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Redaction, Druck und Verlag von H. A. Berger in Wilsdruff. hin. Ich wollte, Ihr Vater bliebe zu Hause, Herr Leideusrost! mir ahnt heute nichts Gutes draußen in der Fabrik." „Kann ich ihn zurückhalten, mein Freund?" sprach Jener düster; „sagen Sie's doch der Mutter." „Ach, Ihre Mutter sieht mich nicht gern, sie ist stolz geworden." „Unsinn!" „Doch, doch, Herr Leidenfrost, es ist so, Ihre Schwester freilich —" „Sieht Sie desto lieber," lächelte Traugott. „Ich hoffe es, wenn sie's nicht thäte, packte ich meine Sachen zusammen und ginge nach Amerika." „Das können Sie auch im andern Falle thun, dort ist ein besseres Feld für ihre Arbeitskraft. Wir sprechen ein andermal weiter darüber. Ich glaube, es wäre gut, wenn ich einmal zuschaule, wie es auf der Fabrik hergeht." „Thun Sie das, Herr Leidensrost! vielleicht giebt's auch Arbeit für Sie. Uebrigens lasse ich den Vater nicht locker, darauf können Sie sich verlassen." Traugott reichte ihm die Hand und Beide trennten sich. „Wie viel bekamt Ihr denn?" fragte ein Weber neugierig. „Einige tausend Dollar, — es war eine schöne Zeit, Kin!^ dann wurde ich eine Zeit Advokat bei den Hinterwäldern vonNeuyol> Schulmeister bei den Indianern am Mississippi, und zuletzt Ben^ des Präsidenten, dem ich auch was Vorsingen mußte. Ach, cs schrecklich, ich spielte den Abend mit im Theater, den Jaguar im OlhcÜ' als der verdammte Kerl ihn todtschoß. Ich hielt ihn mit fest, hätten sie ihn nicht bekommen." „Aber der Mörder entkam ja, wie ich gelesen habe," benM Baumann. „Diesmal nicht mein Bester, ich muß es wissen, da ich M dabei war." „Ihr seid doch der trefflichste Münchhausen, der mir jemals ^ gekommen, Müller!" lächelte der alte Leidenfrost, der jetzt seine Ari ebenfalls einstellte. „Sagt von Münchhausen, dann acceptire ich den Namen," sp^ das Fabrckpendel mit Würde, „wißt Ihr wohl, daß der Riese Go!^ von den Lasselanern auch dazumal in Amerika gewesen ist?" „Ja wohl, das ist richtig," rief einer der Weber eifrig. „Seht Ihr, daß ich's weiß?" fuhr Müller fort; „er war und erzählte mir noch vor einiger Zeit, kurz vor dem Strike, daß' unter dem General Pfeffersohn und so dergleichen einmal sogar Sohn maltraktirt Hütte, Vater Lcidenfrost!" „Laßt meinen Sohn aus dem Spiel, wenn wir Freunde ble" sollen, Müller!" sprach der alte Weber finster. „Er hat diesmal die Wahrheit gesprochen," rief der voriges wieder; „Goliath hats mir auch erzählt." „So war der junge Leidenfrost wohl in der Nordarmec?" Baumann. „Nun, das versteht sich, er ist wohl eigentlich so Wcgelängs Soldaten gepreßt worden, soll sich aber dabei geschlagen habend ein Apgelkater —" „Wer ist das?" fragte ein Spinner. „Er meinte nur den alten Abdelkater," rief Baumann ungcdw"' „Ihr unterbrecht ihn auch immer." „Da hat er bei Wegeläugs auch uns den Streich gespielt,, er den Lassalleanischen Goliath, der eine Barrikade in jede Hand das Leben gerettet hat," fuhr Müller fort; „ja, erzählte mir iE?/ Vertrauen, daran erkannte ich das Blut des alten Vaters LeideE der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Der Goliath hatte ihn lich beinahe maltraktirt, Ihr versteht wohl, die Luftpumpe ausgcb^ als die Nordarmee kam und so dergleichen meinen lieben Goliath Wickel nahm. Was that Vater Leidensrost sein Sohn? — Er den Landsmann frei, gab ihm Geld und half ihm auf ein daß er mit heiler Haut zu unserm jetzigen Couleur zurücklomme» '^ Das heißt denn doch, wie's wo steht: Dein ist der Ring, welch' Muth, wenn man den Feinden Gutes thut!" .x, „Habt Ihr die Wahrheit gesprochen, Müller?" fragte dec Leidenfrost mit leiser, unsicherer Stimme. , „Ja, Vater Lcidenfrost!" versetzte Jener sehr ernst; „du' ;, Wahrheit. — Ich will diesmal nicht selig werden, wenn der x der sich mit so dergleichen doch wohl nicht brüsten würde, w"" Lüge wäre, es mir nicht erzählt hätte." „Gut, gut, das freut mich," lächelte Vater Leidensrost; steht doch interessant zu unterhalten. Doch nun ist's wohl Z"b ! wir ausbrechen, — es hat freilich noch nicht Feierabend geläutet „ Ein Geschrei, welches aus einer geringen Entfernung von du' herein scholl, ließ Lcidenfrost verstummen. Alle horchten mit sch"^ bleichen Gesichtern. „Es sind die Striker," stöhnte Müller, der plötzlich alle W verloren hatte und an keine Barrikaden dachte. In dem Augenblick wurde die Thür aufgerisscn; der D>w erschien, leichenblaß und ohne Hut, auf der Schwelle. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. z * Ein Familien-Zerwürfniß führte auf einem Gottes^ Berlin einen erschütternden Vorgang herbei. Ein geachteter KaEj! hatte bis vor fünf Jahren mit den Seinigen in schönster E»^ gelebt; denn außer einer liebenswürdigen Gattin erfreute er st^ zur blühenden Jungfrau herangewachsenen Tochter im Alter Jahren. Sein Glück wurde zerstört: denn als Frau und Tochter Tages mit verstörten Mienen umher gingen, forschte er nach dfi^ fache, und der^ehrenhafte, über den Ruf seiner Familie eifert^ wachende Mann vernahm die niederschmetternde Nachricht, daß Tochter, die er über Alles liebte, sich vergessen und ihre Ehrest in seinem Dienste stehenden jungen Manne geopfert habe, dcl entfernten Verwandtschafts-Verhältnisses halber Aufnahme in dä milie gefunden hatte. In zorniger Aufwallung jagte er die und deren Verführer aus dem Hause und ins Elend. Der junge arbeitete wohl rastlos Tag und Nacht, um seine junge Gattin, ? er sie inzwischen gemacht hatte, wenigstens mit einem Schwung Glanzes und Wohlstandes umgeben zu können, an den sie so g^^l war, aber es wollte ihm nicht gelingen. Als die junge der Geburt zweier Mädchen viel von ihrer früheren Schönheit und die Lage sich nicht bessern wollte, verschwand der gewE-i Mann und ließ Frau und Kinder in Kummer zurück. Die 'E/ welche immer in Verbindung mit der Tochter geblieben war, bej>^ den Vater, die Verlassene zurückzurufcn, aber vergeblich. Der?^' vier über das Unglück ihrer Tochter führte ein Herzübel sie vor einigen Tagen erlag. Die bei der Beerdigung ersch^/ Leidtragenden standen noch um die offene Gruft versammelt, unter der verlassene Gatte, als ein junges Weib, bitterstes Weh in de^'i fallenen Zügen, hcran gewankt kam. An jeder Hand führte die lich gekleidete Frau ein liebliches blondes Mädchen. Starr die Äugen des Vaters auf die verhärmte Gestalt der Tochter, 77^ diese war es — die jetzt still heran trat und der dahin gsE Mutter nachweinte. Als sie und die kleinen Mädchen die n^ drei Hände Erde auf den Sarg der Großmutter geworfen hatten, dete sie sich zum Gehen, warf aber noch einen jammererfüllten 7^ auf den alten Vater. Dieser Blick drang ihm wohl tief in» denn er breitete plötzlich die Arme aus und die somit Wiederauf^ mene barg schluchzend das Haupt an der Brust des Vaters-^ andern Trauergäste hatten sich respektvoll zurückgezogen und Tochter und die kleinen Enkelinnen bestiegen vereint den Trauerw des Ersteren und fuhren nach Hause zurück. Vierzehntes «Kapitel. In der Fabrik. Auf der großen Weberei herrschte in der That an diesem Tage eine gewaltig schwüle, ja unheimliche Luft. Der Verwaltungsrath hielt Berathung, wie die Geschichte mit dem Selbstmord des Kafsirers und dem Kassendefekte sich am besten verheimlichen lasse, während der Di rektor sich die Hände rieb und Herr Wucherpfennig das Haus desselben heute nicht verließ; die Beiden hofften auf eine Katastrophe, welche den Sturz der Fabrik herbeiführen und ihnen die Aktionäre in die Arme treiben sollte; das Geld dazu lag schon bereit. „Das heißt in unserer Zeit ein gutes Geschäft machen," meinte Herr Wucherpfennig, sich mit seinem menschenfreundlichen Lächeln die Hände reibend; „man muß heute auch noch sein specielles Geschäftsge wissen haben, sonst unterliegt man in dem großen Wettrennen nach Erwerb dabei. Es machte ihn indessen ein wenig unruhig, daß die beiden Will- rich's, Vater und Sohn, so zu sagen verschwunden waren, obgleich solches im Grunde nur in hinein speciellen Vortheil liegen konnte. Die Arbeiter wußten an diesem Nachmittag, wo Alles, jede Ord nung, jede Disziplin aus Rand und Band zu sein schien, mit ihrer Zeit nichts anzufangen. Alle Viertelstunden kam das lustige Faktotum der Fabrik, Herr Müller, welcher wegen seiner unermüdlichen Bewegung und der Luftschwingung seiner etwas langen Arme, bisweilen der Fabrikpendel genannt wurde, zu den Arbeitern, um ihnen eine Neuig keit mitzutheilen. Als man seiner drüben im Comptoir nicht mehr bedurfte, ver sammelte er seine Getreuen, wie er die Hundert nannte, in verschiedenen Gruppen um sich, um ihnen zur Belohnung einige Geschichten aus seinem Leben zum Besten zu geben. Die Mehrzahl war mit ihrer Arbeit auch schon fertig; nur einige Wenige, unter ihnen auch der alte Leidenfrost und Baumann, arbeiteten noch, obgleich es so sehr weit von Feierabend nicht war. ' „Hört auf mit Eurem Gram zu spielen, Leidensrost!" rief Müller mit Pathos dem alten Weber zu, „Ihr arbeitet die Aktionäre doch nicht zu einem würdigen Gewinne. Ihr wollt nicht?" fuhr er nach einer Pause mit einem Achselzucken fort; „so webt denn an Eurem Hungertuche, alter Moor!" Vater Leidenrfost lächelte heute nicht zu dem Pathos des Fabrik pendels, er schien es kaum gehört zu haben. Dieser setzte sich in Positur und sprach: „Ich denke mir die Sache eigentlich so, meine Brüder! Wenn die Herren Lassalleaner mit ihrem Riesen Goliath wirklich sich herbeilassen sollten, uns einen Besuch zu Machen, dann bauen wir eine Barrikade von Allem, was wir vorfin den und so dergleichen, darin bin ich ein ganz besonderer Virextose." „Ihr meint wohl „Virtuose", Müller!" berichtigte Baumann ihn lachend. „Ist der weise Sprachverderber auch in Gegenwart?" sprach Mül ler; „ich rede nicht nach der heutigen dummen Weise, sondern klassisch, das ist ja eigentlich meine Wissenschaft und so dergleichen. Wenn ich der heutigen Generation das Prostischon stellen wollte —" Das war selbst dem alten Leidcnfrost zu arg, ein Lächeln übcc- stog die ernsten Züge, während Baumann in ein unauslöschliches Ge lächter ansbrach, in welches die ganze Gesellschaft lustig einstimmte. „Nun, wie heißt es denn nach seiner Weisheit, Herr Sprachver derber?" versetzte Mülle pikirt. 1 „Es heißt: Wenn ich der heutigen Generation das Prognostikon stellen wollte und dergleichen, Herr Müller!" lachte Baumann. „Und dergleichen, jawohl," seufzte der Fabrikpendel sehr „desting- airt", wie er sich ausdrücken würde, denn ohne Fremdwörter ging es Nun einmal nicht ab. „Weiter im Text!" rief ein Spinner mit einer feinen Stimme, „was sollen wir mit den Barrikaden machen?" „Was wir damit machen sollten, fragt dieses Ob Subjekt?" verbesserte er sich schnell, „nun, da steht mir der Gehirnkasten still, vertheidigen wollen wir uns dahinter und darauf, wie 1863 in dem amerikanischen Kriege, Herr Du meine Güte, wenn ich daran denke, diese blutigen Taillen —" : „Müller! das klingt ja haarsträubend," rief der unverbesserliche Baumann, „Ihr meint wohl blutige Bataillen —" ,;Nun, was anders denn, — es ist zerribel, wie dieser überkluge Mensch mich immer vorlaut unterbricht." „Ja, wäret Ihr denn in Amerika?" fragte ein junges Mädchen. „Die Frage, Kind, war zu ersparen," versetzte Müller stolz, „ich war dort ein ganzes Jahr und habe alle Schlachten und nächtliche Indianer-Humbugs mitgemacht. — Was ich dort alles gewesen bin, davon steht mir ost der Gehirnkasten eigentlich selber noch manches Mal still. Einmal war ich Bedienter bei dem General Pfesfersohn —" „Wer war das?" fragte Baumann. „Den kennt Ihr nicht, und wollt doch Mes wissen? es ist der General der Sclavenhändler und Planetenbesitzer." „Ach so, Ihr meint wohl den General Jeffersohn Davids?" lachte der belesene Baumann, „der sich für die SAavenhäudler und Plantagenbesitzer schlug." „Na, hab' ich nicht wieder Recht?" triumphirte Müller, „bei dem war ich Bedienter, aber nur kurze Zeit; ich ließ mir meinen Lohn auf ein ganzes Jahr per pommerando im Voraus bezahlen und ging davon."