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WchmM für MMff Beilage zu No. 71. Freitag, den 5. September 1890. Bäuerin und Gräfin. Roman von Theodor Mügge. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Da begehrte sie auch, cs solle nicht geschehen, sie wollte es allein versuchen und faßte es mit solcher Entschlossenheit an, daß man sagen muß, sie that'S wie der beste Mann. Ihre Stange hieb sie in Stücke und ließ ihm eines davon hinab, damit er es in die Quer zwischen die beiden Eiswände klemmen sollte und sich daran festhalten konnte; dann reichte sie ihm den Strick hin, um seinen Leib fest zu knüpfen, so auch das Beil, um Staffeln für seine Füße zu hauen, wenn sie ihn hoch zöge; und als dann Alles mit unsäglicher Mühe geschehen war, begann sie ihr Werk und bracht's zu Stande. Die Eis kante brach unter ihm, sowie er sich hob, aber er kam glück lich auf das eingeklemmte Holzstück, und wie er mit den Füßen darauf stand, könnt' er ein anderes fassen, das sie ihm reichte, auch mit dem Beile neue Löcher hauen, bis sie ihn mit ihren Händen erlangen und an's Licht ziehen konnte. Und das Vreneli hat Hände, was die greifen, kommt nicht wieder los. Ich habe sie gesehen, sagte der Legationsrath, sie scheint allerdings sehr kräftig zu sein. Man sagt's dem Schlag dort nach, daß er von den Riesen abstammen soll, welche in uralter Zeit zuerst das Schweizer land bewohnten, lachte Herr Murhard. So ein echtes Madli, wie das eins ist, fürchtet sich vor keiner Last. Wie verjünge Herr auf dem Eise lag, kam die Schwäche über ihn. Seine Glieder waren zerschlagen und steif, so nahm ihn Vrenelie auf ihren Arm und trug ihn in die Sennhütte hinab, wo er fast eine Woche zubrachte, ehe er sich erholte und nach Thun hinab konnte. Dann hat er aus Dankbarkeit seine Retterin und ihren Vater hierher versetzt, fiel Springfeld ein. Das that er, aber es war wiederum ein lustiger Streich. Statt den Mathias ein Stück Gelb zu geben, wodurch sich der Mann daheim geholfen hält', überredete er den alten Herrn und machte Babettcn die Sache so süß, daß sie es mit ihm zu Stande brachte. Nun sitzt der Senn auf dem Tvbclhof und macht seine Sache gut genug, aber eine kostbare Dank barkeit bleibt bei alledem. Sie glauben also, daß der Graf dabei zu kurz kommt? Wo soll's hinaus? rief der Major. Sie haben gebaut und gewirthschaftet; ein neues HauS ausgerichtet, den Vichstand groß gemacht, der Hof ist so stattlich, wie einer von den besten im ganzen Land. Das kostet Geld, und die Wirthschaft hier unten lostet auch Geld. So ein Herr will sich nicht ein- schränkcn und kann's auch nicht. Ich habe ein Capital her- gegebin, des Bädli's wegen, sonst hätt' ich's nicht gethan. Es muß aber balv hier eine andere Wirthschaft beginnen, und ich hab' meinen Plan gemacht. Babette soll den Platz ein- nehmen, der ihr gehört, und aus dem jungen Herrn soll ein vernünftig Wesen werden, damit wird's gehen. Der Baron war ganz damit einverstanden, und als Fräu lein Babette kam, um die beiden Herren in's Haus und an den Tisch zu bitten, fand sic sie so vertraulich beisammen plaudernd, wie sie es noch nicht gesehen. 6. Am nächsten Tage ließ der alte Herr seinen Sohn zu sich rufen und hielt mit ihm ein langes Gespräch unter vier Augen. Er war ungewöhnlich heiter und lebendig, aber immer mit der selben Würdigkeit umgeben, die ihm zur Natur geworden war. Sein alter Diener halte ihm ein reines weißes Halstuch reichen müssen, niemals trug er ein schwarzes; sein Haar war wohl geordnet und toupirt, die gestreifte Manschette lag auf seiner schmalen, feinen Hand. So saß er in dem grünen Damast stuhl und empfing den Sohn mit seinen wohlgefällig messenden Blicken. Setze Dich hierher zn mir, Rudolf, sagte er, ich freue mich, Dich zu sehen, Du bist doch wohl? Sehr wohl, lieber Vater. Das Abenteuer auf dem See ist Dir somit gut bekommen? Ich habe keine üblen Folgen davon. Aber unsir lieber Gast, Deine liebenswürdige Cousine. Ich denke, es wird ihr ebenfalls nicht geschadet haben, sagte Rudolf. Ich habe am F-nstcr mit ihr gesprochen. Sie wird zu uns herunter kommen. Hoffentlich wirst Du sie nicht wieder in solche Gefahren bringen, lächelte der Graf, indem er sanft mit den Fingern drohte. Gewiß nicht, aber sie hatte Schuld daran. Lydia gehört zu den Frauen, deren lebhafte Einbildungs kraft bet Allem, was sie lhun, vorherrscht. Sie ist sehr jung verheirathet worden und ist, wie ich glaube, nicht besonders glücklich gewesen. Jetzt sucht sie ihren Neigungen zu folgen, und w-nn ich nickt irre, mein lieber Freund, sind diese Dir sehr günstig. Eme hellere Nöthe sammelte sich auf Rudolfs Stirn, er machte eine unruhige Bewegung, die seines Vaters Ausspruch abzulüugnen suchte. Nun, ich denke, Du hast nicht darüber zu erschrecken, fuhr der alte Herr fort, auch will ich durchaus keine Bekennt nisse von Dir verlangen. Nur einige Bemerkungen möchte ich Dir machen und einige Nathschläge geben, wenn Du nichts dagegen hast. Der Sohn war gewöhnt, seinen Vater mit Ehrfurcht zu betrachten. Er empfand in dessen Nähe vor dieser gütigen Würde, welche niemals sich vergaß, nie eine Leidenschaft sich beikommen ließ, eine gläubige Unterwerfung. Niemals erinnerte er sich, von seinem Vater ein hartes Wort gehört zu haben, nie hatte er ihm einen Befehl ertheilt, eben so wenig seinen Willen gehemmt. In seiner Kindheit hatte die Mutter mit fröhlichen raschen Beschlüssen über den Knaben bestimmt, dann hatte Fräulein Babette ihn behütet, der Vater aber hatte ihn immer seinen eigenen Weg gehen lassen. Er erkannte bald, daß eine andere Natur in seinem Sohne sei, als seine eigene war, ein anderer Charakter sich daraus bilde, und er wehrte diesem nicht, sich nach seinen Grundlagen zu entwickeln. Als er jetzt bei ihm saß, überdachte er dies Alles und schien damit zufrieden zu sein. Du bist jetzt vier und zwanzig Jahre alt, sagte er, also ein fertiger Mensch, dessen Leben und Zukunft geordnet sein muß. Was denkst Du nun darüber, mein Kind? Welche Pläne hast Du Dir gemacht? Welches Ziel hast Du Dir gesetzt? Mein Ziel ist nicht weit gesteckt, lieber Vater, erwiderte Rudolf. Ich glaube auch nicht, setzte er hinzu, daß ich da nach trachten könnte, mehr zu erreichen — als ich besitze. Und war besitzest Du denn? fragte der alle Herr lächelnd. Ich glaube, Zufriedenheit genug, um ein einfaches Leben zu führen und nicht nach der großen Welt zu verlangen. Und was kennst Du denn von ter Welt? Nichts, lieber Vater, das ist wahr, allein ich denke, das ist auch nicht nöthig, wenn ich sie entbehren kann. Du möchtest also am liebsten so weiterleben, wie es bis her geschehen. Wirst Du das können, Rudolf? Warum sollte ich es nicht können? Du hast bis jetzt ein sehr ungebundenes Leben geführt, hast Dich sehr wenig ernsthaft beschäftigt. Ein junger Mann in der glücklichen Lage, nicht arbeiten zu müssen, kann Ge fallen daran finden, einige Jahre mit jugendlichen Zerstreu ungen hinzubringen; allein, das kann nicht immer so bleiben. Es soll auch nicht immer so bl-iben, erwiderte Rudolf, ich will arbeiten, lieber Vater, und thue es schon. Die neue Wirthschaft giebt mir manche Gelegenheit dazu und wird mir deren noch mehr bieten. Ein Bauernhof kann einen Bauern beschäftigen, sagte der alte Herr, Dich wird das bald ermüden und langweilen. — Du kannst doch kein Bauer werden, fuhr er lächelnd fort; wenn das möglich wäre, so würde ich es in der Ordnung finden. Wärst Du des Mathias Sohn, führtest den Pflug und wartetest Dein Vieh, so hättest Du Deine Lebensbestimmung fertig vor Dir. Allein Du bist mein Sohn, bist Graf Rudolf Gersau; das dürfen wir Beide nicht vergessen und eben jetzt am allerwenigsten. Er legte seine durchsichtige Hand auf die Schulter des jungen Grafen und blickte ihn liebevoll und gütig an. Wie lange wird es noch dauern, sagte er, so wirst Du allem sein und mein väterlicher Rath ist auf ewig verstummt. Ehe es dahin kommt, möchte ich aber doch gern eine Sicherheit mit auf den Weg nehmen, daß Dein Weg ein geordneter sei. Du bist in dem Alter, Rudolf, wo ein junger Mann an eine Lebensgefährtin denken muß. Hast Du schon daran gedacht? Dis hellere Röthe trat wieder auf die Stirn des Sohnes, und der alte Herr lächelte stärker und nickte ihm freundlich zu. Ich sehe wohl, Du hast daran gedacht, fuhr er fort, vielleicht auch schon, cbe das Glück uns Lydia zusührte. Aufrichtig, Rudolf, hast Du schon früher daran gedacht? Ja, Vater! antwortete er, seine ehrlichen Augen auf hebend. Das heißt, Du dachtest an eine Andere, an Eine, der Dein dankbares Herz sich zuwandte? Ja, lieber Vater! sagte Rudolf mit großer Stärke. Gut, mein Sohn. Hättest Du sie zu mir geführt, ich würde sie nicht verworfen haben. Nein, ich hätte es nicht ge than, denn ich weiß, was sie werth ist, und ich kümmere mich nicht um Vorurtheile. Ich verachte sie! rief Rudolf lebhaft aus. Wenn aber das Deine Meinung ist, theurer Vater, wenn ich wagen darf, Dir Alles zu gestehen — Still! unterbrach ihn der alte Herr, höre erst an, was ich Dir mittheilen muß. Alles hat sich verändert. Ich sagte, daß ich nicht nach den Meinungen der Menschen gefragt haben würde, weil ich weiß, daß der Gegenstand Deiner dankbaren Gefühle besser ist, als Viele, die in der gesellschaftlichen Reihe höher zu stehen glauben. Nicht Dankbarkeit ist es allein, sagte Rudolf, es ist eben, wie Du sagst, ihr wahrer menschlicher Werth, oder ich weiß nicht, was mich zu ihr zog. Nenne es, wie Du willst, antwortete der alte Herr, ich würde zunächst glauben, daß die Einsamkeit Deines Lebens, Deine Unbekanntschaft mit anderen Frauen, die Gewohnheit, ihr Dein Vertrauen zu schenken, bei ihr und mit ihr zu sein, auf Deine Empfindungen einwirkte. Nun plötzlich ist ein neuer Stern an Deinem Himmel aufgegangen, ein schöner, glänzender Stern, es ist also eben so natürlich, daß die andern davor erbleichen. Rudolf richtete sich erschrocken auf und fragte mit bewegter Stimme: Wer ist das? Beruhige Dich! lächelte der alte Herr; aber ist es nicht so, Rudolf? Aufrichtig, mein Sohn, denkst Du nicht an Lydia? Rudolf senkte seinen Kopf nieder, er vermochte es nicht, seines Vaters Blick auszuhalten. Er murmelte ein paar un verständliche Worte, die wie: Ja, aber dennoch — klangen. Dennoch ringst Du gegen die fremde Gewalt und suchst ihr zu entkommen, fuhr sein Vater fort, allein es will nichts helfen, Du bist einmal gefangen. Es ist kein Unrecht dabei, mein Kind, ich freue mich herzlich darüber und will Dich voll ständig beruhigen, denn Du sollst es wissen, daß sie es von ganzem Herzen wünscht, daß Lydia Dich beglücken möge. Sie? Ist es möglich! fragte Rudolf ausblickend. Sie war hier, sagte der alte Herr, wir haben aufrichtig gesprochen. Sie war bei Dir? Ja. Es ist ein vortreffliches Mädchen, ich bewundere ihren Verstand und ihren Charakter. Was sagte sie? Was wollte sie? Ick will Dir den Auszug unserer Unterredung mittheilen. Jedes Mädchen sieht scharf, wenn ihr Herz betheiligt ist, mag sie im Palast oder in der Hütte geboren sein. Sie führte das Gespräch mit Klugheit auf den Besuch der Gräfin, auf die Verhältnisse und auf die glückliche passende Parthie für Dick, wenn Du Dich mit ihr vermähltest. Das glaubt sie! sagte Rudolf, indem er aufstehen wollte, aber sein Vater hielt ihn davon zurück. Warum sollte sie nicht glauben, was Jeder glauben muß, fuhr er fort, und was Du selbst am besten weißt? Ja, mein liebes Kind, es wäre ein Glück, das ich mit Freuden kommen sehe, wie Sonnenglanz für mein Alter. Mit geheimer Furcht habe ick mich oft nach Deiner Zukunft gefragt. Dein Erbe ist nicht bedeutend. Was ich außer diesem kleinen Gute be sitze, außer meinen Knnstschätzen und Büchern in diesem Hause, hat sich verringert. Lydia ist reich, Du wirst mit ihrer Hand zugleich der Besitzer bedeutender Güter, und auch dies weiß die gute, verständige Babette, auch von dieser Seite zeigte sie mir Dein Glück und den Glanz Deines Namens. Babette! flüsterte Rudolf. Die edle, treu: Seele! Du Haft keine, die inniger an Dir hängt. Folge nur ihren und meinen Wünschen, sei so glück lich, wie Du cs sein kannst, und jetzt, mein Sohn, jetzt wo es keinen Zweifel mehr für D'ch geben kann, benutze die Gunst der Verhältnisse. Ein Mann muß immer kühn sein, auch in der Liebe muß er entschlossen handeln. Bringe mir bald Deine Braut, meine liebe Tochter, in meine Arme. Rudolf! Wo ist er? rief im Garten Lydias Stimme. Seine Hand, die sein Vater sesthielt, zitterte und zuckte. Nur Geduld! sagte der alte Herr, fein und würdig lächelnd. Ein Ruf von ihr bringt ja eine wahre Revolution in Dir hervor. Geh' hin, Rudolf, geh', mein Sohn. Zieh aus und erobere Dir Dein Königreich. Ich will's versuchen, Vater! erwiderte der junge Mann, während der alte H-rr ihn umarmte und küßte, dann be gleitete er ihn bis zur Thür, klopfte leise auf seine Schulter und entließ ihn. Er stand am Fenster, als sein Sohn hinaustrat, und sah, wie Lydia ihm entgegen eilte. Wie froh und wie schön sah sie aus, und welche Veränderung war mit ihr vorgegangen. Sie hatte sich zum ersten Male wie eine reiche, vornehme Dame gekleidet und geschmückt. Statt des einfachen Reise kleides trug sie eine kostbare Robe, Spitzen und edle Stein« glänzten und su ikelten an ihr, goldenes Geschmeide schimmerte ihm entgegen. Der alte Herr rieb seine zarten, schmalen Hände und lächelte entzückt. Sein Sohn stand geblendet vor der reizen den Erscheinung und küßte ihre Hand. Sein Gesicht war roth von dem rebellischen Blut, das sie durch seine Adern jagte, aber er hörte ihr fröhliches Lachen, er hörte ihre metallvolle Stimme, und der Vater sagte leise vor sich hin: Sie w rd ihm schon Muth machen, sie, die Dame aus dem Salon, ihm, dem blöden Schäfer. Er wird bald die Scheu überwunden haben. Ein Mensch gewöhnt sich an Alles, an den Bettelstab sowohl, wie an eine Krone. Der alte Herr wußte nicht, was Lydia zu dieser plötz lichen Metamorphose bewegt batte, aber er kam zu dem rich tigen Schluß, die schöne Gräfin wolle sich ihrem schüchternen Geliebten im vollen Glanze ihrer Reize zeigen und ihn damit bezaubern. Er wußte nicht, daß sie diesen Entschluß erst vor einer Stunde gefaßt hatte, als der Legationsrath ihr seinen Besuch machte, um ihr Glück zu ihrer Genesung zu wünschen. Nach dem er sich zu ihr gesetzt und seine Einleitungen getroffen hatte, nach einer Reihe von Scherzen über ihr Abenteuer und über das Verderben, welches dabei ihren Anzug getroffen, setzte er mit ironischer Warnung hinzu: Ich denke, es wir» an diesem einen Anzuge genug sein, und eine göttliche War nung darin sich geltend machen. Ich habe wirklich die Lust verloren, mich in Gefahren zu begeben und darin'umzukommen, erwiderte sie. Wenn das der Fall ist, lächelte er, so thäten wir am bellen, unsere Reise fortzusetzen. Warum? Weil in diesem romantischen Landhause so viele Geheim nisse stecken, daß ich fürchte, die Gefahren werden kein Ende nehmen. Welche schreckliche Geheimnisse haben Sie ausgewittert, theuerster Freund? fragte sie. O, ich glaube, es ist damit nicht zu spaßen, und möchte Niemandem rathen, die Katastrophe abzuwartm. Gewiß eine entsetzlich blutige und grauenvolle. Im Gegentheil eine sehr lustige. Eine Hochzeit. Lydia legte sich in den Stuhl zurück. Ihre Augen füllten sich mit Spott und Zufriedenheit. Also eine Hochzeit. Wer wird heirathen? Ein junger Herr, der so unschuldig aussteht, wie Endy- mion, als die schöne Diana ihn im Schlafe erblickte. In der That ist dies ein ganz vortrefflicher Vergleich, fuhr er fort. Ein Jäger und Hirt, ein liebenswürdiger Naturmensch,