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Versailles, 31. Januar. Die Kammer wählte Gambetta mit 314 von 405 Stimmen zum Präsidenten, 67 Stimmzettel waren un beschrieben oder ungiltig. Das „Journal de St. Petcrsbourg" beschäftigt sich mit den Maß regeln, welche die Regierungen von Deutschland und Oesterreich gegen die Pest zu ergreifen sich vordersten. Staat und Gesellschaft m Rußland könnten, sagt das Blatt, sich nur sympathisch dieser Thätig- kest der Nachbarn gegenüber verhalten. Die Energie, mit der in Ruß land vorgegangen worden, die Promptheit, womit das Publikum in Kenutniß gesetzt worden, bewiesen zur Genüge, daß man nichts zu ver heimlichen strebe und daß mau zugleich au alles Wissen und an alle Hülfe apellire. „Die Zeit ist, Gott sei dank, nicht mehr vorhanden, wo elende Eifersüchteleien und bureaukratische Geheimnißkrämerei in einer Sache des öffentlichen Wohles die Oberhand behalten konnten. Wenn die Nationen sich verständigt haben znr Schöpfung der Gesell- ffchast des Rothen Kreuzes für die Kriegszcit, so sind sie mit weit stärkerem Grunde einander schuldig und lasten zu das Zusammenwirken Aller, wenn eine Gefahr in Friedenszeit ersteht." Das Blatt begrüßt daher nachdrücklich die Maßregeln der Nachbarn. Gegenwärtig habe die Epidemie, die bei den Nachbarn weit größeren Schrecken erweckt habe als bei den Russen, bekanntlich noch keinen Terrain gewonnen, mit Ausnahme bei furchtsamen Geistern. Und wenn man alles gegen die Seuche vorkehre, so müsse man auch Vorkehrungen treffen gegen .Uebel, die durch panische Furcht hervorgcrufcn würden. Die fremd ländischen Commissäre werden daher in Rußland willkommen sein. Der Petersburger „Herold" spricht sich ebenfalls über die Vorkehrungen der beiden Nachbarstaaten aus, wobei er sich über dieselben wundert, angesichts des Umstandes, daß die Seuche im Erlöschen sei. Das russische Riesenreich wird außer vou der Pest am em pfindlichsten von der Geldnoth gedrängt, und mnß die Regierung mit schwerem Herzen an eine umfassende Steuererhöhung Herangehen, was bei den heutigen politischen und socialen Verhältnissen Rußlands seine Bedenken hat. Die Auszahlung der türkischen Kriegsentschädigung an Rußland würde, selbst wenn die Türkei die Zahlung auch in diesem Jahre noch leisten könnte, auch nicht zur Deckung des russischen De- ficits hinreichen, da dasselbe den Betrag vou 300 Millionen Papier- rubel oder 170 Millionen Silberrubel weit übertrifft. Oertliche» und Sächsische». Roßwern. In Böhrigen und Umgegend waren in jüngster Zeit 10-Pfennigstücke, aus Blei gegossen, ausgetancht. Die Gendarmerie soll bereits die Verfertiger dieser Falsifikate in Etzdorf ermittelt und zur Haft gebracht haben. Grimma. In dem Dorfe Döben ist über viele Familien schweres Leid gekommen, denn es sind der Diphtheritis nicht weniger als neunzehn Kinder erlegen. Olbernhau, 30. Januar. Welche traurige Folgen ein unüber legter Scherz haben kann, erfuhr man am vorigen Dienstag im Bad Einsiedel. Dort hielt ein Verein einen Ball ab. Alles verlief heiter und fröhlich. Am Schluffe des Vergnügens reichte ein Anwesender einem Musikus eine Flasche, die er irgendwo weggenommen, mit den Worten hin: „Hier, trinke noch einmal!" Dieser, nichts Schlimmes ahnend, that einen kräftigen Zug daraus und gab bald seinen Geist auf. Jedenfalls war in der Flasche ein Desinfektionsmittel enthalten. Zwickau. In der am 21. Januar hierselbst abgehaltenen land« K'irthschaftlichen Bezirksversammlung der Antrag gestellt, bei dem Reichskanzler sowie bei der königl. sächs. Slaatsregierung eine Petition um Einführung eines Zolles auf die böhmischen Braun kohlen einzureichen, um unserer schwer darniederliegenden Steinkvhlen- industrie Schutz zu verschaffen. Der Antrag sand Annahme und wurde eine Deputation zur Abfassung der Petition erwählt. Forchheim. Der frühere Gemeindevorstand und bisherige Verwalter der Sparkasse in Forchheim, Lohgerbermeistcr Lorenz, hat sich entleibt. Die Veranlassung zu diesem Schritte soll ein Defizit in der Sparkasse in Höhe von etwa 68,000 Mark jein, Man hat zur Klarstellung der Sache an das Ministerium des Innern in Dresden die Bitte gerichtet, einen Sachverständigen zur Prüfung der Bücher und Rechnungen nach Forchheim zu senden. Plauen. Die Beschränkungen der Einfuhr aus Rußland, welche der Bundesrath durchznführen beschlossen hat, betreffe» auch die voigtländische Industrie und zwar insofern, als die Einfuhr der zur Jnstrumentenfabrikation verwendeten Därme aus Rußland verboten werden wird. Wurzen. Der hiesige Mühlenarbeiter Mathes kam am 29. Januar auf eine eigenthümliche Art um's Leben. Er befand sich in der Mehlkammer, in welcher sehr bedeutende Quantitäten Mehl auf geschüttet ward«. Plötzlich stürzte eine große Schicht Mehl auf Mathes und drängte denselben in die sogen. Mehlschlotte; die Menge war so dicht, daß der Aermste sich nicht beraus zu arbeiten ver mochte, vielmehr den Erstickungstodt erlitt. Mathes war 50 Jahre alt. Die Tabliksabrikalion in Sachsen. . Nach der Gewerbezählung vom 1. December 1875 gab es da mals im Tabakgewerbe im Deutschen Reiche 10,266 Hauptbetriebe mit 110 ,951 Pers., in Sachsen 1182 Hauptbetriebe mit 12,341 Pers. Hiernach waren die im Tabakgewerbe beschäftigten Personen in Sachsen 11,, Procent von denen des Reiches, während die säch« fische Bevölkerung am 1. December 1875 nur 6,4« Procent der Be völkerung des Reiches (2,760,586 von 42,757,982) betrug. Daß die sächsische Bevölkerung aber in weit höherem Maße, als die Zählung von 1875 ausweist, an der Tabakfabrikation betheiligt ist, ergiebt sicb nicht nur aus den eigenen Wahrnehmungen und Er fahrungen der jüngst für die Tabakenqucte thätigen sächsischen Be- zirkscommission, sondern auch aus der direkten Vernehmung von mehr als 70 Personen und aus den auf die Steuerkataster gestützten Berichten von etwa 20 Stadträthen der mittleren und kleineren Städte. Am auffallensten ist die Zunahme seit 1875 in Freiberg, Döbeln, Frankenberg und Waldheim. Und die in der Nähe dieser Städte liegenden städtischen u. ländlichen Gemeinden sind ebenfalls mit Cigarrenarbeitern angefüllt. In manchen ganz armen kleinen Städten und Dörfern hat sich erst neuerdings die Tabakindustrie ein gebürgert. So berichtete z. B. der Gemeindcvorstand aus Deutsch neudorf (dieser Ort zählt 1026 Einwohner), daß daselbst in früheren Zeiten die Holzdrechslerci das Hauptgeschäft gewesen sei; wegen des schlechten Geschäftsganges habe man dann das Cigarrenmachcn, die Strohflechterei und Perlennäherci angefangen, aber die beiden letzteren Erwerbszweige hätten sich nicht bewährt, nur das Cigarrenmachen habe sich sogar über die Drechslerei erhoben und trage eine hohe Steuer. Das Monopol würde beinahe der Ruin des Ortes sein. Die dortigen Industriellen fügten dem Schreiben bei, daß gegen wärtig in Deutschneudorf 180 Personen dem Tabakfache ihre Existenz verdanken, nämlich 40 männliche Roller, 35 männliche Wickelmachcr, 5 Sortirer, 48 weibliche Roller u. 52 weibliche Wickelmacher. An Löhnen werden jährlich 40,000 Mark verausgabt und der Absatz belaufe sich auf 6V2 Millionen Stück Cigarren. Der fünfte Theil der ganzen Bevölkerung hänge an der Cigarrenfabrikation. Die Höhe des Antheils von Sachsen am deutschen Tabakgewerbe ergiebt sich weiter aus den Erträgen des Eingangszolls von fremdem Tabak. Dieselben betrugen im Jahre ! 876/77 für das Reich 13,149,597 Mark, für Sachsen 1,335,733 Mk. Dabei ist zu beachten, daß außer den fremden auch noch viele deutsche Tabake in Sachsen verbreitet werden. Nach den Aufstellungen des zur Bezirkscommission gehörigen Rohtabakhändlers giebt es in Sachsen nicht weniger als 248 Orte mit Cigarrenfabrikation, wohin sich die Wirksamkeit der Rohtabak händler erstreckt. Cin Schttttcn. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Kreuzschmidt glaubte nicht recht zu hören. Die junge, allein stehende Dame wollte in seinem Gasthofe wohnen, wo ihr Vater ver storben war, und nachdem sich doch Beide schon sehr unfreundlich be gegnet hatten!— Was hatte sic damit für eine Absicht? Argwöh nische Gedanken irrten sogleich durch seinen Kopf. Wollte sie durch ihren Aufenthalt im Weißen Bären ihren einmal gefaßten Verdacht weiter verfolgen; oder war es nur eine gewisse Anhänglichkeit an die Räume, die iyr Vater zuletzt betreten? Wie auch der Wirth gewöhnt war, sich zu beherrschen, cr vermochte kaum seine Bestürzung zu unterdrücken und auf der Stelle eine höfliche Antwort zn criheilen. Endlich raffte er sich auf und sein stereotypes Wirthstächeln hcrvor- suchend, entgegnete er mit einem neuen, liefen Bückling: „Gewiß, gnädiges Fräuiein. In diesen unruhigen Tagen steht mein Gasthof völlig leer und wenn Sie befehlen" — er hatte Mühe, ein tückisches Zwinkern in seinen Augen zu verbergen. Was mochte soeben durch sem Gehirn gezuckt sein?! „Dann bitte ich mir das Zimmer einzuräumcu, in dem mein Vater verschieden ist," entgegnete sie und beobachtete dabei scharf das Gesicht des Wirthes. „Ach, gnädiges Fräulein, Sie wollten wirklich?" — rief er, das größte Erstasnen heuchelnd und die fleischigen, derben Hände zu- sawmenjchlagend. „Ich denke, das ist doch immer grusrlich," und machte dabei ein so dummes, treuherziges Gesicht, das selbst einen trefflichen Menschenkenner zu täuschen vermochte. Sie schien seinen Einwand nicht zu beachten: „Wollen Sie mir dann bald dies Zimmer anwcisen lassen," sagte sie ruhig. „Aber es ist noch gar nicht wieder eingerichtet und ich glaube deshalb" — „Dessen bedarf cs nicht," war ihre Entgegnung. „Lassen Eie Ihre Magd neue Ueberzüge für das Bctt besorgen. Alles Andere ist mir gleichgültig; ja eS ist mir lieb, wenn Alles so bleibt, wie es ist." „Wie Sie befehlen!" sagte der Wirth, und verbeugte sich wieder tief. „Dan« kann ich sogleich das Zimmer aufsuchen?" Kreuzschmidt zuckte die Achseln: „Da Sie es wünschen, gewiß! aber ich bitte um Verzeihung, daß sie es noch sehr wüst und un ordentlich finden werden." Statt aller Antwort schritt Agnes der Treppe zu. „Lene!" ließ jetzt der Wirth seine kräftige Stimme ertönen und die Gerufene erschien augenblicklich. „Führe das gnädige Fräulein auf Nr. 1!" lautete sein Befehl. Die Wirthschafteriu sah ihren Herrn verwundert an. „Ist ja noch nicht in Ordnung!" sagte sie bestürzt. „Ich habe ausdrücklich dies Zimmer gewünscht," erklärte Agnes, die sogleich zu dieser Person ein gewisses Zutrauen fassen konnte. Wirklich machte die Bärenlene auf Jeden stets einen guten Ein druck. Ihr rundes, volles Gesicht sah so entschieden gutmüthig aus und ihr freundliches Wesen war dabei srei von aller. Zudringlichkeit. Trotz ihrer Körperfülle erschien sie nicht ungeschickt und durch ihre rasches Bewegungen machte sie dieselben noch mehr vergessen. Die kleine Person glitt stets wie ein Wiesel durch das Haus, Auch jetzt eilte sie nach einer artigen Verbeugung der Fremden so rasch voran, daß ihr diese kaum zu folgen vermochte. Oben angelangt, öffnete sie die Thür des ersten Gastzimmers und sich zu Agnes wendend, fragte sie freundlich: „Wollen Sie wirklich Nr. 1 haben? Herr Kreuz schmidt wird Ihnen wohl gesagt haben, daß" — sie zögerte den Nachsatz auszusprcchen. „Ich weiß es und deshalb möchte ich gerade in diesem Zimmer wohnen." Die Wirthschaseerin wagte keinen weiteren Widerspruch, trat zu rück und machte eine einladende Handbewegung. „Ich werde sofort das Nöthigfte besorgen und ihre Rcisesachcn herauf befördern lassen." sagte Helene und verschwand eiligst. Nun war Agnes allein und in dem Raume, der den letzten Athemzug ihres Vaters ausgenommen. Dort in der Ecke stand noch das schmale, hoch aufgethür'mte Bett, in dem er sich zur letzten Ruhe niedergelegt, um nie mehr zu erwachen. Mit welchen Gefühlen sah sie sich in dem großen, weitläustigen Gemache um! — Es war mit jener Eleganz eingerichtet, wie sie in solchen Gastzimmern üblich ist. Die Mahagoniemeubles waren nicht mehr modern, aber wohl erhalten» auch die braunen Damastüberzüge auf den Stühlen und dem Divan zeigten eine große Sauberkeit. Nirgends vermochte Agnes etwas Besonderes zu entdecken und doch war es ihr, als müsse sie hier irgendwie den Schlüssel zu dem räthselhaften Ende ihres Vaters fin ken. Sie "warf sich-endlich erschöpft in einen Sessel und nun flossen reichlich ihre Thränen. Hatte sie doch den namenlosen Schmerz so lange unterdrückt und sich aufrecht erhalten! — Leise ging die Thür wieder auf und die Wirthschafteriu erschien. Ihre Hellen.Augen ruhten theilnahmvoll auf der Weinenden und als diese hastig anfblickte und die Spuren ihrer Thränen zu vernichten