Volltext Seite (XML)
man hat an seiner Stelle den „jugendlichen Arbeiter'', der an die Maschine gestellt, dieselbe einfache Manipulation in ewiger Wiederho lung vollzieht, so gut wie der erfahrendste Meister und der intelligen teste Geselle. Doch selbst in der Hausindustrie ist dies oft ähnlich, der Lehrling wird eben für bestimmte Verrichtungen angelernt, und in kurzer Zeit bringt es der junge Mensch leicht zu einer solchen Fertig keit, daß sein Arbeitsprodukt dem Meister einen erheblichen Vortheil gewährt. Stehen aber nun schließlich in Hinsicht auf die größeren Ansprüche der gewerblichen Ausbildung auch alle Handwerksmeister auf derjenigen Höhe, welche zu einer entsprechenden Ausbildung eines Lehrlings er forderlich ist? Wir wagen es nicht, diese Frage zu bejahen. Selbst wenn der Lehrling die ganze drei- oder vierjährige Lehrzeit ausgehalten hat, geht ost sein Können nicht über die Spezialität hinaus, zu welcher er verwendet wurde; ein Fortschreiten vom Leichteren zum Schwereren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten, ein gesunder Wechsel derThä- tigkeit hat bei vielen gar nicht stattgefunden. Wir kennen einen Tisch lerlehrling, welcher bei einem Meister in der Lehre steht, in dessen Werkstatt jahraus, jahrein nur Särge, nichts als Särge fabrizirt wer den; wie einseitig ist doch hier die Ausbildung! Wir kannten einen Schlosser, welcher Tag für Tag Fensterbeschläge anfertigte; es war ein durch und durch ehrenwerther Mann, und warum sollte er es nicht sein? Er wird ebenfalls nur lernen, Fensterbeschläge herzustellen; wenn solcher dann später nicht gerade eine Werkstatt findet, in welcher die gleiche Spezialität angefertigt wird, oder wenn dieselbe durch eine neue Erfindung entbehrlich werden sollte, so bleibt nichts übrig, als „in die Fabrik zu gehen", womit die Aussicht auf fpätere Selbststän digkeit für immer abgeschnitten ist. Die Stellung des Meisters zum Lehrling ist die des Lehrers zum Schüler. Den Lehrer der Schule macht man mit Recht dafür verant wortlich, wenn seine Schüler im Allgemeinen schlechte Fortschritte machen; warum macht man nicht auch den Lehrer in der Werkstatt dafür ver- antwortlich? Erklärte man, die Werkstatt sei keine Schule, fie kann und will es nicht sein, so müßte dann folgerichtig auch die alte Form des gewerblichen Unterrichts aufgegeben und sich um eine neue bemüht werden, welche ihrem Zwecke besser entspräche. TageSgeschichte. Stuttgart, 18. September. Se. Maj. der Kaiser ist heute Nach mittag 1 Uhr in bestem Wohlsein hier eingetroffen und wurde vom König, den Ministern, der preußischen Gesandtschaft, der Generalität, wie den Behörden am Bahnhofe empfangen. Auf dem Perron war eine Ehrencompagnie des Grenadierregiments Königin Olga mit Mu sik und Fahne ausgestellt. Se. Maj. der Kaiser wurde auf der Fahrt nach dem Residenzschloß von der Bevölkerung stürmisch begrüßt; auf dem Wege bildeten die Geistlichkeit, die städtischen Beamten, zahlreiche Korporationen, die Feuerwehren, Kriegervereine, Schützengilden, Turn vereine und Sängergesellschaften Spalier. Der „Staats-Anzeiger" sagt: Die patriotische Begeisterung geht durch die gesammte Einwohner schaft. Tausende und Abertausende strömen herbei, ihren Kaiser zu schauen, in dessen starker Hand Deutschlands Ehrcnschild makellos ruht, der im Kriege wie im Frieden des Vaterlandes Macht und Größe mannhaft und erfolgreich gewahrt und in schwerer Zeit Deutschlands Heere als unvergleichlicher Sieger geführt hat und das deutsche Reich als Hort des Friedens glanzvoll auferweckte. Alle Herzen schlagen einmüthig ohne Unterschied dem achtundachtzigjährigen Helden entgegen. Begeistert begrüßt ihn Schwabens Jugend: „Heil dem Kaiser, hoch willkommen im Schwabenland." Die Kaisermanöver des 14. Armeekorps, welche in voriger Woche bei Karlsruhe stattgefunden haben, sind täglich von dem obersten Kriegsherrn besucht worden. Der Kaiser hat allerdings kein Pferd mehr bestiegen in Folge der dringenden Bitten der Leibärzte, hat aber wiederholt lange Zeit in seinem Wagen aufrecht gestanden und so den Gang der Manöver verfolgt, die seine außerordentliche Zufriedenheit hervorgerufen haben. Von Karlsruhe hat sich der Kaiser mit dem Kronprinzen nach Stuttgart begeben, wo er nicht minder festlich em- pfangen worden ist, als in der badischen Hauptstadt; auch hier wird derselbe den Manövern beiwohnen, nach deren Schluß die Rückreise zur Kaiserin Augusta nach Baden-Baden erfolgt, wo noch ein längerer Aufenthalt genommen werden wird. Die längst erwartete Ernennung des Prinzen Wilhelm von Preußen zum Obersten ist jetzt von seinem kaiserlichen Großvater vollzogen worden. Der Prinz erhält das Kom mando über das Garde-Husaren-Regiment in Potsdam. Der Thüringer Gewerbeverbandstag hat bezüglich der Sonn- hagarbeit beschlossen: „Ein allgemeines Verbot der gewerblichen Sonntagsarbeit ist undurchführbar. Die Frage, ob ein derartiges Verbot in beschränktem Umfang, namentlich für Fabriken, durchzuführen ist, kann mit Sicherheit erst dann beantwortet werden, wenn die Er- gebnisse der im Gang befindlichen Enquete vorliegen. In den An trägen der Reichstagskommission, welche in dem Kommissionsbericht vom 6. Mai 1885 enthalten sind, ist eine geeignete Grundlage für die Regulierung der gewerblichen Sonntagsarbeit nicht zu erblicken." „Die Botschaft hört' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", so wird mancher sagen, wenn er vernimmt, daß der preußische Gesandte beim Vatikan, v. Schlözer, nach Rom zurückkehren soll, bewaffnet mit einem eigenhändigen Brief des Kaisers au den Papst, der als Vor läufer eines Religionsfriedens zwischen Deutschland und dem Vatikan betrachtet werden dürfe. So sagt ein österreichisches Blatt, die „Poli tische Correspondenz." Sie meint also, der inoäus vivouäi sei gefun den. Es wäre gewiß sehr gut, aber, — aber —? Einverstanden; die deutschen Eisenbahnbehörden werden dafür sorgen, daß im nächsten Jahre bei Beginn der Badereisen die deutschen Nord- und Ostsee-Bäder leichter als bisher, also mit Schnellzügen in einem Tag zu erreichen sein werden. Hoffentlich bleiben die Deut schen dann im Vaterland, wo ihnen Flegeleien, wie sie in diesem Som mer in Blakenberghe und Ostende vorgekommen sind, nicht zustoßen werden! Der spanische Kourier ist in Berlin und der Reichskanzler wird daselbst täglich erwartet! So weit sind wir in der spanischen Frage mit den Thatsachen gekommen, und der weitere Verlauf der Angele genheit muß vollständig abgewartet werden. Man meint ja allerdings, daß es gelingen werde, in kurzer Zeit die Karolinenfrage zu lösen, aber daß auf diese Hoffnung Häuser gebaut werden könnten, ist denn doch zu bezweifeln. Die Stimmung in Spanien und Madrid ist ziem lich ruhig geworden, nur die niederen Volksklassen der Hauptstadt, die von den Revolutionären aufgehetzt sind, machen noch Krawall, aber es sieht doch kaum so aus, daß die Regierung es wagen könnte, einen Weg einzuschlagen, der direkt zur Verständigung führte. Im Gegen theil, es heißt immer noch, das spanische Ministerium beharre darauf, die Besitzfrage der Karolinen nicht zu erörtern, wenn es auch dem deutschen Reiche bezüglich der Handels- und Schifffahrtsfreiheit Zu geständnisse machen will. Darnach wäre also Spani-n noch immer der Ansicht, daß ihm die Karolinen gehören. Es ist das eine Auf fassung, die von keiner einzigen anderen Macht getheilt wird, und na mentlich Hal England seinen schon im Jahre 1875 erhobenen Protest wiederholt. Sehr viel besprochen wurde die von der deutschen Admi ralität angeordnete Bildung eines aus vier Kriegsschiffen bestehenden Geschwaders im Atlantischen Ozean. Auf einer Seite wurde behauptet, diese Maßregel richte ihre Spitze gegen Spanien, auf der anderen, es handle sich um ein einfaches Uebungsgeschwader. Mag dem nun sein, wie ihm wolle, Eins steht fest: die Reichsregierung traut den Spaniern nicht. Deshalb ist auch dem auf der Reise nach Westafrika befindlichen Kamerundampfer „Nachtigal" die Ordre ertheilt, keinerlei spanische Häfen anzulaufen. Freunde in der Noth gehen 100 auf ein Loth. Die Spanier er fahren es jetzt. Während die Franzosen anfänglich ein Gesicht schnit ten, als seien sie geneigt, den Spaniern gegen Deuischland zu „helfen", ziehen sie sich jetzt nicht nur Schritt für Schritt zurück, sondern sie benutzen auch obendrein noch die Gelegenheit, in Marokko im Trüben zu fischen. Die Oase Figuig soll von Marokko an Frankreich abgetre- ten worden sein. Marokko aber steht unter einer Art spanifchen Pro- tectorats, ganz wie dereinst Tunis unter italienischem Protektorat sich befand. Als Italien in den Jahren 1879 und 1880 isolirt dastand, nahmen die Franzosen Tunis und rundeten dadurch ihr algerisches Gebiet nach Osten hin ab. Jetzt scheinen sie Spaniens Verlegenheit I benutzen zu wollen, um sich nach Westen hin zu arrondiren, die Ge legenheit ist ja günstig. Eine ziffermäßige Darstellung über die Verheerungen, welche die Cholera in Spanien angerichtet hat, bringen die spanischen medi zinischen Blätter. Der „Madrider Wochenschrift für Medizin und Arzneikunde" entnimmt das „Fremdenblatt" folgende Details: Die Epidemie, welche im Monat Juni zum Ausbruch kam, nahm bald ganz beträchtliche Dimensionen an, und bereits im ersten Monat dcr Krankheit betrug die Zahl der Opfer nahezujan sechstausend. Während des Juli war in dem Fortgange der Seuche, zufällige Rückgänge ab gerechnet, eine fortwährende Zunahme der Sterblichkeit zu bemerken. Bis gegen das Ende des Monats waren, nachdem die Zahl der täg lichen Todesfälle tausend weit überschritten hatte, nach der offiziellen Statistik fünfundzwanzigtausend Menschenleben der verheerenden Krank heit zum Opfer gefallen. Im Monat August, der durch seine sengende Hitze der Verbreitung der Krankheit Vorschub leistete, erreichte die Epidemie ihren Höhepunkt. Bis zum 22. vor. Mts. starben in jener Zeit 1700 bis 1900 Personen täglich. Hierauf erfolgte die Abnahme der Epidemie, wie sie die tägliche offizielle Statistik nachwies. Obgleich der Zeitpunkt der Abnahme in die letzten Tage des vorigen Monats fiel, ist die Sterblichkeitsziffer dieses Monats die höchste. In ganz Spanien starben während des vorigen Monats 50,OM Menschen an der Cholera. Während der drei Monate sind im Ganzen nach den offiziellen Berichten 81,000 Menschen der Seuche erlegen; jedoch ist man berechtigt, anzunehmen, daß diese Ziffer noch nicht den wahren Verlust an Menschen ausdrückt. Ueber einen fürchterlichen Sturm, welcher dieser Tage in Westafrika wüthete, treffen von allen Punkten der Küste übereinstim mende Hiobsbotschaften ein. Namentlich am Canal erreichte er eine Heftigkeit, wie man sich seit vielen Jahren keiner ähnlichen erinnert. I» Trouville, Deauville und anderen Badeorten riß die Brandung die verschiedenen Badeanstalten und, was an leichteren Bauten in ihrem Bereiche lag, mit sich fort; in Havre wurden mehrere Schiffe zer schmettert, Matrosen von den Verdecken weggeschwemmt und Quaibau ten zerstört. Im Innern des Landes richtete der Sturmwind auf an dere Weise Schaden an, indem er das Obst von den Bäumen und Spalieren schüttelte und die Hoffnungen der Bauern der Normandi und Bretagne auf ein gutes Apfelweinjahr vereitelte. Vaterländisches — Dresden, 19. September. Se. Maj. der König, sowie Ihre k. Hoheiten der Prinz Friedrich August werden sich morgen Nachmit tag um 1 Uhr von der k. Villa zu Strehlen üb-rr Freiberg zu einem mehrtägigen Aufenthalte nach dem k. Jagdhause Rehefelde begeben. — Wie verlautet, geht man an maßgebender Stelle mit der Ab sicht um, diejenigen durch Aufhebung der Chausseegeldhebestellen am nächsten 1. Januar dienstlos werdenden Chausseegeldeiunebmer, welche fähig und noch rüstig genug sind, ein anderweites Amt zu be kleiden, als Beamte bei denjenigen Zollrezepturen und Schlachtsteuer einnahmen unterzubringen, welche bisher von Privatpersonen verwaltet wurden. — Von einer Selbstverstümmelung wird aus Knobelsdorf bei Döbeln berichtet, woselbst sich dieser Tage der Dienstknecht Otto beim Häckselschneiden zwei Finger der rechten Hand von der Maschine ab schneiden ließ, in der Absicht, dadurch dem Eintritt ins Militär, zu welchem er ausgehoben war, zu entgehen. — Lommatzsch, 15. September. Gestern Nachmittag ist eine dem Gemeindevorstande Gutsbesitzer Bäurich in Wauden gehörige Feime in Flammen aufgegangen. Der Urheber dieses Brandes ist auch bald in dem von Statur kleinen 11'/r Jahre alten Knaben Fried rich Karl Zieger in Wauden entdeckt worden. Da man den Knaben in der Richtung nach dieser Feime hin hatte gehen sehen, so wurde derselbe eingeholt und verhört, wobei er unumwunden eingestanden hat, das Feuer angelegt zu haben. In diesem kleinen Brandstifter ist aber auch Derjenige gefunden worden, der am 22. Juli d. I. Nachmittags bei dem Gutsbesitzer Wolf in Jessen eine große Strohfeime und am 12. August d. I. Vormittags bei dem Gemeindevorstande Gutsbesitzer Blümich in Jessen eine Scheune mit sämtlichen diesjährigen Heuvor- räthen in Brand gesetzt hatte. Da der Knabe zur Zeit bei dem Guts besitzer Götze in Jessen die Gänse gehütet hat, so lenkte sich der Ver dacht auf denfelben, daß er auch diese Brände verursacht haben könnte und man hatte sich nicht getäuscht, indem derselbe unter Angabe aller Einzelnheiten ein vollständiges Geständniß ablegte und sich als Urheber dieser beiden Brände bekannte. — Bautzen. Den Abschluß der Herbstübungen des sächsischen Armeeco^ps bildeten zwei Manöver der 1. Infanteriedivision Nr. 23 gegen einen markirten Feind am 16. und 17. September, denen Se. Maj. der König beiwohnte. Das erste dieser Manöver leitete der kommandirende General Se. k. Hoh. Prinz Georg, indem sich die markirten Truppen, 9 Bataillone, 4 Escadrons und 3 Batterien, nach seinen Weisungen bewegten, während er der Division unter Führung des Generallieutenants v. Rudorfs den gegen den markirten Feind auszuführenden Auftrag ertheilte. — Leipzig. Das k. Schwurgericht Dresden hatte in seiner Sitzung vom 6. Juli d. I. den Handarbeiter Ernst Gustav Kühne aus Altfranken, welcher für schuldig erachtet wurde, die am 24. Mai d. I. in einem Kornfelde bei Zschörtnitz aufgefundene und entsetzlich zugerichtete 6 Jahre alte Martha Schumann vorsätzlich getödtet zu haben, zum Tode verurtheilt. Der Angeklagte halte gegen dieses