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270 Geschichte angewiesen glaubte, den man im Geiste den glänzendsten Namen der Vorzeit anreihte, — daß ein Görgey, umgeben von einem von ganz Europa bewunderten kampf- und sieggewohnten Heere, sein Schwert dem verhaßten Gegner überge ben werde, ohne es zuvor im letzten Verzweiflungs- kampfe mit dem Herzblnte des Feindes gerörhct zu haben. Und doch ist cs so, wenn die österreichischen Berichte nicht für die schamlosesten Lügen gelten sol- len. Am Augenblicke aber, wo wir diese Zeilen schreiben, erscheinen die jüngsten Ereignisse in Ungarn noch in ein Dunkel gehüllt, das der schärfste Blick nickt zu durchdringen vermag. Hoffen wir, daß wenigstens Görgcy's Name von dem Makel, der jetzt auf ihm haftet, gereinigt und der Geschichts schreiber nicht genöthigt werde ihn mit der Bezeich nung Volksverräther zu brandmarken. Hof fen wir dies, und betrachten wir die Ereignisse, wie sie uns eben vorliegen. Daß die Würfel gefallen, daß auch in Ungarn, dem lehren Bollwerke der Frcihcitsbestrebungen des Jahres 1848, die Revolution so gut wie besiegt ist und das verbündete Kaiser- und Czarenthum über die großartige Erhebung des magyarischen Volkes triumphirt, ist nicht mehr wegzulaugnen, wenn wir auch die Begebenheiten, welche die Katastrophe in Ungarn herbeigeführl, noch nicht in ihrem Zusam menhänge zu überschauen im Stande sind. Der Kampf in Europa, an den Ufern der Seine im Fe bruar v. I. begonnen, ist an den Ufern der Theiß und der Marosch zu Ende gebracht. Mit der Ca- pitulation Görgey's ist die demokratische Revolution beendet. Die zwei mächtigsten Reiche Europa's, Oesterreich und Rußland, waren dazu ausersehen, ihr den letzten Stoß zu geben. Verjagt von den Ufern der Seine, besiegt durch die Gewalt der Waf fen im schönen Italien, verleumdet und mißdeutet einerseits, mißbraucht andererseits bei dem babylo nischen Gcwirre in Deutschlands sich kreuzenden Bestrebungen und vereinzelten Erhebungen, hatte sie in den Pusten Ungarns ein naturwüchsiges Geschleckt gefunden, welches sie mit offenen Armen ausnahm und ihr den Sieg zu erkämpfen versprach für das ganze erschlaffte Europa. Große Talente mit gro ßem Charactcr gepaart traten in ihre Dienste und ein Kampf entspann sich, den die Geschichte als ei nen der denkwürdigsten aufzeuhncn wird. Was ihr in Deutschland nicht gelang, vollbrachte sie in Un garn: sie organisirte sich mit seltener Großartigkeit und umgab sich mit einer Macht, stark genug, um ein Kaiserreich in seinen Fundamenten zu erschüttern. In banger Erwartung folgte ganz Europa ihrer Entwickelung; bei jedem ihrer Siege hörte man das Jubclgesckm ihrer offenen und geheimen Freunde, und selbst ihren Feinden wußte sic Achtung abzu- zwingen, weil sie Genialität und Aufopferungsfähig keit mit seltenem Edelmuthe, mit erhabenen Zügen der Humanität und der Charaktergröße verband. Selbst das hartherzige England, welches so theil- nahmlos von seiner Inftlburg dem verworrenen Kampfe auf dem Festland? zugcsehcn, wurde gewalt sam von dem Strome der Begeisterung mit fortge rissen und erhob schon laut seine mächtige Stimme und drohend seinen gewaltigen Arm für den schwa chen Kampfer in dem ungleichen Kampfe. England, das kein Wort der Ermunterung, keine Thräne des Mitleids für die unglücklichen Einheils- und Frci- heitsbestredungen der Stämme seines alten Mutter landes gezeigt hatte, England empfand Sympathien für Ungarn, die freilich zu spät zur That werden sollten. Dasselbe war der Fall mit Amerika, das dem Kampfe der Magyaren mit den Blicken des Beifalls zuschaute. Aber die Fürsten Europa's verstanden es, das Riesenkind der Revolution, welches ihnen so furcht-^ bar zu werden drohte, zu bändigen. Während die Völker nur mit Worten und Wünschen für die Un garn stritten, sandten sie, die Fürsten, russische Hcer- schaaren gegen das verhältnißmaßig kleine Land. Oesterreich rief sie, Preußen gestattete ihnen den Durchzug durch sein Gebiet und Frankreichs repu blikanischer König gab seinen Beifall zu erkennen, hoffend, man werde ihm allerhöchsten Orts die ge wünschte Anerkennung nicht versagen. Und so kam es denn, daß das kleine Volk der Magyaren, nach dem es ritterlich und heldenmüthig gefochten, nach dem es lange getrotzt den übermächtigen Scharen seiner Gegner und seine Ehre gerettet, im ungleichen Kampfe unterlag, verlassen von den Völkern, besiegt von den Fürsten Europas. Oesterreich muß die schönste seiner Kronen als Gnadengeschenk aus russischen Händen empfangen, und Preußen ist in Gefahr, jetzt gebieterischen For derungen der beiden allürtcn Kaiser dcs Ostens und des Nordens sich fugen zu sollen. In Frankreichs eitlem und kurzsichtigem Präsidenten wird man, nach dem man seine Schwäche benutzt, doch immer nur das Kind der Revolution erblicken und ihn als solches behandeln. Englands Ministerium aber wird mit Englands Volke zerfallen, weil es Englands Einfluß auf die Angelegenheiten dcs Festlands, in Sicilien, in Rom, in Sardinien und jetzt in Ungarn auf unverzeihliche Weise zerbrochen bat. Weiter dürfte dabei nichts passircn, einige kleine retrograde Bewegungen clwa ausgenommen. Die Maiangeklagten sind wählbar.*) Ziemlich allgemein ist die Ansicht verbreitet, daß Diejenigen, welche sich gegenwärtig wegen der Maiunruhen in Untersuchung befinden und wahrend dieser Untersuchung von ihrem Amte sus- pendirt worden sind, bei der nunmehr bald wicder- kehrenden Wahl zum Landtage nicht stimmberechtigt und nicht wählbar seien. Diese Ansicht ist aber irrig, aus folgenden Gründen: l) Weder das Wahlgesetz von i83l noch das von 1848 kann cs anders gewollt und gemeint haben als die Ueberschrift. Sonst wäre seine Bc- Auf Verlangen dem „Freiberger Anzeiger" entlehnt. Die Red.