Volltext Seite (XML)
Zweites Blatt. H ß MMMn M IM EINMMM 2V 96^^9919^1 ^91^ ^19191911^ Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Ml'., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne Nummern 10 Pf. ThmM, Noftn, Äkbtnlkhn »nd die Umgegenden. —- Jintsblutt Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionsvreis 10 Pf. pro dreigespaltene t Corpuszeile. für die Agl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Aal. Horstrentamt zu Tharandt. No. 101 Freitag, den 16. Dezember 1892. Unheimliche Nachbarn. Erzählung von Emilie Heinricks. (Nachdruck oerboleu.) Onkel Lüg. „Schweig endlich mit Deinen Dummheiten, Vetter! Dein Gewäsch klingt so hohl und so närrisch, als steckte Dein Kopf in einer leeren Tonne. Ich sage Dir, daß Deine Stiefmutter verschmitzt ist und den Alten zu nehmen weiß. Ihr Gucker- Söhnchen, der studirte Wilhelm, den sie schon als Professor sieht, wird alleiniger Erbe, wenn der Alte ins Gras beißt, und Du gehst mit dem weißen Stabe davon, kannst vielleicht durch Deines Stiefbruders, des Herrn Doktors Gnade, ins Armen haus kommen." Diese Worte, rauh und spöttisch hervorgestoßen, sprach ein Mann von ungefähr 4'3 Jahren, der lang auSgestreckt im Grase lag und sich bei den letzten Worten etwas emporrichtete, indem seine großen grauen Augen einen andern, etwas jüngeren Mann mit spöttischem Ausdruck anstarrten. Es war eine seltsame, abstoßende Gestalt, dieser Aeltere, auch im ganzen Dorfe Waldbergen und der Umgegend verrufen und deshalb von allen Besseren gemieden. Sein Gesicht war wüst und von Blatternarben zerrissen, ein voller rother Bart umgab Kinn und Mund, der Blick war boshaft, heimtückisch und sein Lachen galt stets bei denen, die ihn fürchteten, und deren Zahl war nicht gering, als eine Warnung, auf ihrer Hut zu sein; dabei war er im höchsten Grade jähzornig und drohte bei dem geringsten Anlaß, von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Die Waffe lag auch jetzt neben ihm, eine ausgezeichnete Jagd flinte, stets geladen und bereit zum Anschlag. Ernst Bornemann, so war sein Name, war in früheren Jahren bei einem benachbarten Fürsten Leibschütz gewesen, durch einen Schuß ins Bein, über den verschiedene dunkle Gerüchte liefen, invalid geworden, und seitdem der Schrecken des Dorfes, ein Bärenhäuter im elterlichen Hause. Er war leidenschaftlicher Jäger, ein tüchtiger Schütz, den zuweilen, trotz seiner zweideu tigen Persönlichkeit, selbst hohe, adelige Herren mit auf die Jagd nahmen. Er trug sich deshalb auch stets wie ein Jäger, wenn auch in grober, doch höchst anständiger Jagdkleidung, deren blanke Knöpfe Hirsche und Rehe zeigten. Der Mann, welcher in diesem Augenblicke etwas entfernt von ihm auf einer niedrigen Mauer saß, und an den er die eingangs erwähnten Worte richtete, war ein wüster, ver kommener Mensch. Das beständige Leben im Wirthshause hatte diesem bleichen Antlitz mit den scheuen, gerötheten Augen den Stempel der Verkommenheit vollständig aufgedrückt. Fritz Jacobi, so hieß der Mann, war das getreue Spiegelbild so vieler, vieler Tausende, die kein besseres Ziel auf Erden kennen, als die eigene Ernied rigung, die vollständige Zerstörung ihrer sittlichen und bürger lichen Existenz, die Vernichtung des einzig wahren Glückes, das dem Menschen in der Familie so reichlich geboten wird. Fritz Jakobi war seines Zeichens ein Tischler, bereits Meister im Dorfe, und besaß seine eigene große Werkstätte. Doch war er stets geneigt, wie Alle seines Schlages, seine Verkommen heit eher auf den Herrgott selber, als auf sich zu schieben. Er mußte dem Ernst Bornemann, seinem Vetter, wohl soeben seine Noth geklagt haben, daß dieser ihn so rauh und verächtlich zurechtwies, denn eine geraume Weile ließ er den Kopf hängen und blickte mit kläglicher Miene von der Mauer, auf welcher er saß, hinab in das Flußbett, wo es donnerte, zischte und brauste, daß der weiße Gischt wie im tobenden Grolle hoch aufspritzte. Es war eine mächtige Tiefe, da hinunter in den Strudel, wohl an hundert Fuß. Der Fluß, welcher das in der Nähe liegende Dorf Waldbergen begrenzte, schwoll oft bei zu häufigem Regen und Schneefall in den Gebirgen des Landes sehr hoch und reißend an, weshalb vor zwei Jahrhunderten ein Bürger der von Waldbergen nur eine Stunde entfernten norddeutschen Residenz, ein Patriot in echtester Bedeutung, hier an dieser Stelle ein sogenanntes „Wehr" auf seine Kosten hatte erbauen lassen, um den Strom in ein neues Bett zu leiten und da durch die Gegend vor Ueberschwemmung zu schützen. Hinter diesem Wehr bildete der Fluß zwei Arme, welche eine kleine Insel, einen reizenden Garten umschlangen, und sich dann wie zwei treue Brüder vereint in ihr gemeinschaftliches Bett ergossen. In diese donnernde Tiefe schaute jetzt der Tischlermeister^ 8fitz Jakobi schweigend binab. Die Worte des Jägers fraßen wie ätzendes Gift in seiner Seele und rüttelten den fürchter lichsten Groll in ihm wach. Ernst Bornemann, der sich von Alt und Jung im Dorfe am liebsten „Onkel" nennen hörte, eine Benennung, die man des halb schon aus Furcht ihm gegenüber gebrauchte, obgleich man ihn heimlich seiner Aufschneidereien und Lügen halber „Onkel Lüg" getauft hatte, rief plötzlich mit einer Stimme, die das Brausen des Wasserfalls übertönte: „He, Vetter! Willst Du die Tiefe messen, wenn Du Lust bekommen solltest, das weiße Bett da unten aufzusuchen?" Der Tischler fuhr erschrocken von der niedrigen Mauer zurück, als sähe er sich schon da unten mit zerschellten Gliedern in den Strudeln versinken. Dann trat er dicht an des Jägers Seite und sprach mit heiserer Stimme: „Höhnen und spotten kannst Du, aber einen guten Rath, den darf man von Dir nicht erwarten. So will ich denn das Letzte versuchen, will an meinen Bruder Wilhelm schreiben. Vielleicht hat er Las Geld oder macht's doch möglich, daß ich aus der Patsche komme." Ohne einen Gruß wollte er rasch feldeinwärts gehen, doch mit einem Sprunge stand Ernst Bornemann neben ihm und hielt ihn zurück. „Narr! An wen willst Du schreiben um Geld? An den Schulmeister? Gott straf' mich, ist das wieder ein Staats einfall von Dir. Da hätte der feine Wilhelm Dich mal ganz nach seiner Lust in der Hand und könnte Dich zappeln lassen nach seinem Wohlgefallen. Wie groß ist die Schuld, um deret- willen man Dich einsperren will?" „Hundert und fünfzig Thaler!" „Pah, eine Lumperei für den Sohn des reichen Jakobi!" rief der Jäger wegwerfend. „Nicht war, Vetter?" meinte Fritz mit einem tiefen Athemzuge, „es ist eine Schande von dem Alten, mich darum ins Gefängniß bringen zu lassen. Seit acht Tagen sucht mich der Gerichtsvogt, ich muß mich verstecken wie ein Hase und darf mich nicht in der Werkstätte mehr blicken lassen. Fuß fällig habe ich den Alten gebeten, mir noch einmal zu helfen, nichts — da zur Thür warf er mich zuletzt hinaus." „Die Stiefmutter steckt dahinter," bemerkte Ernst Borne mann, einige Schritte vorwärts gehend. Man sah jetzt, daß er das linke Bein nachzog, ein Merkmal jenes zeheimnißvollen Schusses, den er vor Jahren erhalten. „Er höhnte mich zum Ueberfluß noch aus, der Alte," fuhr der Tischler, ohne die Bemerkung des Vetters zu beachten, fort ; „bist Du ein vornehmer Mann, um Wechsel ausstellen zu können," so sagte er, „so schreibe den Verfalltag nicht, wie Du es sicher gethan hast, mit schwarzer Kreide in den Schornstein an, da liest es sich nicht gut, und man vergißt gar leicht den Tag." „Du hättest es sollen in seinem Geldschrank anschreiben," lachte Ernst spöttisch. „Alles Unglück, das über mich kommt, hat der Alte mit seiner Heirath verschuldet," grollte Fritz, „ich war anstelliger Bursche, und hätte er mir keine Stiefmutter gegeben, zum Henker ich wäre auch wohl kein anderer Mensch geworden." „Ja, wir beide, Fritz, wir waren ein paar anstellige Burschen," grinste der Jäger, „ich war dazumal, als Dein Vater wieder heirathete, gerade 22 Jahre alt, Du warst eben konfirmirt. Kraut und Rüben! Zwei fixe Jungens, besonders wenn's zum Freischießen ging, hoch zu Roß, die Goldfüchse in der Tasche. Dann lachte meinem Alten das Herz im Leibe vor Stolz über seinen Jungen. Nachher freilich sind es jämmer liche Knicker geworden, Dein Alter besonders — die Stiefmutter zählt Dir die Pfennige zu. Schöne Zucht!" — Er warf mit einer verächtlichen Gebärde die Flinte über die Schulter und wollte pfeifend über die Wiese schreiten, als ein Hilferuf des Tischlers ihn zurückrief. „Habe ich endlich den Schlemmer, den Galgenstrick!" tönte eine starke Männerstimme, und ein Gerichtsvogt hielt den er schrockenen Tischler am Kragen. „Ach, lassen Sie mich doch los, thun Sie mir den Schimpf nicht an," flehte Fritz Jakobi mit weinerlicher Stimme, indem er sich aus den Händen des Genchtsvogts zu befreien strebte. „Hilft nichts, fort mit ihm, und geht er nicht gutwillig, nun, dann habe ich hier Handschellen. Wird in der Stadt desto mehr Aufsehen machen." „Haben Sie doch Mitleid mit mir," heulte der Tischler, s „mein Vater wird es ganz gewiß bezahlen. Und dann erbe !ich ja nach seinem Tode viel Geld, mein Vater ist ja so reich." „Sein Vater wird keinen rothen Pfennig für ihn bezahlen — hat schon genug an ihm verlottert — kommt davon, wenn dem Schulknaben schon Geld in die Tasche gegeben wird und die Herren Söhne mit Goldstücken umher werfen können. Da dürfen sich die Väter nicht wundern, wenn endlich ein großer Tagedieb und Schlemmer daraus wird. Marsch ins Loch mit ihm!" „Heda, Sie Fanghund:" rief Ernst Bornemann, welchen der Szene bislang gleichgültig zugeschaut, „lassen Sie mir der Vetter hübfch in Ruh'! Er hat den Wechsel im Schornstein angeschrieben und wird ihn am Begräbnißtage seines Vaters einlösen. — Bah, ich denke, der Name des reichen Jakobi ist doch gut für solche Lumperei." „Sie warten auch wohl schon, wie dieser hier, auf den Tod Ihres Vaters," warf der Gerichtsvogt finster hin, im klebrigen hat er nichts drein zu reden." „So, — meinen Sie wirklich?" versetzte Jener mit lang gezogener Stimme, indem er ruhig die Flinte von der Schulter nahm und den Hahn untersuchte. Dann legte er mit derselben Ruhe auf den Gcrichtsvogt an, und rief mit starker Stimme: „Die Hand von meinem Vetter, oder ich brenne los!" „UmGvtteswillen, Ernst! Du kannst mich treffen," heulte der Tischler in tödlicher Angst. „Na, was läge daran," lachte der Jäger spöttisch, „dann brauchtest Du nicht ins Gefängniß. Doch sei ruhig, ich schieße den Vogel im Fluge, und sollte solchen großen Fanghunb fehlen?" „Fort mit der Flinte," rief der Gerichtsvogt, „Sie er wirken sich durch diese Drohung selber Gefängniß." „Schlechter Witz das," spottete Bornemann, nun, — wird's bald? — Los, sage ich, oder die Kugel sitzt Dir im Pelze. Zum Henker! in meinem Revier laß ich mir kein Wild abjagen." Der Hahn knackte — und der Gerichtsvogt ließ langsam seinen Arrestanten los, der sich mit einem Satze hinter den Jäger flüchtete. Der Mann des Gesetzes kannte den „Onkel Lüg" genug, um zu wissen, daß sein Anschlag keine leere Drohung sei. Er war nicht furchtsam, doch hier in dieser Einöde war es nutzlos, sein Leben preis zu geben, sein Gegner war zu ge fährlich und ihm leider durch die Schußwaffe überlegen. Schweigend kehrte er ihnen deshalb den Rücken zu und schritt hastig nach dem Dorfe. „Einen Denkzettel möchte ich ihm doch noch geben," brummte Ernst Bornemann, ihm nachblickend. Dann schweifte sein Blick über die Wiese, welche sich mit dem ersten Grün des Jahres schmückte, denn es war Frühling, der Lenz des Jahres 1848. Dort schritt schon in ziemlicher Entfernung der Gerichts vogt, — hoch oben im blauen Aether wiegte sich das Kind des Frühlings, die schmetternde Lerche, unbekümmert um das Mord rohr des Jägers, das sie nicht erreichen konnte. Jetzt schwebte ein Storch ernst und langsam durch die Luft. Er kam vom Süden, mochte wohl viele Städte in Aufruhr gebracht gesehen, viel Kanonendonner unterwegs gehört haben. Er schien sich nach seinem alten friedlichen Neste zu sehnen, da sein müder Flug plötzlich rascher und freudiger wurde. „Das wird Euer Storch sein, Ernst!" rief Fritz plötzlich, fast erfreut; die alte Knabenlust an dem langjährigen Bekann ten erwachte wie eine frohe Erinnerung, selbst in dieser ent nervten Brust. „Er ist's, der alte Junge," brummte Onkel Lüg, die Flinte zum Schuß hebend, „guten Tag, Vetter!" Der Schuß krachte, entsetzt blieb der Gerichtsvogt stehen, zu seinen Füßen lag blutend der friedliche Storch. Mitleidig bückte er sich zu dem armen Thiere nieder, das noch einmal mit den Flügeln schlug und dann verendete. „Ungeheuer! für Dich ist das Zuchthaus gebaut," murmelte er, sich drohend nach dem Jäger umschauend, dann setzte er noch hastiger als zuvor seinen Weg nach dem Dorfe fort. — „Ha, ha, ha," lachte Ernst Bornemann, „das war ein Meisterschuß, wie's der Jäger im Freischütz nicht besser ver steht trotz seiner Freikugeln. Dem Vogt hab' ich einen Denk zettel gegeben, daß er in einer immerwährenden Gänsehaut vor mir stecken wird." Er schritt jetzt, so rasch cs seine Lahmheit zuließ, der Stelle zu, wo der todte Storch lag. Es war ein Bubenstück sonder Gleichen. Das friedliche Thier, dieser echte Freund des Menschen, war jahrelanger Mitbewohner seines väterlichen Hauses gewesen und immer fand, wenn er von seiner Win terreise zurückkehrte, das gastfreie Dach wieder, wo sein Klappern dem Hausherrn zur lieblichsten Musik geworden war. Der gefühllose Schütze hob den Storch bei den Flügeln empor und ließ ihn dann verächtlich niederfallen. „Wenn Dein Alter das wüßte," meinte nun der Tischler besorgt. „Esel! wirst Dus ihm vielleicht sagen?" fuhr Jener wüthend empor, „dann ist dieser Schuß nicht geschenkt, wie der Caspar, der Mordkerl im Freischütz, sagt."