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Ein Geheimnis. Er trägt auf seinen weichen Schwingen den Atem der schaffenden Gottheit, der überall, wo er die Erde, die Bäume und Büsche berührt, die Wunder des quellenden Blütenreichtums erstehen läßt — der in den Pflanzen das neue Leben, im Menschenherzen verheißungs volles Hoffen redet: Frühling! Nikolaus Erichsen sitzt über seinen Folianten und vertieft sich in den Geist der Schöpfung Giordano Brunos, er ist noch ernster geworden, in seinem Antlitz liegt ein finsterer Zug; er möchte am liebsten garnicht mehr sehen oder hören, was von der Außenwelt zu ihm hereindringt, denn Gutes ist es nicht. Jetzt hebt er den Kopf und sieht m der Schwester hinüber, die, den letzten Schimmer des Tageslichts benutzend, am Nähtisch arbeitet. „Hörst Du es, Jutta? Da ist er wieder, der Toten vogel, mit seinem unheimlichen Gekreisch! Wir hatten doch sonst die lichtscheuen Tiere nicht in unserer Gegend." Er beginnt von neuem zu lesen. Draußen aber er schallt es undeutlich und aus beträchtlicher Entfernung noch einmal: „Kiwitt — kiwitt — kiwitt!" Jutta näht weiter; aber sie hat ihre eigenen Ge danken darüber, was es für eine Verwandnis mit dem Totenvogel hat; er ist die Stimme der Sünde, die Un heil bringend das Haus umwittert und immer engere Kreise zieht. Jetzt wird draußen in der Küche die Hofthür vor sichtig geöffnet und wieder geschloffen; Tante Jutta schüttelt mit dem Kopf — ihr Verdacht hat sich bestätigt — es bedurfte besten kaum noch. Sie weih es wohl — ihre 'stolze Leonore vergißt sich so weit, dem jungen Baron hinten im Garten am Saum des Buchenwaldes, der zu Haraldshoim gehört, ein Stelldichein zu geben; er hatte das Zeichen seiner Anwesenheit hören lasten und sie eilt zu ihm; was soll das werden, und wie wird das Trauer spiel enden? Aber von Mittleid ersaßt, hat Tante Jutta nicht den Mut, störend einzugreifen — es ist ja so natürlich, daß die jungen verliebten Menschenkinder einander sehen und sprechen wollen. — Als Rahel, die heute ihren Unterricht im Dorfe er teilt, nach Hause kam, äußerte Leonore, noch bewegt'von der heimlichen Unterredung mit dem Baron: „Laß mich am Abend nach dem Gebet mit dem Vater allein; es gelingt mir nicht, Eugen länger hinzuhalten, er dringt darauf, mit ihm zu sprechen. Nun, ich will ihn wenigstens vorbereiten, weil Vater sonst im Stande ist, ihn gar nicht zu empfangen. Und noch eins — Baron Albrecht sendet uns seine Grüße, seine Frau ist sehr unwohl uno liegt zu Bett — leidet an schrecklicher Verstimmung; wir sollten ihm doch die Freundlichkeit erzeigen, sie ge-> legentlich zu besuchen." „Geh Du, Leonore." „Ich bin wirklich nicht in der Verfassung, eine launen hafte Kranke zu zerstreuen — solche Samariterdienste ver stehst Du zehnmal bester." Rahel will jedoch nicht — sie geht ungern nach dem Schlosse; eigentlich zieht es sie dahin, sogar mit uner klärlicher Gewalt, aber gerade deshalb will sie nicht. Baron Albrecht thut ihr leid, unausgesetzt ertappt sie sich bei dem Gedanken an sein Unglück; warmes Bitten und schmeichelhaftes Flehen für etwas Unbekanntes, das uner wartet, wie eine fremdartige Blume im Verborgenen erstehen möchte, regt sich in ihr. Doch der Vater lehrte: hart sein gegen sich selbst, — unausgesetzte Selbstzucht üben, sich kasteien, wenn die Sünde unter harmlosem Gewände ins Herz schlüpfen möchte. „Das thut Rahel; mit starker, schonungsloser Hand tötet sie im Innern dies Werden, das zum Lichte dringen möchte, um so warm und golden wie die Sonne ihr ganzes Sein zu überfluten. Aber riß sie auch das Unkraut aus dem zuckenden Herzen — die Wurzel blieb, und über Nacht sproßen neue Keime aus der kaum vernarbten Wunde. — (Fortsetzung folgt.) Humoristisches. Kirre gute Ausrede. Vater: „Nanu, Du kommst jetzt schon aus der Schule?" Der kleine Paul: „Ja, wir haben Hitzferien bekommen!" Vater: „Was? Im Dezember?" Naul: Ja, unser Schuldiener hatte zu stark kingeheizt!" Hi« Mißverständnis- Sommerfrischler (der spät nachts in ein überfülltes Wirtshaus einkehrt und kein Bett mehr bekommt): „Haben Sie wenigstens ein Bündel Heu für mich?" — Wirt (ärgerlich): „Nee — es ist nischt mehr da, als ein bisiel Kalbs braten?" Zweideutig. Dienstmädchen: „Ich möchte mich verbessern!" — Hausfrau: „Ja, thun^Sie das nur, es ist die höchste Zeit!" Wexierbit'd. wo ist die Sennerin und der andere Tourist? Nachdruck aus dem Inhalte dieses Blattes verboten. Gesetz vom 11- April 1870. Redaktion, Druck und Verlag B. Angcrst - iu, Wernigerode.