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Wochenblatt für siir die Königl. Amtshauptmannschast zu Meißen, das Königl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Bierzigster Jahrgang. 1881). Nr. 53. Dienstag, den 29. Juni Erscheint wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitag) AbonnementSpreiS vierteljährlich I Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. Jnseratenannahme Montags u. Donnerstags bis Mittag 12 Uhr. Erscheint wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitags AbonnementSpreiS vierteljährlich l Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. Jnseratenannahme Montags u. Donnerstags bis Mittag 12 Ul-r. — für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Aus dem soziale» Leben. Es ist der verhängnißvollste und leider auch verbreitetste Jrrthum unter all den falschen Meinungen, welche man hinsichtlich unseres sozialen Lebens aussprechen hört, wenn behauptet wird, die Kluft zwischen Reich und Arm sei im Laufe der Zeit immer größer gewor den, und es sei heute dem Armen viel schwerer, sich aus seiner Lage emporzuhelfen, als ehedem. Gerade das Gegentheil ist der Fall. Un- ere ganze Entwickelung hat die Neigung zur Ausgleichung, zur leberbrückung der Unterschiede. Auf geistigem Gebiete ist dieses Stre- >en seit Erfindung der Buchdruckerkunst, auf dem politischen seit der ranzösischen Revolution, aus sozialem seit der Erfindung der Dampf- !raft und der großen preußischen Reformgesetzgebung von 1808 ganz unzweideutig hervorgetreten. Die allernothdürstigste Kenntniß der Ge schichte genügt, nachzuweisen, daß heute die Unterschiede der Geburt wie des Besitzes im Leben viel weniger mächtiger sind, als noch vor 100 Jahren. Daß die vornehme Geburt heute nicht mehr so viel zu bedeuten hat wie früher, ist schon durch die Aushebung der Standes- vorrechte dargethan; daß der Unterschied des Besitzes zurücktritt vor dem Unterschied des Könnens, sehen wir überall im öffentlichen Leben, wo der Arme, wenn er nur etwas Tüchtiges leistet, ganz dieselbe An erkennung und denselben Erfolg erntet, wie der Besitzende. Wer sich z. B. das vielgepriesene Jnnungswesen der letzten Jahrhunderte an- fieht, der weiß, daß die heutige Regellosigkeit auf gewerblichem Gebiet immer noch weit günstiger für den wirthschaftlich Schwachen ist, als die damalige Zeit des Zunftlebens. Das ganze damalige Zunftwesen lief darauf hinaus, Denjenigen, der nicht gerade „Meisterssohn" war, vom Selbstständigmachen abzuhalten oder es ihm wenigstens so viel als möglich zu erschweren. So existirte denn damals in den alten Gesellen, welche nicht minder gedrückt waren undinnerhalb der Zunft- schranken viel weniger freie Bewegung hatten als der heutige Arbeiter, ein Proletariat, das sich nun und nimmermehr aus eigener Kraft em- porarbciten konnte und im günstigsten Falle, von den Zunftgenosseu vervehmt, als „Bönhase", als Pfuscher auf irgend einem Dorf ver kümmerte. Und in welcher Lage befand sich damals der weitaus größte Theil der Bevölkerung des ganzen Landes, der Bauernstand! Mit den Er trägnissen seiner Arbeit auf den doch immerhin ungewissen Ausfall der Ernte angewiesen und ohne die Hilfsmittel, welche das verbesserte Transportwesen von heute dem Landmann zur Berwerthung seiner Produkte darbietet, einem großen Herrn erbunterthänig, welcher seine Gewalt ost in schnödester Weise mißbrauchte, den Quälereien der Be amten ausgesetzt, gegen welche er vermöge seiner Unwissenheit keine ausreichende Waffe in Händen hatte, vom Städter hochmüthig über die Achseln angesehen, — das war der Landmann im größten Theile Deutschlands noch vor ein paar Generationen. Die arbeitenden Klassen sind somit nicht gesunken, sie haben sich im Gegentheil gehoben. Und die besitzenden Klassen haben wiederum nicht an Besitz zugenommen, der Besitz hat sich vielmehr mit der Zeit bedeutend vertheitt. Was man auch über den Reichthum mancher Emporkömmlinge von heute sagen mag, es erreicht derselbe doch lange nicht die Höhe des Besitzes, der sich früher, wenn man den damaligen Geldwerth in Vergleich zieht, in der Hand eines einzelnen Grundherrn, eines Klosters, eines Landes fürsten zu vereinigen Pflegte. Und aller Prunk' unserer heutigen Par venüs erreicht noch lange nicht den Gipfel, welchen damals die Ver schwendung an den Höfen und Sitzen der ihnen nachahmenden kleinen Grundherren erreicht hatte. Wenn also weder nach oben hin noch nach unten hin eine Veränderung zum Schlechten eingetreten ist, wie sollte da die Kluft größer geworden sein? Reich und Arm gehen nicht weiter auseinander wie sonst, im Gegentheil; wie wäre es da möglich, daß es schwieriger sein sollte, über diese Kluft hinwegzukom men? Das Capital ist beweglicher geworden als sonst, wie sollte man da nicht mehr Aussicht haben, einen Theil davon zu erlangen, als früher, da es unbeweglich und unnahbar fest lag? So schreibt das Schweinfurter Tageblatt. Tagesgeschichte. Die Ausweisungen von S oz ilisten haben in letzter Zeit in Ber lin sehr überhand genommen. Man erfährt, daß von der Ausweisung gewöhnlich solche Personen betroffen worden, die für die bereits aus der Hauptstadt uusgewieseuen Gesinnungsgenossen Gelder gesammelt haben. Die Fischerei-Ausstellung in Berlin wurde bis zum 14. Juni besucht von 32,410 Personen L 1 M., 421,451 Personen L 50 Pf. und 49,500 Personen u 25 Pf. Militärkarten L 10 Pf. wurden 1874 verkauft. Der Olymp, der Himmel des alten Zeus und seine Untergötter, soll von den Diplomaten in Berlin zwischen den Türken und Griechen getheilt werden. Die Ueberzeugung, daß die Griechen das lebens- und knlturfähigste Volk in dem orientalischen Völkermischmasch sei, macht sich in der Conferenz geltend und damit die Neigung, bei der Theilung für sie die Wage sinken zu lassen. Uebrigens bereiten sich die Griechen und Türken vor, event. das Schwert in die Wagschale zu werfen. — Die Conferenz wird wahrscheinlich den französischen Vorschlag annehmen. Die Grenze geht von der Kalamas-Mündung aus, läuft nördlich von Janina und Metzowo, folgt der durch den Pindus und den Olymp gebildeten Wasserscheide und fällt etwa bei Platomona zum ägäischen Meere herab. In Hessen-Darmstadt berechnet man den Schaden, den der Winter den Obstbäumen angethan hat, auf 6—7 Millionen Mark. Ein Dutzend Jahre sind nöthig, um den Verlust zu ersetzen. Frankreich hat den Rubikon überschritten. Die Regierung er läßt eine allgemeine Amnestie sowohl für Alle, ohne Unterschied, die sich an dem Aufstand der Commune in Paris rc. betheiligt haben, als auch für Alle, die wegen anderer politischen und Preßvergehen verur- theilt sind. Alle Gefängnisse öffnen sich, alle Strafen werden erlassen, die Deportirten kehren aus den Straf-Colonien heim nach Frankreich und Paris. Das betr. Gesetz, das die Regierung der Kammer vor gelegt hat, enthält nur einen einzigen Paragraphen. Ministerpräsident Freycinet erklärte, die Amnestie sei ohne Gefahr für die Gesellschaft und die Männer, welche begnadigt würden, seien daheim minder ge fährlich als im Auslande. Die Regierung sei stark genug, um jede Agitation niederzuhalten u. s. w. In der Kammer wurde der betr. Gesetzentwurf gut ausgenommen und man hätte ihn beinahe auf Antrag Gambettas stehenden Fußes angenommen, wenn nicht Freycinet zu ruhiger Prüfung aufgefordert hätte. Es ist kein Geheimniß, daß Gam betta der Vater der Amnestie ist; seine Popularität war bedenklich er schüttert, die Rothen aller Farben nannten ihn einen Verräther, einen „Opportunisten", der auf beiden Achseln trage, abwarten wolle, sich vom Schweiße des Volkes ein Bäuchlein anmäste und nun hielt er es an der Zeit, den Ministern die Amnestie aufzunöthigen. Sie gehorchten. Es ist viel Courage, wenn es nur nicht die Courage jener Leute ist, die im einsamen und finstere« Walde pfeifen und trällern. Der bedeutungsvolle Tag, an welchem die Märzdekrete in Frankreich zur Ausfüh'Mg gelangen sollen, der 29. Juni rückt immer näher. Die verschiedM^ Korporationen treffen ihre Vorbereitungen, jedoch, wie es scheins^ulst zur Abreise, sondern zum Widerstande. Die klerikalen Blätter ^öffentlichen eine von den geistlichen Genossenschaften herrührende D«»kschnft, in welcher sie, auf die zwischen ihnen allen bestehenden Solidarität hiuweisend, ihre Abneigung, die Ermächtigung des Staat-s einzuholen, zu rechtfertigen suchen. „Einig waren wir", heiß^^s in dem Schriftstücke, „und einig sind wir jetzt mehr als je! WjHMven den Wahlfpruch angenommen: „?otiu8 naori guam tos- Möge Gott, für den wir kämpfen, uns vor jeder Schwäche Und jedem Abfälle von der Vertheidigung der Rechte, welche die fei« nigen sind, bewahren! Laßt uns einig bleiben und wir werden unüber windlich sein!" Nun, wenn die Amnestie zur Thatsache geworden ist, dann wird sich die Regierung erst recht stark genug fühlen, den Wider stand zu brechen. Postpackete nach der Schweiz ohne Werthangabe und bis zum Gewicht von 5 Kilogramm müssen vom 1. Juli ab stets frankirt aufgegeben werden. Petersburg, 21. Juni. Graf Loris Melikoff hat angeordnet, daß — hundertdreiundneunzig Angeklagte, die seit 7—8 Jahren sich in Untersuchungshaft befinden (wegen politischer Vergehen, oder weil sie politisch „verdächtig" erschienen), jetzt endlich vor ihren ordent lichen Richter gestellt werden. Gegen die meisten scheint jedwede Un tersuchung eingefchlummert zu sein, aber auf irgend einen Verdacht, irgend eine Bezichtigung hin hielt man die Unglücklichen sieben bis acht Jahre lang im Kerker — und dort hätten sie gewiß sterben und verderben können, wie gewiß schon Viele von ihnen gestorben und ver dorben sind, ohne je vor einen ordentlichen Richter zu kommen, hätte nicht der armenische Graf zufällig einmal die Akten revidirt. . . . . Und weiß man etwa, wie viele solcher Unglücklichen seit Jahrzehnten in den Kerkern dahingesiecht sind, ohne je abgeurtheilt zu werden, ohne daß je auch nur ein Richter darüber entschieden hätte, ob sie schuldig, ob sie unschuldig sind? Vielleicht hätte ein erstes Verhör im Jahre 1872 oder 1873 schon klarstellen können, daß die Verhaftung hier und da auf Grund eines Jrrthums, irgend eines irrigen Verdachtes oder einer falschen Beschuldigung erfolgt sei. Aber es sind sieben bis acht Jahre vergangen — man hat die Unseligen einfach vergessen. Vaterländisches. Wilsdruff, 28. Juni. Bei der gestern Vormittag in hiesiger Kirche nach dem Vormittagsgottesdienst stattgefnndenen Wahl von 3 Kirchenvorstandsmitgliedern wurden im Ganzen 30 Stimmen abgege ben, von denen sich die meisten auf die 3 auszuscheidendeu Mitglieder vereinigten, so daß die Herren Kaufmann Engelmann, Bürgermeister Ficker und Kirchencassirer Legler auch fernerhin dem Kirchenvorstande angehören werden. — In vergangener Nacht wurden dem Mühlenbesitzer Iuliu- Lehmann in Klipphausen in frechster Weise 2 Pferde aus dem Stalle gestohlen und entkamen die Diebe mit denselben bis Dresden