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134 Wahlbewerbung. Das beulsche Volk ist auf den politischen Hö- bepunkt getreten, von welchem aus es durch eine selbstgcwähite Nationalversammlung über seine zu- kmmige Slaatövertassung selbstständig Beschluß fas se» nUi; und cs würde in grellem Widerspruche mit diesem bohen politischen Standpunkte stehen, wollte es offner Wahlbewerbung — eine nothwendige Folge des politischen Bewußtseins — anders als rein sachlich beurtheilen. Wenn ich daher hiermit ausdrücklich in die Reihe der Waklcandidaten für die 24 sächsischen Wahlen zur deutschen Nationalversammlung trete, so lhue ich etwas, was Jedem frei steht, der in stet, Kraft und Berufung zu dieser wichtigen Auf gabe fühlt, und mit UM so wenigerem Bedenken, als mein Name bereits auf mehreren Candidatenlu stcn aufgrnommcn ist. Ja letzteres macht mir vor liegende Darlegung sogar zur Pflicht. Ohne das politische Bewußtsein meiner Muwahler zu beleidi gen, kann irv daher hyr keine Vermahnung vor der Verdächtigung der Anmaßung Vorbringen wol len. ^ag deren Wahl auf mich fallen oder nicht, in keinem Falle stehr ihnen in Beziehung auf meine Perlon mehr zu, als eine Kritik meiner politischen Befähigung. Ich bitte' meine Mitwähler, diese Kiink an meine Person zu legen und sich dann sei ner Zeil für oder gegen meine Wahl zu entscheiden. Mein politisches Slaubcnsbekenntniß habe ich setzt nian erst zu schreiben. Es ist bereits am 2l. Januar >846 unter dem Drucke des gestürzten Ministeriums in Nr. 6 des „Herold" laut und öffentlich von mir abgelegt worden, wie folgt: Kann, darf und soll ein Staatsdiencr ein Liberaler sein? Das Pierersche Univcrsallexikon sagt: „Die wahrhaften liberalen Ideen müssen eines cdeln freien Staatsbürgers dadurch würdig sein, daß sie die ver einten Interessen der Regierung, des Staates und der Menschheit zu befördern suchen; daß sic nicht das egoistische Sonderinteressc des einzelnen Gewaltha bers, einer herrschenden Partei oder einer privil. Klasse, sondern Las Gcsamuitwohl der Staatsbürger als Staatszwcck anerkennen. Das Alte, Herkömmliche gilt dem Liberalen nicht unbedingt für das Rechte, das Beste, sondern er will auch aus dem Wege na turgemäßer Entwickelung des Volkslebens die In telligenz, Gesittung und Regicrungsform erreichen, bei welcher die höchste Freiheit und Rechtsgleichheit Aller möglich ist, ohne die Existenz des Staates oder die Sicherheit des Zusammenlebens zn gefährden." Dies stelle ich, entlehnt ans einem Buche, dem man die Verbreitung revolnzionärer Jdceü nicht ver werfen wird, an die Spitze nachfolgender Beleuch tung der Tilelfrage, als materielle Grundlage. Soll sich nun ein Staatsdiener zu diesem Li- beralicmuö bekennen dürfen? Es ist logisch unmög lich, diese Frage anders als mit einem bestimmten Ja zu beantworten; und demzufolge könnte ich wohl hier schon wieder schließen? Nein, ich kann es nicht, denn leider hört man diese Frage direkt, d. h. mit dürren Worten, oder indirekt, d. h. durch Betragen und Haltung der Staatsdiencr, nur zu häufig mit einem Nein beantworten. Niemand wird leugnen, das obige Pierersche Definizion von Liberalismus richtig sei. Nur setze mau abcr einmal an die Stelle der Worte: „der wahrhaften liberalen Ideen" die Worte: „der wahr haften Vaterlandsliebe", und, siehe La, auch auf sie paßt jene Definizion. Es ist also wahrhafter Liberalismus und wahre Vaterlandsliebe gleichbedeutend. Auch Das wird Niemand be streiten können, cs sei den», daß er dabei sich der trüben" Brille des Absolutismus oder des Scrvilis- mus bediene. Wer auf Ler Höhe Les freien Den kens steht, muß Den allein für einen wahren Va- tcrlandSfreuud halten, der „die vereinten Interessen der Negierung, des Staates und Ler Menschheit zu befördern sucht." Wenn man also sagt, ein Staatsdiencr kann und darf kein Liberaler sein, so sagt mau zugleich: ein Staatsdiencr kann und darf kein Va- tcrlandSfrcnud sein. Schmach über Den, der in absolutistischer oder serviler Gedankenlosigkeit durch Verneinung unsrer Titelfragc dem Staatsdiencr die Vaterlandsliebe aus dem Busen reißt! Es fragt sich, auf welche Seite der größere Theil dieser Schmach falle, ob auf Seiten des absolutisti schen Regiments, welches, selbst außerhalb des Vol kes stehend, dieselbe unnatürliche Stellung auch den Staatsdicncrn durch allinäligc Aufnölhigung seit lange schon altgewohnt hat; oder auf Seiten der Staatsdicnerfchast selbst, Lie, mit dem Absolutismus in Mesalliance verbunden, die Misgcbnrt der Be amtenaristokratie gezeugt hat. Ich möchte fast das Letztere annehmcn. Der größere Theil der Staats- dicncr, weit entfernt, das Unnatürliche seiner Stel lung außerhalb des Volkes zu fühlen, dünkt sich im Gcgcnthcilc groß in dem Gefühle, ein Thcilcheu, wenn auch in der tansendstcn Verdünnung, von der Regierung zu sein. Von dem Tage des Dienstan trittes an halten sich diese Leute verpflichtet, auf ihre geistige Selbstständigkeit zn verzichten und forthin in Beziehung auf Jegliches, das Vaterland Betref fende, nur mit ihren Vorgesetzten zu stimmen und zn nrtheilen, nnr mit deren Augen zn sehen. Erkennen denn diese Leute nicht, daß sic durch ihr unwürdiges Verzichten auf ihre sclbsteigne Gei- stcsfreihcit der Negierung, die DieS gewiß in den meisten Fällen nicht will, das schlimmste Kompli ment machen ? Mit solchen „Dienern" läßt sich die Staatsmaschinc wohl im alten Geleise hinschlcppen, nicht abcr zu freierer, gcsichcrterer Bewegung bringen. Nimmermehr verkauft ein Staatsdiener mit scincn Dienstleistungen und mit seinem dienstlichen Gehor sam auch sein Urtheil über rein menschliche Dinge, und zu den rein menschlichen Dingen, jedem gebil deten Urtheilc zugänglich, ja nothweudig unterliegend, gehört auch das Ding, welches wir Staat ncnncn; ein Urthcil aber, dessen selbstcigne, freie Bildung und offne Acußcrung uns benommen ist, ist kein Urthcil, denn cs muß durch seine Darlegung erst zum Ob-