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Schattenseiten gezeigt. Man wende nicht ein, daß die Schwierigkeit, das Theater zu verlassen, um auf andere Weise ein Unterkommen zu finden, das Ausharrcn im Tempel der Kunst bedinge und er klärlich mache. Es mag wohl allerdings zuweilen nicht leicht sein, vom Theater weg sofort in an- den bürgerliche Verhältnisse einzutreten; indessen sind wir fest überzeugt, daß bei gutem Willen auch den Schauspieler — wir reden natürlich hier nur von Solchen, die herumziebenden kleinen Gesell schaften angehörcn — sich Mittel darbietcn und Wege offnen werden, welche es ihm möglich ma chen, die Künstlerlaufbahn zu verlassen, um sie mit irgend einer andern, wenn auch noch so be scheidenen, aber doch festen Stellung zu vertau schen. Das eben Gesagte gilt aber nicht von Solchen — und ihre Zahl ist nickt gering — die, wie man zu sagen pflegt, beim Theater geboren wurden und die von Kindesbeinen an dem Berufe ihrer Aeltern sich gleichfalls zu widmen das Schick sal auserkoren hatte. Diesen bleibt freilich keine Wahl, als eben dem Thespiskarren von Städtchen zu Städtchen, von Flecken zu Flecken, von Dorf zu Dorf zu folgen, da in der Regel ihre Erziehung eine so vernachlässigte ist, daß sie beim redlichsten Willen sich auf keine andere Weise nützlich machen können, um so ihren Unterhalt zu gewinnen. Diese Klasse wandernder Kunstgenossen beiderlei Ge schlechts ist eine höchst bcklagenSwerthe und hat auf die Theilnahme und Nachsicht des Publikums gerechten Anspruch. Was nun die Ausübung der Kunst selbst und die Verhältnisse, unter denen dies geschieht, anlangt, so möchte wohl kaum ein zweiter Stand gefunden werden, dessen Angehörige so himmelweit verschieden vom Geschick dabei bedacht sind. Von einer Gage ist bei wandernden Schauspielcrgcscllschaften selten die Rede, sondern die Mitglieder einer Truppe sind in der Regel von der Direktion auf Theilung ge setzt, wie es in der Kunstsprache heißt. Das Ein kommen des „Spiclabends" wird nämlich unter die sämmtlichen Mitglieder der Gesellschaft gleich mäßig vertheilt, nachdem der Direktor mehre Theile, zuweilen vier, fünf, ja sechs, für Theater, Gar^ derobe, Bibliothek u. s. m. davon abgezogen. So gerecht nun ein solches Verfahren genannt werden müßte, wenn alle Gescllschaftsmitglieder in Betreff ihrer Leistungen sich gleich wären, so ungerecht er scheint cs doch in Wirklichkeit, da eben die Kräfte der Darstellenden unendlich von einander abweichen. Derjenige Schauspieler, welcher allabendlich kaum mehr als einen Statisten durch das Spiel von Bedientenrollcn u. dgl. m. abgibt, erhält nach be endigter Vorstellung dasselbe Honorar, welches Der bezieht, dem fast täglich die angrcifendsten Partien zugctheilt werden. Es liegt auf der Hand, daß durch ein derartiges Verfahren jedes etwaige Stre ben nach Vervollkommnung darnicdcrgehaltcn und selbst das wahre Talent veranlaßt wird, dem trä gen Nichtsthun sich hinzugeben, um es solcherge stalt höchstens bis zur Mittelmäßigkeit zu bringen. Die in kleinen Städten, ja selbst zuweilen Mit telstädte nicht ausgeschlossen, erzielte Einnahme für eine Vorstellung ist durchschnittlich von der Art, daß nach den erwähnten Abzügen das Mit glied kaum viel mekr als einige Groschen erhält. Macht aber die Gesellschaft, was ntcht zu dm sel tensten Fällen gehört, schlechte Geschäfte, so kann sie an manchen Abenden auS Mangel an Zuschau ern entweder gar keine Vorstellung geben, oder der Antheil für die einzelnen Mitglieder ist ein so geringer, daß er mehr einem Almosen als einem Honorar gleicht. Es sind uns selbst Fälle bekannt, wo nach der Theilung jedes GeseUschaftsmitglied die Summe von 5 Pfennigen auf sich kommen sah. Nun fragen wir, ob wohl ein grellerer Ge gensatz zwischen Berufsgenossen denkbar ist als der zwischen Schauspielern, von denen der Eine einer kleinen wandernden Gesellschaft angehört, während der Andere an einem großen stehenden Theater in einem der ersten Rollenfächer seine An stellung gefunden. Man denke sich nur einen Augenblick die Gefühle der Aermsten, denen nach beendetem Spiele eine Pfcnnigcinnahme als Preis für die Anstrengungen des Abends winkt. Welche unerhörte Aufopferung muß es ihnen kosten, das tiefe Weh ihres Herzens niederzudrücken, um viel leicht mit bellendem Magen und mit vor Frost zitternden Gliedern als Spaßmacher und Possen reißer für die Galleric aufzutreten. Der einzige zweifelhafte Beifall, der ihren Leistungen, wenn es hoch kommt, wird, ist das wüste Gelächter der . rohen Menge hoch oben auf den Stehplätzen, > während vielleicht die wenigen Gebildeten auf den ersten Sitzen mit den Blicken des Mitleids, der Nichtachtung oder der^j Ironie dem Spiele zu schauen. Man denke sich im Gegensätze die Triumphe unserer gefeiertsten dramatischen Künstler und Künstlerinnen und die Beifallsbezeigungen einer berauschten Menge, und man wird zu der Ucber- zeugung kommen, daß es wohl nicht leicht colle- gialische Verhältnisse geben mag, deren äußerste Spitzen so weit von einander laufen, als die eben besprochenen. Zum Schluß noch die folgende Anekdote. Kürzlich bcgiebt sich der Hofschauspieler Devrient in Dresden nach einem Winkcltheater der Vorstadt der Residenz, um das im Anzeiger vielfach ange kündigte Rittcrschauspi'cl: „Der geschundene Raub ritter" aufführen zu sehen, das, wir brauchen wohl nicht erst zu sagen in welchem Sinne, in Betreff des Inhalts, der Darstellung, der Scenerie und der Garderobe seines Gleichen suchen mag. An der Kasse angekommen, der der Direktor in Person vorsteht, wirft Deutschlands gefeiertster Künstler seine 2; Ngr. Eintrittsgeld auf den Tisch und schickt sich an in das Innere des den Musen ge weihten Tempels zu treten. Da schiebt der Di rektor mit großem Ernst das Geldstück zurück und