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der letzteren Richtung folgen, zählt auch die deutschfreisinnige „Weser- Zeitung", die sich vor der Hand damit begnügen will, daß „die Re gentschaft des Prinzen Albrecht materiell, wenn auch nicht formell, die Entscheidung über Braunschweig und die zukünftige Regierungsgewalt in die Hände des Kaisers überleite." „Das ist es", sagt sie, worüber wir uns vor Allem zu freuen haben. Zwar trägt auch diese Regent schaft formell noch den Charakter des Provisoriums, allein wir hoffen, daß die Gerüchte sich bestätigen, wonach der neue Regent mit dem Landtag ein Gesetz vereinbart, das Braunschweig zu einem Reichs lande und den Prinzen zu einem kaiserlichen Statthalter macht. Dieses Ziel sichert dem Kaiser den letzten entscheidenden Einfluß, ge währt dem Lande aber die Erhaltung seiner altherkömmlichen Einrich tungen, seiner glücklich geordneten Finanzen, seiner Selbstverwaltung und an dem vortrefflichen Einvernehmen zwischen Regierung und Volk wird ein kaiserlicher Statthalter wohl um so weniger rütteln, als in seine Hände die moralische Eroberung des Landes für Preußen ge legt ist. Die Generalversammlung des Gustav-Adolf-Vereins in Eisenach verlief auch finanziell so glücklich, daß das Festcomitee eine Liebesgabe von 1000 Mark nach Rom an die evangelische Schule Ponte Angelo, die einzige evangelische Schule in Italien, schicken konnte. Eisenach — Rom! — Höchst erfreulich ist es, Folgendes zn hören. Nach den dem Bun- desrath zugegangenen Spezialetats für 1886/87 werden von den Er trägnissen aus Zöllen, der Tabaksteuer und Aversen, die insgesammt auf 258,600,000 M. veranschlagt werden, 128,600,000 M., sowie aus den den Bundesstaaten allein zukommenden Stempelbeträgen 22,375,000 M. zur Vertheilung an die Bundesstaaten gelangen, demnach im Ganzen 53,565,000 M. mehr als im Vorjahr. Aus Kopenhagen kommt die telegraphische Nachricht von einem Attentat auf den Ministerpräsidenten Estrup. Als dieser am Mitt woch Nachmittag um 5 Uhr aus der Kammersitzung nach seiner Woh nung zurückkehrte, feuerte unter dem Thorweg derselben ein junger Mensch einen Schuß ans den Ministerpräsidenten ab. Der Schuß traf glücklicherweise nicht, der Mann wurde sofort verhaftet. Zur Carolinenfrage liegt jetzt von deutscher Seite eine bemer- kenswerthe Kundgebung vor. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht näm lich jene deutsche Note an Spanien aus Friedrichsruh vom 4. Oktober, welche die von Spanien für seine Hoheitsrechte auf den Carolinen an geführten Umstände eingehend erörtert und aus Grund dieser Erörte rung es für Deutschland unmöglich erklärt, anzuerkennen, daß die Ca rolinen von Alters her und früher als infolge der diesjährigen Okku pation einen Theil des spanischen Gebiets gebildet oder unter Spani ens Hoheit gestanden haben. Die Frage der Priorität spanischer Be sitzergreifung auf Jap werde Deutschland unbefangen prüfen, sobald die amtlichen Berichte deutscher Marineoffiziere eingegangen seien. Deutschland hoffe von den forgesetzten direkten freundschaftlichen Ver handlungen die Erzielung eines Einverständnisses; es sei in dieser Hoff nung durch die Annahme der von Deutschland vorgeschlagenen Vermit telung des Papstes bestärkt und werde die dem Kardinal-Staatssekre tär Jacobini mitzutheilenden Informationen und Vergleichsvorschläge folgen lassen, sobald die erwarteten Berichte deutscher Seeoffiziere ein- gegangen seien. — Nach dieser Note zu urtheilen, ist eine baldige di rekte Verständigung zwischen Deutschland und Spanien in der Caroli nenfrage schwerlich mehr zu erwarten und wird demnach die Vermit telung des Papstes Platz zu greifen haben. Der König von Spanien kränkelt. Die Aerzte wissen nicht recht, wo das Uebel sitzt, es scheint aber in der Nähe der Lunge oder gar in der Lunge selbst sich eingenistet zu haben. Der König leidet fast beständig an Fieber und Appetitlosigkeit und ist in Folge dessen sehr entkräftet. Paris. Die Zeitungen „Figaro" und„Gaulois" haben die neu gewählten Deputirten Rochefort und Michelet, bisher Präsidenten des Pariser Gemeinderaths, aufsuchen lassen, um einige Aufklärungen über die Intentionen der Intransigenten zu erhalten. Rochefort erklärte, daß er sofort dreierlei beantragen werde, die Anklage Ferry's, die Trennung von Kirche und Staat, und eine Amnestie für alle politischen Verbrechen und Vergehen. Wenn er keine dieser drei Forderungen durchsetzte, werde er sein Mandat als Deputirier wieder niederlegen. Michelet will ebenfalls die Anklage Ferry's und die Trennung von Staat und Kirche, sodann Unterdrückung des Senats und der Präsi dentschaft der Republik, sowie der Einkommensteuer. Für Ausweisung der Prinzen ist Michelet nicht, auch Rochefort verwirft dies als eine rein platonische Maßregel, doch will ersterer die Prinzen füsilirt wissen, falls sie die Existenz der Republik bedrohten. Danach also dürfte man wenig auf die Intransigenten rechnen können für eine Politik der Mä ßigung und seitens der neuen Kammermajorität. Der Bonapartist Cassagnac, der gleichfalls von den erwähnten Blättern ausgehorcht wurde, verhehlte nicht, daß die Rechte hauptsächlich aus das Vorgehen der Radikalen zähle, um die Republik zu tödten. „Die Regierung", äußerte sich Cassagnac, „ist vollständig der Gnade Clemeucean's in die Hand gegeben, welcher machen können wird, was er will. Derselbe kann eine einzige Kammer und den Konvent durchsetzen, und wenn etwa nach zwei Monaten die Radikalen die Verfassungsrevision fordern, so wird man diese vornehmen. Das Volk wird uns dann schon von dem befreien, was seit fünfzehn Jahren besteht." Somit also würden nach Cassagnac's Auslassung die Monarchisten mit den Radikalen für eine Revision stimmen. Vaterländisches. Wilsdruff. In der am 22. Oktober stattgefundenen Sitzung der Handels- und Gewerbekammer zu Dresden bildete Punkt 4 der Tagesordnung eine für die Verhältnisse unseres Bezirkes hoch wichtige Nummer. Dieselbe betraf die von den betheiligten Ortsge meinden nachgesuchte Befürwortung der Fortführung der Potschappel- Wilsdruffer Eisenbahn bis Nossen. Diese Angelegenheit fand in dem, mit den Verhältnissen genau vertrauten Referenten, Stadtrath Kurtz- Meißen, einen warmen Fürsprecher. Derselbe betonte die hohe Wich tigkeit der nachgesuchten Erweiterung der Eisenbahnlinie und befür wortete Namens der ersten ständigen Commission die Resolution: „Die Handels- und Gewerbekammer Dresden beschließt dem Namens des Eisenbahn - Comitees zu Mohorn und Nossen am 26. August d. I. eingebrachten Gesuche gemäß, die Fortführung der Potschappel- Wilsdruffer Bahn über Herzogswalde, Mohorn, Dittmannsdorf, Reins berg, Bieberstein und Beyermühle bei Siebenlehn nach Nossen, bei dem königlichen Finanzministerium zu befürworten und den genannten Ei- senbahn-Comitees in gleicher Weise die Unterstützung eines von ihnen etwa bei der Ständeversammlung einzubringenden Gesuchs in Aus sicht zu stellen." Die Kammer erhob diese Resolution einstimmig zum Beschluß. — Nächsten Donnerstag findet die Benefizvorstellung für Fräul. Marie Uhle statt. Die Direction hat der Benefiziantin ein Stück „Die drei Staatsverbrecher" gewählt, worin dieselbe gewiß brilliren wird. Fräul. Marie Uhle hat sich in der kurzen Zeit ihres Hierseins die volle Gunst aller Theaterbesucher erworben, und da kann es denn auch gar nicht anders sein, als daß nächsten Donnerstag der Theater saal bis auf den letzten Platz gefüllt sein wird. — Dresden. Der in vergangener Schwurgerichtsperiode trotz sei nes hartnäckigen Leugnens wegen Lustmordes zum Tode verurtheilte Haudarbeitcc und Carrvusselgehülfe Kühne aus Altfranken hat die ser Tage ein Geständniß abgelegt, das allerdings die Anklage in ihrem vollen Umfange nicht deckt. Die Geschworenen hatten den Angeklagten bekanntlich nicht nur des Mordes der 6 Jahre alten Tochter des Wei chenstellers Schumann am zweiten Pfingstfeiertage auf Zschärtnitzcr Flur für schuldig befunden, sondern auch die Eventuellfrage, wonach Jemand, der bei Begehung eines Verbrechens in der Absicht, ein Hin decniß zu beseitigen oder sich der Entdeckung zu entziehen, im schwer sten Falle zu lebenslänglichem Zuchthaus verurtheilt werden kann, be jaht. Das Reichsgericht werwarf am 17. September die von dem An geklagten eingelegte Revision gegen das schwurgerichtliche Erkenntniß und führte in den Entscheidungsgründen nur aus, daß die zweite, von den Geschworenen bejahte Schuldfrage überflüssig sei. Kühne räumt jetzt ein, daß er das Kind gemißbraucht und dabei, resp. nach dieser That allerdings getödtet habe. Dieser Umstand dürfte nach juristischen Anschauungen maßgebend sein, daß die Todesstrafe gegen den s. Z. übrigens auch angetrunkenen Verbrecher nicht vollstreckt, sondern auf dem Wege der königlichen Gnade in lebenslängliches Zuchthaus umge wandelt werden wird. — Auf schreckliche Weise verunglückte am Vormittag des 22. Okt. auf der Strecke Meerane-Glauchau der Leipziger Bahn der Schaffner K. aus Glauchau. Als sich der 11 Uhr 41 Minuten von Meerane abgegangene Zug in der Nähe von Seifcritz befand, stürzte K. von einem Bremsersitze aus, auf welchen er sich kurz vorher begeben hatte, zwischen die Räder des in voller Fahrt befindlichen Zuges und wurde dadurch, daß ein Theil des Zuges über seinen Körper hinwegging, überfahren, auch eine Hand wurde dem K. abgefahren. Der Tod K.'s trat sofort ein. Die Leiche wurde zunächst in der Friedhofshalle zu Seiferitz untergebracht. K. hinterläßt eine Wittwe und mehrere Kinder. — Plauen. Ein sehr günstiges Jagdergebniß hatte kürzlich die Treibjagd auf dem Obeclosaer Revier des Rittergutsbesitzers Zeidler aufzuweisen. Von 17 Jägern sind nicht weniger als 215 Hasen erlegt worden. Eine solche Jagdbeute war bis jetzt im Voigtland noch nicht zu verzeichnen. — Aus dem oberen Voigtlande, 23. Oktober. Die Erwerbs verhältnisse sind in unserer Gegend in diesem Jahre weit ungünstiger, als in den letzten Jahren, denn die Jnstrumentenfabrikation hat flaue Zeiten durchzumachen gehabt, die Maschinenstickerei leidet noch jetzt an Arbeiismangel, die Perlmutterwaareuindustrie läßt hinsichtlich der Absatzverhältnisse Manches zu wünschen übrig, und Strumpfwirkerei und Handweberei liegen auch darnieder. In denjenigen Dörfern, in denen die Handweberei noch die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung bildet, giebt es Leute, die schon seit 4—6 Wochen keine Arbeit haben. Die Flanellweberei, fast die einzige Beschäftigungsart, bei welcher die Handweber im letzten Jahre noch etwas zu thun hatten, scheint sich langsam wieder zu beleben, sodaß wenigstens Hoffnung vorhanden ist, daß die armen Weber für den Winter etwas verdienen. Erfreulich ist es, daß die Kartoffelernte noch gut war und daher der drückendsten Noth vorgebeugt ist. Hoffentlich ist die schlechteste Zeit vorüber. Die Falschmünzer. Kriminal-Roman von Gustav Lössel. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Ich habe keine Zeit mehr zum Lauschen und renne nun selbst den Gang entlang nach der Treppe zurück. Ungesehen kann ich diese nicht hinabgelangen, denn Korridor und Treppe sind, wenn auch nur matt erleuchtet. Ich finde zur Seite eine offene Thür, die zu dem Warte zimmer führt, wo sonst der Jonas hockt. Da hinein drücke ich mich. Aber kaum die Thür ins Schloß gedrückt, bücke ich mich zum Schlüs selloch und spähe hindurch. Hui! Kommt der Mann vorbeigcstürml — Treppe hinunter — weg ist er. Jetzt kommt ein leiserer Schritt, aber auch hastig und behende, nur etwas katzenartig. Ein Schatten huscht vorbei — ich sehe einen Dolch blitzen — daun wird's still. „Na ja, ein Maskenschcrz," denke ich bei mir und verhalte mich noch längere Zeit ruhig, aus Furcht, daß Jene zurückkommen und mich da sehen könnten. Endlich wird mir die Zeit zu lang. Ich komme wie der heraus und lausche hinauf und hinab. Alles ist still und der Wintergarten öde und leer; nur von ferne höre ich Ballmusik. Na, ich traue mich denn auch nicht tiefer hinein und kehrte auf mein ein sames Zimmer zurück. Und wollen Sie nun wissen, Herr Kommerzienrath," vollendete tief Athen: schöpfend Mathies, „wer die Beiden im Wintergarten ge wesen? Der Mann — er trug einen schwarzen Domino und hatte eine rothseidene Maske in der Hand — war der Ermordete von der Schwedengasse: und die kostümirte Dame, auch mit abgelegter Maske, war — Ihre Tochter! Und die Spur, Herr Kommerzienrath, die nach der Mordstätte führt, rührt von einem Damenfuße her. So, und nun reden Sie! Ich sagte nur, was ich gesehen habe." Der Kommerzienrath hatte dem rothen Mathies schweigend, stau nend zugehört, er hatte es kommen sehen, daß seine langathmige Er zählung so enden werde — und doch, als jener die letzten emphatischen Worte gesprochen, fuhr er jählings empor, wie Jemand der eine Vi sion gesehen oder aus einem schweren Traum erwacht. Er starrte Ma thies groß und fragend an, er griff nach seiner Stirn und versank noch einmal in Nachdenken. „Gesehen habe," wiederholte er dann mit einem abwesenden Aus druck, „gesehen habe." „Jawohl, Herr Kommerzienrath," bestätigte Mathies, „das und nichts weiter habe ich gesehen; aber ich denke es ist gerade genug, um verschwiegen zu werden; denn wenn das zur Sprache kommt —" Der Kommerzienrath lachte laut auf. Es war ein unmelodisches Lachen, welches um so mehr und um so unangenehmer überraschte, als der alte Herr seit dem vor einigen Jahren erfolgten Tode seiner schönen jungen Gattin kaum mehr lächelte, im Geschäft aber notorisch niemals eine Miene verzog. Und jetzt aus einmal lachte er so laut, fast herzhaft, daß es selbst in den Nebenzimmern vernommen wurde. Die Büreaubeamter, sonst schweigsam und emsig schreibend — denn Etwold war selber rastlos thätig — blickten erstaunt empor und einander ungläubig fragend an. Sollte es wirklich ihr Chef sein, der da gelacht hatte? Ja, er war es. Aber gegen das Ende hin glich sein krampfhaf tes Lachen mehr einem Schluchzen, und seine Züge verzerrten sich da bei in einer Weise, welche es Mathies rathsam erscheinen ließ, nach der Korridorthür zu retiriren.