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Vaterländisches. Wilsdruff. Auch in unserer Stadt und Amtsbezirk wird man sich ander Ehrengabe des deutschen Volks, der Bismarckstiftnng, welche dem Reichskanzler zu seinem 70. Geburtstag überreicht werden soll, betheiligen, indem der Stadtgemeinderarh beschlossen hat, in den nächsten Tagen eine Sammelliste in der Stadt cirkuliren zu lassen und im Amtsbezirke auf Anregung des Vorstandes des konservativen Vereins dessen Vertrauensmänner in gleicher oder ähnlicher Weise vor- gehen werden. Wir sind überzeugt, daß auch in unserer Stadt und Amtsbezirke die Betheiligung eine fast allgemeine sein wird; bemerken wollen wir dabei auch noch, daß auch die kleinste Gabe willkommen ist, denn nicht nach der Höhe der Summe, sondern nach der Zahl der Geber wird der Werth der Sammlung zu bemessen sein. — Am Freitag wurde beim Herrn Stadtgutsbesitzer Uibrig hier ein Koloß von einem Schweine geschlachtet, dessen Gewichtshöhe verdient, weiter bekannt zu werden; dasselbe wog reichlich 650 Pfund. — Dresden. Wie das „Dresd. Tgbl." berichtet, ist der Urheber des an der Schlosserswittwe Müller verübten Mordes entdeckt und zur Haft gebracht worden. Es ist der Fleischer Paul Schmidt aus Plauen i. V., den die Organe unserer Criminalpolizei, und speciell der Beamte Unger, am Sonntag in seiner Wohnung, Landhausstraße 23, festnahmen und der rächenden Nemesis überlieferten. Schmidt, ein kräftiger Mensch von etwa 25 Jahren, stand bereits voriges Jahr vor dem Schwurgerichte zu Ptauen wegen Mordverdachts an einem dortigen Fleischerlehrling; damals ward er wegen mangelnder Beweise freigesprochen. Auch diesen Mord leugnete er in frecher Weise, doch sind alle Judicien gegen ihn. Er ist von sämmtlichen Zeugen als der selbe erkannt worden, welcher die verschiedenen Wohnungen miethete, um daselbst unter fingirtem Namen eingehende Geldsendungen in Em pfang zu nehmen, offenbar in der Absicht, um Geldbriefträger zu be rauben; auch haben ihn die Mitbewohner des Hauses in der Seestraße als denjenigen recognoscirt, welcher sich bei der Wittwe Müller ein- miethete und am Tage des Verbrechens daselbst sich aufgehalten hat. Man darf bestimmt erwarten, daß es der Untersuchung gelingt, den Verbrecher zn überführen und unsere Stadt von einem Drucke zu be freien, welcher während der letzten Tage die gesammte Einwohner schaft belastete und die Gemüthcr in begreifliche Aufregung versetzte. — Aus dem Geschäftsabschluß des Landwirthschaftlichen Credit vereins im Königreiche Sachsen vom Jahre 1884 erfahren wir, daß die Geschäfte des Vereins in jeder Beziehung eine überaus günstige Entwickelung gewonnen haben. Darlehne sind gewährt worden 15,114,487 Mark gegen 11,363,361 im Jahre 1883 und 8,056,687 Mark im Jahre 1882 ; insgesammt stehen Darlehne aus 58,805,600 Mark, so daß der Landwirthschaftliche Creditverein mit dieser Summe den Erbläudischen Creditverein wie die Landständische Bank weit über flügelt hat. — Spareinlagen waren Ende des Jahres vorhanden 5,828,596 Mark, während die Stammantheile auf 7,760,971 Mark und die Mitglieder des Vereins auf 9687, darunter weit über 600 Stadt- und Landgemeinden des Königsreichs Sachsen, gestiegen sind. — Mittels Verordnung vom 10. ds. Mts. ist vom kgl. Ministe rium des Innern vom 17. d. M. an die Ein- und Durchfuhr lebender Schafe aus Oesterreich-Ungarn bis auf Weiteres verboten worden. — Einen komischen Wirrwarr hat kürzlich der gute Mond in einem bei Pirna gelegenen Dorfe angerichtet, woselbst eine Dienstmagd, durch den Hellen Schein in der Zeit irre gemacht, mitten in der Nacht aufstand und ihre Verrichtungen in der Küche begann. Das hierdurch entstandene Geräusch ließ die Frau des Hauses glauben, daß Diebe eingedrungen seien, und resolut schritt alsdann der Sohn, den man sofort geweckt hatte, mit einem fürchterlichen Säbel zur Verscheuchung der vermeintlichen Gauner, wobei aber nur die schlaftrunken am Ofen sitzende Magd entdeckt werden konnte. Inzwischen hatten übrigens auch die übrigen Hausbewohner mobil gemacht, so daß das Gesammt- tableau einen höchst drastischen Charakter erhielt. Die Grasen von Dürrenstein. Original - Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Siebentes Kapitel. Bei -er Frau Baronin. Da oben im ersten Stock der Villa Einsiedel befanden sich die Gemächer der Frau Baronin. Die Dame war erst 36 Jahre alt und noch immer hübsch zu nennen, wenn ihre Schönheit auch jetzt be reits verblüht war. Seitdem die Finanzen ihres Gemahls keine kost spieligen Reisen mehr gestatteten und sie weder Gelegenheit noch Mittel mehr besaß, Toilettenpracht zu entfalten, seitdem sie auf dieses kleine Haus beschränkt, und Pans mit seinen Zerstreuungen und Modethor- heiten eine Mythe für sie geworden, seitdem war Frau Lukrezia krank und hatte sich nicht bloß der großen, sondern auch der kleinen Welt ihrer näheren Umgebung, ihrer Familie, vollständig entzogen. Ob ihre Krankheit nur in der Einbildung oder wirklich existirten, wußte Niemand so recht, da der Geheimrath Berg sich ziemlich orakel haft darüber ausgesprochen hatte, weshalb der Baron zwar täglich der Kranken seine Aufwartung, im übrigen aber sich keine Skrupel weiter darüber machte und froh sein mochte, in solcher Weise ihren Klagen zu entgehen. Von ihrer Stieftochter Regina mochte sie nichts sehen und nichts hören; sie haßte sie nicht blos um ihrer Jugend und Schönheit willen, sondern auch, weil sie die Gemahlin des reichsten und vornehmsten Grundbesitzers im Lande werden sollte. Regina fühlte instinktiv den Haß der Stiefmutter und war zu frieden, von jedem Besuch bei ihr dispensirt zu sein; ihr Gemüth war zu kindlich arglos und rein, um dem Motiv dieses Hasses nachzuforschen, oder Opfer in die Wage zu werfen. „Sie wird reich weiden, ganz ungeheuer reich, diese kleine Gans!" klagte Frau Lukrezia täglich gegen ihre vertraute Kammerfrau Mar- gitta, „sie wird dann reisen, in Paris leben und die prächtigsten Toi letten haben. O, Margitta! begreifst Du meinen Haß gegen dieses deutsche Geschöpf?" „Ja, theure Sennorita!" nickte die Alte verständnißvoll, „ich be greife Ihren Haß — weiß aber auch, daß die deutsche Gans nicht halb so viele Erfolge in Paris haben wird, trotz der prächtigsten Toiletten — wie meine schöne Herrin. Sie ist freilich jung — was will das sagen — von Schönheit nach Pariser Maßstab keine Spur. Und dann dieser Bär von Gemahl — Sennor, der Baron war schön und elegant — ah, ein glänzendes Paar!" Die alte Margitta warf einen Knß in die Luft und machte einen Tanz-Pas. Die Baronin lächelte befriedigt. „Freilich ist der junge Dürreustein, welcher sich wie ein Vagabund in der Welt umhergetricben, ein wilder, wüster Mensch," sagte sie langsam. „Sie wird nicht glücklich mit ihm werden, und ich freue mich darüber. Aber sie wird reich sein wie ein Krösus, Margitta! — wird eine Gräfin und sich zu entschädigen wissen. Geld ist die Hauptmacht im Leben, ich wußte es früher zu wenig, jetzt, da ich arm bin und darben muß — ja, Margitta, gestehe nur, muß ich nicht leben wie eine Bettlerin! Ist meine Tafel besetzt wie früher? — jetzt erst erkenne ich den Werth und die Bedeutung des Reichthums. Mein Gemahl hat mich von Anfang an betrogen, er ist lange nicht so reich gewesen, wie er gesagt, wie durfte dieser deutsche Baron sich eigentlich unterstehen, seine Augen zu mir zu erheben, wenn er nicht mindestens ein Krösus war?" „Ach, meine theure Sennorita liebte den Baron ein wenig," schaltete Margitta achselzuckend ein. „Dn irrst," versetzte die Herrin kalt, „ich liebte einzig den Glanz und Reichthum. Doch sprechen wir nicht weiter davon." „Wenn die Tochter des Barons den reichen Grafen heirathet," fuhr Margitta desungeachtet fort, „so wird meine schöne Gebieterin Schloß Einsiedel bewohnen —" „Durch ihre Gnade!" fuhr diese hastig auf, „ich werde das Schloß niemals bewohnen, nie! Ich wünsche überhaupt nicht, dvß Regina diesen Dürrenstein heiraihet, hoffe vielmehr, daß ihn daS Weltmeer verschlungen hat und werde meinem Gemahl einen andern Freier für seine Tochter Vorschlägen." Bevor Margitta sich von ihrer Uebcrraschung erholen konnte, meldete ein kleiner mulattenartiger Groom, welcher als Diener der Baronin fungirte und Margittas Sohn war, den Herrn Geheimrath. Die Herrin nickte müde, und im nächsten Augenblick trat der Ge heimrath Berg ins Zimmer, während die Kammerfrau mit ihrem Sohn verschwand. Der fürstliche Leibarzt rückte sich ungenirt einen Sessel in die Nähe der Baronin, welche ihm gleichgültig die Hand entgegenstreckte. „Sie kommen spät," sagte sie gähnend. „Ich begrüßte Fräulein Regina im Garten," versetzte er, ihren Puls prüfend, „und betrachtete mir nebenbei die Equipage des Grafen Dürrenstein, welche seit einer Viertelstunde vor der Billa Einsiedel hält." Die Baronin entzog ihm hastig die Hand und richtete sich fast ungestüm auf, was dem Arzt ein unmerkliches Lächeln entlockte. „Der Graf ist gekommen?" fragte sie, „mit seinem Neffen?" „Ich sah beide Herren ins Haus treten," nickte der Geheimrath. „Glauben Sie, daß der Baron mit dem Grafen zu mir kommen wird, lieber Freund?" fragte die Baronin, nach der Glocke greifend. Berg legte leicht seine Hand auf die ihrige. „Verzeihung, meine Gnädigste! wozu die Dienerschaft herbeirufen? Soweit ich den Grafen Dürrenstein kenne, wird er sich nicht hierher bemühen. Sie vergessen, daß er die erste Gemahlin des Barons mit einer unserer materiellen Generation völlig unverständlichen Romantik geliebt, resp. vergöttert und die Verbindung seines Neffen mit Ihrer Stieftochter nur deshalb protegirt hat, um der letzteren sein Hab und Gut zuzuwenden. Es ist somit nur Fräulein Regina, nicht Sie, meine gnädigste Baronin, um derentwillen der Graf hierher gekommen ist." „Unnöthige Anseinandersetzung, Doktor!" rief die Baronin, die feinen Brauen zusammenziehend, „mir ist diese romantische Geschichte bis zum Ueberdruß bekannt geworden; doch glaube ich als Reginas Mutter zu einer derartigen Rücksichtnahme berechtigt zu sein." „Sie sind krank, Frau Baronin, dürfen sich keiner unnöthigen Auf- regung aussetzen, ich, als Arzt, habe darüber streng zu wachen." „Sie sind sehr gütig, Herr Geheimrath!" lächelte die schöne Frau spöttisch. „Ich wüßte in der That nicht, wie ich Ihnen in meiner Abgeschie denheit Von Nutzen sein könnte," sagte die Baronin, „falls Sie noch die Absicht in Bezug ans Regina haben sollten — oder — haben Sie sich etwa anders besonnen? Der Geheimrath blickte sie nachdenklich an. „Nein, meine Gnädigste! Ich bin fester als je entschlossen, Re gina mein zu nennen. Ich zweifele nicht an Ihrer Willfährigkeit, mir zu nützen, sehe aber die Möglichkeit dazu nicht ein, so lange Sie Ihre Stieftochter konsequent von sich entfernt halten." „Regina liebt mich nicht —" unterbrach die Baronin ihn weg werfend. „Weil Sie das Kind schon von sich abwehrten und der erblühen den Jungfrau stets Abneigung zeigten," sprach der Geheimrath scharf. „Ich liebe keine Kinder und —" „Gott versagte Ihnen deshalb dieses höchste Glück," fiel der Ge heimrath mit unerbittlicher Logik ein, „streiten wir nicht über Dinge, Frau Baronin, deren Ursprung in menschlicher Schwäche oder Leiden schaft zu suchen ist. Reden wir lieber offen und ohne Schminke über die bevorstehende Heirath Ihrer Stieftochter und wie wir dieselbever hindern, resp. unmöglich machen. Ihr Herr Gemahl hat jenen Pakt mit dem alten Dürrenstein in seiner Bedrängnis geschlossen, weil er aus der Noth eine Tugend machen mußte; ich glaube schwerlich, daß er andernfalls seine Tochter so schmählich verkauft haben würde." „Bah, lieber Freund!" rief die Baronin verächtlich, „ist diese Toch ter denn so überaus kostbar, daß ihr eine Grafenkrone noch zu gering wäre? Ueberschätzen wir das einfältige Ding nicht zu sehr." „Verzeihung, meine Gnädige!" lächelte Berg, „in dem vorliegen den Falle knnn die Grafenkrone das Elend einer solchen voraussichtlich sehr dornigen Ehe nicht anfwiegen. Graf Albrecht war von jeher eine äußerst gewaltthätige Natur, sie wird ihn niemals lieben lernen." Die Baronin blickte ihn boshaft an. „Er ist jung, reich, von untadelhafter Geburt — was will die Kleine mehr vom Leben verlangen?" Berg erröthete stark. „Eigenschaften, welche mir zum Theil abgehen, wollen Sie an deuten, Frau Baronin!" versetzte er nach einer kleinen Pause ruhig. „Ich gebe das Alles zu, und möchte es fast thöricht von mir nennen, mit einem solchen noch allen Seiten hin bevorzugten Nebenbuhler in die Schranken treten zu wollen. Wenn ich trotz alledem nur die Ue- berzeugung gewinnen könnte, daß Reginas Herz noch ganz frei —" „Ich glaube das sicher verbürgen zu können," siel die Baronin ein. „Regina hat, seitdem sie das Institut verlassen, hier im Hause einsam, ohne jeglichen Umgang gelebt." „Aber sie hat mit dem Baron, wenn ich nicht irre, einmal eine Reise durck Italien gemacht." Die Baronin lachte laut auf. „Sie scheinen ein Othello an Eifersucht und Mißtrauen zu sein. Doktor! Allerdings brachte der Zufall sie damals mit dem Majorat-, Herrn v. Dürrenstein zusammen; Reginas fabelhafte Aehnlichkeit mif ihrer Mutter soll den alten Grafen ganz behext und zu der Idee eines