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130 Der Einfluß der Frauen auf die socialen Zustande. (Eingesendet.) Die Fragen begründen unsere Zukunft. Warum dieses? so hören wir fragen. Aus keinem sichern Grunde, als weil in ihren Händen die Erziehung der Jugend zum größten Theile liegt. Das Weib ist bei der Erziehung viel nothwendiger, als der Mann. Es ist eine bekannte Thatsache, daß das ganze Sein und Wesen eines Kindes ,n dem Schooße der Mutter ausgebildet wird. Bei dem Geschäfte der Erziehung ist die liebevolle Mutter zum unab- weisbaren Bcdürfniß geworden. Wo keine Mutter liebe ist, gedeiht keine Erziehung. Der ernste Vater kann wohl gebieten, allein der geheime Zauber der Mutterliebe, der das Kind unwiderstehlich zum Ge horsam zwingt, geht ihm ab. Was sich in den spatern Lebenslagen aus dem Kinde entwickelt, hat die Mutter vielfach in den ersten Jahren dem wei chen Herzen des Kindes eingepflanzt. Die Eindrücke, die tiefen Eindrücke, die in der frühesten Jugend der so biegsamen, geschmeidigen, für jeden Einfluß geöff neten und empfänglichen Seele des Kindes gegeben werden, werden so sehr zur zweiten Natur des Kin des, daß sic sich spater nicht mehr verwischen lassen; sie amalgamiren sich mit der Individualität. Wer anders aber ist dem Kinde in dieser Periode der ächten Kindlichkeit näher, als die Mutter? Wer kann die Wärme der Mutterliebe vom Kinde ab» halten? Wer kann diese tiefwirkende Naturkraft entfernen und unmöglich machen? An der Mutter liegt es zuvörderst, Goltcssurcht, Tugend und Sitte, Frömmigkeit, Menschenliebe und Gehorsam in die fruchtbaren Furchen des kindlichen Herzens zu pflan zen; an ihr liegt es, die zarte Seele des lallenden Säuglings, des muntern Knaben und des sanften Mädchens mit den himmlischen, Gefühlen des Gu ten, des Wahren und Schönen zu erwärmen, und das freudig offne Gemüth mit dem kühlen Morgen thau sanft überredender Sitte und den Ideen achter Menschlichkeit zu befeuchten. Wer pfropft zuerst die Zweige der Sinnlichkeit und der Unsittlichkeit auf den hoffnungsreichen Stamm einer schönen Kinder seele, wenn es nicht die Mutter ist? Ist es nicht die Mutter, die den zarten Sprößling absichtlich in den Pfuhl des Lasters hinabstürzt? Ist es nicht die betrübte Mutter, die vielleicht in Hellen Thränen die schweren Tage ihres schwachen Alters in tiefer Ein samkeit verweint? Wir fragen, ist es nicht die Mutter, die ihren verderbten, den Armen des Lasters übergebenen Sohn aus dem gähnenden Abgrund des Lasters herausrclßt, welcher sich klaffend vor ihrem Liebling, dessen Fall sie nur beweinen kann, auf- thut? Die Erinnerung an das theure Muttcrbild treibt ihn heraus aus der Dahn sittlicher Verderbt heit, in welche ihn das Leben geschleudert. Selbst wenn die Muller unterm Grabcshügel ruht und längst eine Speist der Würmer geworden ist; wenn sie hinäbergegairacn ist in jenes Reich des Lichtes; wenn ihr Sohn hin- und hergeworfen wird von den schäumenden Wellen des Lebens; wenn er nahe daran ist, Sitten und Leben cinzubüßen; wenn seine Tugend scheitern sollte an den brandenden Wogen, den gefährlichen Klippen der Verderblich der Weit: — cm milder Schalten der Mutter erscheint, und der Sohn ist gerettet, gerettet das theuerste Klei nod der Seele; die edle fromme Gestalt seiner christlichen Mutter ist ihm, dem Verirrten, erschienen und hat ihn mit einer wunderbaren Kraft auf die Bahn des Glaubens und der Tugend zurückgcführt. Was für ein Glück für ein Kind, ein fromme Mutter zu besitzen! Kein Aergernch kann aber auch in seinen Fol gen so verderblich wirken, kein Aergernch kann den Folgen gleich werden, dem schlechten Beispiele, das die Mutter ihrem Kinde durch sündhafte Eindrücke gibt. Dagegen sind die mütterlichen Tugenden durch alle Erdcngüter nicht zu bezahlen. Was un ter dem lichten Scheine der Sonne kommt dem göttlichen Ideale einer guten christlich-frommen Mutter gleich? Fürwahr, es gilt auch dem Er- wachsencn — wer die Tugend in solch' verklärten Bildern geschaut hat, der kann ohne Widerwillen und Verachtung selbst dann nicht das Laster be trachten, wenn er selbst davon ergriffen wäre. Das Christenlhum mit seiner nie versiegenden Quelle in nerer Wahrheit, göttlicher Reinheit, bis zum Aeu- ßcrstcn sich selbst vergessender Liebe, edler Tugend und milder Hingebung spiegelt sich ab in dem treuen Bilde einer kindlich-frommen Mutter. Große, weltberühmte Männer haben zu wieder holten Malen das Geständnis; abgelegt: „Was ich bin, das habe ich meiner Mutter zu verdanken.'' Der große Montaigne sagt: „Ich habe von meiner Amme zehnmal mehr gelernt, als von meinem Leh, rer!" Und in welchem Vcrhällniß steht eine Amme, auch die beste Amme zur sorgenden Mutter? Men schen, die spater die Würgengel oder Beglücker der Menschheit geworden sind, die die Geißel der Gesell» schäft oder den Glücksstern der Menschen gebildet haben, haben oft am Herzen der Mutter den Keim zu diesen Thatcn eingesogen. — Ein, großer Den« ker sagt: „Oie Erziehung des Menschen wird größ- tcnthcils in den ersten 6 Jahren auf dem Echooße der Mutter vollendet." Die Mutter braucht nicht gerade feingcbildct zu sein, die Mutterliebe ist erfin derisch genug, die Erziehung recht leickt und die Unterhaltung angenehm zu machen. Wir halten nicht gar viel auf jene rcichgebildetcn, feinen Frauen, die, mit dem blinkenden Griffel in der Hand, dick leibige Werke schreiben. Ihre Familien sind mei stens am schlechtesten bestellt, wie dies kaum andeis sein kann; die Kinder sind am schlechtesten crzoaen und werden von derartigen Müttern als eine Ne bensache behandelt. Das sind trübe, traurige Wahr nehmungen! Verdienen je solche Frauen, daß ihnen ein zarter Säugling das vielsagende Wort „Mutter" cntgegenstammclt — einer Mutter, die unwillig wird, wenn sich das unschuldige Kind ihr naht? Wir wollen hier zwar auch dem blinden Naturtriebe keineswegs das Wort reden. Aber fest steht die Thatsache, daß die braven Mütter, welche der Welt berühmte, geistig starke Männer gaben, oft ganz