeits ertrag erscheint verhältnismäßig reichlich. Man hat eine ganze Reihe wichtiger Vorlagen endgültig verabschiedet: das Bankgesetz, das Münz- gesey, die Novellen zum Gerichtsversassungsgesetz und zur Zivilprozeß ordnung, ras Biehseuchengesetz, LaS Gesetz zur Sicherung der Forde rungen der Vauhandwerter, die verschärften Bestimmungen gegen den unlauteren Wettbewerb, das deutsch-amerikanische Abkommen über den gegenseitigen gewerblichen Rechtsschutz, die Berner Uebereinkunft. Man Hal in erster Lesung die Novelle zum Strafgesetzbuch, die Borlagen über die Haftung des Reiches für seine Beamten und über die zollwidrige Berw-nrung von Gerste erledigt. Man hat endlich einen Antrag auf Einführung einer staffelsörmigen Umsatzsteuer sür Großmüller an genommen, über Einsuhrscheine sür Getreide und über Rechtsverhältnisse der privaten AibeiteroersickerungSkasseu lang und breit geredet. Aber man bat sich bei all diesen Dingeu viel länger ausgehalten als nötig war, und deshalb kann dem Reichstag der Vorwurf nicht erspart bleiben, mit seiner kostbaren Zeit nicht haushälterisch genug gewirtschaftet zu haben. Den einzelnen Abgeordneten soll durch die Feststellung dieser Tatsache die Ferienruhe nicht verbittert werden. Wir erkennen vielmehr willig und gern an, daß in den Kommissionen von den meisten Abgeordneten erstaunliche Arbeitsleistungen vollbracht worden sind, raß man dort unter schärfster Anspannung aller Kräfte die Stunden des NormalarbeitStazes fortgesetzt überschritten hat. Wir konstatieren mit besonderer Befriedigung, daß die glatte Erledigung des sür den gewerblichen Mittelstand außerordent lich bedeusameu Wettbewerbsgesetzes speziell dem Abgeordneten sür Leipzig, Dr. Junck, zu danken ist, wir weisen weiter auf den bienen mäßigen Fleiß deS Abg. Dr. Weber in der Finanzkommission, aus die große Rührigkeit des Abg. Dr. Stresemann in der Grwerbeordnungskommission hin. Aber wir dürfen auch nicht verschweigen, daß die Haupiausgaben des Reichstags, Finanzresorm, BesoldungSrcsorm, Ver- sassun gSresorm, nicht enisernt in der Weise gefördert worden sind, daß sich das deutsche Volk mit Stolz seiner parlamentarischen Ver tretung rühmen könnte. Anstatt daß die vier Wochen zwischen Ostern und Pfingsten ein Bild erfreulichen nationalen Aufschwunges boten, wurden die Staatsbürger durch ein geradezu widerlich-kleinlicheS Feilschen um wirtschaftliche Sondervorteile einzelner Interefsentengruppen uud durch eine höchst beklagenswerte, wenn nicht gar beschämende Ratlosig keit der Reichsregierung gelangweilt und verärgert. Diese häßlichen Erinnernngen möglichst bald und möglichst kräftig zu tilgen, muß das ernsteste Bestreben de- Reichstags sür die Zeit seiner Sommertagung sein. Und weun die HundStage darüber anbrechen sollten, da- Werk zur Sanierung der Reichsfinanzen muß rasch zur Vollendung ge bracht werden, wenn wir nicht auch um unser kaum erst wieder gefestigtes Ansehen im Auslande bangen wollen. Die Bemühungen des so lange unschlüssigen Kanzler» sind jetzt endlich darauf gerichtet, den grenzenlosen Wirrwarr zu beenden. Bon neuem verpflichtete sich die Negierung auf ihr altes Programm, und wer jetzt noch WiderstandSgelüste zeigt, hat da- Recht, in nationalen Fragen als zuverlässig genommen zu werden, gründlich verscherzt. Die Nationalliberalen haben sich ebenso wie die Freisinnigen aus die Gewährung von 400 Millionen indirekter Steuern verpflichtet, ihr Wille dazu ist durch die jüngste Ankündigung der Schaffung eine» Mantelgesetzes noch gestärkt worden. Wenn damit auch nicht jede Möglichkeit unliebsamer Ueberraschungen auSgeschaltet ist, so kalun die liberalen P« voch wenigstens eine wertvolle Sicherheit für 100 Millionen dii Form ist strittig, unl ern in den Händen. Nur noch deren werden noch heiße Kämpfe entbrennen. Aber auch in dieser Beziehung kann der Liberalismus getrosten MuteS der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensehen. Mit der Regierung im Verein forderten alle liberalen Parteien die Erbanfallsteuer. Daß sie allein den gewünschten Betrag einbringen kann, bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Höhe der englischen Steuersätze beim Erbgang sollte die Regierung und den Liberalismus ermutigen, fest zuzugreifen und nicht lockerzulassen, damit uns das britische Volk an Opfermut nicht überstrahle. Wollen die Konservativen nicht mittun, wollen sie unter offner Verleugnung ihrer obersten Grundsätze das Recht der Krone schmälern, wollen sie dem Reichsgevanken den schwersten Stoß versetzen, dann mögen sie einmal den verzweifelten Mut zur Ver weigerung ihrer Mitarbeit an dieser Steuer zeigen. Die Reichsregierung kann davon jetzt nicht mehr abgehen, und der Liberalismus wird sie nicht preisgeben, denn ihm steht immer noch die Wahrung und Festigung des Einheitsgedankens höher als die Befriedigung der Sehnsucht selbst süchtiger Eigenbrötler. Der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei wird am heutigen Donnerstag in Berlin Entschließungen fassen, um der nat onalliberalen Reichötagsfraktion für ihre Haltung im Entscheidungs- kainpse die Richtlinien vvrzuzeichuen. Wir hoffen aus eine klare, würdige Kundgebung, die in ein frisches Bekenntnis zur Erbaufallsteuer anSklingt und die Unbeirrbarkcit des Willens der Nationalliberalen zu treffendem Ausdruck bringe. Atolonicrle Sparsamkeit. Lein Reichstage ist bekanntlich unlängst der Entwurf eines Eluis- gcießcs für die Schutzgebiete zugegangen, der demnächst beraten werden dürste. Neber das Gc'etz selbst ist ohne die einschlägigen intimeren Unter, lagen weiter nichts zu sagen und cs wird wohl schmerzlos verabschiedet werden. Aber in: Zusammenhang damit wird cs voraussichtlich einige minder schmerzlose Debatten abietzcn, denn Staatssekretär Dernburg will bei dieser Gelegenheit, wie wir hören, auf die vielumstrittene Au'- hebuna der Kommnnalverbände in Ostafrika zu sprechen kommen und diese Aushebung zu rechtfertigen suchen. Das wird ihm schwerlich ge lingen, wenigstens bei Kennern nnd denkenden Kolonialsreunden nicht. Für sie ist diese Aushebung der Selbstverwaltungsansänge nichts weiter als der Ausfluß eines Systems, das auf die Entwicklung eines selbständigen gesunden Staats- und Wirtschaftslebens in den Kolonien und auf das Ansehen der weißen Rasse schädlich einwirken muß. Wir brauchen an dic'er Stelle nichts weiter über diestS Kavitel zu sazen, do.-n wir Haven u leterbc'.st ausreichend daroe gu, daß das, was Dern burg angeblich mit der Aushebung der Kommunakverbände in Ostafrika bezwecken will, sich auf anderem, minder rigorosen und minder um ständlichen und kostspieligen Wege erreichen läßt — wenn man Wils. Aber, wie gesagt, es ist etwas ganz anderes, was Herr v. Reckerrbcrg will, als größere Sparsamkeit in der Verwaltung. Uud Dernburg ist entweder Herrn v. Nechenberg gegenüber blind oder das autokratische Regiment, das jener anstrebt, entspricht seinen eigenen Wünschen und Neigungen. Uns scheint nach mancherlei Proben daheim und draußen letzteres der Fall zu sein. Doch davon ein andermal. Wir wollten von der Sparsamkeit reden, die immer vorgeschoben wird, wenn es sich darum bandelt, etwas als undurchführbar hinznstellen, was nach natio naler Kolonialpolitik aussieht. Z. B. find sich alle unbefangenen nnd vaterlandsliebenden Kolonial kenner darüber einig, daß die Besiedlung der Kolonien da, wo sie möglich ist, mit aller Energie, wenn nötig unter Zuhilfenahme von staatlichen Mitteln gefordert werden müßte, wie es jeder südamerika nische Ranbstaat tut. Aber diese Art Kolonialpolitik paßt manchen Leuten nicht in das Kalkül. Und das große Publikum glaubt blindlings, daß daS mächtige Deutsche Reich nicht einmal ein paar hunderttausend Mark hat, um einer Anzahl nichtiger deutscher Auswanderer z. B. bei der Besiedlung deS Kilimandjarogebiets die Wege zu ebnen — auch auf die Gefahr hin, daß dieses Geld zunächst lonck pSr-In ausgegebcn wird. Da bat beispielsweise der Kommandeur der ostafrikanischen Schutz truppe trotz der schlechten Finanzlage eine „Ncvisionsreise" gemacht, die beiläufig 60—80 000 kosten dürste. Nicht als ob wir dem Kom mandeur verargen wollten, daß er die Schuturnppen revidiert. Aber braucht er dazu einen Stab von vier Europäern, 200 Trägern und vielen schwarzen Soldaten? Und was gibt cs im Grunde genommen zu revidieren? Ob eine schwarze Kompanie einen besseren oder schlechteren Parademarsch macht, ist ziemlich gleichgültig, und einem deutschen Hauvtmann kann man doch eigentlich ohne Revision zutrauen, daß er seiner Kompanie die sür ostafrikanische Bedürfnisse erforderliche Kriegskunst beibringt, lind den VerwaltnngSapparat kann unserer be- scheidenen Meinung nach auch ein „Zahlrat" revidieren, dazu braucht sich nicht der Kommandeur höchftielbst zu bemühen. Es sind nach Ansicht alter erfahrener Kolonialoffiziere überhaupt in Ostafrika viel zu viel Os'iziere. Bei zwei- bis dreistündigem militä rischen Dienst in der Woche braucht man keine drei Offiziere für die Kompanie. Tas ist Verschwendung. Unteroffizierstellen tun's ebensogut. Wenn man sich also jetzt so sehr auf Sparsamkeit kapriziert, was sicher sehr löblich ist, so sei hiermit aus einen Punkt hingewiesen, wo sich viel sparen läßt. Dem Reichstag znr Beachtung! Dernburg hat den jetzt ausgehobenen Kommunalverlünden Ver schwendung vorgeworfen; in welcher Hinsicht hat er nicht gesagt. Nun, deren Ausgaben kamen, auch wenn sie nach bnreaukratischen Begriffen Verschwendung darstellen, schließlich doch irgendwie dem wirtschaftlichen Leben zugute. Das kann von großen Rcvisionsexpeditionen, wie der obenerwähnten, kaum behauptet werden. Item: die Kolonialverwoltunq könnte, ehe sie andere Leute zur Sparsamkeit anhalten will, vor ihrer eigenen Tur kehren! Die englisch-russische Entente. Unsere Zeit ist raschlebig. Immer schneller wird das Tempo, in dem das Werdende das Gewordene oblöst, und kaum hat das Neue An erkennung gefunden, so muß es schon dem Neuesten weichen. Man merkt das auch in der Politik. Früher wurde ein Großer auch als Staats mann von den Zeitgenossen selten zu Lebzeiten anerkannt oder recht ge- würdigt. Er konnte im allgemeinen froh sein, wenn er die Morgenröte seines Ruhmes erlebte und im Vorgefühl bedeutenden Nachruhmes aus dem Leben scheiden konnte. Heute wechseln Berühmtheiten wie Moden. Heut« ist diese, morgen jene Persönlichkeit Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. In der europäischen Politik war Wilhelm II. einmal ein solcher Mittelpunkt, und blieb es, bis die Erfolge seines Onkels ihm der Gunst der öffentlichen Meinung beraubten. Lange Zeit galt dann König Eduard als ein Zauberer, der bei allen deutschfeindlichen Um trieben auf dem europäischen Festlande die Hand im Spiele haben sollt«, und das ganze nichtdeutsche Europa England botmäßig -u machen schien. Nichts konnte in unserm Weltteil mehr geschehen, wovon man nicht bald behauptete, dieses gekrönte Genie habe es eingefädelt. Und doch ist, so scheint'«, der strahlende Mittag de« Ruhme« King Edward« schon vor über Es will Abend werden sür die spät« Blüte der politischen Talente des greisen englischen Königs. Freiherr von Aehrenthal hat benneien, daß er ein noch ganz anderer Kerl ist, und seitdem spricht man kaum noch von dem einst so gefürchteten „Onkel Eduard", wenn etwas Wichtiges auf der politischen Bühne vorgeht. Seit der Zusammenkunft mit dem Zaren Nikolai in Reval ist der Ruhm König Eduards im Verbleichen. Dieser Tag sollte sein LebenS- werk krönen, sollte die Einkreisung Deutschlands durch die endgültige Besiegelung der englisch-russischen Freundschaft vollständig machen und eine ununterbrochene, lange Reihe britischer Erfolge im politischen Leben Europas einleiten. Zunächst galt es, die englisch-russische Entente, die in der Theorie schon für manche asiatische Gebiete bestand, im nahen Orient und in Zentral- und Südasien in die Praxis zu übertragen. Doch es kam anders. Reval war kaum vorbei, als in Persien die blutige Sonne der Gegenrevolution aufging, als der junge persische Parlamen tarismus mit russischer Unterstützung von Kosaken niedergestampft wurde, während König Eduard, die Sänke durch ein englisch-russische« Abkommen gebunden, ruhig zuschauen mußte. In Reval sollte nun auch für Mazedonien ein „vollkommenes Einvernehmen" erzielt worden sein aber die Aufrichtung einer kosakischen Schreckensherrschaft in Persien weckte in Downingstreet die Angst, daß eine britisch-russische Balkan- Entente in ähnlicher Weise die englisch« Diplomatie fesseln, dagegen kür Russenkiiechle neuen Spielraum schaffen möchte, die Knute zu schwingen Es vergingen Wochen, nnd man merkte nichts von einem britisch- russischen Einvernehmen über Mazedonien. England rückte zunächst mit einem eigenen besonderen Vorschläge heraus und ließ die Neugierde, was kür gemeinschaftliche Pläne die britisch-russische Verständigung in sich bergen mochte, noch unbefriedigt. Die Ungeduldigen wurden vertröstet Was ,n Reval in rohen Umrissen entworfen war, müßte erst fein berauSgearbeitet werden. Schließlich werde sich schon zeigen, daß in Mazedonien britische, russische und noch manche andere Interessen wobl unter einen Hut zu bringen wären. Da kam der sungtürkische Aufstand und veränderte mit einem Schlage die ganze Sachlage. Mit staunen«- werter Ruhe, Sachlichkeit unk Entschiedenheit schufen di« Jnngtürkcn die Grundlage geordneter Zustände in dem Wirrwarr des Osmanen- reiches. Wie durch Zauberwerk ging auf einmal alles wie am Schnürchen, selbst in den mazedonischen Wilajets, wo unsäglich müh- jeuae. verwickelte, langwierige, kostspielige Maßnahmen der Mächte nic leidliche Ruhe und Sicherheit herzustellen vermocht hatten. Und aus oen europäischen Hauptstädten vernahmen die Jungtürken nur eine Stimme des Lobens und Rühmens. Die englische Negierung besonders hatte es eilig, den Junglürken durch den Mund Sir Edward Greys zu ihrem Erfolge Glück zu wünschen. „Ebenso erfreulich wie dies ist sdaß die Jungtürken „für einige Zeit und in gewissem Maße" Sicherheit und Ruhe geschaffen habens, ebenso bemerkenswert ist es, daß di« n«ue Lage in dem Augenblicke eintrat, da wir den andern Mächten Vorschläge zur Bildung einer fliegenden Kolonne zur Unterdrückung der Banden mit Unparteilichkeit und Nachdruck unterbreiten, und daß in diesem Augen- blick die Banden verschwinden. Wenn dieser Stand der Dinge fort dauert, und die Banden wirklich verschwinden, so wird di« Bildung einer solchen Streitmacht zu ihrer Vernichtung nicht notwendig sein." Also sprach Grey im englischen Unterhause. Das hi«ß, eine vorzügliche Ge legenheit benützen, sich unauffällig aus der Schling« zu ziehen. John Bull brauchte angesichts einer „vollkommen neuen Lage" nicht mehr zu- zugeben, daß Reval ein Fiasko für ihn gewesen war, und ihm blieb die Hoffnung, daß nun die Jungtürken seine Geschäfte besorgen würden. Letzteres war aber ein Irrtum. Die Enttäuschung kam mit der öster- reichisch-türkischen Verständigung. Seitdem sind, wie alle Welt weiß, die Jungtürken in Downingstreet nicht mehr gut angeschrieben. Ihre Vereinsamung trug ihnen dann die neuliche Gegenrevolution ein. John Bull hätte mit keiner Wimper gezuckt, wenn die junge türkische Freiheit, bei deren-Geburt er gewissermaßen Gevatter gestanden, vom Alttürken iu Blut ertränkt worden wäre, aber sie hat die Feuerprobe bestanden. Mittlerweile batten die serbisch-österreichischen Verwickelungen wieder Anlaß zu einem gemeinsamen englisch-russischen Vorgehen im nahen Orient gegeben. Doch war es wieder nur zu EinschüchterungS- versuchen gekommen, die Oesterreich und dem dahinterstebenden Deutsch land galten. Aber man ließ sich in Wien- nicht einschüchtern, und das zögernde Berlin wurde von dem kühnen Wagemut des Freiherrn von Aehrenthal mit fortgerissen. Das englisch-russische Entente-Gewitter konnte eben über der Balkanhalbinsel nicht zur Entladung kommen; es verzog sich nach Asien. Nun ist es über Persien ausgebrochen. Dort soll es Ernst werden. Die Russen haben Täbris, die Engländer Abukir besetzt, und die Vertreter der Londoner und Petersburger Regierung haben den Schah unter dem Drucke dieser Maßnahmen genötigt, seinen Widerstand gegen die Er neuerung der Verfassung auszugebcn. Es ist gar nicht verwunderlich, daß sich die russische Regierung bereit finden ließ, mit für die Wieder aufrichtung des Parlaments einzutreten; denn der Versuch, durch unver- antwortlich« russische Elemente die Alleinherrschaft des Schah? im ge heimen Dienste Rußlands sicherzustellen, war ja gescheitert.^ und in Persien offen gegen den englischen Einfluß anzukämpfcn, dazu fühlt mon sich auf russischer Seite noch nicht wieder stark genug. ES u>ar nun in letzter Zeit immer wahrscheinlicher geworden, daß der Schah im Kampfe gegen die Revolution bald erlahmen werde. Ein vollständiger Sieg der Revolution konnte aber weder im englischen, noch im russischen Interesse liegen: ein Kompromiß, eine Verfassung, die die Macht deS Schahs ein schränkte, ohne den Liberalen Genüge zu tun, bildete jetzt die Voraus setzung für die Fortdauer sowohl russischen, wie englischen Einflusses in Persien. Einstweilen, hat indes das enalisch-ruisischf Vorgehen nur neue Ver wirrung gestiftet. Gewiß, der Schab gab seinen Widerstand auf, nur wachte das ans seine Gegner keinen Eindruck. Diese fordern jetzt die Anslieserung von 16 Personen an? d«r Umgebung des Schab? und dessen Abdankung oder Entfernung au? dem Lande für mehrere Jabre. Sie haben die Verlegenheiten, die die britisch-russische Einmischung der Schahpartei bereitete, klug ausaenützt, und e? wird jetzt gemeldet, daß die Umzingelung Teheran? vollständig durchgeführt sei. Was soll nun au? der britisch-russischen Entente werden, wenn die Nationalisten den Schab stürzen und -die ganze Macht des Reiche? an sich reißen? Werden sich die Sieaer von England und Rußland gutwillig eine Verfassung nach deren Geschmack aufnötiaen lassen? Gewiß nicht. Muß aber die „Entente" gegen da? persische Volk durchgesetzt werden, dann darf man nicht vergessen, baß im Hintergründe, fern im Osten Japan lauert, da* schon zu versieben oab, die russisch-englisch« Intimität möchte ibm dem nächst Anlaß znr Kündigung des Bündnisvertrages geben, und ganz nabe die neue Türkei, die ebenso wie Japan al* eine innge, aulstrebenbe. vorwiegend asiatische Macht jeder weiteren Ausbreitung eurovaischen Einflüsse? in Asien eittaeaenarbeiten muß. Man wird zunächst ab- warten müssen, welche Ueberraschungen die Entwickelung der inneren Verbältnisse Persien? bringen mög«n. O E Der pariser Streik. Aus Paris wird uns heute geschrieben: Unter den Mitgliedern de« Kabinettrates herrschen bezüglich deS Beamteustatut» zwei ver schiedene Auffassungen. Die eine wünscht ein liberale» Ge setz, da» dem Beamtenpersonal in weitgehendem Maße Garantien gibt, der andere Teil ist Gegner der Verleihung solcher Garan tien, von denen man eine Einschränkung der Staat»autorität gegenüber
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