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3 Beilage Freitag, S April 1»»». Leipziger Tageblatt Rr. »». IVA. Jahrgang Muhestunden. Ich finde den Weg. 36) Roman von HanS v. Hekethusen. Sie nahm sich den Kopfputz des Kostüms ab und steckte ihn in die Manteltasche. „Sie haben wieder recht, und im Grunde geht cs ja auch niemand etwas an, was wir tun oder nicht." „Nein, niemand", sagte er ernst. Langsam schritten sie dahin. „Ich war sehr müde und eigentlich auch hungrig. Aber dieser Gang ist wie ein seelisches Bad. Mir ist noch ganz wirr von all den Leuten, die ich gesehen und gesprochen habe. Hundertmal habe ick es hören müssen, welche Neberraschung es sei, mich zu sehen." „Das kommt davon, wenn man sich so rar macht." „Spotten Sie nicht", bat sie. „Ich?" rief er vergnügt. „Sie müssen mir heute manches nach sehen. Das Wohlgefühl, aus dem ganzen Wirrwarr heraus zu sein, macht mich so froh. Ehrlich gesagt, bin ich glücklich, daß ich Sic wieder allein habe. Liebe, einzige Frau, die ganze Welt möchte ich aufbieten, um Ihnen heute, nach dem Tage, der Ihnen viel saurer war, als mir, noch was Liebes antun zu können." „Nein, nein", sagte sie rasch. „Ja", hörte sie ihn leise sagen, dabei legte er seine Hand wieder aus ihre Schulter. „Ich glaube, Sic fürchten sich schon wieder", meinte er noch einer Weile. „Wissen Sie denn nicht, bah cs Jung Siegfried war der das Fürchten lernte — der Mann und nicht das Weib!" ... Ta sie beharrlich schwieg und nur in den hellcrwerdenden Sternhimmel sah, fuhr er eindringlich fort: „Es muss noch ganz anders werden zwischen uns, wir sind unpraktische Menschen! Wir können so unsagbar viel von einander haben, und wir scheuen unS doch noch immer aus ganz klein lichen Rücksichten, die Zeil zu nützen. Wer kann es wissen — vielleicht bin ich über Jahr und Tag schon wieder versetzt, und dann bleibt nur der briefliche Verkehr — nun, und der...", er hielt inne. Sie lehnte sich plötzlich auf seinen Arm und blieb stehen. „Was gibt cs?" fragte er und neigte in der halbdnnklcn Abend beleuchtung sein Gesicht tief gegen das ihre. „Ich habe nie daran gedacht, daß Sie fortgchen könnten", sagte sie mit gepreßter Stimme. „Aber ich habe doch eine öffentliche Stellung und bin ein Wander vogel. wie jeder andere." Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich nicht ausdcnkcn — das werde ich erst allmählich fassen." „Würden Sie mich vermissen?" fragte er und legte beide Hände an> ihre Schultern. Sie senkte den Blick und schwieg. „Eine ehrliche Antwort habe ich eigentlich verdient", meinte er leise. „Sic sind grausam", sagte sie tonlos. „Was nützt cs, wenn ich Ihnen tage: ja! Sic gehen dereinst Ihrer Wege und können cs doch nicht hindern, daß es so ist. Es kam eine Sonncnzeit für mich, aber sie wird kurz sein, ich ahnte es gleich. Es kommt, wie ich Ihnen sagte — warum ließen Sic mich nicht in meiner Einsiedelei? Ich hatte mich schon mit ihr abgefunden. Nun haben Sie in mir die Sehnsucht nach Leben er weckt, und ich kann sehen, wie ich damit fertig werde." „Ja", sagte er weich, „aber nicht allein, ich will Ihnen dabei helfen." Seine einfache, warme Art übte immer eine unerklärliche Macht auf sie, aber in diesem Augenblicke überrieselte es sie heiß. Noch nie hatte seine Stimme einen so zwingenden Zauber gehabt. Er mußte fühlen, daß ihre Gestalt bebte, und daß sie unfähig war, auch nur ein Wort zu sagen Er umschlang sie plötzlich und drückte sein Gesicht gegen das ihre. „Maria!" flüsterte er, und dann küßte er sie leidenschaftlich, bis ihnen beiden der Atem verging. Ganz betäubt machte sic sich endlich frei. „Was tun wir!" stammelte sic, „warum taten wir das?" Er zog sie wieder in seine Arme und flüsterte: „Warum? Weil wir uns lieben! Ich weiß das schon sehr lange, aber ich konnte es nicht sagen, ehe ich sicher war, oaß ich deine Liebe erweckt hatte. ... Es ist geschehen, wenn du dich auch wehren wirst — ich lasse dich nicht, auch wenn sich Schwierigkeiten finden sollten --- wie ich nicht zweifle!" „Bitte, bitte", flehte sie angstvoll. „Aber wer wird denn schon wieder bitten!" sagte er überglücklich. „Tie japanische Gottheit wird sich selber untreu, dann mutz schon irgend eine höhere Macht in der Nähe sein, die dieses Wunder bewirkt Meinst du nicht auch?" „Woher soll ich die Kraft nehmen, dem zu widerstehen?" fragte sie mir bebender Stimme. „Liebes, nicht gegen mich, aber für mich!" sagte er heiß. „Ich verlange eS ja gar nicht, daß wir morgen schon unsere Verlobung der erstaunten Kleinwelt hier proklamieren — ich lasse dir Zeit, dich in die Tatsache zu finden, daß ich dich gewonnen habe, mehr — tausendmal mehr, als du schon selber ahnst . Aber ich weiß cs, und das ist schließlich die Hauptsache." Ta er jetzt deutlich menschliche Stimmen unterscheiden konnte, zog er sie eilig fort. Um einen Vorsprung der Dünen gebend, waren sie bald gedeckt und wanderten nun wieder allein dahin. Gros; und still lag die Natur vor ihnen. Am Himmel mehrten sich die bellen Sterne, leise rauschte die See, nicht einmal ein sanfter Nacht- wind strich über die schlummernde Welt, in der diese beiden einsamen Menschen jetzt nur ihre große eigene Erregung empfanden. Hans hemmte wieder den Schritt und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. „Sag' einmal du zu mir", bat er. „Ich träume manchmal davon und möchte es nun gerne auch wirklich hören." „Ich kann nicht", flüsterte sie. „Soll ich warten? — Ich will cs ja gern, aber süß wäre es doch, wenn du mir beule noch eG licbcS Wort sagtest!" Ta sie scbwieg und nur die Lippen bewegte, neigte er sich herab und küßte sie wieder. „Ich kann es mir gar nicht denken, daß cs so schwer ist, zärtlich zu sein", meinte er. „Hansi", entrang es sich ihr — aber es klang so gequält, daß er un willkürlich lächeln mußte. Sie verbarg das Gesicht an seiner Schulter und er streichelte ihr schönes Haar. „Was wird sich diele liebe Frau doch wieder alles zurcchtgrübcln. um mir klarzumachen, daß wir nn? nicht heiraten können", fragte er neckend. „Heiraten?" wiederholte sie erschauernd. „Ja gewiß! Dachtest du, ich wäre mit einem ewigen Brautstände zu frieden?" Eine leidenschaftliche Veränderung ging plötzlich mit ihr vor. „ES geht alles in Trümmer", sagte sie tonlos. „Ich kann nicht wieder heiraten, denn ich kann n-cht vergessen. Nicht allein, daß ich älter bin, nein, etwas anderes macht mich unfähig. ... Ich kann nicht, um Gottes- willen, laß mich " Ganz stumm hielt er sic fest in den Armen. Nach einer langen Zeit sagte er ernst: „Ich müßte jetzt sehr traurig sein, daß du dich mir zuliebe nicht überwinden kannst, und daß die düstere Vergangenheit über haupt noch imstande ist, Statten in diese heilige Stunde zu werfen. Aber meine Liebe ist viel zu stark, als daß ich dich lassen könnte —> vielleicht gerade darumtz,.... Tu liebst mich ja doch, du kannst dich nur noch nicht freimnchen aus dem bösen Bann der Erinnerungen. Ich kann da auch nicht helfen, aber du selbst mußt und wirst es. Mir bleibt nun nichts weiter übrig, als zu warten, daß sich die Sehnsucht so stark in dir entwickelt, bis du eines Tages die lieben Arme um meinen Hals legen und sagen wirst: „Hier, n;mm mich, meine Liebe ist stärker als ich...." Vielleicht hilft mir auch etwas anderes, etwas sehr Liebes und Heim liches, was ich dir noch nicht sagen kann." Wie sehr verstand er sich auf das feine Schweigen! Gerade darin lag ein großer Charme seines Wesens. Wenn er jetzt leidenschaftlich und eroberungssüchtig mit ihr verfahren wäre, hätte sie sich abgestoben ge fühlt, und dadurch die Krakt gesttnden, sich gegen ihn zu wehren. „Sage und tue, was du willst", fuhr er fort, „es ändert doch nichts, denn ich habe, seit ich dich kenne, unerschrockene Ledipusaugen — und wenn du mich los sein willst — verklebte OdysseuSobren! Schwierig keiten sind eben lediglich dazu da, um überwunden zu werden. Wir haben es beide nicht nötig, uns irgendwelchen Lebenshemmungen zu unter werfen. Eine wirklich große Liebe'will schaffen und das Leben sich und anderen warm machen. Daran sollst du immer denken und die heilige Zuversicht haben, daß es mir ernst ist, das Glück für uns beide mit starken Armen festzuhalten." Sie war ganz verstummt. Es wogte und brauste ihr vor den Ohren. Unfaßbare Stimmungen, wie sie sie nie gekannt hatte, wallten und schwebten um sic. Sie konnte weder bejahen, noch verneinen. Wie in ein blendendes Licht getaucht erschien ihr plötzlich ihr Leben, und eine unerklärliche Angst überkam sie, daß sie schwach werden könnte. „Bringe mich heim", sagte sic endlich. Langsam schritten sie zurück. Im Schatten der Eichen zog er sie schnell vom Wege fort, Schritte kamen ihnen entgegen. Zwei Menschen die sie in der Dunkelheit nicht gleich erkannten, gingen flüsternd vorüber Nun hörten sie Hella lauter sagen: „Was willst du eigentlich von mir?" „Nicht so neugierig sein", antwortete di PaLlo ausgelassen und küßte sie. Maria fuhr zusammen. Auch Hans erschrak und legte seinen Arm fester um sie. „Ich schäme mich", sagte Maria tonlos. „Aber Liebes", bat er zärtlich, „es wird dir dach nicht in den Sinn kommen, unsere Liebe mit jener leichtfertigen Tändelei zu vergleichen.... Ich habe cS gleich gefürchtet, daß Hella den Boden unter den Füßen ver lieren würde. Wer sich zum Spielzeug macht, mit dem wird eben gespielt!" Da sie jetzt eine laute dritte Stimme vernahmen, drängte er sie noch weiter unter die Bäume zurück. Peinlich berührt, hörien beide folgendes heftige Gespräch: „Ja Hcrumtreibcrei nenne ich das, du gehst augenblicklich nach Hause." „Tas geht dich gar nichts an, mein zärtlicher Onkel! Du leidest mal wieder an Einbildungen: mein Vagabund und ich mußten frische Lust schnappen nach all den stumpfsinnigen Menschen, denen wir heute das Geld aus der Tasche herausamüsiert haben. Er bringt mich jetzt nach Hause und steht hier nicht auf Pirsche, wie du glaubst, um Frau Walden- rat nachzujagen." Sie lachte jählings auf. „Oh du Menschenkenner par cixoalle-nae, du bist schon wieder aus einer ganz falschen Fährte. Aber beruhige dich — dich nimmt sie nicht. Der Charme deines Wesens wirkt auch auf sie wie konzentrierter Essig den man aus Versehen trinkt. Es war zwar sehr fein von dir ausge sponnen, uns hier in dem toten Erdcnwinkel zu etablieren, um es selbst bequem zu haben, dieser Frau nachzustcllen — aber deine Absichten gehen mal wieder quer — erstens, was den Erfolg deiner sengenden Zuneigung anbelangt, und zweitens unsere Besserung betreffend. Ich. werde jetzt auch leichtsinnig, aus Zeitvertreib und langer Weile — und mache gar kein Hehl daraus, denn ich sehe ein, die erbärmliche Welt ist trätabler so. . . . Mama wird wohl ähnliche Erfahrungen gemacht haben — ich fange an, sie zu verstehen." (Fortsetzung folgt.) * * lAuf Wunlch wird der Anfang diese- Roman- neu hinzutretende» Abonnenten kostenlos nachqelieferi.1 lotisilgllnnils lstullMn m8fior1dui6ll I» imvrrotolNsr KL68SN-^U8^aK1 in gkuinsrten unö ungsrniertsn Damen-». iiinclerkNen UN deLnnnt dUUU« kreisen. k^ebSIM- Illlt - ksüM - HAM nun krS88lK8 8si8MltM8 Ser 8traddutdrsllclik. 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