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Zweites Blatt. WchM für MsW Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstagS und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post ' bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne I Nummcm 10 Pf. Tharandt, Ma, Mealeha and die AmMadea. Imtsötstt Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. JnsertionSvreiS 10 Pf. pro dreigespaltme Corpuszeile. für die Ilgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, No. SS. sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Freitag, den S. Dezember 18SL. Aus einer kleinen Stadt. Novelle von Carl Cassau. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Er gesteht sein Vergehen bei Herrn Silbermünz ein und dieser klärt Herrn Pätsch darüber auf, der ihn aus — alter Aversion gegen die Kantorin, natürlich heute früh sofort, von der Reise zurückgekehrt, bei der Staatanwaltschaft denunziert!" „k'or merc^s saks! Wie viel ist's?" „Dreihundert Thaler!" „Bagatelle! Giebt es noch eine Rettung für den Jüngling?" „Pätsch muß sogleich bezahlt werden und Silbermünz u. Comp. dürfen nur erklären, daß sich das Geld wiedergefunden und nur verloren war, d. h. nicht im Spiel!" „Schweigen Sie gegen Jedermann!" „Das ist meine Pflicht!" Arthur war schon davon. Zum Glücke' hatte er das Drei fache des Betrages bei sich. Er eilte im schnellsten Trabe auf Schloß Berg zu. Herr Fink aber sah ihm lächelnd nach. „Und Oswald meint, er habe kein Interesse für Helene! um ihretwillen wird er jetzt den leichtsinnigen Bengel retten? Na, mir ist es lieb, schon wegen der Denunziation!" Arthur hatte heute Schloß Berg schnell erreicht. In der Platanenallee traf er Baron Leopold. „Freund, Du mußt mir einen großen Gefallen thun!" „Gern!" „Gieb mir zwei Pferde und einen leichten Wagen; kein Mensch darfjedoch etwas davon erfahren, ich leite die Thiere selbst!" „Sogleich! Jean!" Der Diener erschien im Portal. „Das leichte Gig und die Braunen vor! schnell!" Nach fünf Minuten war Alles bereit, Baron Leopold stieg selbst mit ein, ausgerüstet wie zur Jagd. „Ich steige in der Nähe der Wodans-Eiche, welche das Volk die dicke Eiche nennt, aus, lieber Freund! Vorwärts!" Die Braunen flogen davon, am Krähenhorst sprang Baron Leopold heraus, während Arthur mit unverminderter Eile weiter jagte und Mittags gemächlich in Seeberg einfuhr. Hier ging er sogleich zu Silbermünz u. Comp. und hatte mit dem Chef der Firma eine sehr ernste Unterredung, nach deren Beendigung man John Webster hereinrief. Er war ein hübscher Junge, der seiner Schwester Marie täuschend ähnlich sah. Er erhielt eine arge Strafpredigt, eine lange Vermahnung und manchen guten Rath; der unglückliche Jüngling gelobte Besserung für alle Zeit, Arthur zahlte und Silbermünz und Comp. wiesen das Geld für Pätsch telegraphisch an mit dem Ver merk, daß die Sache auf einem Jrrthum beruhe, da sich das Geld, welches nur verloren gewesen, wiedcrgefunden habe. Demzufolge mußte Herr Ewald Pätsch denn seine Denunziation berichtigen, zu seinem ärgsten Leidwesen. Die Abendsonnenstrahlen vergoldeten den Knauf der Stadt kirche, als Arthur Webster die Treppe zur Wohnung der Tante Hinaufstieg. Er fand Helene allein, die über diesen Zufall die Verlegenheit nicht zu verbergen vermochte. „Oswald, Marie und Mama sind in Oswald's Garten gegangen, Vetter," sagte sie ängstlich, „willst Du ihnen nicht folgen?" „Und Du, Helene?" »Ich — habe zu arbeiten!" „So, so! Nein, liebe Kousine, ich habe durchaus nicht die Absicht, zu gehen, ich preise vielmehr den Zufall, der mich Dich allein treffen läßt! Ich habe mit Dir zu reden, Helene!" „O, thue das nicht, Kousin!" verlangte sie bittend. „Warum nicht?" Ist es denn ein Schimpf für Dich oder mich? — O, Helene, stehst Du denn nicht, was in meinem Innern vorgeht? -- Ich liebe Dich mit allen Fasern meines armen Herzens, komme mit mir und sei mein Weib, mein Alles!" Einen Augenblick schien sich Helencn's bleiches Gesicht freudig zu verklären, dann aber zeigte sich darauf die Kundgebung eines tiefen Schmerzes und sie begann bebend: „Es wäre mir lieb gewesen, Vetter, wenn dieses Wort von Dir nicht gesprochen worden wäre! Wie ich'Dich auffasse, bist Du eine m's Große und Weite strebende Natur, die es in Bergheim nicht lange aushalten würde. Du kannst nicht in kleinstädtischen Verhältnissen leben und mußt wieder hinüber über den Ocean in das Land der Freiheit und Gleichheit! Ich würde Dir nur eine Fessel werden!" „Du weichst mir mit allgemeinen Redensarten aus!" ent gegnete er bitter und finster. „Nun wohl denn, Arthur, so will ich Dir alles sagen! Du verachtest alles Kleinstädtische und ich bin doch eine Klein städterin durch und durch, ich würde in den Salons amerikanischer Großstädter eine schlechte Rolle spielen; ich bin an die Heilig- Hal tun g meiner Religion von frühester Jugend an gewöhnt, Du bist ein freier Geist, der keine Fesseln kennt, ich liebe mein deutsches Vaterland, Du hast das Deinige verloren und bist Amerikaner, ja ein Kosmopolit geworden; ich erkenne in der Arbeit den Hauptzweck des Lebens, Du erklärst, das Du Dein Kapital für Dich arbeiten lässest und setzest dabei Dein ganzes Vermögen den Zufälligkeiten einer Spekulation aus; endlich bin ich ein namenloses Mädchen, ein Findelkind, nicht einmal Webster's Tochter, ein Geschöpf ohne Heimath und Namen, das sich neben dem auf das Bürgerrecht der blnitsä States stolzen Arthur Webster sehr schlecht ausnehmen würde!" „Daß Du nicht Webster's Tochter bist, wußte ich!" „Von Mama? O, dann bin ich ihr zur Last, dann wollen sie mich los sein!" „Du bist ungerecht, Helene, Dein Schicksal hat Dich gegen Alle verbittert und verstimmt! Von Tante weiß ich es nicht! Denke an den Krähenhorst! Und nun bitte ich Dich, Geliebte, trotz Allem, was Du gesagt, nochmals um Deine Hand!" Er fiel vor ihr auf die Knie und hob in namenlosem Schmerz die Hände bittend zu ihr empor. „Stehe auf, Arthur!" rief sie nun mit Thränen in den Augen. „Dein Schmerz ist für den Augenblick; Du wirst es mir einst danken, daß ich größere Qualen Deinem Leben er spart! Wir sind zu verschiedene Naturen, um mitsammen glücklich zu werden! Damm kann ich die Deinige niemals werden! Lebe wohl auf immer!" Sie verschwand im Nebenzimmer, aus dem ein tiefes Schluchzen an Arthur's Ohr drang. Ein Augenblick flehte er noch: „Helene, ein Wort, ein einziges Wort noch! Keine Antwort! Da sah er wild umher und stürmte die Treppe hinab, auf der ihm Herr Ewald Pätsch zufällig begegnete. „Da hat's was abgesetzt!" dachte der Schlaue. „Gut, wenn es mit dem vorwitzigen Amerikaner hier vorbei wäre!" Arthur packte indessen seine Sachen in der Sonne und schrieb ein paar Abschiedsworte an die Kantorin, Marie und Oswald. Hierin störte ihn Monsieur Jean, der Kammerdiener von Schloß Berg. „Na, Monsieur Jean," sagte Arthur, „was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?" „Ach, Herr Webster," entgegnete der gewandte Diener! „unser Wagen hält unten, kommen sie doch schnell mit mir, Baron Leopold liegt in den letzten Zügen und verlangt nach Ihnen!" „Gut, schnell denn!" sagte er wie im Trauin. Sie stiegen ein, dann ging's fort, was die Pferde laufen konnten. Auf Schloß Berg herrschte große Verwirmng; ein Notar mit seinem Gehilfen und der Doktor waren anwesend: eben fuhr der Staatsanwalt von der nächsten Großstadt in den Hof. Baron von Berg hatte schon mit Ungeduld auf Arthur gewartet und ließ ihn zugleich zu sich bitten. Arthur fand den Verwundeten bleich, fast todt im Bette. Mühsam reichte er dem Ankömmling die Hand und flüsterte: „Willst Du mein Testamentsvollstrecker sein, Freund?" „Denke doch nicht an so etwas, Kamerad!" „O, der Jägerjürgen — schießt — sicher, ich — fühle — den — Tod im — Herzen!" „Gut, ich will's mit Gewissenhaftigkeit sein, obwohl ich eigentlich dieses Land verlassen wollte!" Der Kranke nickte. „Ich habe — eine — Kousine!" Arthur lauschte gespannt. „Sage — davon — erst — nach meinem Tode!" „Den Namen, Freund!" Eine böse Ahnung überkam ihn dabei. „Helene — ist — meines Oheims — Harry — rechte — Tochter; — die — Pflegeeltern — erhielten — das Kind — vom — Jägerjürgen, — ohne — die Herkunft — desselben — zu kennen!" Eben trat der Staatsanwalt herein. „Den Namen, Kamerad!" Der Verwundete wollte sprechen, aber ein Blutstrom ent quoll dem Munde; er bewegte noch einmal die Lippen, zuckte zusammen und fiel dann röchelnd in die Kissen zurück. „Er ist todt!" sagte der Beamte kalt. Arthur war in einer fürchterlichen Aufregung. War Helene gemeint? Er zweifelte kaum! O, dann war sie gewiß für ihn verloren. Das Testament mußte die nöthige Aufklärung geben. — Voll Unruhe bat er den Notar, das Vermächtnis bald zu öffnen, da er sobald als möglich abreisen müsse. Der Beamte versprach es und fuhr dann mit dem Staatsanwalte, der nach der Aussage der Dienerschaft ein Protokoll ausge nommen hatte, wieder heim. Arthur lehnte den angcbotenen Platz im Wagen der Herren ab, übergab Monsieur Jean die Aufsicht über Schloß Berg und beschloß dann, angesichts de« schönen Sommerabends trotz des Jägerjürgens zu Fuß heim zu gehen, mitten durch den Krähenhorst. Ach, nun verstand er Baron Leopolds Klagen bei dem Besuche auf dem Schlosse. Dann aber dachte er wieder an Helene, die Stolze, die Spröde, die ihn, den gewandten Weltmann, ausgeschlagen, ihn, dem sein Spiegel doch sagte, daß man ihn wohl lieben könne. Ersann nach, was er wohl gethan, daß sie sich so gegen ihn geäußert. Ja, er hatte seine freien religiösen Ansichten gegen sie ausge sprochen, hatte die Kleinstädterei verspottet; aber das Alles war ja kaum sein voller Emst, kaum Ueberzeugung. Sollte die Hauptsache, daß sie sich so gegen ihn verschanzte, nicht bei ihr selbst liegen, nicht darin, daß sie sich nicht so schnell einem Manne unterwerfen konnte? Ja, das wars! Sie hatte ihm ja zum Vorwurfe gemacht, daß er nur sein Kapital für sich arbeiten ließe, und doch war Faullenzen nicht seine Passion. Dann hatte sie ja auch angedeutet, daß sie den Mann, dem sie sich ergeben müsse, vor Allem erprobt, befestigt in seinen Grundsätzen sehen wollte. O, das konnte er ihr zeigen! Wie, wenn e>- sich von Taylor und Thompson fünszigtausend Thaler zur Verfügung stellen ließ, sich einem Unternehmen in die Arme würfe, das ihn ganz fesselte? — Ja, das wollte er, ihr zeigen, daß er ein Mann sei. So schritt er durch den Wald und sah schon die Lichter von Bergheim. Horch, waren das nicht menschliche Töne? Ein Wimmern und Seufzen wars dort am Wege. Er schlich näher, richtig, dort am Busch lag ein Verwundeter. Arthur beugte sich herab und fuhr zurück. Der Jägerjürgen lag dort in einer Blutlache. „Sind Sies, Jürgen Rink?" „Ja, Herr, ach ich kenne Sie! Sie sind der Fremde von gestern, der mir so muthig in den Weg trat. Zu Ihnen wollt ich!" „Zu mir?" „Ja, aber die Kraft verließ mich; der Baron hat mich gut getroffen!" „Der Baron ist todt, Mensch!" „Gott sei uns Beiden gnädig! — Sind Sie des Mädchen- Schatz?" „Sie meinen Kantor WebsterS Tochter?" Dabei wurde er roth wie ein Krebs. „Ja! Sie ist keine Webster, sie ist —" „Eine Baronin Berg?" „Ja, Herr! Ich sollte sie im Auftrage Baron Edgars umbringen, wegschaffen, s'ist gleichviel! Ich gab sie dem Kantor in dunkler Nacht, als er von dem Gesangverein heim mußte!" „Also doch!" rief der junge Mann schmerzlich. „Schaffen Sie mir einen Geistlichen, Herr, ich muß nun sterben!" Arthur schauderte. „Ich wills versuchen". Er lief in die Stadt und machte Anzeige, aber man sand nur einen Todten: „Jürgen Rink war vor einen höheren Richter berufen." Am andern Tage waren die Gerichte schon in Thätigkrit, Helene in ihre Rechte einzusetzen. 5. Kapitel. Wandlungen. Herr Ewald Pätsch saß am nächsten Nachmittage miß- muthig vor seinem Pulte und hatte schon die Feder auf die Seite gelegt. „Verdammt, daß es so kommen mußte! Aber, wer konnte das denken! Fahren noch in letzter Minute aufeinander los und schießen sich beide eine Kugel in den Leib! Dumm köpfe! Und nun wieder der Amerikaner als Testamentsvoll strecker, der suberkluge Mann! Hat die halbe Stadt aufge wiegelt durch seine Nachforschungen nach der Kaution und alte Geschichten aufgewärmt, die längst vergessen waren. Dem Fink traue ich auch nicht, gut nur, daß Leopoldine auf vier Wochen fort ist, hernach werde ich ja Beide los! — Wie die Berg heimer staunen, die Dummköpfe! Wird aber die Helene Baronin, so wirds schlimm. Ich sah ja, wie Gottfried die Quittung hinter das Bild steckte; ich merkte es durch den Spiegel ganz verstohlen. Vergeblich war es, daß ich in den Besitz des alten Gerümpels zu kommen suchte; sie wollte sich ja nicht davon trennen! Ja, wenn mir der Schlag mit dem Jungen noch gelungen wäre. War alles so fein abgekartet und eingefädelt. Vor Schmach und Schande hätte sie müssen fortziehen, dann hätte ich Alles gekauft, aber so Wer mir nur dazwischen gekommen? — Richtig ist die Geschichte nicht; ich kenne die Welt! Half mir auch nichts, daß ich hierher zog. An Nach-