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childersisodanw die bekannten gegentheiligcn Meinungen, wie sie in den Commissionsbcrathungen des Reichstages zu Tage traten, weist den dein Reichstage gemachten Vorwurf, er arbeite viel hinter den Coulissen, energisch zurück, indem er darauf hinweist, daß im In teresse der gedeihlichen Geschäftsabwickelung die Erledigung aller Detailfragen im Plenum eines so großen Parlaments schlechterdings unmöglich sei und betont, das sich um daß Zustandekommen des Ge setzes vornehmlich v. Bennigsen, v. Kardorff, Lucius und Helldorf dadurch verdient gemacht, daß sie während der Berathung aufsteigende Mißverständnisse ans dem Wege räumten. Niemand werde eine Reformbewegung gegen die bestehende Ver fassung unter das Strafgesetz stellen, wenn diese nicht, wie im vor liegenden Falle, Staat, Kirche und Familie den Krieg erklärt, fei es doch ein alter Staatsrechtsatz: nur diejenigen Refvrmbestrebnngen sind straflos, die sich auf dem Boden der bestehenden Gesetze aufbauen. Was würde ein Aderlaß au einzelnen Gliedern des Volkskörpers ge nutzt haben, da dieser völlig mit dem sociatdemokratischen Gifte m- ficiit war? Um dieses zu entfernen, bedurfte es einer außergewöhn lichen Radicalkur. Das Gesetz ist dircct gerichtet gegen die Presse und gegen die Brandreden der Agitatoren, indirect legt es aber den Negierungen die Pflicht auf, nachdem es wieder Ruhe in die Massen gebracht, die sociale Frage der Lösung entgegenzuführcn, eine hohe Aufgabe, wozu alle Kräfte angespannt werden müssen. Das Gesetz gilt vorläufig 2'/s Jahre. Kommen wir damit nicht aus, so müssen andere Maßregeln getroffen werden, um der Socialdemokratie die Mittel zur Verführung der Massen zu nehmen und in diesen ein ruhiges Verständniß für die nothwcndigen socialen Reformen zu wecken. Durch 1870/71 sind wir zu so hoher Macht und Größe gelangt, daß Deutschland jetzt die erste Stimme im Rathe der Völker ein- nimmt; im Innern dagegen ist die materielle Macht bedenklich ge sunken und die Lage ziemlich kläglich. Unsere Macht nach Außen ist ein Koloß mit thönernen Füßen, wenn wir die sittliche und materielle Macht im Volke nicht wiederfinden. Die Autorität von Staat und Familie, Gewerbe und Industrie müssen gestärkt, die zersplitterten Kräfte durch Corporationen gesammelt, Sparsamkeit, Mäßigkeit und ernster Fleiß wieder angelernt werden. Die Familie aber ist die Grundlage des Staates, darum muß dort vor Allem Zucht und Ord nung, Sitte und Moral wieder ein Altar errichtet werden. Mit begeisterten Worten schließt Redner unter Hinweis auf den reichen im deutschen Volke vorhandenen Fonds an edlen Eigenschaften mit der festen Zuversicht, daß es der deutschen Nation, wenn auch erst nach mehreren Jahren ernster Arbeit, sicher gelingen werde, anch durch die Zustände im Innern des Reichs, durch seine Intelligenz, Sitte und materielle Kraft sich die Stelle im Rath der Völker zu er obern, die ihm von Gott und Rechtswegen gebührt. Tagesgeschichte. Vor dem Berliner Stadtgericht schwebt jetzt ein interessanter Beleidigungsprozeß, welchen das sächsische Kriegsministerium gegen die „NalivnaiUberale Korrespondenz", ,,Nationalzeitung" und „Berliner Börsenzeitnng" angestrengt hat wegen Veröffentlichung, resp. Wieder abdruck eines Artikels, der eine Beleuchtung des in der Dresdner Kadetten anstatt herrschenden Geistes und namentlich den Vorwurf einer Bevorzugung von Offizieren hannoverscher Abstammung und welfischer Gesinnung enthält. In den am 11. Januar stattgehabtcn Termin? beschloß das Gericht, dem von einem der Vertheidiger ge stellten Beweisantrage Folge zu geben. In den betreffenden Kreisen sieht man natürlich mit vieler Spannung den Ausschlüssen entgegen, welche die Vernehmung der Lehrer und vieler ehemaligen Zöglinge der Anstalt ergeben werden. In Berlin gibts etwa 9000 Tischler, von denen 3—4000 ganz oder theilweise ohne Arbeit sind. Ein Monstresocialistenproceß gegen 120 Schuhmacher gesellen wird am Sonnabend beim Bezirksgericht München wegen Zuwiderhandlung gegen das Vereinsgesetz durch Abhaltung geheimer Versammlungen verhandelt. Den nenesten Nachrichten zufolge stehen wir vor einem allge meinen Zollkrieg; denn auch die französische Regierung hat nicht nur den englisch - französischen Handelsvertrag, der die Grundlage der internationalen Handelsbeziehungen im freiheitlichen Sinne gebildet hat, sondern auch die mit andern Nationen noch bestehenden Ver träge für den Schluß des laufenden Jahres gekündigt, offenbar, um freie Hand zu haben, je nach der Wendung, welche die deutsche Zoll politik im Anschluß an die von Bismarck ausgesprochenen Ansichten nehmen wird. Zwischen Frankreich und Oesterreich-Ungarn hat der Zollkrieg bereits feinen Anfang genommen; es tritt für österreichisch-ungarische Waaren in Frankreich der allgemeine Zolltarif von 1791 wieder in Kraft, der durch die seiner Zeit von Napoleon abgeschlossenen Han delsverträge für mehre Nationen wesentliche Ermäßigungen erfahren hatte. Da zwischen Deutschland und Frankreich nocki ein Meistbe günstigungsvertrag besteht, so nimmt fürs Erstere Deutschland noch an allen andern Ländern von Frankreich gewährten Zollermüßigungen Theil und deutsche Waaren sind daher jetzt für den Eingang in Frankreich besser gestellt als österreichisch-ungarische; ebenso aus gleichem Grunde für den Eingang in Oesterreich - Ungarn besser als französische. In Bosnien schreiten die Oestcrreicher unbekümmert um die Anfechtungen, welche die Besetzung des Landes bei den verschiedenen Parteien zu Hause findet, in der Organisation der Verwaltung in so eingehender Weise vorwärts, daß die dauernde Besitzergreifung wohl nur eine Frage der Zeit ist. Wenigstens ist in dem Texte des Or- ganisationsnatutes, welches österreichische Blätter veröffentlichen, von einem Termin für das Aufhören der Okkupation nicht die Rede; das Statut deutet im Gegenthell auf allmülige Anbahnung einer völligen Einordnung Bosniens und der Herzegowina in den österreichischen Staatskörper ein. An die Spitze der Landesregierung ist der jetzige militärische Oberbefehlshaber in Bosnien, Feldzeugmeister Herzog Wilhelm von Württemberg, gestellt worden, nachdem der Höchstkom- mandirende im bosnischen Feldzug, Feldzeugmeister Philippowitsch, aus politischen Gründen es abgelehnt hatte, den Uebcrgang Bosniens vom Türkenregiment unter österreichisch-ungarische Verwaltung zu vermitteln. Als Stellvertreter des Höchstkommandirenden fungirt Fcldmarschall - Lieutenant von Jovanovitsch, dem vorzugsweise die Regelung der Verhältnisse in der Herzegowina übertragen ist. Die Lundesverwaltung zerfällt in 3 Abtheilungen für Inneres, Justiz und Finanzen. Erstere umfaßt neben den gewöhnlichen dieser Abtheilung zustehenden Verwaltungszweigen auch Handel und Gewerbe, Kultus, Unterricht, Sanitütswesen. Dem gemeinsamen Ministerium ist vor zugsweise die Feststellung der allgemeinen Verwaltungsgrundsätze und die Oberaufsicht über das Staatsvermögen und die Ausschreibung der Steuern und Zölle Vorbehalten worden. Rom, 17. Januar. Die „Jtalie" bringt solgende vatikanische Nachrichten: Der Papst unterhandelt angeblich mit der deutschen Centrumspartei wegen Aenderung ihrer Haltung. — Die Geld- noth des Papstes soll eine ernstliche Erwägung der Frage im Va tikan verursacht haben, ob es thunlich, die von der italienischen Re gierung seit der Besetzung Roms ausgeworfene Apanage von 3V^ Millionen Lire anzunehmcn. Vorläufig protestiren die Kardinäle. Dies die Nachrichten der „Jtalie", die indeß wohl der Bestätigung bedürfen. Paris, 17. Januar. Das „Journal osficiel" veröffentlicht eine Note, betr. die Begnadigung von 2245 Communeverurtheilten; es bleiben demnach in Neucaledonien noch 1067 Verurtheilte. Wie ein französischer Bischof zur Lösung der socialen Frage bei trägt, zeigt folgendes Schreiben, welches der Erzbischof von Avignon dieser Tage an das dortige Leihamt gerichtet. Dasselbe lautet: „Ich will dieses Jahr, wie in den vorhergehenden, einen Theil meiner Einkünfte den Armen des Leihamtes schenken. Ich halte das' für das beste Mittel, um eine möglichst große Anzahl derselben zu unterstützen. Ich widme diesem Zwecke 1000 Francs. Achthundert davon verwenden Sie für die Auslösung von Kleidern, Wäsche und Betten, denn diese Gegenstände werden bei der kalten Witterung von ihren Besitzern schmerzlich vermißt werden. Den Rest von 200 Frc. bewahren Sie bis zum Frühling auf, um beim Beginn der Arbeits periode den Arbeitern ihr Handwerkszeug auszulösen. Ich wünsche, daß Sie zuerst solche Gegenstände auslösen, welche gegen geringe Summen frei werden." Ein echter Priester, dessen Beispiel allge meine Nachahmung verdient. Constantinopel. Soeben erst ist das gegen Suleiman Pascha gefällte kriegsgerichtliche Urtheil publicirt worden. Es lautet auf Verlust aller militärischen Würden, Ehren- und Pensionsansprüche und 15 Jahre Exil. Suleiman ist in 12 Punkten schuldig erkannt, deren wesentlicher ihm zur Last liegt, daß er durch den Paß von Hain Boghaz der Armee von Schumla nicht zu Hilfe geeilt ist. Wenn einerseits der" Afghanenkrieg einem für die Engländer günstigen Ende entgegen zu gehen scheint, wenigstens deutete darauf die Besetzung der wichtigen Position Kandahar, die daran sich knüpfende Unterwerfung verschiedener Stämme und die Verhandlungen mit Jacub Khan, so droht ihnen andrerseits der Ausbruch eines neuen Krieges im Kaplandc, wo der König der Zulukaffern entschlossen scheint, das Ultimatum des englischen Gouverneurs mit einer Kriegs erklärung zu beantworten. Den Engländern stehl dort augenblicklich nur die kleine aus Eingebornen gebildete und nicht sehr zuverlässige Kolonialarmee zu Gebote. OertlicheS und SächfischeS. Die neueste Nummer von Ur. Böhmert u. A. von Stübnitz herausgegcbenen „Socialcorrespondenz" theilt die Hauptergebnisse der sächsischen Tadakenquete mit. Wir entnehmen diesem umfangreichen Artikel, daß die sächsische Bezirkscommission die umfangreichsten Er hebungen veranstaltet hat, weil die Tabakindustrie gerade in Sachsen verhältnißmäßig am stärksten vertreten ist und auch der Handel mit Rohtabak und Tabakfabrikaten daselbst einen sehr großen Umfang erreicht. Sie hat nicht blos ambulante Sitzungen in Leipzig, Wald heim und Dresden abgchalten und daselbst über 70 Sachverständige und Zeugen vernommen, sondern auch Gutachten der Gemeindebe hörden von mehr als 20 Städten und großen Dörfern mit starker Tabakindustrie benutzt, ingleichen die allgemein geschäftlichen, sani- tärischen und Arbeits-Verhältnisse, sowie den Einfluß der Gcsängniß- arbeit näher beleuchtet. Der allgemeine Bericht ist 13 Bogen und die stenographischen Protokolle über die Zeugenvernehmungen sind 24 Bogen stark. Im Plauenschen Grunde hat sich am 17. Januar Vormittag ein bedauernswerthes Unglück zugetragen. In einem Steinbruche löste sich, vielleicht veranlaßt durch Nüsse, unvorhergesehen ein großer Stein ab und stürzte nieder, und 2 Arbeiter, welche nicht schnell ge nug bei Seite zu springen vermochten, wurden dabei schwer verletzt. Dem einen, einem jüngeren Manne, ist das linke Bein zerschmettert worden, dem andern, einem 60 Jahre alten Arbeiter, wurden beide Beine entzweigeschlagen. Berichte aus dem sächsischen Erzgebirge und dem Voigt- lande lassen erkennen, daß die dortige Ärbeiterbevölkcrung zwar bei allerdings sehr herabgesetzten Löhnen Beschäftigung findet, ein eigent licher Nothstand jetzt aber dort nicht existirt. Ein dunkler Punkt ist der theilweise schlechte Ausfall der vorjährigen Kartoffelernte in einzelnen Gebirastheilen. Die kleinen Häusler und Arbeiter des Ge birges, die sonst 8 bis 10 Scheffel Kartoffeln ernteten und für den Winter einlegten, haben es diesmal oft nicht über 2 bis 3 Scheffel gebracht. Wenn diese aufgezehrt sind, was Ende Februar eintritt, wird die Ernährung dieser Familien Sorge machen. Die königl. sächs. Lotteriedirection, welche die Collccteure in ihrem Verhalten zu den Spielern überwacht, hat denselben die An nahme von „sogenannten Douceurs" bei einem erfolgten Gewinn, sowie alle Handlungen, welche eine solche „Entlohnung" beabsichtigen und zur Folge haben, streng verboten. Diese Art von „Be theilungen" sind, so erklärt die Direktion, „eines königlichen Insti tutes unwürdig." Oschatz. Der auf den 8. Februar d. I. fallende erste dies jährige Bi eh markt wird laut amtlicher Bekanntmachung wegen der im Königreich Preußen ausgebrochenen Rinderpest bis auf Weiteres nicht abgehalten. Freiberg. Abermals und nun zum dritten Male, ist am 14. Januar Abends 6 Uhr auf die im Hause des Kaufmann Löffler in der Rittergasfe wohnende Frau Arnold ein Mordanfall geschehen. Die sehr geängstigte Frau hat einen Schlag vor den Kopf sowie einen Messerstich in' einen Arm erhalten. Als muthmaßlicher Thäter ist eine Mannsperson aus Hohnstein gesänglich eingezogen worden. Der mehrerwähnte große Falschmünzerp'roceß in Chemnitz, zu welchem die Voruntersuchung ca. 1V» Jahre gedauert hat, kommt am 23. d. vor das Geschwornengericht und kann wohl 10 Tage an dauern. Es kommen 27 Angeklagte in Betracht. Das Haupt der Falschmünzer, der Handarbeiter Christian Schwalbe von Chemnitz, kann nicht vor den Schranken erscheinen; das Mißglücken seiner Pläne hat ihn irrsinnig gemacht; er befindet sich gegenwärtig auf dem Sonnenstein. Meißen. In einem hiesigen Schnittgeschäft erschien dieser Tage ein Mädchen vom Lande und verlangte im Auftrage einer Gutsbe sitzersfrau verschiedene Stoffe im Werthe von 30 Mk., die ihr auch