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108 Landsleute das Geschenk der Republik entgegenzu nehmen. Daß es dann immer weiter und weiter bis ins Herz unsers Vaterlandes hineingehen soll, versteht sich bei so unternehmenden Leuten, die nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben gewohnt sind, von selbst. Wenn dann das große Werk der poli tischen Umgestaltung vollendet und ganz Deutschland in eine große, einige und untheilbare Republik um- gewandclt ist, sollen sich Franzosen und Deutsche freudejauchzend und wonnetaumelnd in die Arme stürzen zur ewigen Freundschaft und zum Nimmer- trennen. Also ist es beschlossen worden von den Mitgliedern der großen Propaganda in Paris. Daß man nun in Baden und Würlemberg die bewaffneten gefährlichen Gaste, welche sich an- gemeldet haben, nicht mit offenen Armen empfangen wird, versteht sich von selbst. Man Hal sich dort möglichst in den Stand gesetzt, die Eindringlinge mit blutigen Köpfen von den deutschen Grenzen zurückzuweisen und cs ist wohl kaum zweifelhaft, daß es der disciplinirten Militairmacht, unterstützt vom Landsturm und den übrigen Freischaren, ge lingen wird, die ungeordneten, an einen geregelten Kampf nicht gewöhnten und mit den Waffen wenig vertrauten Haufen zu Paaren zu treiben. Die größte Gefahr für uns scheint uns indessen darin zu liegen, daß die zu erwartende Niederlage ihrer Landsleute das Natlonalgefühl der Franzosen und den Stolz auf ihren Waffenruhm arg verletzen und sie zudem Gedanken anspornen wird, die Scharte möglichst bald und auf das Glänzendste wieder auszuwetzen. Die provisorische Regierung, obschon von friedlie benden Gesinnungen gegen Deutschland bestell und von dem Wunsche erfüllt, daß Deutschland seine Entwickelungsperiode ohne äußere Störung ruhig durchlaufen möge, wird dem ungestümen Drängen des Volks nachgcben und es in den Kampf gegen Deutschland ziehen lassen müssen, um nicht das Land der völligsten Anarchie Preis zu geben. Wir können und dürfen cs uns nicht verhehlen, daß alle die schönen und gewiß auch wohlgemeinten Redens- arten einzelner Regierungsmitgliedcr, wie ganz be sonders Lamartine's, nicht der Ausdruck des fran zösischen Volkswillcns sind, sondern daß die große Mehrzahl unserer westlichen Nachbarn entschieden den Krieg will und mit Begierde den Augenblick herbeiwünscht, mit einem Gegner in offener Feld schlacht sich zu messen. Da nun unser Deutschland zur Befriedigung derartiger Gelüste, zu welchen noch die Eroberung der linken Rhemprovinzcn zu rechnen ist, die beste Gelegenheit darbietet und in geogra phischer wie mancher andern Hinsicht nichts zu wünschen übrig läßt, so darf cs uns nickt befrem den, wenn unsere unruhigen und händelsüchtigen Nachbarn die Fauste gegen uns ballen und Schnipp chen nach uns herüber schlagen. Bald werden wir ihre Gesinnungen gegen uns in noch unzweideuti- gerer Weise kennen lernen. Die zweite, nicht minder erhebliche Gefahr droht Deutschland im Osten. Der nordische Riese hat schon langst seine mächtigen Glieder mit dem Schmuck des Krieges umgürtet. An den Grenzen Polens steht ein kampfgcrüstetes Heer schlagfertig da, des Winkes harrend, der cs gcgen den Feind führt. Rußland ist kein zu verachtender Gegner. Von einer Mannsjucht, wie sie nur in einem despotischen Staate möglich ist, zusammengehalten, stehen die russischen Truppen in physischer Hinsicht gewiß kei ner Soldateska in der Welt nach. Die Begeisterung für die Sacke, der sie Blut und Leben opfern sollen, fehlt ihnen freilich gänzlich, wie dies bei Menschen, denen die Begriffe von Vaterlandsliebe und Freiheit ganz fabelhafte Dinge sind, nicht anders erwartet werden kann; indessen gleicht denn dock die einge- schultcste Taktik »nd der der rohen Kraft inwohnen- de instinktmäßige Trieb nach Kampf und Gefahr diesen Mangel wieder aus und zum Ueberfluß be sitzt der russische Gcneralstab ein untrügliches Mit tel, die Soldaten mit der heldenmüthigstcn Todes verachtung in den dichtesten Kugelregen zu führen, cs ist der — Branntwein. Ler russische Sol dat rückt bekanntlich Nie zur Schlackt vor, erstürmt nie eine Schanze, kurz wird mit den Waffen nie eher activ, bevor er nicht eine gehörige Portion Branntwein erhalten hat, die ihm eben so Vorschrift- mäßig zugelheilt wird, wie die Patronen. Vom Fuselgcist berauscht, stürzt sich nun der Sohn der Knuie mit der grimmigen Wuth des gereizten Hetz- Hundes auf den Feind, kaum jemals zurückweichend, wenn nicht das Signal der Führer ihm den Rück zug befiehlt. Was nun den gebildeten Theil der russischen Soldateska, die Offiziere betrifft, so be seelt ein Wunsch, ein Streben das ganze große Corps: es ist dies die Sucht nach Orden. Ein Orden und die damit verbundene höhere Rangklasse gilt ihm als das größte irdische Glück, ist IN sei nen Augen die ehrenvollste Auszeichnung, welche ihm zu Theil werden kann. Mit der größten Aufopferung und Hingebung widmet sich daher der russische Of fizier seinem Berufe, um sich auf vortheilhafte Weise bemerkbar zu machen. Um einer einzigen Ordens- decoration willen schlägt er sein Leben zehnmal in die Schanze und preist sich noch glücklich, wenn er mit verstümmelten Gliedern, aber einen Stern oder ein Kreuz auf der Brust, sich dahinfchlcppt. Diese übertriebene Ehrsucht, dieses unmäßige Verlangen nach Auszeichnung haben die russischen Selbstherr scher klüglich selbst hcrvorgerufen und möglichst ge- pflegt, weil sie darin mit vollstem Reckte eine mäch tige Stütze ihres Throns erblicken. Das System vermag wohl Niemand an den russischen Staat zu fesseln und der Monarch selbst kann in seinem Rie- scnreiche doch nur immer eine kleine Zahi wahrer Verehrer seiner Person gewinnen. Da mußte denn ein Etwas geschaffen werden, das den Staatsbeam ten, den Krieger mit Lust und Liebe für sein Amt und seinen Stand erfüllte und ihn für eine Idee sich begeistern ließ. Zu diesem Zwecke führte man die Rangklassen und Orden ein und verband mit der Verleihung derselben gewisse Vorrechte und Auszeichnungen. Dieses ist nun das eine Ziel, dem alle Staalsdicner Rußlands mit einem Eifer und einer Ausdauer zustreben, welche in Erstaunen setzt. Daß man in der Wahl der Mittel zum Zweck nicht