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Der Weg nach dem Schloß des Prinzen Arnold war lang genug, um dem Geheimrath hinreichende Muße zur Beruhigung seines erreg- ten Blutes und zur Ueberlegung zu gönnen. Aber beides wollte nicht kommen, von der qualvollsten Ungeduld hin- und hergezerrt, von den Wogen der Leidenschaft blindlings ergriffen, wurde der besonnene Arzt, der Mann mit dem grauen Haar und dem kaltprüfenden Blick ein willenloser Spielball seiner Liebe für ein junges Mädchen von zwan zig Jahren. Die Wissenschaft versank in diesen Wogen, welche dem Herzen keinen Fels boten als sittlichen Halt, um sich emporzuringen zur bes seren Erkenntniß. Nur einmal wurde unterwegs eine kurze Rast gemacht, an der selben Stelle, wo Regina den verhängnißvollen Schlaftrunk erhalten. Dann ging es in Windeseile weiter, bis das Ziel erreicht war. Der Geheimrath ließ den Wagen vor dem Gitterthor des Schloß hofes halten, gab dem Kutscher eine kurze Anweisung und schritt ohne Verzug dem Schloß zu, wo der Leibarzt des Fürsten eine bekannte Persönlichkeit war. Der Kastellan trat dem Geheimrath entgegen. „Guten Morgen, Herr Wilms! — ich komme, um mich nach dem Befinden der beiden Damen zu erkundigen", begann Berg, dem alten Mann die Hand reichend, „ist Se. Durchlaucht noch hier?" Der Kastellan blickte ihn scheu und verdutzt an, stotterte einige unverständliche Worte und öffnete dann rasch die Thür eines Parterre- Zimmers, um den Leibarzt eintreten zu lassen. „Sie brauchen nicht erschreckt zu sein, alter Freund!" fuhr Berg heiter fort, als beide eingetreten waren, „es handelt sich um einen Scherz, resp. um eine Wette, welche unsere Durchlaucht glänzend ge wonnen hat. Kann mir Ihre Gewissenspein vorstellen, lieber Wilms! Aber Hand aufs Herz, Alter! entführt man denn Mutter und Toch ter zugleich?" „Ach, Herr Geheimrath!" entgegnete der Kastellan mit einem schwe ren Seufzer, „ist das Ihr wirklicher, wahrhaftiger Ernst? Ich habe dergleichen leider nur zu oft schon erleben müssen und möchte doch lieber um meine Pensionierung einkommen. — Se. Durchlaucht sind seit einer Stunde fortgefahren." „Und die beiden Damen?" „Ja, das ist's ja eben — Mutter und Tochter können es nicht — heilige Mutter Gottes! welch ein Weib — ich meine die ältere der beiden Damen, wie hat sie gewüthet und getobt, als der Pfarrer Vinzenz daher gefahren kam und das Fräulein', welche schier verzwei feln wollte in Jammer und Thränen, zu sprechen verlangte. Der liebe Gott möge mir verzeihen, wenn ich den Gehorsam gegen meinen Prinzen verletzt habe, aber ich konnte es dem hochwürdigen Pfarrer, welcher als Freund Zutritt begehrte, nimmer abschlagen und führte ihn hinein, als Se. Durchlaucht die Damen, sichtlich sehr ernst und verstimmt, just verlassen hatte. Sodann hatte der Herr Pfarrer noch eine lange Unterredung mit dem Prinzen, wonach Se. Durchlaucht an spannen ließen und unverweilt davon fuhren, während der Pfarrer und das junge Fräulein trotz des wüthenden Einspruches der andern Dame ebenfalls eiligst sich aus dem Staube machten. Was in aller Welt soll ich nun mit der Zurückgeblieben, welche mir das ganze Schloß in Aufruhr bringt, anfangen, Herr Geheimrath?" Diefer stand wie erstarrt und blickte den Kastellan an, als begriffe er kein Wort von der ganzen Geschichte. So war er zu spät gekom men, der Pfarrer hatte ihm das einzige Glück geraubt — ihr jenen Schutz gewährt, welcher allein im Stande gewesen wäre, ihm die Ver lassene in die Arme zu treiben. „Führen Sie mich zu der Dame", sagte er nach einer Pause, sich gewaltsam fassend. Der Kastellan führte ihn die breite Treppe hinauf und öffnete ein Zimmer, wo die Baronin Einsiedel erschöpft in einem Sessel lag. Berg trat hinein und schloß die Thür hinter sich, worauf er langsam näher trat und die Dame, welche zu schlummern schien, finster betrachtete. Dann berührte er leicht ihre Hand — sie öffnete die Augen und fuhr mit einem leisen Schrei empor. „Sie hier, Sie?" stammelte sie erschreckt. „Ja ich, Madame!" nickte er, „wollen Sie sich gefälligst erheben und mir in das anstoßende Zimmer folgen? Unsere Unterredung muß vor fremden Ohren gesichert sein." Sie erhob sich langsam und folgte ihm scheu mit haßerfüllten Blicken. „Ich stehe hier als Abgefandter des Fürsten vor Ihnen, Madame!" begann er mit gedämpfter Stimme, „und könnte Sie ohne weiteres als Kupplerin verhaften lassen, wenn mir nicht Reginas Ehre zu sehr am Herzen läge. Gestehen Sie mir ohne Umschweife, was Sie mit die sem schmählichen Attentat bezweckt haben?" Die Baronin lachte kurz auf. „Seltsame Frage! Sie scheinen es ganz zu vergessen, welchen Pakt wir miteinander geschlossen haben, mein Herr! Waren Sie es nicht, welcher meine Stieftochter liebte, und sie um jeden Preis die Seine nennen wollte?" „Um jeden Preis? O, nein!" rief der Geheimrath verächtlich, „ich glaube, es Ihnen schon einmal mit unverblümten Worten begreif lich gemacht zu haben, daß meine Ehre mir noch höher stehe als die Liebe und daß ich eine Gebrandmarkte nimmermehr zum Altar füh ren könne." „Sehr gut", lächelte die Baronin, „der bürgerliche Leibarzt, der Mann mit dem grauen Haaren, glaubte mit seinem Reichthum die Verlobte eines Grafen Dürrenstein, die schöne Tochter eines alten Ge schlechts noch vor dem Altar für sich erobern zu können. O, welch ein bürgerlicher Blödsinn, welch ein Gelehrtendünkel! Lassen Sie mich ausreden", rief sie gebieterisch, als Berg sie unterbrechen wollte, „ich habe Ihnen aus Haß gegen meine Stieftochter, welche mir, solange sie im väterlichen Hause weilt, das Herz meines Gatten entfremdete, den Weg zu ihrem Besitz gebahnt, habe die Verlobung zerrissen, und Reginas Ehre in Ihre Hand gegeben — dafür überhäufen Sie mich mit Schimpf, ein interessanter Beitrag zur deutschen Dankbarkeit. Doch trügt mich der weibliche Scharfsinn nicht gänzlich", setzte sie, ihn spöttisch betrachtend, hinzu, „so verdanke ich jedenfalls Ihre Gegenwart hier im Schloß dennoch meinem schmählichen Plane, und würde der Herr Geheimrath trotz alledem meine Stieftochter als seine Verlobte heimgeführt haben, wenn der voreilige Pfarrer nicht zu zeitig gekom men wäre. Die Geschichte ist lustig, nicht wahr, Doktor? Der Pfar rer entführt dem Bräutigam die Braut — hat man dergleichen schon erlebt?" „So ließ der Prinz sie ruhig ziehen?" fragte Berg mit gepreßter Stimme. „Setzen wir uns, lieber Freund!" sagte die Baronin, ihren Vor theil mit sicherm Blick benutzend, „so, nun lassen Sie uns die Ge schichte mit kaltem Blut erörtern. Sie wissen, daß ich nicht zu dem Amphibiengeschlecht gehöre, und meine Wuth deshalb nicht geschont habe; jetzt aber bin ich ruhig und freue mich Ihres Kommens Sie allein im Stande sind, die Sache im eigenen Jnteresie auszuglE „Wo ist Regina?" fragte er düster. „In ihrem Institut — es war der einzige Ort, wohin die rin verlangte und wohin der Pfarrer sie ungesäumt gebracht „Glauben Sie, daß sie dort bleiben wird?" fragte Berg. Die Baronin zuckle die Achseln. „Die Kleine ist anberechenbar in ihrer Exaltation, doch geh»»! die Einwilligung ihres Vaters, welche dieser, da von ihrer seine ganze Ezistenz abhängt, schwerlich geben wird. Rasches^ ist halber Erfolg, Sie dürfen jetzt nicht zaudern und bedenket einen Nebenbuhler nicht zu fürchten haben." „O doch, doch, eine» sehr gefährlichen Nebenbuhler", versE mit gepreßter Stimme, „Graf Dürrenstein hat einen Schlag»»^, litten, er will seinen Neffen Albrecht aufs neue enterben, de« "' Egbert zurückrufen und ihn als Majoratsherrn mit Regina vert^ Die Baronin erblaßte. i „Der tolle Narr!" stieß sie heftig herror, „er wird »E ben, nicht wahr, Doktor? ein Schlaganfall tödtet stets. Regina! Können Sie diesen Gedanken ertragen? Sie — die reichste, vornehmste und glücklichste im Lande! Nimmef^ Sie erhob sich und lief mit geballten Händen im Zimmer »Ei „Ortrud und Elsa!" murmelte Berg mit einem finster» „Der Fürst wird dieser tollen Laune des wahnsinnigen M willfahren", fuhr die Baronin, sich in ihren Sessel werfend, müssen es um jeden Preis hindern, Herr Geheimrath!" „Wenn es nur eine Laune ist, wird es mir nicht sch>"^ meinte dieser, „indessen könnte der alte Graf auch einen M? Grund Haven, und danu wäre jede Einwirkung auf den b» Fürsten vergeblich." / „Weiß mein Gemahl diesen neuen Verlobongsplan?" Baronin. , Al „Er stand mit mir am Bett des Kranken und hörte welche allerdings nur im Schlafe gesprochen wurden", anti»^ heimrath Berg. „Doch fürchte ich sehr, daß der Pfarrer davon weiß und deshalb Regina in Sicherheit gebracht hat- F, „Bah, dann haben wir's ja nur mit einem Traumprojekt rief die Baronin verächtlich, „wie können Sie sich davon lasten, Doktor? Mein schwacher Baron wird freilich diesen mit Begierde ergriffen und neue Hoffnungen darauf geba»^,- Gleichviel, noch haben wir den Trumpf in der Hand und weise benutzen. Sorgen Sie vor allen Dingen dafür, daß mahl mir keine Schwierigkeiten macht und der Fürst die riert. Ich kehre mit Ihnen in die Residenz zurück und weck iu Ihrem Hause bleiben." . A „Aber — Frau Baronin — bedenken Sie, ich habe lie — Ihr eigener Ruf — es hieße die Flamme schüren- Sie mir, Sie nach der Villa Einsiedel zu bringen und dis^N dem Baron zu ordnen. Er ist ein abgesagter Feind öffentlE und wird Ihnen sein Haus nicht verschließen." -A Die Baronin neigte zustimmend das Haupt. (FE>^ Vermischte». * Verbrechen eines Waisenvaters. Großes Aufsehen Hamburg die Verhandlung gegen den Direktor des dortige» Waisenhauses Wilhelm Schulz, welcher überführt ist, dur« von Jahren in mehr als 200 Fällen Verbreche» an den trauten Waisenmädchen begangen zu haben. Er wurde j" Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurtheilt. * Meteorfall in Südtyrol. Eine überraschend schöne nung wurde am 5. d. M. in Ala um 10'/« Uhr Abends "Zik. Eine Feuerkugel vou ziemlicher Größe fiel Plötzlich mit ligkeit vom sternenklaren Firmaments und überfluthete künden die ganze Gegend mit blendend weißem Lichte. deren Glanz so intensiv war, daß das Auge ihn nicht vermochte, beschrieb einen Bogen von Südosten nach Nock^i sie unter sprühartigen Fruererscheinungen anscheinend ! Bergen verschwand, ohne daß es jedoch den Beobachter»"^' restanten Phänomens gelungen wäre, den betreffenden P»w ' - präzisiren. * Vier Menschen ertrunken. Am 10. Mai sind in skstd" Menschen ertrunken, die in einem Segelboot zum Fischen 8^ ren und kenterten. Die Insassen, Redakteur Böhl von nischen Nachrichten", der ein junger Familienvater ist, ten (der eine heißt Hennig) nnd ein Unteroffizier, färM»^,»' 1. Kompagnie des Pionnierbataillons und Schwimmlehrer Böhl war eine ziemliche Strecke geschwommen. * Der Leibkutscher des „alten Fritz." Ein fürstlicher ist eine gewichtige Persönlichkeit. Zu einer solchen Stell»^ E l nigfache Eigenschaften nöthig, welche sich selten in ei»e"^>N< vereint finden. Friedrich des Großen grober Kutscher historische Persönlichkeit. Der König degradirte ihn einM«^/^ ner Grobheit zum Mistfahren mit Mauleseln im Park vo» Aber kein anderer ersetzte ihm Pfund. Der König begegn^ halb einmal „zufällig", im Park und fragte ihn, wie „Ist mir egal", antwortete der unverbesserliche Grobian,ft fahre oder Eure Majestät." Nun, wenn ihm das E' »ick Er nur wieder mich," sagte der König, und die Freunds«"' ! der geschlossen. .F L * Welch' unliebsame Mißverständnisse allzu knapp, legramme Hervorrufen können, davon weiß das „Durl»^>i ^ blatt" aus Weingarten folgende heitere Geschichte zu, Bürgermeister des genannten badischen Ortes erhielt jüE / gramm mit folgendem Wortlaut zugestellt: „Ersuche Qi Uhr 15 Wagen mit guten Pferden am Bahnhof zu genA/»; cognoscirung der Umgegend. General BMjeftNQ Weingarten, den 29. April 1885. Nachm. 2,30." N gramme war das Wörtchen „einen" vor dem Worte fen worden, und so kam es, daß — wie verlangt — ' gen um die gedachte Zeit am Bahnhof standen. Kirchcnnachrichten aus Wilsdruff- jüA Am 1. Pfingstfeiertag Vormittags predigt Herr k. k Nach dem 2. Einlauten Beichte und nach der Predigt h- Nachmittags Predigtgottesdienst. Am 2. Feiertag Vormittags Predigtgottesdie»^^ An beiden Feiertagen wird eine Collecte für den Kirchens»»^ Achtung! Ein steif verdeckter Wagen, ein- und zweispänmg " gutem Zustand, ist zu dem ganz billigen Preis vo» verkaufen. Zu erfahren beim Kaufmann Varl Lirsodt m W"