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„Leuchtmann", sprach Etwold zornig, „wie können Sie es wagen, in meiner Gegenwart eine solche Sprache zu führen?" „Herr Commerzienrath, das muß ich", erwiderte der Andere fest, „denn hier handelt es sich um einen Betrug, den man Ihnen spielen will, und dessen Opfer ich werden soll." „Was? Wie?" fuhren Chef und Prokurist gleichzeitig auf. „Jawohl, Herr Duprat", sagte der alte Mann, indem er dicht an Jenen yerantrat, „denn nur Verschlagenheit und Tücke haben Ihnen zu Ihren bisherigen Erfolgen verholst«. Ich bin ein alter treuer Diener unseres verehrten Chefs hier, ein Mann mit wirklichen Ver diensten um das Emporblühen des Geschäfts, und Ihnen daher ein Dorn im Auge. Sie haben schon lange auf meine Beseitigung ge sonnen und ergreifen die Gelegenheit, wo sie sich Ihnen bietet. Ihr Helfershelfer und Spion, der Jonas, hat vorhin belauscht, was zwi schen mir und dem Herrn Commerzienrath besprochen wurde, und als Sie ankamen, stürzte er hinaus und Ihnen entgegen. Er versieht ja wohl bei Ihnen Stubendienste. Nun wußten Sie, daß von diesem Briefe meine Stellung abhängt, und daher leugnen Sie den Empfang. So liegt die Sache, Herr Commerzienrath. Entlassen Sie mich noch, dann haben Sie lauter neue Kräfte, lauter Creaturen Ihres Proku risten hier, und dann wird es sich ja zeugen, wohin er das Geschäft führen wird." Duprat war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten; er war sehr blaß geworden, so daß die Starrheit seiner Züge jetzt wirklich an ein Marmörbild erinnerte. Er hatte die Fluth der Anklagen über sich ergehen lassen, ohne ein Wort der Widerrede, ohne eine abwäh rende Bewegung. Jetzt aber, als Leuchtmann geendet hatte und sich mit dem großen bunten Taschentuch über Stirn und Augen fuhr, rich tete er einen einzigen fragenden Blick auf Etwold. Kalt und bestimmt konnte man denselben nennen, und der Chef verstand, was sein Pro kurist und Vertrauter damit sagen wollte. „Er oder ich" hieß es; es gab kein zweites. „Ich habe Sie ausreden lassen, Leuchtmann" sprach Etwold mit erzwungener Ruhe, „nicht um die Gerechtigkeit Ihrer Klagen zn prü fen, sondern nur um Ihnen zu zeigen, wie wenig würdig Sie Ihrer Stellung und meines Ihnen bewiesenen Vertrauens waren." Ein hämisches Lächeln umspielte auf eine Sekunde die zusammen gepreßten Lippen Duprats, während sich auf Leuchtmanns Antlitz Stau nen und Entrüstung malten. „Anstatt diesem verdienstvollen jungen Manne nachzueifern," fuhr Etwold fort, „haben Sie ihm immer nur opponirt und es auch sonst an der schuldigen Achtung vor meinen Wünschen fehlen lassen. Mit Ihrem heutigen Erguß haben Sie sich vollends das Urtheil gespro chen. Sie sind mit einem halben Jahresgehalt entlassen, das ich Ihnen mit Rücksicht auf Ihre traurigen Familienverhältnisse und Ihre lang jährige Geschäftsthätigkeit in meinem Hause zahlen will. Ich erwarte von Ihnen jetzt aber ein besonnenes, anständiges Betragen, und daß Sie Ihren Platz noch heute räumen werden." Leuchtmann wollte noch etwas erwidern. „Kein Wort mehr!" brauste Etwold auf. „Oder ich entziehe Ihnen auch diesen letzten Beweis von Wohlwollen. Gehen Sie." Es gährte noch in der Brust des tiefgekränkten Mannes und gerne hätte er seinem gepreßten Herzen Luft gemacht. Aber er ge dachte seiner armen Lieben daheim, und das zwang ihn, zu schweigen. Nur noch einen Blick warf er von dem Chef auf den Prokuristen, und daraus sprach Alles, was er hätte sagen können; er enthielt eine War nung für Etwold, eine Drohung für Duprat. Natürlich machte das auf Beide keinen Eindruck weiter. Als er hinaus war, nahm Etwold die unterbrochene Unterhaltung wieder auf. „Also nicht mein Brief, sondern ein glücklicher Zufall hat Sie, mein lieber Duprat, zu einer Zeit wieder hergeführt, wo ich Ihres Rathes nicht wohl entbehren kann," sagte er im Tone ungeschwächten Wohlwollens. „Zuvörderst nun eine Frage: Was führte Sie nach M.?" „Errathen Sie es nicht schon, Herr Kommerzienrath?" fragte Duprat sanft. Er schloß mit einem bedeutungsvollen Blick auf den Chef die Thür. Etwold's Züge verfinsterten sich. „Mein Sohn," sagte er gedankenvoll, „ich hätte mir's denken können. Er hat seine frühere Lebensweise auch in M. beibehalten?" Der junge Mann räusperte sich verlegen. ES schien, als ob er mit der Sprache nicht heraus wollte. „Reden Sie ganz offen," ermuthigte ihn Etwold. „Was ist's mit Eduard?" „Herr Kommerzienrath," begann Duprat mit vollem Bedacht, „es will mich bedünken, als ob schwere Zeiten über das Haus Etwold hereinzubrechen drohen; und das mag Ihnen erklären, warum ich zögere, Ihnen diese mir höchst schmerzliche Entdeckung zu machen." „Ich kenne und schätze die Theilnahme, welche Sie an den Vor gängen in meinem Hause stets genommen haben. Sie waren der Erste, der mich auf die Gefahren, die meinem Sohne in dem Weltstadtleben drohten, aufmerksam machte, der mir bewies, daß er hier nicht blei ben könne, wenn ich meinen ehrlichen alten Namen nicht mit Schande bedeckt sehen wollte. Und wenn Sie jetzt fortfahren, Eduard zu be obachten, fo erkenne ich das an. Ich weiß ja, daß Sie aus den lau tersten Motiven handeln. Wie also führt sich mein Sohn in M.?" „Darf ich ganz ohne Rückhalt sprechen?" „Ich verlange sogar Ihr volles Vertrauen. Das Zweiggeschäft in M. ist nicht unbedeutend, und ist es mir nicht gleichgültig, wie der derzeitige Chef desselben, der Träger meines 'Namens, mich dort ver tritt. Fassen Sie sich kurz. Was ist's mit Eduard?" „Nun denn," erwiderte Duprat, und ein tückischer Blick schoß aus den stahlgrauen, kalten Augen hervor, „das Betragen Ihres Herrn Sohnes ist geradezu unverantwortlich. Er führt nicht das Leben eines Geschäftsmannes, sondern eines Libertins und vergeudet am Spieltisch und mit liederlichen Dirnen Summen, welche zu dem von Ihnen be willigten Unterhalt in keinem auch nur annähernden Verhältnisse stehen. Ich glaubte den mir gemachten Mittheilungen nicht und reiste deshalb selber hinüber. Leider fand ich nicht nur alles Gesagte bestätigt, son dern noch übertroffen. Und — das Schlimmste! — M. ist bedeutend kleiner als die Residenz; da kann von einem Verbergen dieser Excesse nicht die Rede sein." „Aber Sie riethen mir doch selbst zu M." „Ich hatte wirklich gehofft, daß die enger gezogenen Grenzen auch auf Herrn Eduards böse Leidenschaften beschränkend einwirken würden. Und dann mußte meines bescheidenen Erachtens nach auch die größere Verantwortlichkeit ein erhöhtes Pflichtgefühl in ihm erwecken. Es thut mir wirklich sehr, sehr wehe, Herr Kommerzienrath, Ihnen von Allem das Gegentheil berichten zu müssen." „Es ist um toll zu werden," fuhr Etwold auf, „dieser Bube!" Er kreuzte die Arme über der Brust, wie um den Sturm, der sein 4 „Und was rathen Sie mir nun zu thun?" fragte er. „Darf ich denn ferner noch rathen in einer Angelegenheit zwW Vater und Sohn?" fragte Duprat bescheiden. „Wenn ich Sie selbst darum ersuche —" „Und ich möchte es wohl, aber ich fürchte —" Wechselformulare Cisenbahnfrachtbriefe hält stets vorräthig die Druckerei dieses Blattes. Inneres durchwühlte, zu bezwingen, und ging mehrere Male schwei gend im Zimmer auf und ad. Wie die Katze die Maus, mit der sie ihr grausames Spiel treibt — Bosheit und Schadenfreude in dem verfolgenden Blick — so be obachtete währenddem der Prokurist seinen Chef. Das durchbrochene offene Fachwerk, welches sein Stehpult krönte, lieh ihm genügenden Schutz. Als jetzt Etwold stehen blieb und auf ihn hinblickte, zeigte er wieder die früher bewiesene Demuth und in seinem Antlitz einen Zug gefühlvoller Theilnahme, wie sie seinem kalten Naturell offenbar zu wider war. Aber Etwold war erregt. Er sah nur die Theilnahme undfa^d keine Zeit zu Erwägnugen über die Echtheit derselben. „Was?" „Daß es Herrn Eduard gelingen wird, sich trotz seines wüste» Lebens wieder in Ihre Gunst einzuschmeicheln; und dann würde W sicher das Opfer meiner zn großen Anhänglichkeit an Ihre werihi Person werden. Meiner Stellung ginge ich verlustig, und sein Eis' fluß würde dann wohl auch bewirken, daß ich für all meine Liebe eiv schlechtes Zeugniß und gar keine Stellung mehr bekäme." Die kalten Augen ruhten während dieser Worte lauernd aus dein Antlitz des alten Herrn, natürlich genügend verschleiert, um jenen nicht zu beunruhigen. A „Einschlägen Sie sich aller solcher Bedenken," sprach ermuthigend der Chef. „Es wäre denn, mein Sohn verwandelte sich vollständig, was ich nun nicht mehr zu hoffen wage; sonst hat er auf meine Liebe keinen Anspruch weiter. Mein Vertrauen zu ihm ist geschwunden, meine Hoffnungen auf ihn sind zerstört. Ich kann nur noch bedauern, ihn Sohn nennen zu müssen. Warum ist er nicht so wie Sie geartet?" „O, Herr Kommerzienrath —!" „Keine falsche Bescheidenheit. In Ihnen vereinigen sich kauf' männischer Geist, Fleiß, Besonnenheit, Nüchternheit; ich bin überzeugt daß Sie von Ihrem Gehalt noch nicht den dritten Theil verbrauche"- Duprat senkte den Blick. Es zuckte wieder spöttisch um seinege' fchlosscnen Mundwinkel. „Wie glücklich müßten Ihre armen Eltern gewesen sein," M . Etwold fort, „wenn Sie es noch mit erlebt hätten, ihren Sohlest zu Ansehen und Ehren gelangen zu sehen. Aber dies berührt D>e schmerzlich. Ich glaube, Sie sagten mir doch einmal, daß Ihre tern todt seien!" Es war wirklich etwas aus dieser verschlossenen, kalten Natur emporgefluthet, das wie eine ächte warme Gefühlswallung aussah- Aber nur blitzartig war das gewesen, dann legte sich wieder die un- durchbrechliche Eisrinde und die innerlich gährende Gluth, und als Duprat die Frage des Kommerzienraths beantwortete, klangen st^ Worte kalt und überlegt. „Meine Eltern sind todt," sagte er. „Ich habe nur meine Mut ter gekannt und diese auch nicht lange. Sie starb im — Wahnsinn" Wieder eine solche Gefühlszuckung, ein langes tiefes Alhemhofen und ein stechender Blick auf den Kommerzienrath; vor welchen dieser sein Auge zu Boden schlug. . War es nur das Widerspiel dessen was auf Duprats Antlitz std oder eine eigene mächtige Gefühlswallung, die neue Belebung einer längst verklungenen Erinnerung, auch Etwold schien von dieser eigen- thümlichen Stimmung seines jugendlichen Vertrauten mitergriffen. fuhr sich rasch mit der Hand über die Augen, wie um etwas zu ver wischen, das ihm da vorfchwebte, nud leitete das Gespräch iU frühere Bahn zurück. „Wir sind abgeirrt," sagte er, sich wieder setzend; „ich fragte^' was nun beginnen, da mein Sohn meine Ermahnungen nicht aw und fortfährt, meinen hochstehenden reinen Namen zu verunglimpf"' Soll ich ihn zurückrufen?" . i Duprat schrak leicht zusammen; er schüttelte in seiner bescheiden Weise mißbilligend den Kopf. „ . i „Wenn meine unmaßgebliche Meinung denn doch ein PlaM ' in Ihren Erwägungen finden soll und Sie von meiner lauteren A>M überzeugt sind, so möchte ich mir bescheidentlichst zu bemerken erlaubst - daß das nur geeignet wäre, Ihren Herrn Sohn in seinen Extra'-b« ganzen zu bestärken und Ihnen durch das stete Voraugenhaben de selben neuen und heftigen Kummer zu bereiten." „Schon wahr, schon wahr," sagte beunruhigt der CommerzienE „Aber so geht es doch nicht weiter. Es muß geschehen, um eine »en derung hervorzubringen." „Und wenn diese Aenderung nicht auch eine Besserung ist?" „Allerdings, dann bleibt es wohl ebensogut beim Alten." „Vielleicht wenn Sie, wie ich mir schon einmal in Erwägung Z» bringen erlaubte, Herrn Eduard ins Ausland schickten" — „Reisen? Nein. Er würde vielleicht nach Paris oder Monac gehen, um dort sein Aergstes zu leisten und mich zu ruiniren." . „Uw Entschuldigung, Herr Commerzienrath, das meinte ich nicht. Es schwebte mir dabei vielmehr ein ferneres Land-— Amen oder Australien vor. Nur mit genügenden Mitteln zur Reise versehe , neue Sendungen versprechend, aber unterlassend, würde Ihr Sohu vielleicht zur Umkehr auf einen besseren Weg gezwungen werden- Der Commerzienrath schüttelte mißbilligend den Kopf. . „Ich gestehe, es ist eine harte Schule," fuhr Duprat mit sauste^ Beredtsamkeit fort, „aber mau hat doch viele Beispiele von Besserung. „Und noch mehr von gänzlicher Verwilderung oder Selbstver nichtung," fiel der Commerzienrath ein, und dazu möchte ich als Va ter doch nicht mitwirken. Eduard ist doch immer mein Sohn und trägt meinen Namen. Nein, Duprat, ich kann mich zu diesem Aeußer- sie» nicht entschließen, kann mich an diesen Gedanken nicht gewöhnen. In die Verbannung schickt man Verbrecher, und trotz aller losen Streiche meines Sohnes, zu welchen böse Genossen ihn verleitet haben mögen, zum Verbrecher ist er doch noch nicht hinabgestiegen, und soweit ich ihn kenne, wird er es auch niemals. Es wäre sein Letztes!" (Fortsetzung folgt.) ——— /Toolinlvuiir AittvekäuTt — Lodere knodsekut«« /kur »ssckinin - Ingenieur« uo<tF /i^«rkm«iiter. Voruoterriedt frei.» / Luknkiullsn: Litt« u. O«tvd«r.M