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Wochenblatt für für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden Nr. 2«. 187S. Dienstag, den 1. April Erscheint wöchentlich 8 Mnl (Dienstag und Freitag) Abonnementtprei- vierteljährlich I Mark. Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. Juseratenannabme Montags u. Donnerstag« bi» Mittag IL^UHr. Erscheint wöchentlich S Mal (Dienstag und Freitag). Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer kostet IO Pf. Jnseratenannahme Montags u. Donnerstags bis Mittag 12 Uhr. siir die König!. Amtshanptmannschast zu Meißen, das Königl. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Neunun-dreitzigster Jahrgang. Der russische Nihilismus. Hand in Hand mit der Internationale, mit der Sozialdemokratie aller Länder geht der Nihilismus in Rußland, jene weitverzweigte, ge heime Verbindung, welche es, gerade wie die Sozialdemokratie bei uns, auf den Umsturz der staatlichen Ordnung abgesehen hat. Erst durch eine Reihe von Attentaten auf hochgestellte russische Beamte, durch Drohbriefe und durch revolutionäre Anschläge ist die öffentliche Auf merksamkeit auf jene Verschwörung gelenkt worden, die saft in allen Provinzen des großen Czarenreiches ihre Mitglieder zählt, die aber durch den Schleier des Geheimnisses sich ebensowohl den Späheraugen der Polizei, wie der Kenntniß des Zeitungslesers entzieht. Die un heimliche Secte hat jedoch ihre Zeitungsorgane, durch welche sie ihre Gedanken und Grundsätze zu verbreiten sucht, ein solches ist die in Genf erscheinende ObsobtLobina. und in einem längeren Aufsatze be handelt der Nihilist Nikolaj Shukowskij die Entwickelung und die Ziele des Nihilismus. Da können wir sie denn kennen lernen. Wir „draußen in Eur»pa" stellen uns gewöhnlich das russische Volk als eine ziemlich einheitliche Nation vor, zu der nur die Polen in einen gewissen Gegensatz treten. In Wahrheit besteht aber das russische Volk aus einer ganzen Reihe von Nationalitäten, deren jede nicht bloß ihre Eigentümlichkeiten, sondern auch ihren Nationalstolz hat und sich nur ungern einer andern unterordnet. Solche Unterord nung verlangt das „Großrussenthum", während Kleinrussen, Weißrussen und Polen cim liebsten selbstständig sein möchten und die Faust hassen, die ihnen auf dem Nacken liegt. Daher kommt cs, daß auch die revo lutionäre nihilistische Bewegung ihren Hauptsitz in Südrußland hat und daß trotz des gemeinsamen Zieles aller Nihilisten doch keine ccn- tralistische Organisation besteht, wie sie der Internationale eigen ist. Agitatoren giebt es ja bei den Nihilisten auch iu reichlicher Menge, aber dieselben ordnen sich keinem Counts unter, sondern bilden selbst ständige Kreise; denn der Geist der landschaftlichen Unabhängigkeit ist so stark im Volke, daß es sich am wenigsten dem Willen einer Dic- tatur fügen würde, noch dazu, wenn dieselbe in Petersburg ihren Sitz hätte. Ein weiterer Unterschied zwischen den Sozialdemokraten und den Nihilisten ist der, daß die letzteren sich nicht vorzugsweise aus den untern Volksklassen, den sogen. Arbeitern, rekrutiren, sondern aus den gebildeten Ständen, richtiger den Halbgebildeten. Studenten mit un reifen politischen Ideen im Kopfe, voll Thatendrang, aber ohne die eigentliche planmäßige Manneskrast, geneigt zu abfprcchender Kritik über alles geschichtlich Gewordene, noch besonders bewegt durch den leicht in Extreme fallenden russischen Charakter bilden in den südlichen Universitätsstädten Kiew und Charkow den Heerd der Agitation, von dem immer neue Anregung ansgeht. Dem Nihilismus sehr zu statten kommt, daß seine Beschwerden vielfach gerecht sind; das absolute Hcrrscherthum läßt dem Volkswillen neben sich keinen Raum, eine durch und durch corrumpirte Beamtcn- schaar sucht sich auf Kosten des Staates zu bereichern, die russisch griechische Kirche, Dank ihren geistlosen Formen, vermag nicht, religiös und sittlich kräftigend ans das Volk einzuwirken. Nur dann wäre es vielleicht noch möglich, dem schließlichen Ausbruch einer Revolution vorzubeugen, wenn der Kaiser von Rußland sich entschließen könnte, dem Lande eine Constitution zu gebe», durch welche die Stimme und die Bedürfnisse des Volkes gehört und berücksichtigt werden. Das sehen selbst die Führer der Nihilisten ein und sind darum eifrigste Gegner einer Constitution, weil diese ihnen einen großen Theil ihrer Anhänger entführen würde. Das Ziel haben die Nihilisten mit unsern Sozialdemokraten ge mein: Vernichtung der gegenwärtigen staatlichen Ordnung, Herrschaft der „Arbeiter". Aber bei dem Wie? der neuen Ordnung scheiden sich beide Parteien; die sozialdemokratischen Agitatoren betrachten sich als die natürlichen zukünftigen Regenten bei der „Organisation der Arbeit", die Nihilisten, wenn sie sich überhaupt etwas denken, denken sich „die Bewegung von unten nach oben fortschreitend" und „jeden Arbeiter als selbstbewußte Persönlichkeit". Der/ menschliche Gedanke, Wissenschaft, Kunst, allseitige Ausbildung wird znm Gemeingut". Wir sehen, die hohle Phrase ist hier geradeso zu Hause wie bei unS. TageSgeschichte. Prinz Waldemar (geb. 10. Februar 1868), der dritte und jüngste Sohn des deutschen Kronprinzen, ist am Freitag früh halb 4 Uhr ge storben. Am Montag erkrankte der Prinz an einem scheinbar nur leichten Anfall von Diphthcritis, welcher bis Donnerstag Abend zu ernsten Besorgungen keine Veranlassung gab. Gegen halb 12 Uhr Nachts trat jedoch in dem Befinden eine derartige Verschlimmerung rin, daß die behandelnden Aerzte sich veranlaßt fühlten, den Ur. von Langenbeck beizuziehen. Gegen halb 4 Uhr trat der Tod in Folge von Herzlähmung ein. — Am Sonnabend Vormittag fand in Pots dam das feierliche Leichenbegängnis; des jungen Prinzen statt. Am verg. Mittwoch hat der Reichstag in einer 7stündigen TageS- und einer Windigen Abendsitzung die 2. Berathung des Reichshaus halts sammt gesetzlichen Beilagen erledigt. Das Gesammtergebniß stellt sich dahin, daß nach Minderung verschiedener Ausgaben und Er höhung einzelner Einnahmepositionen der Stand der Matrikularbeiträge ungefähr derselbe bleibt, wie 1878. Nach der Vorlage war eine Er höhung von 87 Mill, auf 101 Mill, für diese Beiträge gefordert, mit hin fast 14 Mill. mehr. Diese sind nach den Beschlüssen des Reichs- tags um fast 11 Mill, gemindert, so daß sich nur eine Mehrung von etwa 3 Mill, ergiebt. Die einzelnen Staaten werden also nicht wesent lich mehr als das vorige Jahr zu bezahlen haben, die eigentliche Be seitigung der Matrikularbeiträge wird aber erst durch Bewilligung der neuen indirekten Steuern, voran die Tabaksteuer, und des Zolltarifs ermöglicht. Dies ist der zweite und schwierigere Theil der Finanzberathung, welche erst nach Ostern beginnt. Das Tabaksteuergesetz wird als besondere Gesetzesvorlage behandelt, die übrigen Finanzzölle kommen gleichzeitig uKter und m dem Zolltarif zur Vorlage. Wie verlautet, hat der Bundesrath die Tabaksteuersätze bereits auf 60 M. für aus ländischen und 40 Mk. für inländischen Tabak ermäßigt, somit den Tabaksbauer auch im Verhältnis; (nach der preußischen Vorlage 58 : 70) etwas günstiger gestellt. Die Steuer wird nicht der Bauer, sondern der Händler oder Fabrikant zn zahlen haben. Wie die schwierige und namentlich für kleinere Fabriken verhängnißvolle Frage der Nach versteuerung gelöst ist, hat man aus dem Bundesrath noch nicht vernommen. Bei der ungarischen Regierung sind 'laut einem Ausweise im Amtsblatte bis zum 25. d. an Spenden für Szegedin eingegangen 505,000 st. und fremde Valuten im ungefähren Werthe von 50,000 st. Beim „Pester Lloyd" sind laut Ausweise vom 25. d. 127,000 st. ein- Oertliche» und Tächsische*. Wilsdruff, 31. Mürz. Heute Vormittag in der 11. Stunde brannte im nahen Grumbach beim Gutsbesitzer Kühne ein Seiten gebäude total nieder. Die Ausgaben für das sächsische Heer betragen nach den neuesten Beschlüssen des Reichstages 2,486,938 M. im Ordinarium, es sind 50,000 M. an der Verpflegung wegen Preisrückganges gestrichen. Bautzen. Am 24. d. M. ist an einem hiesigen Einwohner ein Giftmord versucht worden. Demselben war in den Frühkassee eine größere Dosis Phosphorpulver geschüttet worden. Durch den Geruch aus der Kanne aufmerksam gemacht, wurde der Kaffee von dem Be treffenden jedoch nicht genossen, sondern zur Untersuchung in die Apotheke abgegeben und die Polizei davon in Kenntniß gesetzt, von welcher als des Mordversuchs dringend verdächtig noch am selbigen Tage der 35 Jahre alte eigene Sohn des obengedachten Eirrwohners verhaftet wurde. In der Gcschworenensitzung des k. Bezirksgerichts in Zwickau vom 20. d. Mts. kam der seltene Fall vor, daß Ankläger und Ange klagter die Rollen tauschten und dre Verhandlung mit der Verhaftung des Ersteren und der Freilassung des Letzteren endete. Der Angeklagte, Schmiedemeister Marcin aus Rvdewitsch, welcher iu einer früher gegen ihn vom Spinnmeister Karl Friedrich Kober aus Weißensand anhängig gemachten Privatanklagesache den ihm zuerkannten Reinigungseid ab geleistet hatte, war deshalb von Kober des Meineids denuncirt und auf Grund dessen, sowie einiger Zeugenaussagen in Untersuchung und Hast gekommen. In der Verhandlung entstanden jedoch so erhebliche Zweifel an der Wahrheit jener Zeugenaussagen, daß die Staatsan waltschaft selbst die Verneinung der Schuldfrage beantragte und, nach dem die Geschworenen diesem Anträge zugestimmt hatten, der Gerichts hof den Angeklagten freisprach, im Anschluß hieran aber die sofortige Verhaftung Kober's wegen dringenden Verdachts, gegen besseres Wissen eine Meineidsbeschuldigung ausgesprochen und Zeugen zu falschem Zeugniß angestiftet zu haben, anordnete. Die Zuhörerschaft gab ihre Befriedigung über diese Wendung der Sache unzweideutig zu erkennen. > ' —— - Der Falschmünzer. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Auf der Grenze", „Der rechte Erbe", rc. (Nachdruck verboten.) Fortsetzung.) Mr. Templeton war der Sohn eines reichen Kaufmannes der City und er hatte, wie dies bei den Engländern die Regel ist, schon ein gut Stück Welt gesehen. Seine Lehrzeit hatte er in einem großen Hamburger Handlungshause zugebracht, dann war er nach Cuba, später nach Indien gegangen, ein Jahr batte er iu New-Jork zuge bracht, und dabei war es ihm doch schon möglich gewesen, die für jeden Gentlemann nothwendige Reise nach dem Continent zu machen; er hatte den Rhein, die Schweiz, Italien gesehen und noch dazu jene Gleichgültigkeit, mit der gewöhnlich von seinen Landsleuten diese Reisearbeit verrichtet wird, vielmehr bekundeten seine Mittheilungen, daß er überall Sinn und Verständniß für das Schöne mitgebracht und waren auch seine Urtheile nicht von einem durch Kuuststudien ge läuterten Geschmack dictirt, so verriethen sie doch einen klaren, unbe fangenen Blick und ein warmes, lebhaftes Interesse.