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20 t Unmöglichkeit, weil die verschiedenen und ein ander geradezu widerstreitenden Pflichten des An- klagers, Vertheidig crs und Richters nicht von einer und derselben Person gleichzeitig er füllt werden können. ter Z ichler soll zwar alle die Punkte, welche zur Entlastung oder Verthcidigung des, eines Ver brechens Angeklagten dienen, mit gleicher Sorg falt aufsuchcn, wie die, welche den Beweis dec Schuld sichern. Allein wie sich die Sache wirklich im Leben stellt, so ist die letztere Richtung die über wiegende, und das Streben des Untersuchungsrich ters geht in der Hauptsache darauf, das Verbrechen und den Thater „heraus zu bekommen." Es liegt hierin gewissermaßen ein Ehrenpunkt für das . Untcrsuchungsgencht und man wirft ihm schließlich Ungeschick vor, wenn dies nicht geschieht. Las Gericht sieht dem Angeklagten stets oder doch fast stets in der vorgefaßten Meinung gegen über, däß cs den wirklichen Verbrecher vor sich habr, den es nunmehr blos zu überführen brauche. Es wird ein Gebäude von Anschuldigungspunkten, die den Schuldbcwcis begründen sollen, aufgeführt, Und der eigentliche Zweck der Untersuchung wird thatsächlich die Aufführung dieses Gebäudes. Daß dabei die Punkte, weiche für den Angeklagten spre chen, eine stiefmütterliche Behandlung erfahren, ver steht sich ganz von selbst, denn Der müßte nicht Mensch sein, welchen cs nicht unangenehm berühren sollte, wenn Dinge hcrvortreten, die dem, was er bezweckt, hinderlich sind, oder die das Werk, was er vielleicht bereits vollendet oder der Vollendung nahe glaubt, mit der Vernichtung bedrohen. Dem bisherigen Gericht aber, das sich ihm gegenüber in einer solchen thatsachlichen Stellung befindet, ist nun dcr Angeklagte, wenn er nicht eine höhere Bildungsstufe cinnimmt, hülflos in die Hande gegeben. Die Gesetze kennt cr nicht, oder sie sind ihm doch nur sehr unvollkommen bekannt, was ihm nachlheilig oder vorlheilhaft ist, weiß er nicht und der Beistand eines Rcchtsfreun- dcs ist beschränkt oder bci verfügter Haft ganz unmöglich. Das Gericht arbeitet auf weiter nichts hm, als das Geständniß hcrbcizuführen. Wie dies erlangt wurde, geht nicht aus den Akten hervor und was nicht in den Akten steht, existier überhaupt nicht in der Well. Die medergeschriebencu Protokolle sind das Bild nicht der Verhandlung, sondern der Auffassung des Protokollanten, der nur Das, was ec für zivcck- dienlich halt, und auch dieses nur m dcr Weise, wie er cs für zweckdienlich halt, darin aufmmmt. Das Wicdervorlescn derselben nutzt in der Regel dem Angeklagten wenig oder gar nichts, denn, wenigstens der wenig Gebildete, versteht cs Nicht und ist in den meisten Fällen nicht im Stande, es in der Schnelligkeit des Vorlesens aufzufassen und die ihm nachtheiligen Punkte, d,c oft versteckt liegen, rasch herauszufinden. Selbst der Gebildetere muß bci einem längeren Protokolle dem Vorlcscn desselben nut gespanntester Aufmerksamkeit folgen, wenn er etwaige Fehler bemerken will. Zudem hat nament lich der gemeine Mann zu viel Furcht, um nach träglich eine bedeutendere Abänderung des Proto kolls zu verlangen. Auf diese Protokolle hin wird bei allen irgend schwereren Vergehen von einem Richter, der weder den Angeklagten, noch einen Zeugen gesehen und nichts als diese Protokolle und nur diese Protokolle gelesen Hal, das Erkenntniß über Schuld und Unschuld, Freiheit, Leben und Tod gesprochen, welches auch, ohne daß irgend ein Ge- ständmß abgelegt ist, verurthcilend sein kann. Selbst die Freisprechung ist fast immer mit Bezahlung dcr Kosten verbunden, da sich irgend ein Grund, selbst dem Freigesprochencn diese aufzubürdcn, fast immer auffinden läßt. Dadurch ist aber der wenig bemittelte Mann thatsächlich ost mehr be straft, als wenn er die eigentliche Strafe erlitten hätte. Bis setzt halten wir nur Fälle im Auge, wo der Richter wenigstens den guten Willen hat, un- parrciisch zu sein. Wie es aber da aussieht, wo er Viesen gulen Willen nicht hat, oder wo cr un In teresse der vorgesetzten Gewalt handeln muß, na- mcmlich bci politischen Vcrgchcn, folgt von selbst. Wenn daher das bisherige Untcrsuchungsver- fahrcn vor dem Geist der Neuzeit in Trümmer geht, so ist dies in dec That nicht zu verwundern. Durch die Eüuührung des öffentlichen und mündlichen Anklageprozesscs in Untcrsu- chungssachen werden die Mängel des alten Ver fahrens fchon in den wesentlichsten Punkten besei tigt. Da bei diesem Verfahren der Ankläger, der Verlheidigcr und der Richler des Angcschuldiglen drei verschiedene Personen und nicht wie beim bis herigen Verfahren in einer Person vereinigt sind, so ist ein Zusammenstoß der verschiedenen Pflichten nicht möglich. Die Oeffentlichkeit gibt eine Bürgschaft gegen Mißbrauch amtlicher Befugnisse. Die Mündlichkeit beseitigt die Nothwcndigkcit der Protokolle und führt dem erkennenden Richter, dcr bei allen Vernehmungen des Angeklagten und dcr Zcugen persönlich anwesend ist, die ganze Un tersuchung durch eigne Anschauung vor. Allein ihrer Vollkommenheit am nächsten ge führt wird die Criminaltcchlspflege, wenn bei dem öffentlichen und mündlichen Anklageprozeß die Rich terliche Gewalt, insofern als sie über Schuld oder Scichtfchuld zu erkennen hat, zugleich in die Hände von beeidigten Männern aus dem Volke selbst, von Geschwornen, gelegt wird und nicht in die Hände der RechtSgelehrten. In jedem Strafrechisfallc unterscheiden sich scharf zwei Fragen. Zuerst ist zu bcanlwortcn: Ist der des Verbrechens Angeklagte schuldig oder unschuldig? Wird diese Frage bejaht, so entsteht die zweite: Welche Strafe ist für das Verbrechen durch daS Gesetz bestimmt? Die zweite Frage kann nur von Rcchtsgclehr- lcn beurthcilt werden und unterliegt auch beim Ee- schwornengcricht deren Unheil. Um dagegen die erste Frage zu beantworten, ob nämlich aus den Aussagen dec Zeugen, den Ge- 24«