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Welchen Einfluß wird der Ueberschuß der Geburten auf der einen und die zunehmende Auswanderung auf der andern Seite ausgeübt haben? Wird das männliche oder das weibliche Gefchlecht, die Zahl derVer- heiratheten oder Ledigen zugenommen haben? Welche Gliederung der Altersstufen und Berufsstände wird sich ergeben? Alle diese Fragen sind von größter praktischer Wichtigkeit für alle Staats- und Gemein debehörde» und es liegen darin zugleich tiefe Probleme der Bevölke- rungs- und Socialwisscnschaft verborgen. Die Zählung vom 1. De- cember 1885 wird zu ihrer Lösung neue Bausteine herbeischaffen und die Kenntniß der vaterländischen Zustände erweitern und vertiefen. DageSgefchichte. Aus Nisch, wo sich König Milan von Serbien seit etwa einer Woche befindet, und wohin ihm das gejammte Ministerium nachgefolgt ist, kommt die Allarmnachricht, der serbische Minister des Aeußeren habe den serbischen Geschäftsträger in Sofia, Rhangabe, angewiesen, der bulgarischen Regierung zu erklären, daß die serbische Regierung auf die bulgarische Herausforderung mit einer Kriegserklärung antworten werde, und daß König Milan sich nach Pirot begeben habe, um den Oberbefehl über die serbischen Truppen zu übernehmen. Diese telegraphische Mittheilung wird zwar als offiziell bezeichnet, doch ist deren anderweite Bestätigung abzuwarten. Was die erwähnte Heraus forderung betrifft, so hatte man der Wiener „Pol. Korrespondenz" unterm 12. November aus Nisch gemeldet, daß daselbst die durch die „Agence Havas" versendete Depesche ans Sofia, in welcher von einer Ueberschreitung der bulgarischen Grenze durch serbische Truppen, so wie von der Verfügung der bulgarischen Regierung gesprochen wurde, dieselben als Räuber zu behandeln, eine außerordentliche, aller Be schreibung spottende Aufregung hervorgerufen habe. „Sowohl die durchaus erfundene Behauptung, betreffend den Aufenthalt serbischer Truppen auf bulgarischem Territorium an sich, als ganz besonders die Serbien zugcsügte Beleidigung, von serbischen Truppen als von Räu bern zu sprechen, habe die höchste Erbitterung hervorgerufen, die durch Nachrichten über neue bulgarische Einfälle gesteigert worden sei. In Nisch herrsche allgemein die Ansicht, daß derardige Herausforderungen, die bisher niemals zwischen Staaten und Völkern üblich waren, die besten Absichten Serbiens, sich die Friedensinteressen Europas vor Augen zu halten, schließlich vereiteln könnten, da das Verhalten der bulgarischen Regierung nunmehr den Charakter direkter Angriffe auf die Ehre und das Ansehen Serbiens anzunehmen beginne. Es hänge offenbar mit der hier in Rede stehenden Insulte zusammen, daß der König alle Minister auf telegraphischem Wege zu einem Ministerkon seil nach Nisch berief." Nisch, 14. November. Die serbischen Truppen übberschritten heute Nachts 1 Uhr die Grenze bei Zaribrvd, Klissura, Borgowa und Toublasina. Wie hier gerüchtweise verlautet, sollen die Bulgaren zu nächst überall zurückgewichen und es erst bei Blasina auf der Straße nach Küstendil zu einem Zusammenstoß gekommen sein. Sofia, 14. November. Der heutige Tagesbefehl des Fürsten Alexander lautet: „Unsere serbischen Brüder erklären uns den Krieg, anstatt uns zu helfen, sie wollen unser Vaterland vernichten. Muth, Soldaten! Vertheidigt eure Frauen, euren heimathlichen Heerd, ver folgt den Feind, welcher uns feige und verrätherisch angreift, bis zur völligen Vernichtung! Möge Gott uns helfen und den Sieg verleihen!" Die maßgebenden Petersburger Blätter verurtheilen die Kriegs erklärung Serbiens an Bulgarien als ein brudermörderisches, aben teuerliches Unternehmen. Die „Nowoje Wremja" sieht dieselbe als eine Verletzung des Berliner Vertrages an, welche sogar das auf die Herstellung der Union gerichtete Vorgehen des Fürsten von Bulgarien übertreffe. „Nowosti" und die deutsche „St. Petersburger Zeitung" meinen, Rußland könne es unmöglich ruhig mit ansehen, wie das von ihm befreite Bulgarien und das stammverwandte Serbien sich zerfleischen. Die deutsche „St. Petersburger Zeitung" hebt hierbei hervor, wie schnöde Serbien seine wiederholten Versprechungen, sich bis zu einem Beschluß der Conserenz ruhig verhalten zu wollen, gebrochen habe. Die russische „St. Petersburger Zeitung" sieht die Kriegserklärung als ein Produkt der Pläne Lord Salisbury's an und fügt hinzu, daß man in Sofia wohl schon den Unterschied zwischen der Freundschaft des russischen Befreiers und der platonischen Sympathie des britischen Cabinets eingesehen habe. Ueber den Stand der türkischen Rüstungen erfährt die „K. Z." aus Konstantinopel: Es sind nunmehr 212 Bataillone Landwehr mo bil gemacht, ferner die Reserven der Linienregimenter, welche Reser ven aber vermuthlich nur ausreichen, um die Linienbataillone so weit zu vervollständigen, daß diese auf die vorschriftsmäßige Zahl von 800 Köpfen gebracht werden. Von den 212 Bataillonen sollte, so hieß es Anfangs, nur die Hälfte ausrücken, die andere Hälfte aber inden Heimathsorten aufgestellt werden; neuerdings hat die Regierung indes sen einen Vertrag mit der österreichischen Lloydgeseüschaft abgeschlossen, wonach diese den Transport von 40,000 Mann über Saloniki über nimmt. Es würden dann in der ganzen europäischen Türkei etwa 150,OM Mann angriffsfähiger Infanteristen beisammen sein. Ueber den Carolinenstreit laufen die Meldungen noch immer kraus durcheinander. Während die von mehreren Seiten gebrachte Nachricht, daß Deutschland dem Papste einen Gegenvorschlag gemacht habe, von zuständiger Berliner Seite bis jetzt weder bestätigt noch dementirt worden ist, weiß der römische Korrespondent der „Neuen Fr. Pr." neuerdings zu melden, daß der den Kabineten von Berlin und Madrid vertraulich mitgetheilte Vermittelungsspruch des Papstes von beiden Parteien angenommen worden sei. Man wird eben auch diese Mit theilung einfach nur zu registriren und ihre Bestätigung oder Nicht bestätigung abzuwarten haben. Galveston in Texas (Nordamerika), 14. November. Eine große Feuersbrunst hat einen Theil der Stadt zerstört. 52 Häusercomplexe, welche 3M hölzerne, zumeist Wohnhäuser umfaßten, sind niedergebrannt; 5M Familien sind obdachlos. Der Schaden wird auf 1 Vs Millionen Dollars geschätzt. Vaterländisches. Wilsdruff. Wir verfehlen nicht, noch besonders auf die mor gen Mittwoch im Hotel Adler hier stattfindende Sitzung des landw. Vereins Wilsdruff hinzuweisen, in welcher Herr l)r. Sauer einen Vortrag halten wird über: „Der geologische Aufbau Sachsens und seine Entwickelung mit besonderer Berücksichtigung der haupt sächlichsten bodenbildenden Gesteinsschichten". Gewiß ein Thema, welches allen Landwirthen und Freunden der Landwirthschaft und Solchen, die den geologischen Vorgängen unserer Erde Interesse ent gegenbringen, lieb sein muß, denn die genaue Kenntniß des Bodens und die Kenntniß der Eigenschaften der speziellen Bodenarten ermög lichen erst so recht einen rationellen Betrieb der Landwirthschaft und sehr Mhr ist das Wort: „Die Kenntniß des Bodens ist das Funda ment der Landwirthschaft". — Am vergangenen Sonnabend Vormittags in der zwölften Stunde ereignete sich aus der Communikationsstraße von Sachsdorf nach Kanf- bach ein recht beklagenswerthcr Unglücksfall dadurch, daß dem aus Sachsdorf gebürtigen 42 alten Oekonom Ernst Martin, welcher ein Fuder Stroh zu seiner Schwester, der verw. Gutsbes. Winkler, nach Kausbach fuhr, ein sonst ganz ruhiges Pferd plötzlich scheut: und durchzugehen drohte; Martin sucht das Pferd mit den Zügeln festzu halten, wird aber niedergerissen und geschleift und erhält dabei durch das Pferd solch schwere Verwundungen am Kopfe, daß er nach kurzer Zeit verschied. — Aus dem Bericht, welchen in der letzten Sitzung der Handels kammer in Leipzig Herr Schnoor über die jüngsten Eisenbahnraths- sitzungen in Dresden und Erfurt erstattete, ging hervor, daß der Aus fall, welcher durch die von Preußen beantragte, vom Bundesrath ge- nehmigte Aufhebung des Rechtes der Absender von Gütern auf Be stimmung der Eisenbahnroute für die sächsischen Eisenbahnen entstehen wird, sich auf 800,OM Mark belaufen dürfte. — Die Druckschrift des Nossener Eisenbahncomitos für die Fortführung der Potschappel- Wilsdruffer Eisenbahn über Mohorn und das Muldenthal nach Nossen ließ die Kammer ans sich beruhen, wegen der Unmöglichkeit einer genauen Prüfung und wegen mangelnden Interesses für de» Leipziger Kammerbezirk. — Das k. Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts veröffentlicht nachstehende Bekanntmachung: Mit Rücksicht auf die am 1. Dezember stattfindende Volkszählung und die wünschenswerthe Be theiligung der Lehrerschaft beim Zählgeschäft hat das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts beschlossen, am Nachmittag des 1. und am Vormittag des 2. Dezember d. I. den Unterricht in allen seinem Ressort angehörigen Schulen ausfallen zu lassen. — Das Reichsgericht zu Leipzig hat folgenden bemerkenswerthen Rechtssatz ausgesprochen: Besteht in der Gegend des Wohnortes des Versicherungsnehmers der allgemeine Gebrauch, daß die Agenten nach Verfall der Prämien sich diese selbst einkassiren und ist das Verfahren von den betreffenden Gesellschaften auch genehmigt worden, so sind die von diesem Gebrauch abweichenden Policebestimmungen als abge ändert anzusehen, und der Versicherte darf die Ahholung der ver fallenen Prämien abwarien. Die Police verfällt deshalb noch nicht wegen unpünktlicher Prämienzahlung. — Eine originelle Geschichte ist dieser Tage in Wurzen vorge kommen. Einem schon mit mehreren Kindern gesegneten Familien vater hatte der iannenhafte Storch wieder ein Zwillingspärchen über bracht. Außer den Sorgen und Ansprüchen an den mageren Geld beutel, die dieses glückliche Familienereigniß schon so mit sich gebracht hatte, zergrübelte sich der Hausvater das Gehirn, wo die vielen Pathen für seine neugeschenkten Zwillingskinder hernehmen. Doch plötzlich wird ihm froher zu Muthe, er wcnoet sich an seine Stadlobrigkeit mit mit der Bitte, Pathenstelle bei seinen Kindern zu übernehmen. Die sem Gesuche ist auch freundlichst entsprochen worden; der Stadtrath, an seiner Spitze Bürgermeister Mühle, und das Stadtverordneten kollegium in der Person des Stadtverordneten-Vorftehers Juel hoben am Montag das ZwillingSpärchen in der Domkirche aus der Taufe. — Bei einer am letzten Wochenmarkt in Meißen stattgefundenen polizeilichen Butterrevision fand man 27 Stück, an denen in Summa 538 Gramm am Geivicht fehlten, darunter ein Stück mit 25 Gramm die übrigen mit 19—20 Gramm Fehlgewicht. Die Falschmünzer. Kriminal-Roman von Gustav Lössel. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Duprats Züge belebten sich, in den kalt blickenden grauen Augen flammte es auf, und wieder streifte ein tückischer Blick das in diesem Augenblick recht kummervolle Antlitz des Commerzienraths. „Ich rede nur zum Guten," sagte er demüthig. „Ich weiß es," sprach der Chef, indem er sein gebeugtes Haupt erhob. „Und meine Abweisung Ihres Vorschlags soll keinen Tadel für Sie enthalten. Lassen wir den Gegenstand aber einstweilen ruhen. Es bleibt noch genug Unerquickliches zwischen uns zu erledigen. Sie sprachen vorhin von schweren Zeiten, welche Ihrer Meinung nach über mein Haus hereinzubrechen drohen. Jedenfalls bezogen Sie das auf jenes schändliche Verbrechen, in welches zu meinem großen Verdruß auch mein Name verwickelt wurde. Sie kennen den Fall?" „Nur ganz oberflächlich aus dem, was ich hier und da aus den Zeitungen erhaschte, wozu ich mir natürlich nicht viel Zeit ließ. Ich hatte so wie so alle Hände voll zu thun, da ich ja nicht zum Vergnügen nach M. gereist war." „Tüchtiger junger Mann," sagte Etwold belobend. „Und welche Meinung haben Sie sich aus dem, was Sie gelesen, gebildet?" „Daß die Sache für uns gar keine Bedeutung weiter hat. Daß der Mithelfer am Morde zufällig in Ihren Diensten stand, kann Ihren guten Ruf nicht in Frage stellen. Wenn er gefunden sein wird, vor ausgesetzt, daß ihn nicht Fische gefressen, wird alles an den Tag kom men, auch wer das Weib gewesen, welches das blutige Werk vollbrachte." Etwold spielte nervös mit den Bijoux seiner Uhrkette. „So — meinen Sie, daß er jemals wieder zum Vorschein kommt, der rothe Mathies?" fragte er. „Der Schlupfwinkel des Verbrechens hat die Weltstadt viele," ent gegnete Duprat. „Wenn er sich dort längere Zeit verborgen hält, kann es ihm gelingen, zu entkommen. Er läuft aber jeden Tag Gefahr, ge faßt zu werden." Etwold wandte sein verstörtes Antlitz ab. „Gewiß, gewiß," sagte er halb für sich, „die Gefahr ist immer vorhanden, wenn — er nicht eben einen vorzeitigen Tod gefunden." „Und beiden können wir mit Ruhe entgegenblicken," enschied Duprat. Der Kommerzienrath schwieg. „Das war es auch nicht, was mich zu jener Aeußerung von den drohenden, schweren Zeiten veranlaßte." „Also nur die Affaire mit meinem Sohn?" fragte Etwold er leichtert. Der Prokurist schüttelte den Kopf. „Entsinnen Sie sich vielleicht noch, Herr Kommerzienrath", be gann er mit vollen Bedacht und jetzt zum ersten Male das Auge fest auf den Chef gerichtet, „des alten Forster, unseres ehemaligen Büreau- dieners und Kassenboten?" Etwold hatte ihm schon früher den Rücken zurückgekehrt, sonst würde Duprat jetzt erstaunt gewesen sein über diese Veränderung, welche die Nennung dieses Namens auf seinem Chef hervorbrachte. Etwold war erdfahl geworden und die Hand, welche die Feder hielt, begann heftig zu zittern, so daß er nicht schreiben konnte. Er wollte etwa- erwidern, aber er vermochte es nicht.