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gel," entnehmen wir im Auszug nachstehenden Bericht über die Erccutionen in Warschau. „Wir waren so lange in unserer gewöhnlichen Todenrube, bis der Polizeimeister von Abramo- wicz aus Posen zurückkehrte wo dann alsbald be fohlen ward, daß unsere Besatzung um das Dop pelte verstärkt werden sollte, sodaß wir jetzt 70,000 Mann in der Stadt haben. Als die Erecutio- nen in Warschau vorgenommen werden sollten, wurde durchaus nichts vorher bestimmt, und die Bürger merkten nur durch die Truppenmärsche, daß etwas im Werke sei. Um 10 Uhr Morgens wurden 20,000 Mann Truppen zusammengezogcn auf dem Platze, der die Citadcllc von Marimont von Bilawp trennt. Dort waren vier Galgen errichtet, deren zwei von zwei eleganten Herren Über deren feinen schwarzen Anzug das Büßerhemde gezogen war, bestiegen wurden. Dieß waren Kozic- zewski und Zarski. Als sich die Beiden zum Volke wenden wollten, machten alle Tambours einen ge waltigen Wirbel, der erst aufhörte, als die Köpfe in der Schlinge steckten. Dobricz ward unter den Galgen geführt und lief dann Spicßruthcn, wobei er dann glaube ich, blieb, so daß er die Reise nach Sibirien nicht nöthig Hal; von Potocki aber ward hier unter den Galgen geführt, von wo er, nach dem er die Qualen der Todesangst zur Gnüge er litten, auf Extrapost gesetzt und nach Siedlcc ge bracht ward um dort 24 Stunden spater hingc- richtet zu werden."- Wenn wir auch das russi sche Strafverfahren in seinem ganzen Umfange und seiner ganzen Härte längst mit Schaudern begriffen zu haben glauben, so müssen wir doch gestehen, daß uns ein Verfahren wie daS gegen von Potocki in Anwendung gebrachte noch nie mals gehört zu haben uns erinnern können. Daß man Verbrecher zum Nichtplatz geführt, scheinbar alle zur Vollziehung der Exccution nöthigen traurigen Vorkehrungen mit ihnen getroffen, um ihnen im letzten Augenblicke das Leben zu schenken — frei lich ein wenig beneidenswertheS Loos, da die al so die Begnach'gten meist eine lebenslängliche Ker kerhaft enttäuschten — : dies ist uns schon vor gekommen und männiglich bekannt. Daß man aber einen Verurtbeilten den Becher der Todes qual bis auf die Neige ausleercn läßt, und ihm dann scheinbar das Leben schenkt, um cs ihm 24 Stunden später unter denselben furchtbaren Proceturcn wirklich zu nehmen — eine solche ra- sinirte Grausamkeit ist uns noch niemals vorge kommen. Erst das neunzehnte Jahrhundert scheint Rußland den traurigen Ruhm oder vielmehr die gräßliche Ehre sichern zu wollen, in Erfindung martervoller, besonders auch geistiger Qualen, die es seinen dem Tode geweihten Opfern zuerkennt, über einem Nero und Caligula zu stehen. Ge gen das an v. Potocki in Anwendung gebrachte Verfahren sinkt das Schwert deS Damocles zum hölzernen Kindcrsabel herab. Ueherhaupt scheint man in Rußland das Leben, selbst das durch Spießruthen laufen unter Strömen von Blut er kaufte und zum Acgetiren in Sibiriens Bergwer ken verdammte, für der Güter höchstes zu halten. Man wollte doch offenbar — um nur bei einem vereinzelten Falle stehen zu bleiben — Dobricz weniger strafen, als seine beiden Unglücksgenos- sen, während doch diese, wenigstens nach den Be griffen aller nicht russischen Menschen, ein ungleich weniger hartes Loos traf. AuS Galizien erfahrt man, daß viele Deut sche, die sich in dortige Gutspachtungcn eingelas sen hatten, sich in höchst betrübender Lage befin den. Sie haben, auch wo sic das Leben gerettet, Alles verloren, und sind zu Bettlern geworden. Ein solcher bat vor einigen Tagen in eincm Schreiben den Dirigenten einer großen Herrschaft, unter welchem er früher Beamter gewesen war, flehentlich um ein Zeugniß welches ihm zur Erlang ung einer sehr geringen Bedienstung nöthig war. Er beschreibt die Grauel des Aufstandes so, daß sich die Haare sträuben. Er selbst war gebunden nach Tarnow abgeführt und nur durch Beglei tung ihm treu gebliebener Bauern von dem ihm überall drohenden Tode errettet worden. Er war unterwegs mehrcremale Augenzeuge, wie man Menschen lebendig viertheilte oder sic nie derwarf und mit Dreschflegeln von unten her auf todt drasch. In Tarnow, behauptet er seien gegen 200 Edelleute und Beamte todt und gegen 400 verwundet und verstümmelt eingebracht wor den. lieber 800 Todte aber seien liegen geblie ben und erst nach längerer Zeil verscharrt worden. In der Gegend von Tarnow hat heuer von den adeligen Grundstücken des dortigen Kreises kaum der vierte Tbeil besäet werden können, auS Man-« gel an Saatgetreide und — Besitzern. Ein neuer Rockscan dal steht deS baldigsten in Aussicht. Die Stadt Aachen besitzt nämlich eine sogenannte Heiligthumskammer, welche wie der Name hinlänglich bezeichnet, voller Re liquien steckt. Diese „Heiligthümer" sollen vom 9. bis 31. Juli in der Münstcrkirche ganz in der Weise wie der Rock zu Trier vorjährigen Anden kens, den Gläubigen öffentlich zur Schau und Verehrung ausgestellt werden. Kranke und Preßhafte, welche mit den Heiligthümern — natürlich geschieht dies nicht gratis — berührt zu werden wünschen, erhalten auf Vorlegung eines ärztlichen Zeugnisses und nachdem sic den Em pfang der heiligen Sacra mente nachgewic- sen, eine Einlaßkarte. Auch werden die Heilig- thümer an jedem Tage vom Thurme herab gezeigt. Da werden sich allerdings die Knochensplitter der respectiven Heiligen in der Perspective etwas selt sam ausnehmen. Auch werden die Hciligthümer — wie sich von selbst versteht wieder nicht um sonst — mit den von den Pilgern dargebotenen Gegenständen beim Vorbciziehen durch die dienst-