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Dem österreichischen Staate fangen die sociäldemokratifchcu Umtriebe mm auch an, unbequem zu werden, und die Regierung trifft Schutzmaßregeln gegen diese socialdemokratische Jnfection. In Prag beginnt jetzt ein Monstre-Socialistenproceß, in dein gegen 16 Socialistcn verhandelt wird, die sich wegen Theilnahme an einer geheimen Gesell schaft zu verantworten haben. Wie bekannt, fand im Herbst vorigen Jahres in einem der sndwest-bvhmischen Wälder ein geheimer Cvngreß der österreichischen Socialdemokraten statt, an dem die jetzt Ange klagten Theil genommen hatten. Der Proceß verspricht interessant zu werden. In Kammer und Senat in Frankreich haben seit dem 5. Jan. die Republikaner die entschiedenste Mehrheit und Oberhand. Wiehr Kohlen, stärker Heizen, schneller fahren! riefen sie dem Führer der Staatslokomotive ungeduldig zu. Dieser aber, der alte Dufaure, schüttelte den Kopf und antwortete: Kohlen genug, wir dürfen nicht schneller fahren; was wir brauchen, ist eine gute, sichere Bremse, da mit wir nicht die schiefe Ebene Hinabstürzen! — Darob hitziger Kampf in der Kammer. Die Männer von der äußersten Linken, die Hitzköpfe und Streber nach Miuisterstühlen, drängten gewaltig zu radikalen Schritten, unbekümmert um die noch zahlreichen Feinde und unbe kümmert sogar um die gemäßigte Stimmung im Lande. Gambetta war's nicht wohl dabei, er wollte noch nicht Minister werden, er will sich aufsparen für eine spätere Zeit und einen höheren Posten. End lich gelang's Dufaure doch, mit seinem gemäßigten Miuisterprogramm durchzudringen und zu siegen. Das Ministerium bleibt und wird nur unter allzu bedenklichen Beamten der Verwaltung und der Justiz et- was aufräumen. OertlicheS und Sächsisches. Wilsdruff. Während der letzten Wochen wagten sich die Reb hühner Futter suchend bis in die Gärten der Stadt herein, wohl fühlend, daß sie vor der lieben Jagdflinte jetzt Nnhe haben, aber nicht ahnend, daß Jagdfrevler ihnen dafür Schlingen legten, wie solche ein hiesiger Gutsbesitzer gefunden und mit gerechter Entrüstung vernichtet hat. — Nachstehender Fall diene wiederholt zur Vorsicht und zumal jetzt, wo täglich zuweilen 10 bis 20 sogenannte „arme Reisende" die Häuser von unten bis oben durchsuchen. Ein solcher nämlich war cs auch, der vorige Woche im Hause des Herrn Stadtgutsbesitzer Hempel eine Schlafkammer revidirte, die nur kurz zuvor von den Kindern des Schnitthändler M. Wehner verlassen und nicht gehörig geschlossen worden war. Der „arme Reisende" findet den Schlüssel zu dem in der Kämmer befindlichen Klciderschrank und wühlt sich aus demselben ein Damenjaquett und ein paar fast ganz neue Damenstiefel und ver läßt damit ungenirt das Haus. Glücklicherweise wurde von der Frau Wehuer der Diebstahl bald entdeckt und der saubere Dieb noch selben Tags auf der Herberge gefunden und in ihm ein vor nicht langer Zeit aus dem Zuchthause Entlassener erkannt. — Der „Zither-Club" Dresden-Neustadt hält nächsten Sonntag, den 2. Februar, im Saale des „goldenen Löwen" ein Concert ab, welches sehr interessant zu werden verspricht. Wir machen alle Freunde der Zither, sowie alle diejenigen, welche noch nicht ein derartiges Zither- Zusanunenspiel gehört haben, hierauf aufmerksam. — Im nahen Dorfe Blankenstein sind vorige Woche mehrere Kinder an Diphteritis gestorben, worunter eines des dortigen Kirchschullehrers; infolge dessen die Schule auf unbestimmte Zeit ge- schlosseu worden ist. Meißen. Auf dem Transport nach dem Zuchthause in der Lcuchtenburg bei Torgau ist ein schwerer Verbrecher entsprungen, der, nachdem er in hiesiger Amtssrohnfeste längere Zeit in Haft gewesen, von hier dorthin gebracht werden sollte, um die ihm zuerkannte 17jährige Zuchthausstrafe abzubüßen. Derselbe hat sich hier stets als ein gänz lich gelähmter Mensch gestellt, der nur mit Mühe gehen konnte, hat aber dadurch Alle getäuscht und bei seiner Flucht, Abends, 3 Stunden von dem Ziele, sehr flinke Beine gehabt. — In der Nacht von der Mittwoch zum Donnerstag sind von einem Güterzuge auf der Tour nach Dresden im Tunnel bei Oberau 15 Kälber verloren worden, die in einem Wagen gestanden, dessen Rollthüre sich ausgcschobcn hat. Crimmitschau. Die Frau des Arbeiters Taubert in Wahlen war am Mittwoch Morgen nach dem Markt gegangen und hatte ihr erst einige Monate altes Kind in der Wiege, welche dicht an dem Ofen stand, schlafend zurückgelassen, lieber der Wiege hatte sie Kinderbetten und Windeln zum Trocknen aufgehangen, diese haben sich entzündet, sind auf die Wiege gefallen und haben die Betten in Brand gesteckt. Das Kind war, als die Mutter zurückkam — im Qualm erstickt. Leipzig. Der Umfang des Reichsgerichts, das am 1. Oct. d. I. in unserer Stadt ins Leben tritt, läßt sich jetzt aus dem eben fertig gestellten Etat für die Reichsjustizverwaltung mit Sicherheit er kennen. Die betreffenden Summen werden natürlich nur für ein Halb jahr (vom 1. Oct. 1879 bis 1. April 1880) gefordert. Das Reichs gericht erhält einen Präsidenten, 7 Staatspräsidenten, 1 Oberrcichs- änwalt, 3 Reichsanwälte, 60 Räthe, 1 Bureauvorsteher, 11 Subaltern beamte 1. Klasse, 15 Kanzleisekretäre, 1 Botenmeister, 1 Kastellan, 10 Boten, 1 Hausdiener. 1 Portier. Die persönlichen und sächlichen Aus gaben betragen 538,854 M., wovon indeß 183,826 M. für das Reichs- vberhandelsgericht abgehen. An einmaligen Ausgaben wird beansprucht für die Dienstwohnung des Präsidenten 70,000 M., Vergütung für die von der Stadt Leipzig zu bewirkende bauliche Einrichtung des Reichs gerichts II. Rate 21,200 M. Zur Bearbeitung der bürgerlichen Rechts streitigkeiten sind 35, zur Bearbeitung der Strafsachen 25 Richter noth wendig. Fünf Zivilsenate, aus je 7 Richtern, und drei Strafsenate aus je 8 bis 9 Richtern, werden gebildet. Borna. Am 19. Januar wurde der Schuhmacher R. in Heners- dorf in seiner Wohnung überfallen und um baares Geld, sowie um vier Sparkassenbücher der Bornaer Sparkasse beraubt. Der Ueberfallene hatte zwar Geistesgegenwart genug, den Dieb zu fassen, allein dieser schlug R. mit einem Hammer auf den Kopf und ergriff schließlich mit semer Beute die Flucht. Ein zuletzt auf einem benachbarten Rittergut in Diensten gestandener Knecht kommt als der That verdächtig in Frage, jedoch ist seine Festnahme noch nicht gelungen. Die schweigsame Akademie. Es gab in der großen persischen Stadt Hamadan eine berühmte Akademie, deren erstes Statut in diesen drei Punkten zusammengefaßt war: Die Mitglieder der Akademie werden viel denken, wenig schreiben und so wenig als möglich sprechen. — Man nannte sie deshalb die schweigsame Akademie, und nicht blos die Gelehrten Persiens hatten den brennenden Ehrgeiz, Mitglied derselben zu sein. Der Doctor Zeb, Verfasser des kleinen vorzüglichen und be rühmten Buches „Der Knebel", hatte in feiner fernen Provinz gehört, daß in der erwähnten Akademie ein Platz erledigt sei. Er reiste sofort ab, kam in Hamadan an, stellte sich an die Thüre des Saales, in welchem die Akademiker versammelt waren, und bat den Thürhüter, dieses Billet zu übergeben: „Der Doctor Zeb bittet dcmüthig um den erledigten Platz." Der Thürhüter entledigte sich sofort des Auftrages, aber der Doctor und sein Billet kamen 'zu spät, der Platz war schon besetzt. Die Akademie war über dieses Hinderniß schmerzlich berührt. Sie hatte, ein wenig gegen ihren Willen, einen Schöngeist des Hofes als Mitglied ausgenommen, dessen lebhafte und leichte Beredsamkeit in allen Dameukreisen Bewunderung erregte, und nun sahen sich die Mit glieder der Akademie gezwungen, dem Doctor Zeb, der Zuchtruthe der Schwätzer, dein Berühmten nnd Kenntnißreichen die Ausnahme zu ver weigern. Der Präsident, welcher beauftragt wurde, dem Doctor diese un angenehme Nachricht mitzuteilen, wußte nicht, wie er sich erklären und auf die schonendste Weise sich des Auftrages entledigen sollte. Nach einigem Besinnen ließ er eine große Schale mit Wasser füllen, aber so voll, daß ein einziger Tropfen mehr heransgeflvssen wäre, der Candidat wurde darnach anf ein gegebenes Zeichen herein- geführt. Zeb erschien mit offener und bescheidener Miene, welche fast immer das wahre Verdienst anzeigt. Der Präsident erhob sich und zeigte ihm, ohne ein Wort zu sagen, mit betrübter Miene die sinnbildliche Schale. Der Doctor verstand sofort, daß es keinen Platz mehr in der Akademie gab; aber getrosten und unerschrockenen Muthes wollte er zu verstehen geben, daß ein üuerzähliger Akademiker nichts verderben und die Aka demie nicht außer Ordnung bringen würde. Zu seinen Füßen sah er ein Rosenblatt; er hob es auf find legte es so behutsam auf das Wasser, daß nicht ein einziger Tropfen aus der Schale lief. Nach dieser witzigen und sinnreichen Antwort klatschte Jedermann in die Hände, man ließ für diesen Tag die Regeln bei Seite, und der Doctor wurde mit Begeisterung einstimmig ausgenommen. Man reichte ihm sofort das Register der Akademie dar, in welches sich jeder feierlich Aufgenommene felbst eintrug. Er schrieb sich also ein, und es blieb ihm nur noch das übliche Wort des Dankes übrig. Aber als richtiger schweigsamer Akademiker bedankte sich Doctor Zeb ohne ein Wort zn sagen. An den Rand des Blattes schrieb er die Zahl 100, welche die Zahl seiner neuen Kollegen war; dann setzte er, eine Null vor die Ziffer (0100) und schrieb darunter: Sie gelten dadurch weder mehr noch weniger. Der Präsident antwortete dein bescheidenen Doctor mit ebensoviel Artigkeit als Geistesgegenwart. Er setzte die Ziffer Eins vor die Zahl Hundert (1100) und schrieb: Sie werden dadurch zehn mal so viel gelten. L. Hildner. Ein Schatten. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Jetzt war die Geduld des Polizeiinspcktors erschöpft. „Wozu?" rief er höchst verdrießlich und sein Amtsgcsicht legte sich wieder in die altgewohnten strengen Falten. „Unser Keeis-Phpsikus hat einen Schlaganfall attestirt und ich finde es gar nicht pietätvoll von Ihnen, daß sie eine Seciruug des Leichnams Ihres Vaters fordern. Das ist ja ganz entsetzlich! Das sollten sich meine Kinder unterstehen!" — und er hob drohend den Arm und sah so ingrimmig aus, als könne er noch als todter Manu Jeden von solcher Frevelthat zurück- scheu'n. Er schien gar keine Ahnung zu haben, welche Dummheit er gesagt und Agnes war heute viel zu ernst und traurig gestimmt, ats daß ihr diese Albernheit hätte ein Lächeln entlocken können. „Mir ist es eine weit heiligere Pflicht, den dunklen Schleier zu lüften, der über seinem raschen, räthselhasten Tode ruht, und ich werde kein Mittel unversucht lassen, um an mein Ziel zu kommen." Der feste, entschlossene Zug in ihrem Antlitz verricth nur zu deutlich, daß sie auch die Kraft und Energie besaß, ihr Wort einzulösen. „Wenn Sie es durchaus wollen, dann mögen Sie sich an die Staatsanwaltschaft wenden; ich habe damit nichts zu thun;" und der Polizei-Inspektor steckte jetzt wieder sein struppiges Haar in die ge liebten Akten. Trotzdem wurde er seinen lästigen Besuch noch nicht los. Für die Tochter eines der reichsten Juweliere der Residenz war der Polizei-Jnspector eines kleinen Ortes durchaus nicht die imponirende Größe, die sie in den Augen der Neustädter abgab. „Ich muß trotz dem noch Ihren Beistand in Anspruch nehmen", sagte Agnes, mit der ganzen Sicherheit einer vornehmen Dame. „Der Gastwirth dringt darauf, daß die Leiche sofort aus seinem Hause geschafft werde, aber ich muß auf einem Aufschub bestehen, denn ich will, daß mein Vater ein anständiges Begräbniß erhält, mag es noch so viel kosten. Da ich hier fremd bin, hoffe ich, daß Sie die Güte haben und die nöthigen Anordnungen treffen. Ich bin gern bereit, zur Deckung aller Auslagen Ihnen vorläufig einige hun dert Thaler einzuhändigen." Da junge Mädchen zog dabei eine elegante Brieftasche hervor und legte mehrere Hundertthalerscheine auf das Pult des Beamten. „Natürlich werde ich mich für Ihre Mühwaltung noch besonders abfinden," fetzte sie hinzu und schob ihm einen Hundert-Thalerschein mit den Worten näher hin: „Für Sie; — was noch fehlt, werde ich später noch sofort bezahlen." Das Ge sicht des Polizei-Inspektors erhielt plötzlich wieder einen freundlichen Ausdruck. Wenn der kleine Tyrann von Neustadt nicht geradezu be stechlich war, so hatte er doch nichl ungestraft viele Jahre unter einer rein sklavischen Bevölkerung zugebracht und über einen kleinen Nebenverdienst etwas laxere Anschauungen gewonnen. So nahm er auch dies Anerbieten nicht wie eine Kränkung auf, sondern sagte be reitwillig: „Sie sind sremd hier und so halte ich. es für meine Pflicht, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich hatte ein einfaches Begräb niß anordnen müssen, weil der Nachlaß sonst die hohen Kosten nicht gedeckt hätte." Er mochte schon überschlagen, wie viel bei Besorgung dieser Angelegenheiten für ihn abfallen möge und feine sonst so finster dreinschaüenden Augen liebäugelten mit den Hunder-Thalerscheinen. „Aber der Wirth besteht darauf, daß die Leiche sofort aus seinem Hause kommt," bemerkte Agnes. „Was fällt dem Wirth ein?" rief der Polizei-Jnspektor entrüstet, dem die Angelegenheit plötzlich ein ganz anderes Interesse abgewann: „Ihr Vater ist in seinem Gasthofe gestorben und die Leiche bleibt eshalb so lange dort, bis wir die nöthigen Anordnungen getroffen haben."