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Beilage zu No. 35. T«-"»«»-»> M°< Die Grafen von Dürrenstein. Original-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Siebzehntes Kapitel. Da» Vrab im Gebirge. Der alte Graf Dürrenstein war nach der für ihn so entsetzlichen Szene wie ein Wahnsinniger aus dem Hause gestürzt, um den Ba ron Einsiedel zu holen, und sich selber des Todtschlags anzuklagen. Auf der Straße empfingen ihn der alte Förster Diethelm und Werner Rosenkranz, welche, des Wartens im Gasthof müde, sich in die Nähe des Littorfschen Hauses begeben, und soeben durch einen Diener erfahren hatten, daß der Graf sich noch im Hause befände. „Diethelm! — alter Freund!" sprach Dürrenstein mit Anstren gung, „Gott sei gelobt, daß ich Euer ehrliches Gesicht sehe. Auch Sie, Rosenkranz — kommen Sie rasch — ich muß den Einsiedel holen — seine Tochter — ah — verwünscht, die Geschichte gibt mir den Rest." Er taumelte einen Schritt vorwärts und wäre auf das Stein pflaster niedergestürzt, wenn Rosenkranz ihn nicht mit starken Händen aufgefangen hätte. Diethelm rief einen vorüberfahrenden Miethswagen an, um den Bewußtlosen nach seinem Hotel zu bringen und dann sogleich einen Arzt holen zu lassen. Dieser brachte ihn freilich ins Leben zurück, konstatirte aber einen Schlaganfall, von welchem er sich schwerlich wieder erholen werde. Der Graf war bei klarem Bewußtsein, die rechte Seite seines Körpers gelähmt, doch Gehirn und Sprache waren ganz unberührt davon geblieben. „Sagen Sie mir die volle Wahrheit, Herr Doktor", sagte er ruhig zum Arzt, „muß ich daran sterben?" „Ich werde mein Möglichstes thun, Herr Graf —" „Um mir das Sterben zu erleichtern", fiel dieser rasch ein, „gut, das ist genug; ich danke Ihnen!" Als der Arzt das Nöthige verschrieben und verordnet hatte, winkte der Graf den alten Diethelm, sowie Werner Rosenkranz zu sich an sein Bett. „Ich habe mit Euch allein zu reden, meine Freunde!" begann er mit klarer Stimme, „wünschte aber vorher gern zu wissen, wie es mit der Baroneß Regina v. Einsiedel steht. Sie befindet sich im Hause des Freiherrn v. Littorf, jenem Hause, vor welchem Ihr mich vorhin erwartetet. Sendet einen Boten dorthin." „Ich werde selber nachfragen", versetzte Rosenkranz, sich zur Thür wendend. „Gut, gut, ich danke Ihnen, mein Lieber!" nickte der Graf mit einem schwachen Lächeln. „Sie können nicht fehlen, am Rembertiplatz." „Ich bin in wenigen Minuten zurück, Herr Graf!" Mit diesen Worten war Rosenkranz hinaus. „Sollen wir Ihrem Neffen telegraphische Mittheilung machen, Herr Graf?" fragte Diethelm nach einer kleinen Pause. „Meinem Neffen? Nein, nein —" wehrte der Kranke heftig ab. „Mein Neffe soll nicht wissen, daß ich hier krank darniederliege, Diethelm, um keinen Preis", fuhr der Graf fort. „Doch fordere ich von Euch einen Freundschaftsdienst, Alter! — einen Dienst, der ewiges Geheimniß bleiben muß. Gott hat mir das letzte, schrecklichste gnädig erspart, indem er mich zwingt, das Gericht andern Händen zu über lassen. Ich sehe es an als ein Zeichen, daß er mich alten, knorrigen Stamm fortgrünen lassen will in seinem Paradiese — Diethelm, wollt Ihr mir den Dienst erweisen?" „Gewiß, Herr Graf, da ich überzeugt bin, daß Sie nichts Un ehrenhaftes von mir verlangen werden." „Diese Ueberzeugung ist Euer Glück, Alter!" brummte der Graf stirnrunzelnd. „Was haltet Ihr von meinem Neffen, Diethelm?" „Er hat sich aus einem prächtigen Kapitalhirsch zum elenden Schmalbock verwandelt", versetzte der Förster mit fester Stimme, „ist mir nur zweimal vor den Schuß gelaufen — mocht' aber das Pulver nicht daran wenden, zumal er das blaue Blut herauskehrte, und mich hochmüthig begrüßte — halten zu Gnade», Herr Graf, aber wahr ist's." Der Kranke nickte finster, und blickte unverwandt zur Decke empor. In diesem Augenblick trat Werner Rosenkranz ins Zimmer. „Nun?" fragte Dürrenstein, ihn ängstlich anblickend. „Das Fränlein v. Einsiedel ist, von einem leichten Unwohlsein befallen, in ihr väterliches Hous zurückgekehrt." Der Graf hob die linke ungelähmte Hand betend empor und murmelte ein unhörbares: „Ich danke dir, mein Gott!" Es war, als wenn eine Zentnerlast von seinem Herzen genommen wäre, denn tief unv hörbar athmete er einige Male auf. „Setzt Euch zu mir, meine Freunde!" sprach er dann mit leiser Stimme, „ich muß die Zeit, welche Gott mir noch vergönnt, auSnutzen, um ein Verbrechen zu enthülleu, und zu sühnen." Die beiden Männer gehorchten schweigend. „Rosenkranz," fuhr er dann mit Anstrengung fort, „Sie wissen, was Pater Urbanus an den Pfarrer grschrieben hat und können unserm Freunde Diethelm alles Nöthige davon mittheilen. Jetzt aber legt beide Eure Rechte hier in meine ungelähmle Linke und schwöret mir, nichts von dem, was wir miteinander verhandeln, was Ihr entdecken werdet, zu verrathen und mein Testament treu auszusühren. Wollt Ihr?" Er streckte ihnen die Linke entgegen und ohne Zögern legten die beiden Männer ihre Hand in die seine. „Wir schwören es, Herr Graf!" sprachen sie mit fester Stimme. „Ich danke Euch, meine Freunde!" fuhr der Kranke leiser fort, „Ihr habt Euren eignen Wogen hier, Diethelm?" „Ja, Herr Graf!" „So suchet zwei Grabscheite zu erhalten, um eine Gruft, und das nöthige Handwerkszeug, um einen Sarg zu öffnen. Fahret damit in dieser Nacht hinauf in die Berge nach der früheren Einsiedelei de- Bruders Eustachius, welcher dort oben begraben worden ist. Der Vollmond wird Euren Weg hinreichend erhellen und Euch ohne Schwierigkeit zwei Gräber finden lassen, denn an Bruder Eustachius' Seite ruht ein armer Gemordeter, der spät abends im Gebirge all dem Hinterhalt erschossen worden ist. Vielleicht werdet Ihr, Freund Rosenkranz, ihn erkennen, nur bringt mir Gewißheit, hört Ihr, Ge wißheit um jeden Preis. Gott wird mich nicht sterben lassen, bevor ich seine gerechte Hand habe walten sehen." Der Kranke schloß nach diesen Worten die Augen, und erschüttert blickten sich die beiden Männer an, zugleich aber auch fest und entschlossen, die unheim liche Fahrt zu machen. „Ihr wollt meine Bitte erfüllen?" fragte der Kranke nach einer Weile mit schwacher Stimme. „Ja, Herr Graf!" versetzte Rosenkranz, während Diethelm nieder kniete und die Hand seines einstigen Herrn küßte, wobei eine große Thräne aus seinen grauen Augen sich löste. „Warst immer brav, mein Alter", sagte der Graf leise, „hab' Dich stets lieb gehabt und mir selber gegrollt ob meines Starrkopfe-. Aber wirst es nicht zugeben, daß Schande auf das Haus Dürrenstein, dem Dein Vater und Dein Großvater schon gedient haben, gehäuft werde." „Nein, das werde ich nicht dulden, mein lieber gnädiger Herr!" erwiderte Diethelm mit gebrochener Stimme, „was das Grab uns auch enthüllen möge, es bleibt in unserer Brust verschlossen." „Habt Dank, meine Freunde! Kehrt so rasch als möglich zu mir zurück und verschweigt mir nichts. Hier werde ich nicht sterben, son dern daheim, angesichts meiner Ahnen, denen ich jenseits mit freier Stirn entgegentreten muß. Eilt nun zu Eurem nächtlichen Werk, vor dem Euch nicht grauen wird, wie?" „Nein, Herr Graf!" erwiderte Rosenkranz feierlich, „wir ziehen mit Gott, belebt von jenem Glauben, daß der Allgerechte uns als seine Werkzeuge erkoren hat." Sie reichten dem Kranken die Hand und verließen das Hotel um nach ihrem bescheidenen Gasthof zurückzukehren. Es war mittlerweile recht spät geworden. Die beiden Herren ließen sich eine Flasche Wein geben, und berichtigten ihre Rechnung. „Wollen der Herr Förster noch heim?" fragte der Wirth, bei wel chem Diethelm in früheren Zeiten stets logirt hatte, wenn Geschäfte ihn zur Stadt geführt. „Ja, — Huber, — könnt mein Wägelchen anspannen lassen. Wetter ja", setzte er, mit der braunen Hand durchs Haar sich fahrend, hinzu, „daß ich so was nur hab' vergesie» können. Muß zwei eiserne Scheite mitbringen, daß dich, kann doch deshalb nicht hierbleiben, da ich's meiner Tochter fest versprochen hab', heute Nacht noch heimzu kommen. Was mach' ich dabei, Huber?" „Na, da ließ sich am Ende Rath schaffen, Herr Förster!" meinte der Wirth, „hab' erst im letzten Herbst ein neues Grabscheit gekauft und die Schaufel ist auch noch so gut wie neu, wenn ich dem Herrn Förster vielleicht damit dienen könnte —" „Ei, ob Ihr das könnt, mein wackrer Huber!" rief Diethelm er freut, „da ich auf morgen die Scheite gebrauche» muß. Also abge macht, könntet die Stiele nur gleich daran lassen." Er bezahlte, was der Wirth forderte und nach fünf Minuten fuhren unsere zwei Verbündeten durch die mondhelle Nacht aus der Stadt dem Gebirge zu, auf welchem Wege Rosenkranz dem alten Diethelm von dem Schreiben des Paters Urbanus erzählte. Der flinke Renner des Försters, welcher gut verpflegt worden, that sein möglichstes, um das Ziel zu erreichen, doch als es bergan ging, beschlossen beide, den Wagen unter einem Felsenvorsprung zurück zulassen, das Pferd aber und die Grabscheite mit sich zu nehmen, um rascher und sicherer die Höhe zu erreichen. Der Förster kannte alle Gebirgswege und war mit jeder Gefahr vertraut. So gelangten sie bald zu der kleinen Kapelle und der jetzt unbewohnten Einsiedlerhütte, in welcher nur zuweilen der Holzhacker Joseph mit dem klugen Fi- delo übernachtete. Nachdem sie das Pferd sicher untergebracht und vor Kälte ge schützt hatten, begaben sie sich rasch nach der Stelle, wo zwei hölzerne Kreuze, welche gespensterhaft im Mondschein hervorragten, die Gräber bezeichneten. Alles war so still und feierlich hier oben, nur der schneidend kalte Wind rauschte durch die Tannen und wie Geisterhauch umschwebte die Nähe der Tobten unsere beiden Wanderer, welche jetzt vor den Gräbern standen und tief ergriffen ihre Häupter entblößten. Hell leuchteten die Kreuze im Mondlicht; auf dem einen derselben befand sich nur der Name des Bruders Eustachius, während das zweite Kreuz die nachfolgende Inschrift trug: „Gefunden im Gebirge mit der Todeswunde in der Brust am 5. Oktober 18— Gott sei der armen Seele gnädig!" „Also hier —" sprach Rosenkranz leise, „ist es Sünde, was wir beginnen wollen?" „Ich lege mir soeben dieselbe Frage vor", versetzte Diethelm, schwer athmend, „vielleicht ist besser, das Geheimniß hier unten ruhen zu lassen." „Nein, es ist keine Sünde", sprach Rosenkranz plötzlich mit fester Stimme, „Gottes Hand Hal uns jenen Fingerzeig gegeben, um ent weder das fluchwürdigste Verbrechen ans Tageslicht zu ziehen oder den Verdacht von einem schuldlosen Haupte zu nehmen. Vorwärts an unser Werk, Vater Diethelm!" „In Gottesnamen denn", sprach dieser entschlossen und ohne län ger zu zögern, begannen sie ihre schauerliche Arbeit. Es war ein * Glück, daß der äußerst milde Winter in der letzten Zeit wenig Schnee und Frost gebracht hatte und die Erde deshalb trotz der Bergerhöhe nur oberflächlich gefroren war, zumal die Gräber ziemlich geschützt lagen; dazu waren die Arme dieser beiden Männer an solche Arbeit